T 0154/12 (Gasdruckregler/GOK) of 25.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T015412.20130625
Datum der Entscheidung: 25 Juni 2013
Aktenzeichen: T 0154/12
Anmeldenummer: 04020001.6
IPC-Klasse: G05D 16/06
F16K 7/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 144 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Gasdruckregler
Name des Anmelders: GOK Regler- und Armaturen-Gesellschaft mbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Cavagna Group S.p.A.
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99(1)(c)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Einziger Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
T 0729/90
T 0407/02
T 0358/08
T 0144/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0692/14

Sachverhalt und Anträge

I. Ein Einspruch wurde gegen das europäische Patent Nr. 1530110 in seiner Gesamtheit gestützt auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ eingelegt. Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens wurde am 22. Juli 2010 ein neuer Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ geltend gemacht. Die Einspruchsabteilung hat sich mit diesem neuen Einspruchsgrund erstmalig im Ladungsbescheid vom 4. Mai 2011 befasst. In der mündlichen Verhandlung, die am 1. Dezember 2011 stattfand, wurde dieser Einspruchsgrund mit den Parteien erörtert. In ihrer Entscheidung vom 15. Dezember 2011 hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 100 c) EPÜ), und das Patent demzufolge widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) mit Schreiben vom 25. Januar 2012 Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde am 16. April 2012 begründet. Es wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent im Umfang der der Beschwerdebegründung beiliegenden Patentansprüche als einzigem Antrag (Hauptantrag) zu erteilen, wobei Anspruch 1 des Hauptantrags die Merkmale der Ansprüche 1, 2, 8 und 9 des Streitpatents umfasst. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

III. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat in ihrer am 6. August 2012 eingegangenen Antwort zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt, diese als unzulässig zu verwerfen oder hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Hilfsweise hat sie eine mündliche Verhandlung beantragt.

Hinsichtlich der Zulässigkeit wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeschrift entgegen den Erfordernissen der Regel 99 EPÜ nicht den Beschwerdegegenstand angebe. Ferner sei die Beschwerdebegründung unzureichend bzw. in Widerspruch zu Äußerungen der Patentinhaberin während des Einspruchsverfahrens stehend und auf bloßen Behauptungen basierend.

IV. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 äußerte sich die Beschwerdeführerin zum Einwand der mangelnden Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde.

V. Mit einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) vom 15. Februar 2013 informierte die Kammer die Parteien über ihre vorläufige Stellungnahme insbesondere hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde und der Zulässigkeit des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags.

Dazu nahmen die Parteien mit Schreiben vom 29. Mai 2013 und 17. Juni 2013 Stellung.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 25. Juni 2013 vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 6 des mit der Beschwerdebegründung vom 16. April 2012 eingereichten Hauptantrags. Hilfsweise beantragte sie die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen oder hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Weiter hilfsweise beantragte sie die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer. Für den Fall, dass die Beschwerdekammer die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverweisen sollte, beantragte die Beschwerdegegnerin ferner eine andere Kostenverteilung gemäß Artikel 104 (1) EPÜ.

Nach Beratung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

1.1 Mit der Beschwerdeschrift vom 25. Januar 2012 hat die Beschwerdeführerin unter Angabe der Anmeldenummer und der Veröffentlichungsnummer, des Patentanmelders und des Titels des Streitpatents Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt und einen Abbuchungsauftrag zur Entrichtung der Beschwerdegebühr beigelegt. Weitere Ausführungen enthält die Beschwerdeschrift nicht.

Gemäß Regel 99 (1) c) EPÜ muss die Beschwerdeschrift einen Antrag enthalten, in dem der Beschwerdegegenstand festgelegt wird. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es bei einem Widerruf des Patents für den Patentinhaber zum Erfüllen der Vorgabe der Regel 99 (1) c) EPÜ ausreichend, mit der Beschwerdeschrift ohne weitere Ausführungen lediglich Beschwerde einzulegen. Dies wird so verstanden, dass die Aufhebung der Entscheidung beantragt wird (T 407/02, Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe). Dies gilt unverändert auch für die neu formulierte Regel 99 EPÜ (T 358/08, Punkt 5 der Entscheidungsgründe).

Da diese Umstände auch auf den vorliegenden Fall zutreffen, sieht die Kammer keinen Grund, die Beschwerde wegen nicht ausreichender Angabe des Beschwerdegegenstands in der Beschwerdeschrift als unzulässig zu verwerfen.

1.2 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt, da die Arretierungseinrichtung (17) nicht zwingend durch die Betätigung eines Stifts (16) als Stellmittel gelöst werden müsse, während in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen die Arretierungseinrichtung durchgehend und ausnahmslos im Zusammenhang mit einem Stift erwähnt würde.

Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruch 1 eingereicht, der die Ansprüche 1, 2, 8 und 9 des Patents zusammenfasst. Der nunmehr beanspruchte Gegenstand weist explizit einen Stift auf, durch den die Arretierung lösbar ist. In der Beschwerdebegründung wies die Beschwerdeführerin auf die Tatsache hin, dass es sich bei dem Stellmittel (zur Aufhebung der Arretierung) um einen Stift handele. Ferner sei sie der Ansicht, dass durch diese Änderung des Begehrens die in der angefochtenen Entscheidung gerügte "Zwischenverallgemeinerung" beseitigt worden sei. Weitere Ausführungen zu diesem Punkt enthält die Beschwerdebegründung nicht.

Die Kammer betrachtet diesen Anspruch daher als einen klaren Versuch, den Widerrufsgrund durch Änderung des Begehrens auszuräumen. Dies wurde in der Vergangenheit von den Beschwerdekammern als ausreichend betrachtet, um die Zulässigkeit der Beschwerde gemäß Artikel 108 EPÜ zu erreichen (z.B. T 729/90, Punkt 1 der Entscheidungsgründe). Dieser Rechtsprechung folgend, sieht die Kammer im vorliegenden Fall in dem Fehlen einer darüber hinausgehenden Auseinandersetzung mit dem Widerrufsgrund keinen Grund, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

1.3 Die Beschwerdegegnerin hat dazu eingewendet, dass die Begründung, dass es sich bei dem Stellmittel um einen Stift handele, nicht ausreichend substantiiert sei, weil nicht begründet werde, inwiefern die Merkmale des geänderten Anspruchs 1 den erstinstanzlichen Widerrufsgrund berücksichtigen.

Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht, da im vorliegenden Falle unmittelbar erkennbar ist, dass die neu in den Anspruch aufgenommenen Merkmale, also insbesondere das Merkmal, dass die Arretierung durch Betätigung des Stifts lösbar ist, den Einwand der Einspruchsabteilung, dass die Arretierungseinrichtung zwingend durch die Betätigung eines Stifts als Stellmittel gelöst werden müsse, berücksichtigt. Weitere Erklärungen sind zum Verständnis der mit den durchgeführten Änderungen verbundenen Absichten in einem solchen Falle nicht nötig.

Ferner hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, dass die Begründung, dass das Stellmittel identisch mit dem Stift sei, den in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung dazu gemachten Ausführungen widerspreche.

Dieser Einwand ist jedoch für die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde nicht relevant (Regel 99 (1) c) EPÜ).

1.4 Aus obigen Gründen ist die Beschwerde zulässig.

2. Zulassung des Hauptantrags der Beschwerdeführerin (Artikel 12 (4) VOBK)

2.1 Das Streitpatent wurde auf Grundlage des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 c) EPÜ widerrufen. Dieser Einspruchsgrund wurde von der Einsprechenden mit Schreiben vom 22. Juli 2010 verspätet geltend gemacht und in diesem Schreiben damit begründet, dass die Arretierungseinrichtung stets zwingend im Zusammenhang mit dem Stift- und Ventilhebel beschrieben sei. Dieser Einspruchsgrund wurde im Ladungsbescheid vom 4. Mai 2011 zur mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2011 von der Einspruchsabteilung als eine der zu erörternden Fragen aufgeführt. Die Einspruchsabteilung hat in diesem Bescheid eine vorläufige Stellungnahme abgegeben, der zu Folge dieser Einwand nicht begründet sei. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde entschieden, diesen Einspruchsgrund zuzulassen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde die Patentinhaberin nach Beratung der Einspruchsabteilung darauf hingewiesen, dass nach deren Auffassung Anspruch 1 des Patents eine unzulässige Erweiterung enthalte. Als kurze Begründung wurde angegeben, dass eine Arretierungseinrichtung ohne Stift in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart sei. Auf Nachfrage des Vorsitzenden der Einspruchsabteilung erklärte die Patentinhaberin, keine weiteren Anträge stellen zu wollen. Mit der Beschwerdebegründung hat die Patentinhaberin einen neuen Antrag eingereicht, dessen Anspruch 1 im wesentlichen auf den erteilten Ansprüchen 2, 8 und 9 basiert, die wiederum mit den ursprünglichen Ansprüchen 2, 8 und 9 übereinstimmen.

2.2 Gemäß Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist die Kammer befugt, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zuzulassen.

2.3 Im vorliegenden Falle hätte die Patentinhaberin aus nachfolgenden Gründen im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren spätestens im Verlauf der mündlichen Verhandlung einen Antrag mit dem Ziel, den Einwand der unzulässigen Erweiterung zu beheben, vorbringen können und, um dem letztinstanzlichen Charakter einer Beschwerde Rechnung zu tragen (siehe nachfolgend Punkt 2.5), auch müssen.

2.4 Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ wurde von der Einsprechenden mit Schreiben vom 22. Juli 2010 und somit fast eineinhalb Jahre vor der mündlichen Verhandlung geltend gemacht und unter Hinweis auf das angeblich wesentliche Merkmal des Stiftes begründet. Im Ladungsbescheid vom 4. Mai 2011 zur mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2011 wurde der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ als eine der in der Verhandlung erörterungsbedürftigen Fragen aufgelistet, zu der die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Auffassung darlegte. Weitere Ausführungen zu diesem Punkt wurden von Seiten der Einsprechenden mit Schreiben vom 22. August 2011 gemacht, wobei die zuvor vorgebrachten Argumente hinsichtlich des Stiftes vertieft wurden.

Aus diesem Ablauf der Ereignisse und aus der streitigen Natur des Einspruchsverfahrens (siehe G 9/91, ABl. EPA 1993, 408) ergibt sich, dass die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung damit rechnen musste, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ in das Verfahren zugelassen würde, dass dieser Einspruchsgrund kontrovers erörtert würde und dass, wie geschehen, die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Auffassung revidieren könnte. Es hätte der Patentinhaberin außerdem klar sein müssen, dass sich der Einwand der unzulässigen Erweiterung, wenn er denn zum Tragen kommt, auf das Fehlen des Stiftes in der beanspruchten Arretierungseinrichtung beziehen würde.

Daher hätte die Patentinhaberin auf den Einwand der unzulässigen Erweiterung, insbesondere nachdem ihr diese Möglichkeit von der Einspruchabteilung eingeräumt wurde, mit einem entsprechenden Antrag reagieren können.

2.5 Somit liegt eine dem Fall T 144/09 äquivalente Situation vor. Generell wurde im Verfahren T 144/09 (siehe Punkt 1 der Entscheidungsgründe) unter vergleichbaren Umständen entschieden, einen geänderten Antrag, der den Widerrufsgrund nach Artikel 123 (2) EPÜ beheben sollte, nicht zuzulassen, da ein solcher Antrag schon in der Vorinstanz hätte gestellt werden können und der Patentinhaber sogar im Laufe der mündlichen Verhandlung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde.

Wie ebenfalls in T 144/09 (siehe Punkt 1.14 der Gründe, 3. Absatz) zusammengefasst, dient das Beschwerdeverfahren hauptsächlich einer letztinstanzlichen Überprüfung der Entscheidung der Vorinstanz und nicht einer Prüfung eines neuen Sachverhalts (siehe auch G 9/91 und G 10/91, ABl. EPA 1993, 408, 420). Da im vorliegenden Fall wie auch in der vergleichbaren Situation in T 144/09 sich die Entscheidung der Einspruchsabteilung einzig auf eine als unzulässig erachtete Erweiterung bezieht, die durch den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Antrag mutmaßlich ausgeräumt wird, entstünde die Situation, dass die Kammer mit der Überprüfung der weiteren Einspruchsgründe, über die die Einspruchsabteilung noch keine Entscheidung getroffen hat, konfrontiert würde. Dieser Umstand läuft dem Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens entgegen.

Um dem letztinstanzlichen Charakter einer Beschwerde Rechnung zu Tragen, hätte daher die Beschwerdeführerin einen entsprechenden Antrag im Laufe des Einspruchsverfahrens spätestens nach der Anregung der Einspruchsabteilung während der mündlichen Verhandlung z.B. als Hilfsantrag einreichen müssen.

2.6 Die Beschwerdeführerin brachte dazu Folgendes vor:

Sie wies auf den Umstand hin, dass die Einspruchsabteilung in ihrem Ladungsbescheid vom 4. Mai 2011 den Einspruchsgrund der unzulässigen Erweiterung - vorläufig - als unbegründet sah und sie, die Patentinhaberin, daher von der diesbezüglichen negativen Entscheidung überrascht wurde und diesbezüglich keine Anträge vorbereitet hatte. Die Kammer stellt dazu fest, dass diese Situation weitgehend der dem Fall T 144/09 zu Grunde liegenden entspricht (siehe Punkt 1.6). Grundsätzlich liegt es in der Natur der Vorläufigkeit eines Ladungsbescheids und des streitigen Einspruchsverfahrens zwischen Parteien, dass, nachdem die Einspruchsabteilung diesen Grund als einen der in der mündlichen Verhandlung zu behandelnden Punkte aufgeführt hat, sie ihre vorläufige Meinung dazu im Laufe der Verhandlung nach Anhörung der Parteien auch ändern kann. Daher hätte die Patentinhaberin mit dem Ausgang der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung rechnen müssen.

Des weiteren ist nach Meinung der Beschwerdeführerin der Sachverhalt des vorliegenden Fall komplexer als der der Entscheidung T 144/09 zu Grunde liegende, so dass diese Entscheidung nicht als Grundlage hergenommen werden kann. Es wurde argumentiert, dass die Patentinhaberin im Laufe des Einspruchsverfahrens anders als in T 144/09 ihren Antrag nie geändert hätte und sich der Einwand der unzulässigen Erweiterung auf eine Zwischenverallgemeinerung bezog, deren Ausräumung nicht ohne Weiteres klar auf der Hand lag, und nicht auf das Hinzufügen eines Merkmals, das man einfach wieder hätte streichen können. Dazu stellt die Kammer fest, dass, auch wenn die Natur des Einwandes der unzulässigen Verallgemeinerung im vorliegenden Fall komplexer ist als in dem der Entscheidung T 144/09 zu Grunde liegenden Fall, die Patentinhaberin dennoch in angemessener Form hätte versuchen können, darauf zu reagieren. Der Einspruchsgrund der unzulässigen Erweiterung wurde am 22. Juli 2010 eingeführt und begründet. Die dazu vorgebrachten Argumente sind dieselben, wie sie in der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2011, also eineinhalb Jahre nachdem die Patentinhaberin von diesen Argumenten Kenntnis hatte, aufrecht erhalten wurden. Daher hatte die Patentinhaberin hinreichend Zeit, sich mit diesen Argumenten und den Möglichkeiten, den Einwand zu beheben, zu befassen. Im Detail wurde die unzulässige Erweiterung im wesentlichen dadurch begründet, dass die Arretierungseinrichtung zwingend durch die Betätigung eines Stifts als Stellmittel gelöst werden müsse. Darauf wurde auch explizit von der Einspruchsabteilung im Laufe der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Die Ansprüche des Streitpatents, insbesondere Anspruch 9, geben aber ohne weiteres eine Grundlage zur Formulierung eines Antrags, der sich mit diesem Mangel auseinandersetzt. Somit ist die Komplexität des vorliegenden Falles nicht so erheblich höher als in T 144/09, dass die Kammer zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte.

Ferner brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihr die genauen Gründe für den Widerruf und die entsprechende Argumentation erst durch die begründete Entscheidung bekannt wurden und sie erst danach angemessen darauf reagieren konnte. Die Kammer akzeptiert dieses Argument im vorliegenden Fall nicht. Die unzulässige Erweiterung und die Begründung dafür waren rechtzeitig bekannt und wurde im Einspruchsverfahren auch nicht mehr geändert. Die Umstände des Falls und auch eine angemessene Reaktion zur Behebung des Mangels sind ausreichend einfach (siehe vorstehenden Absatz), dass man eine solche auch während der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin hätte erwarten können (siehe dazu auch T 144/09, Punkt 1.5 der Entscheidungsgründe).

Die Beschwerdeführerin gab auch vor, dass sie unter dem Zeitdruck während der mündlichen Verhandlung keinen Antrag stellen wollte, der möglicherweise unter dem Maximum des erreichbaren Rechtsschutzes zurückgeblieben wäre und der zudem durch eine mögliche negative Entscheidung der Einspruchsabteilung präjudiziert gewesen wäre. Hinsichtlich der Komplexität des Sachverhalts hat sich die Kammer schon in den vorstehenden Absätzen geäußert. Daher und in Anbetracht der Tatsache, dass die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin die Möglichkeit eingeräumt hatte, einen Antrag zu stellen und ihr somit - mutmaßlich - dazu auch Zeit gegeben hätte, sieht die Kammer nicht das Problem eines ungebührlichen Zeitdrucks. Hinsichtlich einer möglicherweise negativen Entscheidung der Einspruchsabteilung über einen solchen Antrag weist die Kammer darauf hin, dass jedwede negative Entscheidung der Einspruchsabteilung mit der Beschwerde hätte angegriffen werden können und dass genau darin das Wesen des Beschwerdeverfahrens liegt, nämlich in der letztinstanzlichen Überprüfung der Entscheidung der Vorinstanz (siehe dazu auch T 144/09, Punkt 1.9 und 1.14 der Entscheidungsgründe). Dieser Zweck des Beschwerdeverfahrens schließt auch eine Präjudizierung von im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Anträgen aus.

2.7 Da die Beschwerdeführerin einen solchen Antrag erst mit der Beschwerde eingereicht hat, übt die Kammer ihr durch Artikel 12 (4) VOBK gegebenes Ermessen im vorliegenden Fall dahin gehend aus, diesen Antrag nicht zuzulassen.

3. Da kein gewährbarer Antrag vorliegt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

4. Antrag auf Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer (Art. 112 (1) a) EPÜ)

4.1 Die Beschwerdeführerin beantragte die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer. Es wurde keine Frage wörtlich formuliert. Aus der Diskussion während der mündlichen Verhandlung versteht die Kammer, dass eine solche Frage den Rahmen des durch Artikel 12 (4) VOBK den Kammern eingeräumten Ermessens bei der Nichtzulassung von Anträgen betreffen sollte.

4.2 Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält. Weist die Beschwerdekammer den Antrag zurück, so hat sie die Zurückweisung in der Endentscheidung zu begründen.

4.3 Artikel 12 (4) VOBK stellt es in das Ermessen der Kammern, "Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können". Die Kammern müssen somit bei der Ausübung ihres Ermessens überprüfen, ob und inwieweit im erstinstanzlichen Verfahren die Möglichkeit bestand, Anträge vorzubringen. Damit steht das von den Kammern zu überprüfende Kriterium zur Ausübung ihrer Ermessensentscheidung fest. Es liegt jedoch in der Natur von Ermessensentscheidungen, dass den Kammern Spielraum für eine eigene Entscheidung bleibt, vorausgesetzt, dass sie eine Entscheidung treffen, die den besonderen Umständen des Einzelfalls ausreichend Rechnung trägt. Folglich ist eine eine Ermessensentscheidung betreffende Rechtsfrage zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer in der Regel ungeeignet, da es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Im vorliegenden Fall sieht sich die Kammer bei den von ihr verwendeten Maßstäben zur Ausübung ihres Ermessens des Weiteren im Einklang mit der bestehenden Rechtsprechung (T 144/09), so dass es nach Kenntnis der Kammer keine widersprüchliche Rechtsprechung in diesem Punkt gibt. Daher ist die Vorlage einer Rechtsfrage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung nicht notwendig.

4.4 Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Vorbringen argumentiert, es existiere eine widersprüchliche Rechtsprechung, und dazu auf den zweiten Absatz von Punkt 1.7 der Entscheidungsgründe in der Sache T 407/02 verwiesen. Aus der Tatsache, dass dort die Beschwerde durch Einreichung neuer Ansprüche als ausreichend begründet angesehen wurde, ergäbe sich, dass ein entsprechender Antrag zuzulassen sei.

Dies sieht die Kammer nicht so. Die Frage der ausreichenden Begründung der Beschwerde durch Einreichung eines neuen Antrags ist bei der Behandlung einer Beschwerde im Hinblick auf ihre Zulässigkeit zuerst zu untersuchen und von der Frage der Zulassung des Antrags zu unterscheiden, die erst nach Bejahung der Zulässigkeit der Beschwerde zu untersuchen ist.

4.5 Aus oben stehenden Gründen wird der Großen Beschwerdekammer keine Rechtsfrage vorgelegt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation