T 0189/12 () of 27.6.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T018912.20140627
Datum der Entscheidung: 27 Juni 2014
Aktenzeichen: T 0189/12
Anmeldenummer: 04003461.3
IPC-Klasse: B60J 5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kraftfahrzeug-Heckklappe
Name des Anmelders: GM Global Technology Operations LLC
Name des Einsprechenden: Stabilus GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 104(1)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 111(2)
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0011/08
T 0487/91
T 1411/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 24. Januar 2012 gegen die am 24. November 2011 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 1 449 697 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 23. März 2012 eingegangen.

II. Gegen das vorliegende Patent wurde Einspruch eingelegt aufgrund der in Artikel 100 a) und b) EPÜ 1973 genannten Einspruchsgründe der mangelnden erfinderischen Tätigkeit und mangelnden Ausführbarkeit.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das erteilte Patent die Erfindung deutlich und vollständig offenbare und der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe gegenüber den folgenden Druckschriften:

D4: DE 25 16 478 A1;

D5: US 6,298,604 B1.

III. Am 27. Juni 2014 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Weiterhin beantragte sie die Zurückverweisung an die erste Instanz und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen behaupteten Begründungsmangels.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit Schreiben vom 25. Juni 2012.

IV. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

"Kraftfahrzeug-Heckklappe (6) mit selbsttätiger Öffnungs- und ggf. mit selbsttätiger Schließfunktion mit einem an einer Seite der Heckklappe (6) angeordneten ersten Hub- und ggf. Zugorgan (14) zum Öffnen und ggf. zum Schließen der Heckklappe (6), welches mit einer Fahrzeugkarosserie (1, 2) und der Heckklappe (6) schwenkbar verbunden ist, und mit einem an der dem ersten Hub- und ggf. Zugorgan (14) gegenüberliegenden Seite der Heckklappe (6) angeordneten zweiten Huborgan (8), das ebenfalls mit der Fahrzeugkarosserie (1, 2) und der Heckklappe (6) schwenkbar verbunden ist dadurch gekennzeichnet, dass die Hubkraft (FH2) des zweiten Huborgans (8) kleiner ist, als die Hubkraft (FH1) des ersten Hub- und ggf. Zugorgans (14)."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Im Einspruchsverfahren sei mehrfach auf den in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik verwiesen worden. Im Einspruchsschriftsatz vom 2. Juli 2009 (Seiten 5 und 6) seien zu diesem Stand der Technik Ausführungen gemacht ("siehe Patent") und die daraus zu folgernde Konsequenz angeführt worden ("muss entweder eine Änderung der Hebelarme oder eine Änderung der Kräfte erfolgen"), d. h. der Fachmann habe aufgrund seines Fachwissens die Verwindung bzw. das auf die Heckklappe wirkende Moment beseitigen können, so dass es dem Gegenstand von Anspruch 1 an erfinderischer Tätigkeit mangele. Die Patentinhaberin sei in ihrer Erwiderung vom 15. April 2010 darauf eingegangen (Seiten 2 und 3), habe diesen Stand der Technik also als relevant angesehen. Im Schriftsatz vom 1. Juli 2010 (Seiten 2 und 3) sei nochmals ganz ausführlich zu dem in der Patentschrift abgehandelten und einer Schutzfähigkeit entgegenstehenden Stand der Technik vorgetragen worden. Weiterhin habe man in der mündlichen Verhandlung am 14. September 2011 vor der Einspruchsabteilung eingehende Ausführungen auf den in Spalte 1 der Patentschrift beschriebenen Stand der Technik gemacht und begründet, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Da weder die Niederschrift über die mündliche Verhandlung noch die Begründung der Entscheidung vom 24. November 2011 darauf eingehe, liege ein Begründungsmangel der Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs vor. Daher werde die Zurückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Da die Niederschrift über die mündliche Verhandlung zusammen mit der Begründung der Entscheidung zugestellt worden sei, habe sich erübrigt, separat eine Berichtigung der Niederschrift zu beantragen, und der Begründungsmangel sei direkt in der Beschwerdebegründung erhoben worden.

Nach Regel 124 (1) EPÜ werde über eine mündliche Verhandlung eine Niederschrift aufgenommen, deren Inhalt sowohl in Regel 124 (1) EPÜ als auch in den Richtlinien für die Prüfung, Teil E, Kapitel II-23, 10.3 festgelegt sei. Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe T 1411/07) habe eine beschwerdefähige Entscheidung nach Maßgabe von Regel 11 (2) EPÜ [sic] in einer logischen Gedanken­führung die Erwägungen aufzuzeigen, welche die getroffene Feststellung rechtfertigen, und die aus den Tatsachen und Beweismitteln gezogenen Schlussfolgerungen klar darzulegen. Deshalb müssten in der Entscheidung alle relevanten Tatsachen und Beweismittel wie auch alle maßgeblichen Erwägungen bezüglich der rechtlichen und faktischen Umstände des Falls ausführlich gewürdigt werden. Dies ziele darauf ab, den Parteien sowie auch der Beschwerdekammer die Möglichkeit zur Nachprüfung zu geben, ob die getroffene Entscheidung gerechtfertigt sei. Vorliegend sei über die Relevanz und die Berücksichtigung des Standes der Technik aus dem angegriffenen Patent entschieden worden, aber es fehle jeglicher Hinweis, welche Überlegungen die Einspruchs­abteilung zu der Schlussfolgerung geführt habe, in ihrer Begründung nicht auf den Stand der Technik im angegriffenen Patent einzugehen. Die angefochtene Entscheidung weise somit keine Begründung im Sinne der Regel 111 (2) EPÜ auf und stelle einen wesentlichen Verfahrens­mangel dar. Eine fehlende Berücksichtigung der vorgetragenen Gründe in der schriftlichen Entscheidung sei eine wesentliche Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ. Es werde daher Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt.

Durch Anspruch 1 liege keine vollständige Offenbarung vor, da ein Fachmann zur Lösung des Verwindungsproblems der Heckklappe nicht ausreichend informiert werde. Die Aufgabenstellung gemäß Absatz [0014] verlange, dass auf jeden Fall beim Öffnen keine merkliche Verwindung der Heckklappe auftreten solle. Diese Aufgabe werde nicht gelöst, wenn an den gegenüberliegenden Seiten der Heckklappe nur ein erstes und zweites Huborgan vorgesehen seien und die Hubkraft des zweiten Huborgans kleiner sei als die des ersten Huborgans. Insbesondere für die Alternative mit erstem und zweitem Huborgan und ohne Zugorgane gebe es keinerlei Merkmale, die sich mit dem Schließen der Heckklappe befassten. Bei fehlender Definition einer Schließkraft und deren Angriffstelle sei es unter dem Wortlaut von Anspruch 1 bei einer Angriffstelle der Schließkraft nahe dem zweiten Huborgan möglich, dass eine besonders starke Verwindung erzeugt würde. Auch bei einer Angriffsstelle mittig der Heckklappe komme es zu einer Verwindung. Damit seien Merkmale schutzfähig, die keinen technischen Sinn ergäben oder keine Aufgabe lösten, was nicht Inhalt des EPÜ sei. Da zur Vollständigkeit der Lehre des Anspruchs 1 eine Schließkraft und deren Angriffspunkt fehle, sei Anspruch 1 nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung zur Lösung der Aufgabe ausführen könne, da er nicht zu einer Anordnung komme, die Verwindungen vermeide. Außerdem sei ein Organ für das beanspruchte "Hub- und Zugorgan" nicht ausführbar.

Sollte der Fachmann die Erfindung aufgrund seines Fachwissens ausführen können, so beinhalte dieses Fachwissen den gesamten Anspruch 1, der dann nicht mehr auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ein Unterschied des Fachwissens bei Betrachtung der Offenbarung der Erfindung und der erfinderischen Tätigkeit sei unzulässig.

In der mündlichen Verhandlung wurde der im schriftlichen Verfahren erhobene Neuheitseinwand von der Beschwerdeführerin fallengelassen, und sie erklärte, dass zur erfinderischen Tätigkeit folgende drei Angriffslinien zu berücksichtigen seien:

Der in Absatz [0004] der Patentschrift abgehandelte und vorveröffentlichte Stand der Technik zeige eine Heckklappe mit zwei Gasdruckfedern. Abhängig von der Lage der Angriffsstelle der Schließkraft könne es zu einer Verwindung der Heckklappe kommen, und zwar wenn außermittig am linken oder rechten Rand gezogen werde (siehe Zeilen 34 bis 44). D5 gebe die Lehre (siehe "BACKGROUND OF THE INVENTION"), dass die an der Heckklappe angreifenden Kräfte ausgeglichen sein müssten. Ein Konstrukteur müsse nur diese Lehre der D5 anwenden und die an der Heckklappe angreifenden Kräfte ausgeglichen machen, um ein Verwinden der Heckklappe zu vermeiden. Dies lege Anspruch 1 nahe.

Aus D4 (Seite 1, 2. Absatz, bis Seite 2, 1. Absatz) sei eine Heckklappe nach dem Oberbegriff von Anspruch 1 bekannt. Weiterhin sei bekannt, die zwei Gasfedern symmetrisch zur Mittel-Längsachse des Fahrzeugs anzuordnen, um eine Verwindung der Heckklappe zu vermeiden. Wenn nun noch eine weitere einseitige Kraft an der Heckklappe angreife und es zu einer Verwindung komme, könne der Konstrukteur die Lösung des Problems in der D5 finden, indem er die an der Heckklappe angreifenden Kräfte ausgeglichen mache. Dies lege Anspruch 1 nahe.

Aus der D5 (Spalte 1, Zeilen 15 bis 40) sei eine Heckklappe mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1 bekannt. Die D5 gebe weiterhin die generelle Lehre (Zeilen 32 bis 34), dass die an der Heckklappe angreifenden Kräfte ausgeglichen sein müssten, um eine Verwindung der Heckklappe zu vermeiden. Dies auf alle an der Heckklappe angreifenden Kräfte angewandt lege den Anspruch 1 nahe.

Der Fachmann müsse nur sein Fachwissen anwenden, das die Einspruchsabteilung in ihren Ausführungen zur Offenbarung der Erfindung definiert habe, und zwar die Hebelgesetze mit Hebelarmen und Kräften als Variablen. Bei ungleichen Abständen des fiktiv angenommenen Angriffspunkts zu den beiden Huborganen müssten die Hubkräfte der beiden Huborgane entsprechend der unterschiedlichen Abstände unterschiedlich sein, um eine Verwindungsfreiheit der Heckklappe zu erreichen, wie im Kennzeichen des Anspruchs 1 definiert.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Der im Streitpatent gewürdigte Stand der Technik werde nicht bezweifelt. Man gehe aber davon aus, dass die Einspruchsabteilung alle Argumente berücksichtigt habe, und sei gegen eine Zurückverweisung an die Vorinstanz. Insbesondere werde im Einspruchsschriftsatz mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D4 (und nicht ausgehend von der Beschreibungseinleitung) argumentiert. Die Einspruchserwiderung stelle auf

Seite 2 und 3 lediglich den Ausgangspunkt der Erfindung dar.

Das Patent offenbare die Erfindung deutlich und vollständig, weil der Fachmann zur Lösung des Verwindungsproblems der Heckklappe ausreichend informiert werde, wie der beanspruchte Gegenstand zu verwirklichen sei. Der Fachmann lese die ganze Patentschrift, die deutlich mache, dass die Hubkräfte von zwei an gegenüberliegenden Seiten der Heckklappe angeordneten Huborganen unterschiedlich groß seien (siehe Anspruch 1), wobei er die Größe der Hubkräfte ohne jede Schwierigkeit, z. B. durch Berechnung der Hebelgesetze bestimmen könne. Es gehe darum, ein Verwinden der Heckklappe durch außermittig angreifendes einseitig händisches Zuziehen, also beim Schließen zu vermeiden (siehe Absatz [0007]; auch Absatz [0017]: "obgleich beim Schließen der Heckklappe außermittig an deren Rand angezogen ... wird"). Der Ausdruck "ohne dass dabei eine merkliche Verwindung der Heckklappe auftritt" in Absatz [0014] beziehe sich auch auf das Schließen. Die Ausführbarkeit erfordere nicht die Angabe eines Teilekatalogs; das beanspruchte "Hub- und ggf. Zugorgan" sei durch zwei nebeneinander wirkende Teile realisierbar. Das Zugorgan sei zudem optional.

Der in der Beschreibungseinleitung genannte Stand der Technik könne den erfindungsgemäßen Gegenstand nicht nahelegen. Die verspätet herangezogene DE 195 48 139 A1 (Absätze [0003] und [0004] der Patentschrift) zeige keine Ausgestaltung mit mehreren Huborganen. Am Ende von Absatz [0004] werde eine Verwindung der Heckklappe bei außermittig angeordnetem Griff angesprochen, jedoch werde - als erste "Lösung" dieses Problems - eine solche Verwindung im betroffenen Fahrzeug-Preissegment als unvermeidbar hingenommen. In Absatz [0005] der Patentschrift werde eine Lösung mit zwei Hub- und Zugorganen gezeigt, die beim Öffnen und Schließen die Heckklappe möglichst symmetrisch mit den erforderlichen Kräften beaufschlagten. Es handele sich dabei um eine selbsttätige Öffnungs- und Schließ­funktion ohne händischen Angriff, bei der sich zudem das Problem der Verwindung der Heckklappe nicht stelle.

Dokument D4 beschreibe eine Hubvorrichtung für Heckklappen und schlage zur Vermeidung von Verwindungs­kräften "üblicherweise zwei symmetrisch zur Mittel-Längsachse des Kofferraumdeckels bzw. der Heckklappe angreifende Gasfedern" vor, also den Oberbegriff von Anspruch 1, bzw. zwei gleich starke Huborgane und biete keinerlei Information zu Gasfedern unterschiedlicher Stärke. In D4 werde die aus einer Verwindung der Heckklappe entstehende Problematik einer Verschiebung beim Schlosseinlauf vermieden, indem im Endbereich des Schließvorgangs nur eine möglichst geringe Kraft der Gasfedern vorliege (Seite 15, die letzten fünf Zeilen; Seite 3, Absatz 2). Damit zeige D4 eine völlig andere Lösung. Es sei nicht ersichtlich, wieso der Fachmann D5 heranziehen würde, da D5 eine andere Lösung mit nur einer Gasfeder zeige.

Die Beschreibungseinleitung von Dokument D5 beschreibe die Verwendung von zwei Huborganen entsprechend dem Oberbegriff von Anspruch 1, insbesondere zwei gleich dimensionierte Huborgane, was unproblematisch sei. D5 stelle sich das Problem einer verwindungsfreien Öffnung dann, wenn nur ein einzelner Aktuator verwendet werde, so dass die Verwendung von mehreren unterschiedlichen Aktuatoren nicht nahegelegt sein könne. Zur Vermeidung einer Verwindung werde in D5 eine Torsionstange eingesetzt, also eine andere Lösung als in Anspruch 1 vorgeschlagen. Außerdem befasse sich D5 mit dem Öffnen und nicht mit dem Schließen einer Heckklappe.

Der Kenntnisstand des Fachmanns vor und nach Studium der Patentschrift sei unterschiedlich. Bei Beurteilung einer ausreichenden Offenbarung sei, anders als bei Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, zu berücksichtigen, dass der Fachmann die Patentschrift kenne. Kenne er also den patentgemäßen Gedanken unterschiedlicher Huborgane, so könne er die notwendige Dimensionierung mit seinem Fachwissen bestimmen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Behaupteter Begründungsmangel, Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr und Zurückverweisung an die erste Instanz

2.1 Die Beschwerdeführerin sieht einen Begründungsmangel der Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs darin, dass weder die Niederschrift über die mündliche Verhandlung noch die Begründung der Entscheidung darauf eingehe, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik - auf den im Einspruchsverfahren mehrfach hingewiesen worden sei - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

2.2 Dem kann die Kammer nach Würdigung der von der Beschwerdeführerin angeführten Argumente nicht folgen:

2.2.1 Im Einspruchsschriftsatz (ESS) vom 2. Juli 2009 wird auf Seite 3 zur Entgegenhaltung D4 ausgeführt, dass aus D4 die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 bekannt seien, ebenso das zu beseitigende Problem einer Vermeidung der Verwindung der Heckklappe. Als Lösung zur Vermeidung der Verwindungskräfte seien gemäß D4 zwei symmetrisch zur Mittel-Längsachse der Heckklappe angreifende Gasfedern vorzusehen. Aus Entgegenhaltung D5 (US 6 298 604 B1) sei das Problem des Verwindens der Heckklappe bei unausbalancierten Kräften bzw. einseitiger Belastung bekannt (siehe Seite 4 des ESS). Bekannt sei auch die Lösung, die Heckklappe durch ausbalancierte Kräfte zu beaufschlagen, wobei auch mögliche Hebelarme mit zu berücksichtigen seien. Der ESS geht anschließend (siehe Seite 4 und 5) auf eine dem Fachmann aus der Physik­vorlesung bekannte Verwindung oder Torsion, d. h. die Verdrehung eines Bauteils durch die Wirkung eines Torsionsmoments ein, die durch Beseitigung des Torsionsmoments als Ursache beseitigt werden müsse. Die genannte Entgegenhaltung weise bereits auf die Lösung hin, indem sie die "unbalanced forces" als Ursache der Verwindung benenne.

Seite 5 des ESS enthält wird zwar einen Verweis ("siehe Patent Spalte 1, Zeilen 7 bis 17") auf einen in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik. Dieser betrifft jedoch eine herkömmliche Heckklappe, bei der ein Öffnen derart unterstützt wird, dass "die symmetrisch verteilte Hubkraft beider gleich stark ausgelegter Gasfedern das Eigengewicht der Heckklappe kompensieren und auf diese Weise das händische Öffnen der Heckklappe durch den Nutzer des Fahrzeugs wesentlich erleichtern. Eine Verwindung der Heckklappe ist beim Öffnen dabei aufgrund der symmetrischen Krafteinleitung weitestgehend ausgeschlossen." Insbesondere die abschließende Feststellung zeigt, dass unabhängig von der Definition einer Öffnungskraft bzw. des Angriffspunkts der Öffnungskraft durch Kompensation des Eigengewichts der Heckklappe eine Verwindung der Heckklappe weitestgehend ausgeschlossen ist und kein Ausbalancieren von Kräften angedacht werden muss. Ein Angriffspunkt der Schließkraft - z. B. ein mittiger Schließkraftangriff wie behauptet - wird dabei nicht angesprochen, da es nur um eine Unterstützung des Öffnungsvorgangs geht. Der genannte Passus in der Patentschrift bestätigt also allenfalls, was zuvor schon in Bezug auf D4 und D5 (symmetrisch angreifende Gasfedern, ausbalancierte Kräfte) ausgeführt wurde. Die Kammer kann nicht erkennen, dass mit dem Verweis auf Seite 5 der ESS auf den in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik eine neue Angriffslinie in Bezug auf fehlende erfinderische Tätigkeit definiert werden soll. Dies wird dadurch bestätigt, dass in der ESS die Argumentation nachfolgend wieder mit dem Fachmann und einer aus der Physikvorlesung bekannten Formel für zwei an der Heckklappe wirkende Momente fortgeführt wird sowie der Beseitigung des bei einseitigem Zuziehen wirkenden Moments durch Änderung der Hebelarme oder eine Änderung der Kräfte.

Nach Auffassung der Kammer zeigt der ESS also eine Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit auf, die ausgehend von D4 und den in D5 angesprochenen unausbalancierten Kräften als bekannter Ursache der Verwindung der Heckklappe auf das Fachwissen des Fachmanns zurückgreift. Dies wurde in der angefochtenen Entscheidung abgehandelt. Es ist aus dem ESS nicht abzuleiten, dass ausgehend von dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik die erfinderische Tätigkeit in Frage gestellt wurde.

2.2.2 In der Erwiderung der Patentinhaberin vom 15. April 2010 wird auf den Seiten 2 und 3 der Gegenstand des Patents beschrieben. Ausführungen zur Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik folgen erst später ab Seite 5 unter Bezug auf D4 sowie D5. Es ist nicht zu erkennen, dass die Patentinhaberin damit auf eine Argumentation der Einsprechenden ausgehend von dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik reagiert hätte.

2.2.3 Im Schriftsatz der Einsprechenden vom 1. Juli 2010 wird zur erfinderischen Tätigkeit zunächst (siehe Seite 2) ausgeführt, von der Anmelderin werde "in der Patentschrift in der Abhandlung des Standes der Technik selbst ausgeführt, welche Gedankengänge ein Konstrukteur bei Kenntnis des Standes der Technik durchführt", und schließlich, dass der relevante Fachmann "die Verwindung erkennt und aufgrund seines Fachwissens, wie im Einspruchsschriftsatz ausgeführt, beseitigen kann". Darin kann die Kammer auch keinen neuen Angriff in Bezug auf mangelnde erfinderische Tätigkeit erkennen, sondern allenfalls eine Diskussion darüber, welches Fachwissen dem Fachmann zugesprochen werden kann. Dies wird nachfolgend (Seiten 3 bis 4) nochmals dadurch deutlich, dass die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D4 und auch D5 in Frage gestellt und dazu der Fachmann bemüht wird.

2.2.4 Schließlich verweist die Beschwerdeführerin auf eingehende Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung findet sich jedoch kein Hinweis auf eine Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik.

Die Kammer ist diesbezüglich der Auffassung, dass von den Parteien und deren Vertretern erwartet werden kann, dass der Inhalt und insbesondere die Vollständigkeit der Niederschrift unmittelbar nach deren Erhalt sorgfältig geprüft und zeitnah vor der ersten Instanz bemängelt wird. Dies ist unabhängig davon, ob die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Begründung der Entscheidung oder zusammen mit dieser zugestellt wird. Ein Antrag auf Berichtigung oder Ergänzung der Niederschrift ist jedoch nicht gestellt worden. Die Kammer muss also davon ausgehen, dass die Niederschrift den Verlauf der mündlichen Verhandlung korrekt wiedergibt (R 11/08, Punkt 16 der Gründe).

2.2.5 Die Kammer kann deshalb nicht erkennen, dass im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eine weitere Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit vorgetragen wurde, die in der begründeten Entscheidung nicht berücksichtigt wurde.

2.3 Es finden sich also keine Anhaltspunkte, die auf eine unvollständige Begründung im Sinne von Regel 111 (2) EPÜ 1973 bzw. auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ 1973 und damit einen Verfahrensfehler hindeuten würden, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr oder Zurückverweisung an die erste Instanz rechtfertigen würde.

3. Mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ 1973)

3.1 Es wird darauf hingewiesen, dass zur Beantwortung der Frage, ob eine Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ 1973 ausreichend offenbart ist, so dass der Fachmann sie ausführen kann, der Gesamtinhalt der Anmeldung unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen ist. Es ist also unbeachtlich, ob "durch Anspruch 1 keine vollständige Offenbarung" vorliegt, wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, da die Frage der ausreichenden Offenbarung nicht allein vom Inhalt der Ansprüche beurteilt werden darf (siehe dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, II.C.2).

Die Kammer kann auch nicht erkennen, wieso der Fachmann nicht ausreichend über eine Lösung der Verwindungs­problematik informiert werde, da Anspruch 1 dazu die Lösung gibt, die Hubkraft des zweiten Huborgans kleiner als die Hubkraft des ersten Huborgans zu wählen. Es werden also die erforderlichen Mittel und auch eine Dimensionierungsvorschrift angegeben, so dass der Fachmann den beanspruchten Gegenstand verwirklichen kann. Im konkreten Anwendungsfall kann der Fachmann die in der Anmeldung enthaltene Information durch sein Fachwissen ergänzen. Wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, gehören dazu die Hebelgesetze, die bei einem konkreten Angriffspunkt und einer konkreten Größe der Schließkraft zu einer Dimensionierung der Hubkräfte der beiden Huborgane führen. Auch wenn der Fachmann die Erfindung ausführen kann, kann damit nicht auf mangelnde erfinderische Tätigkeit geschlossen werden, da dazu nicht von der Lehre der Patentschrift, sondern von dem nächstliegenden Stand der Technik und damit von einem anderen Kenntnisstand des Fachmanns auszugehen ist.

3.2 Die Beschwerdeführerin führte aus, die Aufgabenstellung nach Absatz [0014] verlange, dass auf jeden Fall beim Öffnen keine merkliche Verwindung der Heckklappe auftreten solle. Dies kann die Kammer allerdings dem Absatz [0014] des Streitpatents nicht entnehmen, denn darin ist die zu lösende Aufgabe auf eine Heckklappe gerichtet, die ,,selbsttätig Öffnen" kann und dabei die "vorstehend diskutierten Nachteile" vermeidet. In den Absätzen zuvor wird die Problematik dargestellt, dass bei einem selbsttätigen oder händischen einseitigen Zuziehen die Heckklappe zwangsläufig einseitig tordiert bzw. verwunden wird, was zu einer Querverschiebung des Schlosses mit Problemen beim Schlosseinlauf führt. Es sollen also die beim einseitigen Zuziehen durch das Verwinden der Heckklappe auftretenden Nachteile vermieden werden; bezüglich des Öffnens werden keine Nachteile erwähnt.

3.3 Wie die Beschwerdeführerin richtigerweise festgestellt hat, werden mit Anspruch 1 mehrere Alternativen beansprucht "mit selbsttätiger Öffnungs- und ggf. mit selbsttätiger Schließfunktion" und "mit einem an einer Seite der Heckklappe (6) angeordneten ersten Hub- und ggf. Zugorgan", wobei ein zweites Huborgan an der gegenüberliegenden Seite der Heckklappe angeordnet ist. Es sind also entweder nur zwei Huborgane auf beiden Seiten der Heckklappe angeordnet oder es ist zusätzlich auf einer Seite noch ein Zugorgan vorgesehen.

3.3.1 Im letzteren Fall wird mit dem Zugorgan eine selbsttätige Schließfunktion realisiert, d. h. es wird eine Ausführungsform mit einer auf einer Seite der Heckklappe angreifenden Schließkraft spezifiziert. Diese Ausführungsform ist nach Auffassung der Kammer schon aus dem Anspruchswortlaut heraus - aber zusätzlich auch zusammen mit der Darstellung in Figur 2 und der zugehörigen Beschreibung - ausreichend offenbart und löst auch die Aufgabe, ein Verwinden der Heckklappe beim einseitigen selbsttätigen Zuziehen zu vermeiden, da die Hubkraft des Huborgans auf der dem Zugorgan gegenüberliegenden Seite kleiner ist als die Hubkraft des auf der Seite des Zugorgans liegenden Huborgans.

In Bezug auf diese Ausführungsform führt die Beschwerdeführerin aus, dass ein Organ für das beanspruchte "Hub- und Zugorgan" nicht ausführbar sei. Nach Auffassung der Kammer ist unter dem beanspruchten Organ aber nicht notwendigerweise ein spezielles Bauteil zu verstehen, welches gleichzeitig eine Hub- und eine Zugfunktion umfassen muss, sondern eine Einrichtung, welche eine Hubfunktion und eine Zugfunktion ausübt und als Parallelschaltung von zwei unterschiedlichen Bauteilen, z. B. zwei unterschiedlich ausgelegten Gasfedern, realisiert sein kann. Ein Problem hinsichtlich der Ausführbarkeit einer solchen Einrichtung kann die Kammer nicht erkennen.

3.3.2 Hinsichtlich der Ausführungsform ohne Zugorgan - also einer händisch zugezogenen Heckklappe - wird von der Beschwerdeführerin beanstandet, dass Anspruch 1 keine Merkmale aufweise, die sich mit dem Schließen der Heckklappe befassten, insbesondere keine Schließkraft und keine Angriffsstelle der Schließkraft. In diesem Fall wird die Schließkraft von dem Nutzer des Fahrzeugs aufgebracht, der nicht "Teil" der beanspruchten Heckklappe ist und deshalb schwerlich mit der Heckklappe zusammen beansprucht werden kann. Für die Frage der Ausführbarkeit ist allerdings entscheidend, ob der Fachmann aufgrund der Offenbarung in der Patentanmeldung in die Lage versetzt wird, die Erfindung auszuführen. Dies ist nach Auffassung der Kammer gegeben, da - wie bereits ausgeführt - die zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Mittel und deren generelle Ausbildung bzw. Dimensionierung bereits in Anspruch 1 definiert sind und die Beschreibung (insbesondere in Verbindung mit Figur 2) noch die zusätzliche Angabe enthält, dass die Zugkraft an der Seite des Huborgans mit der größeren Hubkraft angreifen soll. Der Fachmann ist allenfalls gefordert, bei einer konkreten Heckklappe die Hubkräfte der Huborgane so zu wählen, dass eine Verwindung der Heckklappe beim einseitigen Zuziehen möglichst vermieden wird, was aber eine routinemäßige Abstimmung darstellt, welche die Ausführbarkeit nicht in Frage stellen kann.

3.4 Die beanspruchte Ausführungsform mit nur zwei Huborganen mit unterschiedlicher Hubkraft löst zudem das Problem beim einseitigen händischen Zuziehen, indem die Hubkraft auf einer Seite kleiner ist als die Hubkraft auf der anderen Seite, und macht technisch durchaus Sinn. Es mag zwar nun beim Öffnen der Heckklappe eine Verwindung der Heckklappe aufgrund der links und rechts unterschiedlichen Hubkräfte auftreten, aber das bisher als unvermeidbar hingenommene Problem einer Verwindung der Heckklappe beim Zuziehen (siehe Absatz [0004] der Patentschrift) und die damit verbundene Querverschiebung beim Schlosseinlauf und etwaige Abnutzungserscheinungen können dadurch vermieden werden.

Anspruch 1 mag zwar auch Ausführungsformen umfassen, die das Problem der Verwindung der Heckklappe noch verstärken, wenn die Schließkraft mittig oder auf der Seite mit der kleineren Hubkraft angreift, und somit die gestellte Aufgabe nicht lösen würden. Wie aber bereits festgestellt zeigt die schematische Darstellung in Figur 2 die Schließ- bzw. Zugkraft FZ1 auf der Seite des Huborgans mit der größeren Hubkraft FH1 (siehe dazu Beschreibung Absätze [0031] bis [0034]), was auch für den Fall des händischen Zuziehens gilt, d. h. dem Fachmann wird eindeutig ein Weg zur Ausführung der Erfindung aufgezeigt, der die gestellte Aufgabe löst.

Die von der Beschwerdeführerin angeführten Fälle stehen im Übrigen der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung nicht entgegen, denn es ist ausreichend, wenn das angestrebte Ergebnis in einigen - realistischen - Fällen erreicht wird (siehe T 487/91, Gründe, Punkt 5, nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

Die Beschwerdeführerin hat im Verfahren vor der Beschwerdekammer mangelnde erfinderische Tätigkeit mit drei Angriffslinien geltend gemacht, und zwar ausgehend von dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik in Verbindung mit D5, ausgehend von D4 in Verbindung mit D5 sowie ausgehend von D5 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns.

4.1 In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift werden (siehe Absatz [0002]) herkömmliche Heckklappen von Kraftfahrzeugen mit an beiden Seiten links und rechts von der Heckklappe angeordneten Gasfedern beschrieben, welche ein Öffnen der Heckklappe durch die symmetrisch verteilte Hubkraft beider gleich stark ausgelegter Gasfedern unterstützen. Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass auch nachfolgend in Absatz [0004] (wegen des einleitenden Ausdrucks "Das Schließen solcher bekannter herkömmlicher Heckklappen") auf eine solche Heckklappe Bezug genommen und das Problem der Verwindung der Heckklappe bei außermittigem Zuziehen angesprochen wird, wobei gemäß Absatz [0004] dieses Problem aber bisher als unvermeidbar hingenommen wurde.

Die vorbekannte Heckklappe gemäß der Patentschrift zeigt also zwei Huborgane zur Realisierung einer selbsttätigen Öffnungsfunktion und damit die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1, jedoch gleich stark ausgelegte Gasfedern und damit nicht das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1. Durch die unterschiedlichen Hubkräfte beider Huborgane wird ein Verwinden der Heckklappe bei einseitigem Zuziehen - unabhängig davon, ob das Zuziehen selbsttätig durch ein an einer Seite angebrachtes Zugorgan oder händisch durch außermittiges Angreifen erfolgt - zumindest teilweise kompensiert. Die mit der vorliegenden Erfindung zu lösende Aufgabe ist somit darin zu sehen, dass eine Verwindung der Heckklappe bei außermittigem Angriff einer Schließkraft verhindert wird.

Auf der Suche nach einer Lösung für die genannte Aufgabe mag der Fachmann auf Dokument D5 stoßen, das aus dem gleichen technischen Gebiet stammt. Dort wird auch ein vergleichbares Problem angesprochen, dass eine Heckklappe bei einem seitlich angebrachten Aktuator zum Öffnen und Schließen der Heckklappe sich wegen nicht ausgeglichener Kräfte verwindet (siehe Spalte 1,

Zeilen 29 bis 34: "gates lifts ... subject to twisting with unbalanced forces").

Als Ausgangspunkt beschreibt D5 einen Stand der Technik (siehe Spalte 1, Zeilen 20 bis 32) mit zwei Gasfedern als Huborganen auf beiden Seiten der Heckklappe und einem Schloss in der Mitte der Unterkante und mittig wirkenden manuellen Kräften beim Öffnen und Schließen, so dass die händisch aufgebrachten Öffnungs- und Schließkräfte gleich verteilt sind ("so that the manual opening and closing force is centered and evenly distributed"), d. h. die Problematik einer außermittigen Schließkraft stellt sich hierbei noch nicht. Ausgehend davon werden Aktuatoren zum selbsttätigen Öffnen und Schließen angesprochen ("any powered opening and closing device"), die seitlich angebracht werden müssen und zu einem Verwinden der Heckklappe führen, wenn nicht zwei Aktuatoren vorgesehen werden (Zeilen 35 bis 37: "unless two power devices are provided, one on each side of the liftgate, it could flex unevenly as it was opened or closed"). Werden also Aktuatoren auf beiden Seiten der Heckklappe zum selbsttätigen Öffnen bzw. Schließen vorgesehen, so stellt sich laut D5 das Problem eines Verwindens der Heckklappe nicht. Diese Passagen aus D5 wird der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung seines Problems also nicht in Betracht ziehen und liefern im Übrigen auch keinen Hinweis, gezielt zwei Huborgane mit unterschiedlichen Hubkräften vorzusehen.

Nachfolgend sieht D5 (Zeilen 37 bis 40) einen einzelnen Aktuator wegen der geringeren Kosten als vorteilhaft an, wobei zunächst als nicht naheliegend dargestellt wird, mittels dieses einen Aktuators Hubkräfte auf beiden Seiten der Heckklappe aufzubringen. Auch wenn hiermit ein außermittiger Kraftangriff angesprochen wird, fehlt bereits ein zweites Huborgan zum Aufbringen einer zweiten Hubkraft. Schließlich schlägt D5 zum Aufbringen von gleichgroßen Hubkräften auf beiden Seiten der Heckklappe bei einem einzelnen Aktuator eine Torsionsstange vor (siehe Zeilen 43 bis 46: "single actuator ... able to apply lifting force evenly to both sides"). Selbst wenn man die Torsionsstange als zweites Huborgan auffassen sollte, ist damit lediglich gezeigt, auf beiden Seiten der Heckklappe gleichgroße Hubkräfte aufzubringen.

Auch wenn man der Beschwerdeführerin darin folgt, dass D5 gleichzeitig mit den "unbalanced forces" als Ursache für das Verwinden der Heckklappe im Umkehrschluss auch lehren sollte, dass bei ausgeglichenen Kräften eine Verwindung der Heckklappe vermieden werden kann, ist für die Kammer nicht ersichtlich, wieso der Fachmann die beiden Huborgane der vorbekannten Heckklappe gezielt mit unterschiedlichen Hubkräften dimensionieren würde. Im genannten Stand der Technik fehlt jeglicher Hinweis zu einer unsymmetrischen Ausgestaltung der Hubkräfte der Huborgane auf beiden Seiten der Heckklappe, insbesondere da D5 explizit eine Lösung mit gleichen Hubkräften auf beiden Seiten der Heckklappe für das Verwindungsproblem bei außermittigem Kraftangriff vorschlägt.

Die Kammer kann also nicht erkennen, wie der Fachmann ausgehend von dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik unter Berücksichtigung der Lehre von D5 in naheliegender Weise zu der erfindungsgemäßen Lösung, zwei Huborgane mit unterschiedlichen Hubkräften auf beiden Seiten der Heckklappe vorzusehen, gelangt.

4.2 Dokument D4 zeigt unstrittig den Oberbegriff des Anspruchs 1 (siehe überbrückender Absatz von Seite 1 auf Seite 2), und zwar zwei symmetrisch zur Mittel-Längsachse der Heckklappe angeordnete Gasfedern, womit eine Verwindung der Heckklappe bzw. ein einseitiges Abheben der Heckklappe vermieden wird. D4 betrifft ansonsten die Ausgestaltung einer Gasfeder, so dass "im Bereich der eingeschobenen Endlage der Kolbenstange eine Verringerung der auf die Kolbenstange wirkenden Ausschubkraft bis auf Null erreicht werden kann" (siehe Seite 3, Absatz 2), und bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass unterschiedliche Gasfedern und damit Huborgane mit unterschiedlichen Hubkräften für eine Heckklappe verwendet werden.

Damit stellt D4 einen vergleichbaren Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar wie vorstehend zu dem in der Patentschrift abgehandelten Stand der Technik ausgeführt. Eine Kombination mit der Lehre des Dokuments D5 führt also aus denselben Gründen nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1.

Auch wenn man, wie in der angefochtenen Entscheidung angesprochen, die allgemeine Lehre der Momenten­gleichheit und die Hebelgesetze als Fachwissen des Fachmanns berücksichtigt, so ist nach Auffassung der Kammer die konkrete Ausbildung der beiden Huborgane mit unterschiedlichen Hubkräften für den Fachmann nicht naheliegend, da die aus D4 und D5 bekannten Lösungsvorschläge für das Problem der Verwindung der Heckklappe in eine andere Richtung weisen.

4.3 Auch aus Dokument D5 sind die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 bekannt, wie bereits weiter oben ausgeführt und von beiden Parteien zugestanden wurde.

D5 mit der generelle Lehre, dass eine Verwindung der Heckklappe durch nicht ausgeglichene Kräfte hervorgerufen wird, mag im Umkehrschluss auch lehren, dass bei ausgeglichenen Kräften eine Verwindung der Heckklappe vermieden werden kann. Wieso der Fachmann die beiden Huborgane aber gezielt mit unterschiedlichen Hubkräften dimensionieren würde, ist für die Kammer nicht ersichtlich, insbesondere da - wie bereits weiter oben ausgeführt - D5 explizit eine Lösung mit gleichen Hubkräften auf beiden Seiten der Heckklappe für das Verwindungsproblem bei außermittigem Kraftangriff vorschlägt, die sich gerade von der in Anspruch 1 spezifizierten Lösung unterscheidet.

5. Die beanspruchte Heckklappe gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wie auch gemäß der auf diesen Anspruch rückbezogenen Unteransprüche beruht damit auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ 1973. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 steht der Aufrechterhaltung des erteilten Patents somit nicht entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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