T 0793/11 () of 8.10.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T079311.20151008
Datum der Entscheidung: 08 October 2015
Aktenzeichen: T 0793/11
Anmeldenummer: 01936176.5
IPC-Klasse: G01N 31/22
A61B 5/00
A61B 5/103
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES PFLASTERS FÜR DIE BESTIMMUNG EINER ABNORMALEN HAUTTROCKENHEIT
Name des Anmelders: MIRO Verbandstoffe GmbH
Name des Einsprechenden: Neumann, Nicole
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
European Patent Convention Art 101(2) (2007) Sent 2
European Patent Convention 1973 R 71(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(6)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja) - Formulierung der Aufgabe ohne Lösungselemente
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0099/85
T 0229/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1274994 zu widerrufen.

Mit dem Einspruch der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) vom 7. August 2007 war das Streitpatent in vollem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ 1973), unzureichender Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ 1973) und unzulässiger Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ 1973) angegriffen worden.

In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 b) und c) EPÜ nicht greifen würden, dass aber der Gegenstand des erteilten unabhängigen Anspruchs 1, sowie der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 5, gegenüber den Druckschriften

E1: YAMAMURA T. et al: "SIMPLE MONOCHROMATIC REFRACTOMETER FOR TRANSEPIDERMAL WATER LOSS TEWL", JOURNAL OF DERMATOLOGICAL SCIENCE, Bd. 1, Nr. 3, 1990, Seiten 201-206, und

E2: THRONNIER H. et al: "Über die Messung der Feuchtigkeitsabgabe der menschlichen Haut", Parfümerie und Kosmetik, Nr. 1, 1. Januar 1961, Seiten 13-22

nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) beruhten.

II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 24. Oktober 2011 die Zurückweisung der Beschwerde.

III. Die Kammer hat, wie von beiden Parteien beantragt, zur mündlichen Verhandlung geladen. Der Ladung war eine Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK beigefügt.

IV. Mit Schreiben vom 12. August 2015 zog die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und bat um eine Entscheidung nach Aktenlage. Außerdem teilte sie mit, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Oktober 2015 statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.

Die Beschwerdegegnerin war, wie mit Schreiben vom 12. August 2015 angekündigt, nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Patentschrift lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines Pflasters für die Verwendung zur Bestimmung einer abnormalen Hauttrokkenheit, bei dem ein Reaktionsträger (2) mit einer 3,15 bis 25 prozentigen Kobalt-(II)-Chloridlösung imprägniert und anschließend bis zur Blaufärbung des Kobalt-(II)-Chlorids getrocknet wird,

der Reaktionsträger (2) an einer Seite eines flächigen Grundkörpers (1) aus einem flexiblen Material angebracht wird, und

der Reaktionsträger (2) mit einem luft- und feuchtigkeitsundurchlässigen Schutzmaterial (3) abgedeckt wird."

Der Anspruchssatz gemäß Patentschrift enthält auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 7.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nichterscheinen der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung

Die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin erschien nicht in der mündlichen Verhandlung. Gemäß Regel 71 (2) EPÜ 1973 konnte das Verfahren jedoch ohne sie fortgesetzt werden. In Anwendung des Artikels 15 (3) VOBK berücksichtigte die Beschwerdekammer für ihre Entscheidung das schriftliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin.

Die Beschwerdekammer war nicht verpflichtet, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung wegen des Nichterscheinens der Beschwerdegegnerin aufzuschieben (Artikel 15 (3) VOBK). Die Kammer konnte auch am Ende der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Sache entscheidungsreif war (Artikel 15 (5) und (6) VOBK).

3. Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ 1973

3.1 Die Beschwerdegegnerin hat auch im Beschwerdeverfahren den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 vorgebracht. Ihrer Meinung nach enthalte der Text des erteilten Patents in Spalte 2, Zeilen 27 bis 29, eine wertende Würdigung des Standes der Technik. Diese Passage stelle eine Änderung in der Beschreibung dar, die weder aus den ursprünglichen Anmeldeunterlagen noch aus den Dokumenten des Stands der Technik ableitbar sei. Daher gehe diese Passage über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der Anmeldung hinaus. Zur weiteren Begründung bezog sie sich ausdrücklich auf konkrete Textstellen ihrer in der ersten Instanz eingereichten Schriftsätze (Punkt 5 der Einspruchsschrift, Punkt 1 des Schreibens vom 23. Mai 2008 und Punkt 1 des Schreibens vom 27. Oktober 2010).

3.2 Die Beschwerdeführerin bezog sich in ihrer Erwiderung auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung. In ihrer Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung die Ansicht, dass die nachträgliche Aufnahme einer Zusammenfassung des Stands der Technik und dessen technische Auslegung in die Beschreibung keinen Verstoß gegen Artikel 100 b) EPÜ darstelle. Die Beschwerdeführerin vertrat auch die Ansicht, dass es nach ständiger Rechtsprechung zulässig sei, im Laufe des Prüfungsverfahrens den vom EPA entgegengehaltenen Stand der Technik in der Beschreibung zu würdigen, ohne damit gegen Artikel 123 (2) EPÜ zu verstoßen. Dabei sei es auch zulässig, auf Nachteile des Stands der Technik hinzuweisen.

Auch die Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass die in der Beschreibung eingefügte Textpassage für Äquivalenzüberlegungen in der nationalen Rechtsprechung von Bedeutung sein könne, könne nicht überzeugen. Dies könne allenfalls die Bestimmung des Schutzbereichs und damit Artikel 123 (3) EPÜ betreffen, der jedoch vorliegend nicht einschlägig sei, da die in Frage stehenden Änderungen im Prüfungsverfahren vorgenommen worden seien.

3.3 Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, II.E.1.6.3 a)) der bisherige Stand der Technik in einer Anmeldung auch nach ihrer Einreichung in die Beschreibung aufgenommen werden kann und ggf. im Hinblick auf Regel 27 (1) b) EPÜ 1973 bzw. Regel 42 (1) b) EPÜ sogar aufgenommen werden muss. Das Nachreichen von Angaben zum Stand der Technik darf die Offenbarung der Erfindung als solche jedoch nicht berühren. Die Kammer ist der Ansicht, dass die technische Auslegung des Stands der Technik durch das Aufzeigen von seinen möglichen Nachteilen, wie sie vorliegend vorgenommen wurde, die Offenbarung der Erfindung als solche nicht berührt und damit keine Erweiterung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts der Anmeldung darstellt.

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass das Argument der Beschwerdegegnerin hinsichtlich einer möglichen Bedeutung der in der Beschreibung eingefügten Textpassage für Äquivalenzüberlegungen in der nationalen Rechtsprechung vorliegend nicht greift. Bei der Prüfung, ob der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 im vorliegenden Fall der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegensteht, ist allein entscheidend, ob der Gegenstand des erteilten Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgeht. Wie bereits ausgeführt, stellt die in der Beschreibung eingefügte Textpassage keine Erweiterung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts der Anmeldung dar.

3.4 Aus den obengenannten Gründen schließt sich die Kammer der Meinung der Einspruchsabteilung an, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegensteht.

4. Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973

4.1 Die Beschwerdegegnerin vertrat in ihrer Beschwerdeerwiderung die Auffassung, dass das Imprägnieren des Trägermaterials mit Kobalt-(II)-Chlorid und damit die Herstellung des Pflasters wegen der unbestimmten Saugfähigkeit des Trägermaterials für den Fachmann nicht ausführbar sei und die Erfindung daher nicht den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genüge. Eine allgemeine Lehre, wie ein geeignetes Pflaster hergestellt werden könne, ohne die Saugfähigkeit des verwendeten Reaktionsträgers näher zu beschreiben (der erteilte Anspruch 1 sei in dieser Hinsicht nicht beschränkt), sei im Streitpatent nicht enthalten. Zur weiteren Begründung bezog sich die Beschwerdegegnerin ausdrücklich auf konkrete Textstellen ihrer in der ersten Instanz eingereichten Schriftsätze (Punkt 4 der Einspruchsschrift, Punkt 2 des Schreibens vom 23. Mai 2008 und Punkt 2 des Schreibens vom 27. Oktober 2010). Dort hat sie erläutert, dass die auf dem Reaktionsträger pro Flächeneinheit abgeschiedene Menge von Kobalt-(II)-Chlorid nicht nur von der Konzentration der Kobalt-(II)-Chloridlösung abhänge, sondern auch von der Dicke und Saugfähigkeit des verwendeten Reaktionsträgers. Der Fachmann erfahre aus der Beschreibung der Patentschrift weder die pro Flächeneinheit auf dem Reaktionsträger abgeschiedene Menge an Kobalt-(II)-Chlorid, die für die Ausführbarkeit der Erfindung entscheidend sei, noch wie diese Menge an dehydriertem Kobalt-(II)-Chlorid geeignet eingestellt werden könne.

4.2 Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass die Ausführungen der Beschwerdegegnerin allenfalls die Frage der mangelnden Klarheit beträfen, nicht jedoch die Frage der Ausführbarkeit. Die Ausführungen der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zu Artikel 100 b) EPÜ seien nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin verwies im Übrigen auf ihre Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren, wo dargelegt sei, dass es auf die Art des Reaktionsträgers nicht ankomme. Der Fachmann fände in der Patentschrift weitere Erläuterungen, die ihn in die Lage versetzten, die Erfindung auszuführen. So würden beispielsweise verschiedene Reaktionsträger konkretisiert und auch die Kobalt-Chloridlösung beispielhaft konkretisiert.

4.3 Die Einspruchsabteilung teilte in ihrer Entscheidung die Ansicht der Patentinhaberin, dass die beanspruchte Herstellung des Pflasters basierend auf dem Eintauchen eines saugfähigen Trägermaterials in eine Lösung mit einer vorbestimmten Konzentration an Kobalt-Chlorid in den Rahmen täglichen Handelns eines Fachmanns falle und er mit der Offenbarung des Verfahrens im Streitpatent durchaus in der Lage sei, das beanspruchte Herstellungs­verfahren auszuführen. Das resultierende Pflaster sei nach Ansicht der Einspruchsabteilung in jedem Fall geeignet, eine Hautfeuchtigkeit oder auch eine abnormale Hauttrockenheit nachzuweisen, es bedürfe für eine derartige Bestimmung lediglich eines Referenzpunktes für die Einwirkzeit und den Farbumschlag, ab dem von einer abnormalen Feuchtigkeit oder Trockenheit gesprochen werden könne. Diese Bestimmung sei aber nicht Teil des Herstellungs­verfahrens und schränke es somit auch nicht weiter ein.

4.4 Die Kammer schließt sich der Meinung der Einspruchsabteilung an und hält das Herstellungs­verfahren des Anspruchs 1 für ausreichend offenbart und für den Fachmann ausführbar. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 steht der Aufrechterhaltung des erteilten Patents deshalb nicht entgegen.

5. Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ 1973

5.1 Die Neuheit des beanspruchten Gegenstands wurde weder im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren noch im Beschwerdeverfahren in Frage gestellt.

5.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

5.2.1 Die Einspruchsabteilung ist in der angefochtenen Entscheidung von Dokument E1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Die Parteien haben das nicht in Frage gestellt. Dieses Dokument betrifft die Messung der Hautfeuchtigkeit mittels eines mit Kobalt-Chlorid versehenen und getrockneten Reaktionsträgers (CCAP) auf einem Grundkörper ("tape", vgl. Seite 202, rechte Spalte, zweiter Absatz: "The completely dried CCAP was placed on the indicated part of skin, covered with tape (Blenderm) and left for 10 min."). Der Grundkörper mit dem Reaktionsträger darauf kann im weitesten Sinne als Pflaster bezeichnet werden. Dieses Pflaster wird durch folgendes Verfahren hergestellt: ein Reaktionsträger ("a piece of filter paper", vgl. Seite 202, Absatz "Principle of measurement") wird mit einer Kobalt-(II)-Chloridlösung imprägniert ("saturated with cobalt chloride", CoCl2) und anschließend bis zur Blaufärbung des Kobalt-Chlorids getrocknet ("was completely dried"), und der Reaktionsträger wird auf die Haut aufgebracht und dann mit einem flächigen Grundkörper aus einem flexiblen Material abgedeckt ("covered with tape"), wobei als Grundkörper eine einseitig klebende Folie (Blenderm) verwendet wird (vgl. Seite 202, rechte Spalte, zweiter Absatz, erster Satz).

5.2.2 Die Beschwerdegegnerin hat ausgehend von Dokument E1 als Unterscheidungsmerkmale im erteilten Anspruch 1 lediglich den Konzentrationsbereich der Kobalt-(II)-Chloridlösung von 3,15 bis 25 Prozent und das Abdecken des Reaktionsträgers mit einem luft- und feuchtigkeitsundurchlässigen Schutzmaterial identifiziert (vgl. Punkte 2 und 3 der Einspruchsschrift, auf die in der Beschwerdeerwiderung ausdrücklich verwiesenen wurde, insbesondere Seite 7, erster Absatz). Die Verwendung einer Schutzhülle löse ein Teilproblem und sei daher getrennt von der Konzentration der Kobalt-Chloridlösung zu bewerten. Aus der Verwendung einer Schutzhülle hat die Beschwerdegegnerin die Teilaufgabe formuliert, ein lagerfähiges Pflaster bereitzustellen, geeignet zur Bestimmung einer abnormalen Hauttrockenheit (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 5, letzter Absatz).

5.2.3 Die Beschwerdeführerin hat in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2015 darauf hingewiesen, dass das Herstellungsverfahren des erteilten Anspruchs 1 sich neben der Konzentrationsangabe der Kobalt-Chloridlösung von 3,15 bis 25 Prozent dadurch von der Offenbarung des Dokuments E1 unterscheide, dass der Reaktionsträger vor dem Aufbringen auf die Haut mit dem Träger verbunden und mit einem luft- und feuchtigkeits­undurchlässigen Schutzmaterial abgedeckt werde. Die Formulierung der Aufgabe, ein lagerfähiges Pflaster bereitzustellen, impliziere bereits die Lösung. Die Aufgabe müsse jedoch, ausgehend von Dokument E1, so formuliert werden, dass sie keine Lösungselemente enthalte. Bei dem in Dokument E1 beschriebenen Verfahren werde der vorbereitete Reaktionsträger zum Messen auf die Haut aufgelegt und anschließend mit einer Folie bedeckt. Ein Handhaben des Reaktionsträgers als Pflaster vor dem Aufbringen auf die Haut werde in Dokument E1 nicht offenbart. Die auf der Haut entstandene Struktur gemäß E1 ähnele im weitestgehenden Sinne einem Pflaster, aber dieses erst auf der Haut angefertigte Pflaster könne gar nicht durch das Aufbringen eines Schutzmaterials lagerfähig gemacht werden. Der Reaktionsträger liege bereits auf der Haut und werde dort während des Messens durch das Aufbringen der Folie zum Pflaster. Ein Schutzmaterial zwischen Haut und Reaktionsträger anzubringen, sei technisch nicht sinnvoll. Es müsse vielmehr berücksichtigt werden, dass durch das beanspruchte Herstellungsverfahren sich der Reaktionsträger zusammen mit dem Grundkörper leichter handhaben lasse. Die Aufgabe müsse daher darin gesehen werden, Mittel zur vereinfachten Handhabung des Reaktionsträgers herzustellen.

5.2.4 In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern wurde für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit der Aufgabe-Lösungs-Ansatz (sog. "problem-solution approach") entwickelt (siehe dazu auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, I.D.2). Nach diesem Ansatz wird zunächst der nächstliegende Stand der Technik ermittelt, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe bestimmt und schließlich die Frage geprüft, ob die beanspruchte Erfindung (d.h. die beanspruchte Lösung dieser objektiven technischen Aufgabe) angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre. Ziel dieser Methode ist es, insbesondere die Objektivität bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sicherzustellen und eine rückschauende Betrachtungsweise bei der Analyse des Stands der Technik (Ex-post-facto-Analyse) zu vermeiden. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist die objektive, nicht die subjektive Leistung des Erfinders maßgeblich. Ausgehend vom objektiv gegebenen Stand der Technik ist die technische Aufgabe nach objektiven Kriterien zu ermitteln, und zu untersuchen, ob die anmeldungsgemäße Lösung aus der Sicht des Fachmanns nahegelegen hat oder nicht. Um eine rückschauende Betrachtungsweise und folglich eine fehlerhafte Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu vermeiden, darf insbesondere die Kenntnis der Erfindung nicht in die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einfließen.

5.2.5 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin in der Identifizierung der Unterschiedsmerkmale zu, die nach Ansicht der Kammer die folgende technische Wirkung haben.

Das Zusammenfügen von Reaktionsträger mit Grundkörper und Schutzmaterial bewirkt eine einfachere Handhabung des Reaktionsträgers für den Benutzer, wobei der mit dem Grundträger verbundene und mit einem luft- und feuchtigkeits­undurchlässigen Schutzmaterial abgedeckte Reaktionsträger nach dem Trocknen längere Zeit gelagert werden kann, ohne dass sich das Kobalt-Chlorid verfärbt (vgl. Spalte 3, Zeilen 1-5 der Patentschrift).

5.2.6 Ausgehend von dieser Wirkung der Unterscheidungs­merkmale ist die objektive technische Aufgabe zu formulieren. Die Aufgabe wird generell zwar unter Berücksichtigung der beanspruchten Erfindung bestimmt, in dem die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale zum nächstliegenden Stand der Technik ausgewertet wird. Die Aufgabe ist dann aber so zu formulieren, dass sie keinen Hinweis auf die oder einen Teil der technischen Unterscheidungsmerkmale enthält. Nach ständiger Rechtsprechung ist deshalb bei der Formulierung der Aufgabenstellung zu beachten, dass die Aufgabe weder Lösungsansätze noch Teile der Lösung enthält (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, I.D.4.3.1 und z. B. T 229/85, ABl. EPA 1987, 237 und T 99/85, ABl. EPA 1987, 413).

Dies ist jedoch bei der von der Beschwerdegegnerin formulierten Aufgabe nicht beachtet worden, denn das Bereitstellen eines lagerfähigen "Pflasters" impliziert bereits einen wesentlichen Teil des Lösungsgedankens der Erfindung, nämlich das Bereitstellen eines nicht-befestigten und transportablen Pflasters, das unabhängig von der Haut ist. Eine derartig formulierte Aufgabe (Bereitstellen eines lagerfähigen Pflasters) führt jedoch zwangsweise zu einer rückschauenden Betrachtung des Standes der Technik, denn der Fachmann hätte ausgehend von Dokument E1 und seinem allgemeinen Fachwissen nicht objektiv sondern aus der Sicht und in Kenntnis der Erfindung die Lösung hergeleitet. Diese Vorgehensweise führt letztlich zwangsweise zu einer rückschauenden Lösungsfindung. Mit der Formulierung einer Aufgabe, die das Lösungselement "Pflaster" bereits enthält, geht der Fachmann bereits von einem auf der Haut nicht-befestigten Pflaster aus und die verbleibende Teil-Lösung, dieses Pflaster durch ein Schutzmaterial lagerfähig zu machen, erscheint dann naheliegend.

Die Kammer teilt daher die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit vorliegend nicht geeignet ist und dass der Fachmann bei einem Vergleich der Erfindung mit dem Dokument E1 die folgende objektive technische Aufgabe erkennt: Herstellung eines Mittels zur vereinfachten Handhabung des Reaktionsträgers.

5.2.7 Zur Lösung dieser Aufgabe führte die Beschwerdeführerin in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2015 weiter aus, dass das Dokument E1 keine speziellen Mittel offenbare, mit denen der getrocknete Reaktionsträger auf die Haut aufgebracht werde. Der Reaktionsträger werde einfach auf die Haut gelegt. Das Dokument E2, das von der Einsprechenden in erster Linie wegen der Kobalt-Chloridkonzentration von 20% zitiert worden sei, offenbare Petrischalenhälften, in denen die Reaktionsträger befestigt seien. Die Reaktionsträger würden somit in den Petrischalenhälften über die Haut gebracht (vgl. Seite 18, rechte Spalte, letzter Absatz). Diese Lösung führe jedoch von der beanspruchten Lösung weg.

Des Weiteren seien Pflaster zur Wundversorgung zwar allgemein bekannt. Es sei aber nicht ersichtlich, warum es für den Fachmann naheliegend sein solle, den Reaktionsträger aus dem Dokument E1 in ein Pflaster zu integrieren, um ihn auf die Haut aufzubringen. Dazu offenbare Dokument E1 keine Veranlassung. Derartige Überlegungen beruhten daher auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.

5.2.8 Die Beschwerdegegnerin hält den beanspruchten Gegenstand für naheliegend. In ihren schriftlichen Ausführungen geht die Beschwerdegegnerin bezüglich der Verwendung einer Schutzhülle bereits von einem Pflaster aus, das sich noch nicht auf der Haut befindet. Wie bereits oben dargelegt, sieht die Beschwerdegegnerin somit die objektive technische Aufgabe, welche mit der Schutzhülle gelöst werde, in der Bereitstellung eines lagerfähigen Pflasters, geeignet zur Bestimmung einer abnormalen Hauttrockenheit.

Diese Aufgabe werde erfindungsgemäß durch die Verwendung eines luft- und feuchtigkeitsundurchlässigen Schutzmaterials gelöst. Ein Fachmann wisse jedoch bereits aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, dass feuchtigkeitsempfindliche Materialien durch Einschluss in eine feuchtigkeitsundurchlässige Schutzhülle lagerfähig gemacht werden könnten (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 5, letzter Absatz).

5.2.9 Wie bereits dargelegt, geht die Beschwerdegegnerin in ihren Ausführungen von einer nicht richtigen Aufgabe (Bereitstellen eines lagerfähigen "Pflasters") aus (siehe oben, Punkt 5.2.6). Doch selbst wenn man von dieser Aufgabe ausgehen würde, berücksichtigen die Ausführungen der Beschwerdegegnerin nicht alle Merkmale des in Dokument E1 offenbarten Herstellungsverfahrens. In dem aus Dokument E1 bekannten Verfahren wird zwar ein Pflaster im weitesten Sinne hergestellt. Dieses Pflaster wird jedoch erst auf der Haut hergestellt, in dem zuerst der Reaktionsträger auf die Haut aufgebracht wird und dieser dann mit einer Folie abgedeckt und so auf der Haut fixiert wird. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass es für einen Fachmann technisch nicht sinnvoll wäre, dieses Pflaster auf der Haut durch ein Schutzmaterial lagerfähig zu machen.

5.2.10 Für den Fachmann hingegen, der von Dokument E1 ausgehend versucht, die oben unter Punkt 5.2.6 formulierte objektive technische Aufgabe (Herstellung eines Mittels zur vereinfachten Handhabung des Reaktionsträgers) zu lösen, ist es bereits nicht naheliegend, den Reaktionsträger gleich nach dem Trocknen auf einen flächigen Grundkörper aus flexiblem Material aufzubringen. Die Kombination von Reaktionsträger auf flächigem Grundkörper stellt ein Pflaster dar, durch das sich der Reaktionsträger zusammen mit dem Grundkörper vor dem Aufbringen auf der Haut handhaben lässt. Die Kammer folgt diesbezüglich den Ausführungen der Beschwerdeführerin. Somit ist es für das Vorhandensein einer erfinderischen Tätigkeit nicht relevant, dass der Reaktionsträger zusätzlich noch mit einem luft- und feuchtigkeitsundurchlässigen Schutzmaterial abgedeckt wird.

5.2.11 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass es für den Fachmann nicht naheliegend war, den Reaktionsträger aus Dokument E1 vor dem Aufbringen auf der Haut in ein Pflaster zu integrieren, um ihn einfacher handhaben zu können.

5.2.12 In der Patentschrift wird für die beanspruchte Konzentration der Kobalt-Chloridlösung keine Wirkung angegeben. Aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 kann entnommen werden, dass diese Konzentration zur Bestimmung einer abnormalen Hauttrockenheit geeignet sein soll (vgl. auch Seite 9, 4. Absatz, der angefochtenen Entscheidung). Eine möglicherweise unabhängige Aufgabe, die die Wirkung des Konzentrationsbereichs berücksichtigt, spielt in Anbetracht der oben gezogenen Schlussfolgerung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keine Rolle.

5.2.13 Aus den oben dargelegten Gründen steht der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) und 56 EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegen.

6. Da keiner der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegensteht, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Einspruch gemäß Artikel 101 (2), Satz 2 EPÜ zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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