T 1671/11 () of 5.5.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T167111.20140505
Datum der Entscheidung: 05 Mai 2014
Aktenzeichen: T 1671/11
Anmeldenummer: 03734675.6
IPC-Klasse: B60Q 1/56
G09F 13/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 279 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHILD, INSBESONDERE KENNZEICHENSCHILD FUER KRAFTFAHRZEUGE
Name des Anmelders: Volkswagen Aktiengesellschaft
Fitzke Werbetechnik
Name des Einsprechenden: Bayer MaterialScience AG
Truck-Lite Europe GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Zulassung in das Verfahren - Hauptantrag (NEIN)
Patentfähigkeit - Hilfsantrag (JA)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberinnen richtet sich gegen die am 21. Juni 2011 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchs­abteilung, das europäische Patent Nr. 1474312 zu widerrufen.

Dabei hat die Einspruchs­abteilung entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch das Dokument

DE 200 22 563 U1 (D2)

neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

II. Am 5. Mai 2014 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerde­führerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 4 (eingereicht mit Schreiben vom 5. März 2014), der in der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag gemacht wurde, hilfsweise gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatz 1 (Hilfsantrag 1).

Die Beschwerde­gegnerinnen 1 und 2 (Einsprechende 1 und 2) waren wie angekündigt nicht anwesend (vgl. Schriftsätze vom 7. April 2014 bzw. 17. Februar 2014). Die Beschwerde­gegnerin 2 (Einsprechende 2) beantragte schriftlich die Zurückweisung der Beschwerde; die Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende 1) stellte keinen Antrag.

III. Der Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag (eingereicht als Hilfsantrag 4 mit Schreiben vom 5. März 2014) lautet wie folgt:

Prägefähiges Kennzeichenschild für Kraftfahrzeuge, mit einem Grundkörper (2) der zur Bildung einer ersten Elektrode aus einem elektrisch leitfähigen Material besteht oder zur Bildung einer ersten Elektrode eine elektrisch leitfähige Beschichtung aufweist, wobei auf dem Grundkörper (2) oder der elektrisch leitfähigen Beschichtung eine Beschichtung (3) mit elektro­lumineszierenden Pigmentierung durch Aufspritzen, Aufstreichen oder Siebdruckverfahren aufgebracht ist, welche wiederum zur Bildung einer zweiten Elektrode mit einer elektrisch leitfähigen Schicht (4) abgedeckt ist, wobei eine weitere Schicht (5) vorgesehen ist, welche lichtreflektierende Mittel aufweist, wobei die die lichtreflektierenden Mittel aufweisende Schicht (5) entweder zwischen dem Grundkörper (2) und der elektrisch leitfähigen Beschichtung zur Bildung der ersten Elektrode oder auf der elektrisch leitfähigen transparenten Schicht (4) zur Bildung der zweiten Elektrode vorgesehen ist.

IV. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 (vorgelegt während der mündlichen Verhandlung) lautet wie folgt:

Verfahren zum Herstellen eines Kennzeichenschildes für Kraftfahrzeuge, wobei ein Grundkörper (2) vorgesehen wird, der zur Bildung einer ersten Elektrode aus einem elektrisch leitfähigen Material besteht oder zur Bildung der ersten Elektrode eine elektrisch leitfähige Beschichtung aufweist, wobei auf dem Grundkörper (2) oder der elektrisch leitfähigen Beschichtung eine Beschichtung (3) mit elektro­lumineszierender Pigmentierung aufgebracht ist, welche wiederum zur Bildung einer zweiten Elektrode mit einer elektrisch leitfähigen Schicht (4) abgedeckt ist, wobei eine weitere Schicht (5) vorgesehen wird, welche lichtreflektierende Mittel aufweist, wobei die die lichtreflektierenden Mittel aufweisende Schicht (5) auf der elektrisch leitfähigen transparenten Schicht (4) zur Bildung der zweiten Elektrode vorgesehen ist, wobei auf der weiteren Schicht (5) eine transparente Schutzschicht (6) vorgesehen wird, wobei auf der Rückseite des elektrisch leitfähigen Grundkörpers (2) eine elektrische Isolationsschicht (7) aufgebracht ist, und wobei anschließend fahrzeugindividuelle Symbole in alle Schichten des Kennzeichenschildes geprägt werden.

V. Die Beschwerdeführerinnen brachten im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Der mit Schreiben vom 5. März 2014 vorgelegte Hilfs­antrag 4, der nunmehr hauptsächlich verfolgt wird, müsse in das Verfahren zugelassen werden. Die Änderungen im Anspruch 1 dieses Antrags seien gegenüber der erteilten Fassung weder technisch komplex, noch vom Umfang her unübersichtlich. Insbesondere ziele die Ergänzung, dass die Pigmentierung ,,durch Aufspritzen, Aufstreichen oder Siebdruckverfahren" aufgebracht werde, auf die mit dem Bescheid kundgetane Auffassung der Kammer, dass auch D2 eine Pigmentierung zur Erzeugung von Elektrolumineszenz aufweise. Damit sei die Änderung durch den Verfahrens­verlauf geboten gewesen. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Hilfsantrag 1 sei nunmehr auf ein Verfahren zur Herstellung eines Kennzeichenschildes abgestellt. Dabei werde definiert, dass das Kennzeichenschild aus mehreren Schichten bestehe, wie sie in der Figur 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung gezeigt seien. Dieses im Wesentlichen fertig produzierte Kennzeichen­schild würde dann mit üblichen Kennzeichen­präge­­vorrichtungen geprägt. Dies sei in Figur 2 der ursprünglichen Anmeldeunterlagen dargestellt und den Figurenbeschreibungen zu entnehmen. Daher sei die Auffassung der Einspruchsabteilung nicht richtig, dass aus den Figuren der ursprünglich eingereichten Anmeldung auch entnehmbar sei, dass nur einzelne Schichten des Kennzeichenschilds geprägt würden. Figur 1 zeige ein Kennzeichenschild gemäß der strittigen Erfindung in ungeprägtem Zustand und dieses weise alle Schichten auf. Gemäß der strittigen Erfindung solle stets das gesamte Kennzeichenschild einem Prägevorgang unterzogen werden. Der Paragraph [0016] stelle eine Variante der ursprünglich eingereichten Erfindung dar; diese Variante werde aber mit dem vorgelegten Hilfsantrag nicht weiter beansprucht.

Des Weiteren sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag neu und erfinderisch. Das Dokument D2 zeige ein Kennzeichenschild, welches nicht als Gesamtes geprägt werden könne. Dort werde lediglich die oberste Schicht in einem Heißprägeverfahren verformt. Ziel der Erfindung sei ein Verfahren, welches Rohlinge für selbstleuchtende Kennzeichenschilder zur Verfügung stelle, die mit dem üblichen und bekannten Prägeprozess geprägt werden können, um fahrzeugindividualisierte Kennzeichenschilder zu erhalten. Dies sei im Stand der Technik nicht bekannt.

VI. Die Beschwerdegegnerinnen haben sich zur Sache im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag 4 mit Schreiben vom 5. März 2014 wird nicht in das Verfahren zugelassen.

2.1 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht die Zulassung und Berücksichtigung von Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerde­begründung oder Erwiderung im Ermessen der Kammer, wobei bei der Ausübung des Ermessens insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt werden.

2.2 Der mit Schreiben vom 5. März 2014 im Rahmen des (nun zum Hauptantrag erhobenen) Hilfsantrags 4 vorgelegte Anspruch 1 beruht auf dem erteilten Anspruch 1, ergänzt um das aus der Beschreibung entnommene Merkmal, wonach die Pigmentierung ,,durch Aufspritzen, Aufstreichen oder Siebdruck" aufgebracht ist.

Da die Einspruchsabteilung festgestellt hat, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch das Dokument D2 neuheitsschädlich vorweggenommen wird, kommt dem hinzugefügten Merkmal ,,durch Aufspritzen, Aufstreichen oder Siebdruck" die entscheidende Bedeutung hinsichtlich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit zu: dieses Merkmal soll nicht nur die Neuheit der Erfindung herstellen, sondern auch den erfinderischen Schritt wesentlich begründen.

2.3 Die Bedeutung der Technologie des Aufbringens der elektrolumineszierenden Schicht für die Erfindung ist in der Beschreibung nicht ausgeführt. Auf Seite 2, Zeilen 11 und 12 der veröffentlichten ursprünglichen Anmelde­unterlagen heißt es dazu, die ,,elektrolumineszierende Schicht kann durch verschiedene Verfahren, beispielsweise aufspritzen, aufstreichen oder spezielle Siebdruckverfahren aufgebracht werden" (Unterstreichung durch die Kammer). Damit offenbart diese Passage dem Fachmann lediglich eine nicht erschöpfende Anzahl von technischen Möglichkeiten, die er zum Aufbringen der Elektro­lumineszenz­schicht berücksichtigen kann. Es wird vor allem nicht offenbart, dass dem Aufspritzen oder Aufstreichen oder dem speziellen Siebdruckverfahren eine besondere Bedeutung bei der Ausführung der Erfindung zukommt. Ebenfalls wurde niemals im Rahmen des Einspruchs-/Beschwerdeverfahrens die Bedeutung dieses Merkmals als Argument angeführt.

2.4 Somit sind die Kammer und die Beschwerde­gegnerinnen nun erstmals mit diesem Merkmal konfrontiert, welches bislang im gesamten Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerde­verfahren keine Rolle gespielt hat, aber nun einen wesentlichen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten soll. Dadurch aber sieht die Kammer Fragen aufgeworfen, deren Behandlung in diesem Verfahrens­stadium nicht mehr zufriedenstellend gelöst werden können. So bleibt insbesondere zu bezweifeln, dass das hinzugefügte Merkmal, wonach die Pigmentierung ,,durch Aufspritzen, Aufstreichen oder Siebdruck" auf­gebracht ist, seitens der Beschwerde­gegnerinnen bei der Formulierung des Einspruchs eine so ausreichende Berücksichtigung gefunden hat, dass der im Verfahren befindliche Stand der Technik diesbezüglich als recherchiert zu bezeichnen ist. Es fehlt damit an einer Tatsachengrundlage zur Beurteilung eines neuen Antrags.

2.5 Auch kommt eine Zurückverweisung in die erste Instanz nicht in Frage. Die Verfahrenshandlung der Beschwerde­führerinnen, nämlich dass zwei Monate vor Ende eines insgesamt sechs Jahre andauernden Einspruchs- und Beschwerde­verfahrens erstmals ein Antrag vorgelegt wird, mit dem ein bislang im Verfahren nicht berücksichtigtes - und mit den bisher diskutierten Merkmalen nicht in unmittelbaren Zusammenhang stehendes - Merkmal aus der Beschreibung in einen unabhängigen Anspruch aufgenommen wird, wobei dieses Merkmal den Gegenstand des Anspruchs neu und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend ausbilden soll, kann keine Zurückverweisung in die erste Instanz zur weiteren Prüfung des Anspruchs rechtfertigen. Andernfalls hätte es der Patentinhaber in der Hand durch gezielt späten Vortrag einer neuen Fallkonstellation ("fresh case") eine zweite Überprüfung in erster und ggf. zweiter Instanz zu erreichen. Dies würde der Zielsetzung von Artikel 13 (1) VOBK, nämlich alles Vorbringen auf den ersten Schriftsatz zu konzentrieren, klar widersprechen und den Patentinhaber unangemessen bevorteilen.

Die Zulassung dieses Antrags widerspricht somit den Grundsätzen der Verfahrensökonomie und ist daher den Beschwerde­gegnerinnen zu diesem Verfahrenszeitpunkt nicht mehr zumutbar.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag ist nicht unzulässig erweitert.

Figur 1 zeigt gemäß der Beschreibung (siehe Seite 4 Mitte der ursprünglich eingereichten Unterlagen) den Aufbau eines Kennzeichenschildes vor dem Prägevorgang. Dieses Schild weist bereits alle Schichten auf. Somit ist in Verbindung mit Figur 2, die einen Aufbau eines Kennzeichenschildes nach der Prägung offenbart, davon auszugehen, dass das gesamte Kennzeichenschild in einem Prägevorgang geprägt wird.

3.1 Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Auffassung vertreten, dass Figur 2 zwar ein erfindungs­gemäßes Kennzeichen zeige, es aber nicht eindeutig und zweifelsfrei den ursprünglich ein­gereichten Unterlagen zu entnehmen sei, dass alle in Figur 2 gezeigten Schichten auch geprägt würden. So sei es gemäß Paragraph [0016] eben auch möglich, dass zunächst die Schichten 2, 3 und 4 geprägt und anschließend die Schichten 5 bis 7 aufgebracht würden, was ebenfalls konsistent zu einer Dar­stellung gemäß Figur 2 führen würde.

3.2 Nach Ansicht der Kammer berücksichtigt die Sichtweise der Einspruchsabteilung nicht, dass Figur 1 bereits ein im Aufbau fertiges Kennzeichenschild offenbart, welches alle Schichten beinhaltet. Diese Schichten werden durch Aufspritzen, Laminieren, Kleben etc. aufgebracht, so dass es für den Fachmann ausgeschlossen ist, dass das in Figur 1 gezeigte Kennzeichenschild vor der Prägung wieder in seine Einzelschichten zerlegt wird, um es zu prägen. Genau dies müsste aber geschehen, wenn der Argumentation der Einspruchsabteilung gefolgt würde, dass zunächst die Schichten 2, 3 und 4 geprägt und anschließend die Schichten 5 bis 7 aufgebracht würden. Die Ausführung gemäß Paragraph [0016] der Patentschrift (entsprechend dem letzten Absatz der Beschreibung auf Seite 3 der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen), wonach der Grundkörper alleine oder samt Elektrolumineszenzschicht verformbar ist, stellte eine mögliche Variante der Erfindung wie ursprünglich eingereicht dar, die aber mit dem Anspruch 1 gemäß des vorliegenden Hilfsantrag nicht mehr beansprucht wird.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag ist neu und erfinderisch gegenüber dem Dokument D2.

4.1 Das Verfahren gemäß der strittigen Erfindung unterscheidet sich vom in D2 offenbarten Verfahren darin, dass das Kennzeichenschild mit dem Verfahren der strittigen Erfindung als Gesamtes geprägt wird. Mit der vorliegenden Erfindung wird die Aufgabe gelöst, ein Verfahren zur Herstellung von Elekrolumineszenz-Kennzeichenschildern bereitzustellen, welches die Prägung im Wesentlichen fertig produzierter Kennzeichenschilder ,,durch einen Prägevorgang, wie er bei der Kennzeichenschild-Herstellung zum Erzeugen der fahrzeugindividuellen Symbole verwendet wird" erlaubt, vgl. Patentschrift Spalte 3, Zeilen 30 ff.

4.2 Dieses Merkmal wird durch das Dokument D2 nicht nahegelegt. Eine Prägung eines aus allen Schichten, insbesondere der Elekrolumineszenzschicht, bestehenden Kennzeichenschilds ist dort ausgeschlossen.

Daher beruht das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2014 eingereichten Anspruchssatzes (Hilfsantrag 1) und mit einer entsprechend anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.

Quick Navigation