T 0854/11 () of 2.7.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T085411.20120702
Datum der Entscheidung: 02 Juli 2012
Aktenzeichen: T 0854/11
Anmeldenummer: 05017278.2
IPC-Klasse: B60S 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Trocknungsverfahren und Trockeneinrichtung für Behandlungseinrichtungen von Fahrzeugen
Name des Anmelders: Otto Christ AG
Name des Einsprechenden: WashTec Holding GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
Schlagwörter: Neuheit (einziger Antrag) - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischen entscheidung der Einspruchs abteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1627788 in geändertem Umfang, die am 11. Februar 2011 zur Post gegeben wurde.

II. Die Einspruchs abteilung hat u.a. entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß der auf Grundlage des seinerzeit vorgelegenen Hilfsantrags III in geändertem Umfang aufrechterhaltenen Fassung neu gegenüber dem Dokument

DE 31 28 965 C2 (D1)

ist.

III. Mit Schreiben vom 9. Mai 2012 legte die Beschwerde führerin u.a. das Dokumentenkonvolut D14 ff. vor, bestehend aus

http://de.wikipedia.org/wiki/Kasten_(Behälter); Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14), http://de.wikipedia.org/Brotkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14a), http://de.wikipedia.org/Gurtkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14b), http://de.wikipedia.org/Radkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14c), http://de.wikipedia.org/Formkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14d), http://de.wikipedia.org/Magazinkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14e), http://de.wikipedia.org/Senkkasten; Ausdruck der Internetseite, 7. Mai 2012 (D14f),

IV. Am 2. Juli 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nahm ihre Hilfsanträge I bis V, eingereicht mit Schreiben vom 1. Juni 2012, nach Erörterung der Neuheit bzw. erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung zurück. Sie reichte einen neuen einzigen Hilfsantrag ein. Nach der Diskussion über die Zulassung dieses Antrags in das Beschwerdeverfahren nahm sie diesen Hilfsantrag ebenfalls zurück. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 gemäß der in geändertem Umfang aufrecht erhaltenen Fassung lautet wie folgt:

Trockeneinrichtung für Behandlungseinrichtungen (1) von Fahrzeugen (2), insbesondere Autowaschanlagen, mit einer Trockendüse (8) und mindestens einem Gebläse (11,12), wobei die Trockendüse (8) mehrteilig ausgebildet ist und zwei Düsenkästen (13,14) und zwei Gebläse (11,12) aufweist, wobei die Düsenkästen (13,14) einander kreuzend angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Düsenkästen (13,14) eng aneinander gebaut und mit ihren Gebläsen (11,12) miteinander zu einer Baueinheit der Trockendüse (8) verbunden sind.

VI. Die Beschwerde führerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber dem Dokument D1. Das Dokument D1 offenbare eine Düsenanordnung bzw. eine Trockendüse, die mehrteilig ausgebildet sei (vgl. insbesondere Fig. 2 und 3). Es sei unzweifelhaft zu erkennen, dass die Trockendüse aus zwei Teilen, den Düsenkörpern bestehe, die einander kreuzten und eng aneinander gebaut seien, sowie zwei Gebläse aufweise. Der Düsenkörper aus D1 könne gemäß der Beschreibung nicht nur aus flexiblen Materialien gefertigt werden, sondern auch aus steifem Stahlblech, vgl. Spalte 5, Zeilen 22 bis 25 sowie Zeilen 62 und 63. In diesem Fall sei lediglich der Düsenkörper ansatz aus flexiblem Material. Daher handele es sich bei dem Düsenkörper gemäß D1 um einen Düsenkasten im Sinne des Anspruchs 1, da ein Kasten im technischen Sinne nicht auf ein im Wesentlichen quaderförmiges Behältnis beschränkt sei, sondern davon abweichende - auch runde - Formen annehmen könne. So sei im Stand der Technik beispielsweise der Radkasten, Senkkasten oder Brotkasten bekannt.

Dies könne den Dokumenten D14 ff. (D14, D14a bis D14f) entnommen werden, deren Zulassung in das Verfahren beantragt werde. Da diese Dokumente lediglich dazu dienen sollten, den Sprachgebrauch des Begriffs Kasten nachzuweisen, sei der Veröffentlichungstag von D14 ff. unerheblich; in den vergangenen Jahren habe der Begriff Kasten keinen Bedeutungswandel erfahren. Das Dokumentenkonvolut D14 ff. sei auch nicht verspätet vorgelegt worden, da es eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer darstelle, die ausgeführt habe, gemäß Duden handele es sich bei einem Kasten um einen im Wesentlichen quaderförmigen Behälter. Die Tatsache, dass D14 ff. nicht quaderförmige Kästen aus Fachgebieten zeige, die nichts mit einer Trockendüse gemeinsam hätten, sei nicht relevant, da D14 ff. nachweise, dass der Begriff fachbereichsübergreifend nicht an eine quaderähnliche Ausformung geknüpft sei. Auch im Streitpatent selbst seien die Düsenkästen nicht im Wesentlichen quaderförmig.

Der Begriff Baueinheit im kennzeichnenden Teil des Anspruchs sei vage und werde auch im Streitpatent nicht weiter definiert. Damit lasse der Begriff Baueinheit eine breite Interpretation zu, so dass sowohl das in D1, Fig. 2 gezeigte Portal, als auch Teile davon, eine Baueinheit der Trockendüse im Sinne der strittigen Erfindung offenbare. Schließlich sei es weder durch die Beschreibung noch durch den Anspruchswortlaut ausgeschlossen, dass eine Baueinheit im Sinne des Anspruchs aus weiteren Elementen als nur aus Gebläsen und Düsenkästen bestehe. Ebenfalls sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf eine Dachdüse beschränkt, und es sei durch den Wortlaut dieses Anspruchs nicht ausgeschlossen, dass die Gebläse auch Seitendüsen mit Luft versorgten. Auch im Streitpatent finde sich keine Grundlage für eine auf "ausschließlich zwei Düsenkästen" eingeschränkte Auslegung des Anspruchswortlauts. Daher offenbare D1 mit der Dachdüse, den Gebläsen und Wellschläuchen eine Baueinheit der Trockendüse gemäß dem letzten Merkmal des Anspruchs 1.

VII. Die Beschwerde gegnerin widerspricht dieser Argumentation wie folgt:

Die Vorrichtung gemäß Dokument D1 weise lediglich einen Düsenkörper aber keinen Düsenkasten auf. Der Begriff "Düsenkasten" sei im Übrigen in der gesamten Beschreibung nicht erwähnt. Da der Düsenkörper aus D1 zumindest im Übergangsbereich flexibel gestaltet sei (vgl. Spalte 1, Zeilen 8 bis 12 und Spalte 2, Zeilen 53 bis 58), während der erfindungsgemäße Düsenkasten starre Wände aufweise, die auch unter Belastung keine Verformung zeigten, könne auch nicht von einem Düsenkasten gesprochen werden. Wie aus der D1, Fig. 3 erkennbar, handele es sich bei dem Düsenkörper um ein aus runden Rohren zusammengesetztes Gebilde, welches auch deshalb nicht als Kasten bezeichnet werden könne. Ein Kasten müsse zumindest ebene Flächen aufweisen. Des Weiteren sei unklar, wie das in den Fig. 3 und 4 gezeigte Gebilde de facto aussähe, da die Seite, an die die Wellschläuche angeschlossen seien, ja ebenfalls flexibel gestaltet sein müsste. Auch die in D1 (Spalte 5, letzte Zeile) erwähnte Ausführung in Stahlblech lasse offen, an welchen Stellen Stahlblech zum Einsatz komme, und biete daher keine unmittelbare und eindeutige Lehre für einen Düsenkasten im Sinne des Streitpatents.

Das Dokumentenkonvolut D14 ff. dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da es verspätet vorgelegt und erst nach dem Prioritätstag veröffentlicht worden sei. Auch seien die dort genannten Beispiele für nicht quaderförmige Kästen allesamt aus einem anderen Fachgebiet, so dass eine auf dem Konvolut D14 ff. beruhende Interpretation des Begriffs Kasten vorliegend nicht gültig sei.

Auch stelle die Vorrichtung, wie sie in D1, Fig. 2 gezeigt sei, keine Baueinheit dar, da die Wellschläuche nicht mit zu einer Baueinheit gehören könnten, sondern eine solche abgrenzten. Damit aber gehöre das am Portal befestigte Gebläse - im Gegensatz zur Vorrichtung gemäß der strittigen Erfindung - nicht zur Baueinheit einer Trockendüse. Ebenfalls sei das Gebläse noch mit Seitendüsen verbunden, während die strittige Erfindung auf eine Dachdüse abgestellt sei.

Demzufolge zeige D1 allenfalls eine Baueinheit einer Trockendüse mit zwei Gebläsen und vier Düsenkörpern.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Dokumentenkonvolut D14 ff. (D14 und D14a bis D14f) wurde in das Verfahren gemäß Art. 13 (1) der Verfahrens ordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 1/2012, 38) zugelassen.

2.1 Diese Dokumente sind als Reaktion auf die Mitteilung der Kammer gemäß Art. 15 (1) VOBK vorgelegt worden. Die Kammer hat sich in ihrer vorläufigen Meinung erstmalig auf die im Duden Universalwörterbuch veröffentlichte Interpretation gestützt, derzufolge unter einem Kasten ein im Wesentlichen quaderähnlicher Behälter zu verstehen sei. Die Beschwerde führerin hat mit der Vorlage der Dokumente D14 ff. den legitimen Versuch unternommen, die Kammer davon zu überzeugen, dass die im Duden Universalwörterbuch veröffentlichte Interpretation zu eng gefasst ist.

2.2 Auch kann das Veröffentlichungsdatum der Dokumente D14 ff., welches nach dem Prioritätstag liegt, keinen Grund darstellen, diese Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen.

2.3 Hinsichtlich der Frage, ob das Dokumentenkonvolut D14 ff. einen Stand der Technik darstellt, da das Veröffentlichungsdatum nach dem Prioritätstag des strittigen Patents liegt, folgt die Kammer dem Vorbringen der Beschwerde führerin, dass diese Dokumente lediglich zum Nachweis des Sprachgebrauchs des Fachmanns für den im Anspruch 1 verwendeten Begriff "Kasten" im Merkmal "Düsenkasten" dient und keinen Stand der Technik im Sinne des Art. 54 (2) EPÜ 1973 darstellt. Daher spielt die Tatsache, dass D14 ff. erst nach dem Prioritätstag veröffentlich wurde, keine Rolle, da die Kammer davon ausgeht, dass sich der Sprachgebrauch des Begriffs "Kasten" im fraglichen Zeitraum nicht geändert hat.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu im Hinblick auf das Dokument D1 (Art. 54 (1) EPÜ 1973).

3.1 Das Dokument D1 offenbart eine

Trockeneinrichtung für Behandlungseinrichtungen von Fahrzeugen, insbesondere Autowaschanlagen (Zusammenfassung),

mit einer Trockendüse (Fig. 1 bis 4, auch Spalte 2, Zeilen 11 ff.) und

mindestens einem Gebläse (Fig. 2, Teil 10),

wobei die Trockendüse mehrteilig ausgebildet ist (Fig. 3, Spalte 5, Zeilen 44 ff.)

und zwei Düsenkästen und zwei Gebläse aufweist (Fig. 2),

wobei die Düsenkästen einander kreuzend angeordnet sind (Fig. 2, Spalte 3, Zeilen 61 ff.; Fig. 3), wobei

die Düsenkästen eng aneinander gebaut und mit ihren Gebläsen miteinander zu einer Baueinheit der Trockendüse verbunden sind (Fig. 2).

3.2 Insbesondere folgt die Kammer nicht der Behauptung der Beschwerdegegnerin, die in der in D1 gezeigten Vorrichtung nicht das Merkmal Düsenkasten offenbart sieht. Der in D1 offenbarte Düsenkörper ist aus steifem Stahlblech gefertigt (vgl. D1, Spalte 5, Zeile 22 ff.) und weist demnach auch unter Belastung keine Verformung auf, wie dies die Beschwerdegegnerin für den erfindungs gemäßen Düsenkasten beschrieben hat. Auch die Tatsache, dass der Düsenkörper der Trockendüse gemäß D1 einen konischen Hohlraum bildet (vgl. Spalte 5, Zeile 44 ff.) widerspricht nicht dem Kasten-Begriff, da im technischen Sprachgebrauch auch runde, nicht quaderförmige Einhausungen als Kasten bezeichnet werden, z.B. Radkasten, Brotkasten oder Senkkasten (vgl. D14 ff.). Dabei ist es nach Auffassung der Kammer unerheblich, ob die Dokumente D14 ff. den Kastenbegriff auch für nicht quaderförmige Gehäuse im einschlägigen Fachgebiet nachzuweisen in der Lage sind, da der Fachmann des einschlägigen Fachgebiets aus dem Begriff "Kasten" keine intrinsischen Eigenschaften für das beanspruchte Merkmal "Düsenkasten" entnimmt, die nicht auch für den Düsenkörper gemäß D1 vorhanden sind.

3.3 Die Kammer sieht im Gegensatz zu der Auffassung der Beschwerde gegnerin auch in Dokument D1 eng gebaute Düsenkästen (vgl. Fig. 3) offenbart, die mit ihren Gebläsen zu einer Baueinheit einer Trockendüse verbunden sind (vgl. auch Fig. 2).

Das Merkmal Baueinheit der Trockendüse ist in der Beschreibung des Streitpatents und im vorliegenden Anspruch 1 nur soweit definiert, als dass beide eng aneinander gebaute Düsenkästen und ihre Gebläse zu dieser Baueinheit der Trockendüse verbunden sind. Weitere Restriktionen, die die Bedeutung des Begriffs Baueinheit beschränken, sind weder der Beschreibung noch dem Anspruch zu entnehmen. Daher ist durch den Anspruchs wortlaut weder ausgeschlossen, dass die Baueinheit der Trockendüse aus weiteren Bauelementen besteht, noch, dass das Gebläse außer an der Dachdüse an weitere Düsen, etwa Seitendüsen angeschlossen ist.

Auch kann dem Argument der Beschwerde gegnerin nicht gefolgt werden, demnach die Wellschläuche der Vorrichtung gemäß D1 eine Baueinheit von einer anderen trennen. Auch für diese Interpretation des Begriffs "Baueinheit" gibt es in der Beschreibung keine Stütze.

Deshalb ist die Kammer der Ansicht, dass das Merkmal "Baueinheit der Trockendüse" des vorliegenden Anspruchs 1 nicht in der Lage ist, dessen Gegenstand gegenüber der in D1 gezeigten Vorrichtung abzugrenzen.

4. Da die Kammer der Auffassung ist, dass unter Berücksichtigung der von der Beschwerde gegnerin vorgenommenen Änderungen das Streitpatent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ nicht genügt, ist das Patent gemäß Art. 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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