T 1711/11 () of 9.11.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T171111.20161109
Datum der Entscheidung: 09 November 2016
Aktenzeichen: T 1711/11
Anmeldenummer: 02023745.9
IPC-Klasse: G06K 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Prüfung von Bildaufnahmen von Personen
Name des Anmelders: L-1 Identity Solutions AG
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Cognitec Systems GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Internet Offenbarung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1213/05
T 1134/06
T 1875/06
T 0990/09
T 2399/09
T 0286/10
T 2227/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2309/11
T 1066/13
T 1040/14

Sachverhalt und Anträge

I. Das vorliegende Europäische Patent Nr. 1 413 972 wurde mit Entscheidung vom 25. September 2008 erteilt.

II. Zwei Einsprüche wurden eingelegt.

Beide Einsprüche richteten sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und wurden auf Art. 100(a) EPÜ 1973 (i.V.m. Art. 54(1),(2) EPÜ 1973 und Art. 56 EPÜ 1973) und Art. 100(b) EPÜ 1973 (i.V.m. Art. 83 EPÜ 1973) gestützt.

Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent zu widerrufen.

III. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung.

IV. Mit ihrer Beschwerde beantragte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und die Einsprüche zurückzuweisen. Hilfsweise wurde beantragt, auf der Grundlage eines Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 1, Hilfsantrag 2 oder Hilfsantrag 3, jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 21. Januar 2011 im Einspruchsverfahren, das Patent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.

V. Mit ihrer Erwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin I (Einsprechende I), die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Die Beschwerdegegnerin II (Einsprechende II) äußerte sich nicht im Beschwerdeverfahren.

VII. Unter anderem wurden im Beschwerdeverfahren folgende Dokumente genannt:

D1: Eintrag aus dem Internetarchiv web.archive.org betreffend die Website cognitec-ag.de, 6. Oktober 2001;

D3: G. G. Mateos und C. V. Chicote: "Face Detection On Still Images Using HIT Maps", 3rd International Conference, AVBPA 2001, Halmstead, Schweden, Juni 6-3, 2001, Seiten 102-107;

D5: Visionics Corporation: FaceIt**(®) Software Developer Kits, 2001;

D9: Eintrag aus dem Internetarchiv wayback.archive.org betreffend die Daten, an denen Snapshots von der Seite cognitec-ag.de in den Jahren 2001 und 2006 aufgenommen wurden;

D10: Eintrag aus dem Internetarchiv web.archive.org betreffend die Website cognitec-ag.de, "Tutorial - Locating faces", 12. Juni 2002.

VIII. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 9. November 2016 statt.

Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und die Einsprüche zurückzuweisen. Hilfsweise wurde beantragt, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 1, Hilfsantrag 2 oder Hilfsantrag 3, jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 21. Januar 2011, oder gemäß Hilfsantrag 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2016, aufrechtzuerhalten.

Abschließend beantragte die Beschwerdegegnerin I, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin II stellte keine Anträge.

X. Anspruch 1 des Hauptantrags der Beschwerdeführerin lautet wie folgt:

"Prüfverfahren für digitalisierte Porträtbilder zum Überprüfen der Eignung eines Porträtbildes für eine spätere Personenidentifizierung, mit den Schritten:

Segmentieren des Porträtbildes in einen Hintergrundbereich und einen Kopf- oder Gesichtsbereich;

Analysieren des Kopf- oder Gesichtsbereichs, um wenigstens einen Kennwert zu ermitteln;

Vergleichen des wenigstens einen Kennwerts mit wenigstens einem vorbestimmten Schwellwert als Qualitätskriterium der Eignung, (sic) und

Signalisieren, ob das Porträtbild dem wenigstens einen vorbestimmten Qualitätskriterium der Eignung entspricht."

Ansprüche 2 bis 10 sind abhängige Ansprüche.

Das Wortlaut der Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 4 der Beschwerdeführerin ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant und wird daher hier nicht wiedergegeben.

XI. Die Beschwerdeführerin trug zusammengefasst Folgendes vor:

Die Frage, ob die Internet-Offenlegung D1 zum Stand der Technik nach Art. 54(2) EPÜ 1973 gehöre, müsse nach der Entscheidung T 1134/06 "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bewiesen werden. In T 1134/06 sei das Internetarchiv archiv.org mit dem Ergebnis untersucht worden, dass es nicht als eine Quelle angesehen werden könne, die für sich genommen diesem hohen Beweismaßstab genüge. D1 stelle folglich keinen geeigneten Nachweis für den Stand der Technik gemäß Art. 54(2) EPÜ dar.

Zur Neuheit wurde zuerst betont, dass sich das beanspruchte Prüfverfahren auf digitalisierte Porträtbilder beziehe, wobei ein digitalisiertes Bild nicht mit einem digitalen Bild gleichzusetzen sei.

D1 offenbare lediglich eine Gesichtsfindung, welche mittels einer Augenfindung ausgeführt werde. Das gemäß dem Streitpatent beanspruchte Segmentierverfahren bedeute hingegen eine Auswahl von zwei Bildbereichen und beinhalte somit mehr als lediglich das Feststellen, ob ein Gesicht im Bild zu erkennen sei. Weil in D1 keine Trennung von Gesichtsbereich und Hintergrundbereich stattfinde, sei eine Analyse des isolierten Gesichtsbereichs nicht offenbart. Ferner könne weder das Vorliegen von Augen mit einem Kennwert gleichgesetzt werden, noch die Frage, ob Augen vorhanden seien, mit einem Schwellwert beantwortet werden.

Folglich sei das Prüfverfahren nach Anspruch 1 neu gegenüber D1.

Zur erfinderischen Tätigkeit liege die Aufgabe ausgehend von D1 zugrunde, eine Alternative zu dem aus D1 bekannten Prüfverfahren zu finden.

Ein Fachmann, der ausgehend von D1 versuche, diese Aufgabe zu lösen, finde in keinem der weiteren Dokumente die fehlenden Schritte, nämlich das Segmentieren, das Ermitteln eines Kennwerts und das Vergleichen des Kennwerts mit einem Schwellwert.

Das Dokument D3 sei kein geeigneter Ausgangspunkt, da es nur die Erkennung von Gesichtern in digitalen Farbbildern betreffe. Für den Fachmann gäbe es keinen Anlass, den Einsatz der Gesichtserkennung von D3 bei einem aus D1 bekannten Prüfverfahren in Erwägung zu ziehen.

Auch D5 stelle keinen geeigneten Ausgangspunkt dar, da die darin beschriebene Software der Gesichtserkennung im Rahmen unterschiedlicher Anwendungen diene, während sich das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents auf ein Eignungsprüfungsverfahren für Porträtbilder richte.

Zur Ausführbarkeit der abhängigen Ansprüche 9 und 10 des Streitpatents seien die beanspruchten Merkmale nicht im Widerspruch zu den Merkmalen des Anspruchs 1. Darüber hinaus sei das Verfahren gemäß Ansprüchen 9 und 10 in dem Patent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es ausführen könne.

XII. Die Beschwerdegegnerin I trug zusammengefasst folgendes vor.

Bezüglich des Dokuments D1 sei es gemäß der Praxis der Beschwerdekammern üblich, den Nachweis eines im Internet veröffentlichten Dokuments mit Hilfe des Internetdienstes archive.org zu belegen. Hiermit sei das Dokument D1 als Stand der Technik anzusehen.

Zu der Frage der Neuheit seien alle Verfahrensschritte des Anspruchs 1 des Streitpatents aus D1 bekannt.

D1 offenbare ein Prüfverfahren für digitalisierte Porträtbilder zum Überprüfen der Eignung eines Porträtbildes für eine spätere Personen­identifizierung.

Die Funktion "do face finding" in D1 bedeute eine Beschränkung auf einen Teil des Bildes und stelle damit eine Segmentierung des Porträtbildes in einen Hintergrundbereich und einen Gesichtsbereich dar. Im nächsten Schritt werde der Gesichtsbereich auf das Vorhandensein von Augen analysiert, was als Qualitätskriterium der Eignung des Porträtbildes für eine spätere Personenidentifizierung diene. Als "Kennwert" sei in D1 das Vorliegen von Augen anzusehen. Das Kriterium, ob Augen vorhanden vorhanden seien, stelle einen "Schwellwert" dar. Auch ein Signalisieren, ob das Porträtbild einem vorbestimmten Qualitätskriterium zur Eignung entspreche, sei in D1 offenbart.

Selbst wenn angenommen würde, dass lediglich der letzte Verfahrensschritt (Signalisieren) gemäß Anspruch 1 des Streitpatents aus D1 bekannt sei, sei das beanspruchte Prüfverfahren ausgehend von D3, D1 oder D5 nicht erfinderisch.

D3 beziehe sich auf ein automatisiertes Verfahren, um Gesichter auf Farbbildern zu erkennen. Dabei werde der Gesichtsbereich analysiert, um einen Kennwert (HIT-Darstellung) zu ermitteln. Mittels dieses Kennwerts würden zusammenhängende Hautbereiche festgestellt und vom Hintergrund getrennt.

Ausgehend von D3 würde der Fachmann auf naheliegende Weise auf die Idee kommen, die aus D3 bekannte Gesichtserkennung bei einer aus D1 bekannten Eignungsprüfung zu verwenden. Somit gelange der Fachmann zu dem beanspruchten Prüfverfahren.

Ausgehend von D1 würde der Fachmann das Dokument D3 in Betracht ziehen, welches die aus D1 fehlenden Merkmale des beanspruchten Verfahrens ergänze.

Insbesondere könne der Schritt "face finding" in D1 mittels der aus D3 bekannten HIT-Segmentierung ausgeführt werden. Die Feststellung von Maxima und Minima im Verlauf der Grauwerte in den x- und y-Projektionen entspreche dem Vergleichen eines Kennwerts (Grauwert) mit einem Schwellwert (Maximum/Minimum).

D5 beschreibe ein Verfahren zum Finden und Erkennen von Gesichtern in Video- und Einzelbildern, die auch Porträtbilder sein könnten. Das "Face Recognition COM Interface" erstelle Gesichtsvorlagen für eine spätere Personenidentifizierung. Das "Face Finding COM Interface" erkenne Gesichter in den Einzelbildern und beurteile die Qualität des Gesichts. Dafür verwende D5 ein Segmentierungstool.

Für die Beurteilung der Qualität eines Gesichts sei es für den Fachmann naheliegend, aus dem Gesichtsbereich einen Kennwert zu ermitteln und diesen Kennwert mit einem Schwellwert zu vergleichen. Die Signalisierung, ob das Bild dem vorbestimmten Qualitätskriterium der Eignung entspricht, sei ebenfalls selbstverständlich. Auch sei dieser Schritt aus D1 bekannt.

Somit gelange der Fachmann ausgehend von D5 unter Verwendung entweder seines Fachwissens oder der Lehre von D1 zum Verfahren gemäß Anspruch 1.

Zur Frage der Ausführbarkeit stünden Ansprüche 9 und 10 des Streitpatents im Widerspruch zu Anspruch 1. Somit seien sie nicht ausführbar.

XIII. Die Beschwerdegegnerin II äußerte sich im gesamten Beschwerdeverfahren nicht. Sie teilte lediglich mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Dokument D1 als Stand der Technik

2.1 Das Dokument D1 besteht aus vier Seiten und beinhaltet sieben Screenshots von archivierten Seiten der Website der Cognitec AG, die im Internetarchiv archive.org abgelegt und mit Hilfe dessen Wayback-Machine aufgefunden wurden.

Außerdem befindet sich auf der ersten Seite von D1 eine Übersicht der Kalenderdaten, an denen die Seite

http://cognitec-ag.de von der Wayback-Machine erfasst wurde. Dort ist die Willkommensseite

http://www.cognitec-ag.de/index.html wiedergegeben.

Ausgehend von dieser Seite kann man durch Klicken verschiedener Links durch die Website navigieren. Die zweite Seite (FaceVACS-SDK "Software Development Kit for integrators") und die dritte Seite ("FaceVACS-SDK Manual" und "Tutorial - Overview") von D1 zeigen Screenshots derjenigen Seiten, die durchnavigiert werden müssen, um letztendlich an die vierte Seite von D1 ("Face-VACS-SDK Tutorial - Evaluate Samples (images)") zu gelangen.

2.2 Unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 1134/06 (s. auch T 1213/05 und T 1875/06) vertritt die Beschwerdeführerin die Meinung, dass D1 nicht als Stand der Technik angesehen hätte werden dürfen, da nach genannter Rechtsprechung für Internet-Offenbarungen der Beweismaßstab der "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gelte, dem D1 nicht entspreche.

Die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung ist jedoch überholt. Nach der jüngeren und einhelligen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt, in ausdrücklicher Abkehr von T 1134/06 u.a., der Beweismaßstab des "Abwägens der Wahrscheinlichkeit" (s. T 286/10 mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf die zutreffende Rechtsprechung zu T 2339/09 und T 990/09); T 2227/11). Damit gibt es bei Offenbarungen im Internet keine Rechtsgrundlage für die Anwendung anderer Beweisregeln als diejenigen, die allgemein für Offenbarungen des Standes der Technik gelten. Die Vorgangsweise der Einspruchsabteilung, den Nachweis eines im Internet veröffentlichten Dokuments mit Hilfe des Internetarchivs archive.org zu belegen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und ist daher nicht zu beanstanden.

Die Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung entspricht auch der Mitteilung des Europäischen Patentamts über die Anführung von Internet-Dokumenten (s. ABl. EPA 8-9/2009, Seiten 456-462), wonach ebenfalls der Beweismaßstab der "Abwägung der Wahrscheinlichkeit" für Internet-Offenbarungen gelten soll. Der über die Wayback Machine zugängliche Internetarchiv archive.org wird darin ausdrücklich als grundsätzlich zum Nachweis von Internet-Veröffentlichungen geeignet angesehen und es wird auch darauf hingewiesen, dass die Unvollständigkeit derartiger Archive die darin enthaltenen Daten nicht weniger glaubhaft macht. Auch die Richtlinien für die Prüfung im EPA (April 2010) bezüglich Internet-Offenbarungen widerspiegeln diese Mitteilung (s. C-IV, 6.2).

2.3 Es ist darüber hinaus festzuhalten, dass die Screenshots von D1 jeweils aus drei Frames zusammengestellt sind. Jeder Frame hat seine eigene URL. Jede URL enthält einen Zeitstempel, der genau zeigt, wann die Seite bei einem Crawl erfasst wurde. Bei einer näheren Analyse der vierten Seite von D1 "FaceVACS-SDK Tutorial-Evaluate samples (images)" ist aufgrund der jeweiligen Zeitstempel in der URL festzustellen, dass der Header (http://www.cognitec-ag.de/products/header_products.html) am 26. Juni 2002, der linke Frame (http://www.cognitec-ag.de/products/sdk_e/left_sdk_e.html) am 22. September 2001 und der rechte Frame (http://www.cognitec-ag.de/documentation/frsdk_public/t_evaluate.html), der den für die Entscheidung relevanten Inhalt der Seite enthält, am 22. April 2002 erfasst wurden.

Demzufolge war am 22. April 2002 der gesamte Inhalt des rechten Frames der letzten Seite von D1 der Öffentlichkeit zugänglich. Ferner zeigt eine Analyse aller anderen Screenshots von D1, dass die in der URL angegebenen Daten allesamt vor dem Anmeldetag des Streitpatents (24. Oktober 2002) liegen.

2.4 Die Beschwerdeführerin versucht, die Zuverlässigkeit dieser Datumsangaben von archive.org in Zweifel zu ziehen, indem sie auf angeblich widersprüchliche Angaben des ersten Screenshots von D1 und der kalendarische Übersicht von D9 hinweist.

Abgesehen davon, dass sie zu Unrecht - wie oben gezeigt - von der unrichtigen Prämisse eines erhöhten Beweismaßstabs ausgeht, können ihre Argumente auch nicht überzeugen. D9 bezieht sich auf die Daten, an welchen die Seite http://cognitec-ag.de erfasst wurde. Im Vergleich zu den Daten, die in dem ersten Screenshot von D1 erscheinen, fehlen die Einträge für den 14. April 2001, den 6. Oktober 2001 und den 12. Dezember 2001.

Der zweite Screenshot von D1 ("Welcome to Cognitec AG") ist unter der URL http://web.archive.org/web/20011006192528/http://cognitec-ag.de/index.html zu finden. Ein kalendarischer Überblick der archivierten Seiten mit der URL http://cognitec-ag.de/index.html zeigt drei Einträge für 2001, nämlich 14. April 2001, 6. Oktober 2001 und 12. Dezember 2001. Diese Daten sind diejenigen, die in dem kalendarische Überblick von D9 fehlen.

Obwohl nicht ersichtlich ist, warum der erste Screenshot von D1 die Erfassungsdaten sowohl für cognitec-ag.de als auch für cognitec-ag.de/index darstellt, besteht kein Anlass, allein daraus an der Glaubwürdigkeit der in den URL eingebetteten Daten zu zweifeln. Wie auch zutreffend in der oben zitierten Mitteilung über die Anführung von Internet-Dokumenten erkannt wird, ist das Internetarchiv archive.org als grundsätzlich glaubwürdig und zuverlässig einzustufen. Es gelingt der Beschwerdeführerin im vorliegenden Zusammenhang damit nicht, Unrichtigkeiten der erstinstanzlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

2.5 Die Beschwerdeführerin argumentiert ferner, dass das Vorhandensein von Links auf einer Seite nicht impliziere, dass die verlinkten Inhalte zum selben Zeitpunkt auch vorhanden waren.

Auch dieses Argument überzeugt im vorliegenden Fall nicht. Es kann durchaus passieren, dass die archivierte Version einer Webseite Links enthält, die zum Zeitpunkt der Erfassung der Seite nicht existierten. Es kann deshalb nicht garantiert werden, dass ein Link auf einer archivierten Seite zu einem Inhalt führt, der identisch mit dem Inhalt ist, der zum Zeitpunkt des Erstellens des Links mit dem Link assoziiert wurde. Jedoch sind solche Zweifel für den Inhalt von Seite 4 von D1 unerheblich. Insbesondere entstammt der für die Entscheidung relevante Inhalt von D1, nämlich dessen letzte Seite, einer einzigen HTML-Datei ohne etwaige Links, die den Inhalt dieser letzten Seite vervollständigen würden. Im vorliegenden Fall stellt sich daher nicht die Frage, ob verlinkte Inhalte erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar waren.

2.6 Da die Argumente der Beschwerdeführerin gegen die angefochtene Entscheidung bezüglich des Dokuments D1 als Beweismittel nicht überzeugend sind, ist mit D1 der Nachweis für den Stand der Technik gemäß Art. 54(2) EPÜ 1973 als erbracht anzusehen.

3. Bezeichnung der Merkmale

Während des gesamten Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden die Merkmale des Anspruchs 1 wie im folgenden bezeichnet. Auch die anschließende Darstellung orientiert sich daran:

P: Prüfverfahren für digitalisierte Porträtbilder zum Überprüfen der Eignung eines Porträtbildes für eine spätere Personenidentifizierung, mit den Schritten:

A: Segmentieren des Porträtbildes in einen Hintergrundbereich und einen Kopf- oder Gesichtsbereich;

B: Analysieren des Kopf- oder Gesichtsbereichs, um wenigstens einen Kennwert zu ermitteln;

C: Vergleichen des wenigstens einen Kennwertes mit wenigstens einem vorbestimmten Schwellwert als Qualitätskriterium der Eignung;

D: Signalisieren, ob das Porträtbild dem wenigstens einen vorbestimmten Qualitätskriterium der Eignung entspricht.

4. Hauptantrag der Beschwerdeführerin

4.1 Neuheit

Art. 100(a) EPÜ i.V.m. Art. 54(1),(2) EPÜ 1973

4.1.1 Die Beschwerdegegnerin I ist der Ansicht, dass alle Verfahrensschritte des Anspruchs 1 aus D1 bekannt sind.

4.1.2 Im folgenden werden das Prüfverfahren P und alle beanspruchten Verfahrensschritte A bis D analysiert. Für die Frage der Neuheit würde es darzulegen genügen, dass nur ein einziger Verfahrensschritt aus D1 nicht bekannt ist. Trotzdem mag eine ausführliche Analyse der Argumente von Beschwerdegegnerin I bezüglich der einzelnen Verfahrensschritte für die folgende Diskussion der erfinderischen Tätigkeit hilfreich sein.

4.1.3 Prüfverfahren P

Im vorliegenden Fall ist das beanspruchte Prüfverfahren nicht so zu verstehen, dass es lediglich dazu geeignet ist, digitalisierte Porträtbilder zu analysieren. Vielmehr ist die Zweckangabe "zum Überprüfen der Eignung eines [digitalisierten] Porträtbildes" im Lichte der Offenbarung des Streitpatents als Definition eines zwingend auszuführenden Verfahrensschrittes des beanspruchten Verfahrens auszulegen. Mit anderen Worten wird das beanspruchte Prüfverfahren tatsächlich auf Basis digitalisierter Porträtbilder ausgeführt.

D1 befasst sich mit der Gesichtserkennung aus Videobildern und Image-Datenbanken (s. Seite 2, "The main features of Face VACS-SDK are: ... Support for biometric operations: enrollment, verification and identifications from image streams (live video) and image collections (image databases)"). Dass die Bilder in D1 digital sind, ist unbestritten. Jedoch gibt es keinen Hinweis, dass die Bilder digitalisiert sind.

Somit ist ein Prüfverfahren zum Überprüfen der Eignung eines digitalisierten Porträtbildes für eine spätere Personenidentifizierung in D1 nicht offenbart.

4.1.4 Verfahrensschritt A

D1 offenbart lediglich eine Gesichtsfindung, während Anspruch 1 ein Segmentieren des Porträtbildes in einen Hintergrundbereich und einen Kopf- oder Gesichtsbereich definiert. Ein solches Segmentierverfahren bedeutet die Trennung des Kopf- oder Gesichtsbereichs vom Hintergrund und beinhaltet somit mehr als lediglich die Feststellung, ob ein Kopf oder Gesicht im Bild erkennbar ist. Die Gesichtsfindung von D1 wird in D10 ("Tutorial - Locating faces") ausführlicher beschrieben. Aus D10 geht hervor, dass der Mittelpunkt einer Linie, die sich zwischen zwei identifizierten Augen erstreckt, als die Position des Gesichts festgelegt wird (s. "The Face::Finder is used to find faces in images. For that purpose it supports a find method which takes an image and returns a set of locations in that image where potential faces are located. The Face::Location encapsulates the position of the face as the center point of a line across both eyes in the face."). Die Gesichtsfindung in D1 wird also mittels einer Augenfindung ausgeführt. Erst wenn zwei Augen identifiziert werden, wird die Position des entsprechenden Gesichts festgestellt. Eine Segmentierung des Bildes in einen Hintergrundbereich und einen Kopf- oder Gesichtsbereich wird nicht erwähnt.

Somit ist Verfahrensschritt A in D1 nicht offenbart.

4.1.5 Verfahrensschritt B

Da D1 den oben erwähnten Segmentierungsschritt nicht offenbart, kann eine Analyse eines segmentierten Kopf- oder Gesichtsbereiches nicht durchgeführt werden.

Auch ist in D1 nicht offenbart, dass ein Kennwert ermittelt wird.

Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin I können die Augen nicht mit einem "Kennwert" verglichen werden, da ein Kennwert, etwa nach Definition des Duden-Wörterbuchs, ein "charakteristischer Zahlenwert" ist.

Infolgedessen ist Verfahrensschritt B in D1 nicht offenbart.

4.1.6 Verfahrensschritt C

Der Vergleich eines Kennwerts mit einem Schwellwert erfordert zwingend das Vorhandensein sowohl des Kennwerts als auch des Schwellwerts. Wie soeben dargestellt, ist ein Kennwert ein "charakteristischer Zahlenwert". Hieraus und aus dem Vergleich des Kennwerts mit einem Schwellwert erfolgt, dass der Schwellwert ebenfalls ein Zahlenwert ist. Ein derartiger Schellwert ist in D1 nicht offenbart. Die bloße Feststellung, ob Augen vorhanden sind, kann nicht mit dem beanspruchten Schritt des Vergleichens gleichgesetzt werden.

Somit ist auch Verfahrensschritt C aus D1 nicht bekannt.

4.1.7 Verfahrensschritt D

Der letzte Absatz der Seite 4 von D1 erklärt, dass "if sampleQuality.good For Verification = true then the image can be used for verification or identification".

Davon ausgehend wurde nicht bestritten, dass D1 das Signalisieren offenbart, ob das Bild einem vorbestimmten Qualitätskriterium der Eignung entspricht.

Verfahrensschritt D ist daher aus D1 bekannt.

4.1.8 Das Verfahren nach Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D1.

4.1.9 Keine weiteren Neuheitseinwände wurden von der Beschwerdegegnerin I erhoben. In der angefochtenen Entscheidung erörterte die Einspruchsabteilung lediglich den Neuheitseinwand im Hinblick auf D1.

Der Einspruchsgrund nach Art. 100(a) EPÜ 1973 i.V.m. Art. 54(1),(2) EPÜ 1973 steht somit der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

4.2 Erfinderische Tätigkeit

Art. 100(a) EPÜ i.V.m. Art. 56 EPÜ 1973

4.2.1 Ausgehend von D3

Wie zutreffend von der Beschwerdegegnerin I dargelegt, offenbart D3 ein Gesichtserkennungsverfahren, bei welchem ein digitales Bild in einen Hintergrundbereich und einen Gesichtsbereich segmentiert wird. Bei diesem bekannten Verfahren wird das gesamte Bild, d.h. auch ein Gesichtsbereich, analysiert. Dabei wird ein HIT-Vektor für jedes Pixel ermittelt. Die HIT-Vektoren, die als "Kennwerte" angesehen werden können, werden mit einem Schwellwert verglichen, um festzustellen, welche Pixel als Haut klassifiziert werden können (s. Seite 103, letzter Absatz).

Dabei ist zu betonen, dass im Gegensatz zu Anspruch 1 des Streitpatents der Schritt des Vergleichens in D3 bei der Segmentierung des Bildes ausgeführt wird.

Gemäß Anspruch 1 findet der Schritt "Analysieren" erst nach dem Schritt "Segmentieren" statt, wobei sich diese Erkenntnis nicht nur aus der beanspruchten Reihenfolge der Schritte, sondern auch aus der Tatsache erfolgt, dass sich Schritt B auf das "Analysieren des Kopf- oder Gesichtsbereichs" bezieht. Mit anderen Worten, der Kopf- oder Gesichtsbereich wird erst aus dem Hintergrundbereich isoliert und nur dann eine Analyse durchgeführt, um einen Kennwert zu ermitteln.

Dementsprechend ist der beanspruchte Kennwert nicht mit dem HIT-Vektor gemäß D3 gleichzusetzen. Außerdem dient der Schwellwert in D3 als Indikator, ob ein bestimmtes Pixel zum Hautbereich gehört oder nicht. Im Gegensatz dazu ist der Schwellwert in Anspruch 1 des Streitpatents "als Qualitätskriterium der Eignung" definiert. Der Vergleich, der während der Bildsegmentierung in D3 ausgeführt wird, ist deshalb nicht mit dem beanspruchten Vergleichen gleichzusetzen.

Insofern ist festzustellen, dass der Fachmann - selbst wenn er die Gesichtserkennung von D3 bei einer aus D1 bekannten Eignungsprüfung einsetzen würde, was fraglich ist - nicht zum beanspruchten Verfahren gelangen würde. Denn weder D3 noch D1 offenbaren das Vergleichen eines Kennwerts mit einem vorbestimmten Schwellwert als Qualitätskriterium der Eignung.

4.2.2 Ausgehend von D1

Ausgehend von D1 ist nicht zu bestreiten, dass das Prüfverfahren P (s. oben) für den Fachmann naheliegend wäre. Auch wird nicht bezweifelt, dass sich der Fachmann an D3 halten würde, um zu erfahren, wie das "face finding" in D1 ausgeführt werden könnte. Somit würde er zu einer Segmentierung des Bildes gelangen.

Der Angriff der Beschwerdegegnerin I ist jedoch nicht überzeugend. Selbst wenn der Fachmann die Lehre von D1 und D3 kombinieren würde, würde er nicht zu dem beanspruchten Verfahren gelangen.

Es geht aus den oben dargestellten Argumenten bezüglich der Neuheit hervor, dass Merkmal C weder aus D1 noch D3 bekannt ist. Insbesondere kann die Maxima/Minima-Analyse in D3 nicht als das Vergleichen mit einem vorbestimmten Schwellwert im Sinne des Streitpatents angesehen werden. In D3 wird festgestellt, dass ein Maximum vorliegt, indem der Verlauf der Grauwerte beobachtet wird. Der Grauwert könnte zwar mit dem beanspruchten Kennwert gleichgesetzt werden. Er wird jedoch nicht mit einem Schwellwert verglichen. Ein Maximum des Grauwerts zeigt nicht notwendigerweise das Überschreiten eines Schwellwerts an, sondern nur das Überschreiten der benachbarten Grauwerte.

Somit ist festzustellen, dass der Fachmann - selbst wenn er die Lehre von D1 und D3 kombinieren würde, was ebenfalls fraglich ist - nicht zum beanspruchten Verfahren gelangen würde, weil Schritt C keinem dieser zwei Offenbarungen zu entnehmen ist.

4.2.3 Ausgehend von D5

D5 ist eine Werbebroschüre für eine Gesichtserkennungssoftware. Die darin enthaltene Information zu dem Erkennungsverfahren ist sehr knapp gehalten. Gesichter werden danach in statischen Bildern automatisch erkannt und die Qualität der abgebildeten Gesichter evaluiert (s. Seite 3, Identification SDK: Face Finding COM Interface). Wie die Gesichtserkennung und die anschließende Qualitätsanalyse ausgeführt werden, wird in D5 jedoch nicht näher erläutert.

Auch wenn bei der Gesichtserkennung ein Segmentierungstool zum Einsatz kommt, fehlt in D5 jegliche Erwähnung eines Kennwerts, eines Schwellwerts und eines Vergleichens des Kennwerts mit dem Schwellwert.

Wie bereits gezeigt, ist der Verfahrensschritt C aus D1 nicht bekannt. Folglich ist festzustellen, dass der Fachmann - selbst wenn er die Lehre von D5 mit der von D1 kombinieren würde, was wiederum fraglich ist - nicht zum beanspruchten Verfahren gelangen würde, da mindestens Schritt C fehlen würde.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Fachmann ausgehend von einem einzigen Satz in D5 (nämlich "Automatically finds faces in static images or video frame input and evaluates the quality of the face in the image") aufgrund seinen allgemeinen Fachwissens zu genau dem beanspruchten Verfahren gelangen würde. Es wird in D5 nicht erläutert, was unter der Gesichtsqualität zu verstehen ist. Es gibt in D5 keinen einzigen Hinweis, dass damit ein Qualitätskriterium der Eignung des Bildes für eine spätere Personenidentifizierung gemeint ist. Ohne irgendwelche Hinweise in D5 kann man nicht erwarten, dass der Fachmann den segmentierten Gesichtsbereich analysieren würde, um einen Kennwert zu ermitteln und diesen Kennwert mit einem Schwellwert, der als Qualitätskriterium der Eignung dient, vergleichen würde, um die Eignung des Bildes für eine spätere Personenidentifizierung festzustellen.

4.2.4 Abschließend ist somit festzustellen, dass der Fachmann nicht ohne erfinderischen Tätigkeit zum beanspruchten Verfahren gelangen würde.

4.2.5 Der Einspruchsgrund nach Art. 100(a) EPÜ 1973 i.V.m. Art. 56 EPÜ 1973 steht somit der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht entgegen.| | |

4.3 Ausführbarkeit der Ansprüche 9 und 10

Art. 100(b) EPÜ 1973 i.V.m. Art. 83 EPÜ 1973

4.3.1 Zur Beurteilung der Eignung eines Porträtbildes für eine spätere Personenidentifizierung können neben gesichtsbezogenen Qualitätskriterien auch Erfordernisse an das gesamte Porträtbild oder an den Hintergrundbereich gestellt werden. In der Tat nennt das Streitpatent in Absatz [0026] einige für das Gesamtbild geltende globale Kriterien. Im selben Absatz wird weiter ausgeführt, dass neben der Analyse des Vordergrunds auch eine Analyse des Hintergrundbereichs erfolgen kann, um bestimmte Eigenschaften zu untersuchen.

4.3.2 Infolgedessen sind die Merkmale der abhängigen Ansprüche 9 und 10 nicht im Widerspruch zu den Merkmalen von Anspruch 1 anzusehen. Vielmehr fügen sie zusätzliche Möglichkeiten hinzu. Die Verwendung dieser zusätzlichen Möglichkeiten sind im Streitpatent ausreichend deutlich und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann das beanspruchten Verfahren ausführen kann.

4.3.3 Auch der Einspruchsgrund nach Art. 100(b) EPÜ 1973 steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents daher nicht entgegen.

5. Schließlich stehen die geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

Deswegen erübrigt sich die Erörterung der Hilfsanträge der Beschwerdeführerin.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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