T 0566/11 (Datenanalyse/NOLL) of 18.12.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T056611.20121218
Datum der Entscheidung: 18 Dezember 2012
Aktenzeichen: T 0566/11
Anmeldenummer: 00128026.2
IPC-Klasse: G06F 17/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Analytisches Informationssystem
Name des Anmelders: Noll, Uwe
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0641/00
T 1784/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 00128026.2 mit der Bezeichnung "Analytisches Informationssystem", veröffentlicht als

A2: EP-A2-1 111 515,

zurückzuweisen.

II. Die angefochtene Entscheidung stützt sich insbesondere auf folgende Gründe:

a) Artikel 52 (1)(2)(3) EPÜ:

Das beanspruchte Verfahren sei keine Erfindung auf einem Gebiet der Technik, sondern ein abstraktes mathematisches Verfahren. Aus Anspruch 1 gehe nicht klar hervor, welches technische Problem gelöst werden solle. Die Prüfungsabteilung erkenne keine technische Wirkung des beanspruchten Verfahrens, Anspruch 1 definiere keine technische Anwendung.

b) Artikel 56 EPÜ 1973:

Mangels Angabe von Implementierungseinzelheiten wäre selbst bei einer (nach Ansicht der Prüfungsabteilung nicht gerechtfertigten) engeren Auslegung des Anspruchs 1 kein nicht-triviales technisches Problem erkennbar; eine bloße Automatisierung eines mathematischen Verfahrens mit Hilfe eines Universalrechners beinhalte keine erfinderische Tätigkeit.

III. Durch ein am 20. Dezember 2010 eingegangenes Schreiben hat der Anmelder Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung eingelegt und diese begründet. Aus der Begründung geht hervor, dass der Beschwerdeführer den von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Anspruchssatz weiterverfolgt.

a) Anspruch 1 lautet:

"1. Verfahren zum Aufbereiten von Daten durch Ermittlung von deren Strukturen, Abhängigkeiten, Auffälligkeiten und/oder Ähnlichkeiten (Datenmodell) mittels einer Analysekomponente, wobei die Analysekomponente zum Ermitteln der Abhängigkeit von Daten über die Datenbankschnittstelle mit zumindest einer Datenbank verbunden wird und über die Steuerung entsprechend einem erdachten oder von einer Wissensdatenbank automatisch kreiertem [sic] Datenmodell Daten bzw. Datenattribute aus zumindest einer Datenbank abgefragt werden, welche dann als Koordinaten eines n-dimensionalen Raumes und die Abfrage als Modellvektor in diesem Raum dargestellt werden, wobei aus den für einen bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung gestellten Daten nur eine erste Stichprobe der vorhandenen Daten genommen wird und die Daten dieser Probe anhand in der Wissensdatenbank gespeicherter Erfahrungswerte für einen Wertebereich ausgewählt werden, in deren Mittelpunkt sich die Abfrage befindet, und sodann die Daten der Stichprobe ebenfalls als Stichprobenvektor dargestellt werden, wonach mehrere Differenzvektoren zwischen dem Modellvektor und dem Stichprobenvektor ermittelt und die Verteilungsfunktion der Häufigkeit der Beträge dieser Differenzvektoren untersucht und ermittelt wird, ob diese Verteilungsfunktionen einer der bekannten statistischen Funktion [sic] folgt, in dem dann die Abfrage als Modell in der Datenbank abgespeichert und für Abfragen zur Verfügung gestellt wird."

b) In der Beschwerdebegründung argumentiert der Beschwerdeführer insbesondere, dass ein analytisches Informationssystem eine Maschine sei, die das Naturgesetz "Anhäufung von Quantität schlägt in Qualität um" verwirkliche. Die Anhäufung quantitativer Merkmale in Verfahren der Chemie, der Physik, der Werkstoffkunde und des Maschinenbaus erlaube konkrete technische Anwendungen, da ein qualitativer Umschlag in der Produktionsmenge erzielt werde.

Der Beschwerdeführer weist ferner darauf hin, dass das korrespondierende deutsche Patent (DE-B4-199 63 123) erteilt worden sei und deutsches und europäisches Patentrecht einander angeglichen seien.

IV. In einem Bescheid nach Regel 100 (2) EPÜ legte die Kammer ihre vorläufige Meinung wie folgt dar (3. Februar 2012).

"5. Die Anmeldung geht von einem Datenanalyseverfahren gemäß

D0: US-A-5 761 389.

aus (A2, Absätze 0004 bis 0006). Das Verfahren nach D0 zielt darauf ab, aus Daten einer Datenbank automatisch eine Regel zu erzeugen, die einen inneren Zusammenhang der Daten in Form von Wenn-Dann-Bedingungen ausdrückt (D0, zB Zusammenfassung).

6. Demgegenüber behandelt das Verfahren nach dem vorliegenden Anspruch 1 alle Datensätze (Modell und Stichprobe) als Vektoren (V1, V2) und findet iterativ einen Modellvektor (V1), der sich zur statistischen Beschreibung der untersuchten Datensätze eignet, sobald die Beträge der Differenzvektoren (V2 - V1) einer bekannten Verteilungsfunktion gehorchen.

7. Für das mathematische Verfahren und Ergebnis, das den Anspruch 1 von der Lehre der D0 unterscheidet, nennt der Anspruch jedoch keine technische Anwendung. Der Beschwerdeführer argumentiert zwar, dass eine produktionssteigernde Wirkung des Verfahrens auf verschiedensten technischen Gebieten möglich sei. Jedoch geben weder der Anspruch noch die Anmeldung eine konkrete technische Anwendung an.

8. Die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) setzt einen technischen Beitrag voraus. Im vorliegenden Fall erfüllen die unterscheidenden, mathematischen Verfahrensschritte jedoch keinen technischen Zweck. Nicht einmal eine allgemeine Aussage, dass die Ergebnisse des Analyseverfahrens in Eingangsparameter einer Steuerung umgewandelt werden, findet sich im Anspruch 1. Selbst wenn eine solche Aussage dort enthalten wäre, würde sie keine technische Problemlösung definieren, sondern letztlich nur die Absicht erklären, auf eine unbestimmte Weise das gesetzliche Erfordernis der Technizität zu erfüllen.

9. Eine technische Aufgabe des mathematischen Beitrags ist nicht feststellbar, und seine programmiertechnische Implementierung stellt übliches fachmännisches Handeln dar.

10. Insgesamt lässt somit Anspruch 1 keinen erfinderischen technischen Beitrag erkennen und erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973.

Auch die abhängigen Ansprüche nennen offensichtlich kein Merkmal, das einen technischen, über mathematisch-gedankliche Schritte hinausgehenden Beitrag begründen würde.

11. Die Tatsache, dass ein nationales Patent erteilt wurde, bedeutet nicht, dass auf die europäische Nachanmeldung zwangsläufig ebenfalls ein Patent zu erteilen wäre. Wenn die Beschwerdekammer die Kriterien des Europäischen Patentübereinkommens nicht erfüllt sieht, kommt es nicht zur Erteilung eines europäischen Patents.

12. Die Anmeldung lässt eine erfinderische Bereicherung der Technik nicht erkennen. Daher sieht die Kammer für die Beschwerde keine Erfolgsaussicht."

V. Zu den vorläufigen Bemerkungen der Kammer nahm der Beschwerdeführer abstrakt Stellung (23. Februar 2012). Mittels des Informationsverarbeitungsprozesses des analytischen Informationssystems werde ein Quantum Wärme erzeugt. Eine Anhäufung quantitativer Eigenschaften erzeuge einen qualitativen Umschlag, der ganz neue Produkte mit neuen qualitativen Eigenschaften in einem philosophischen Sinn hervorbringen könne, z.B. einen "Energie-Dämon" oder ein "Perpetuum Mobile". Zur Erzeugung eines bestimmten Quantums Wärme müsse nur Energie für die Maschine "Analytisches Informationssystem" bereitgestellt werden und unterschiedlichste Techniken könnten eingesetzt werden. Der technische Beitrag sei die Art und Weise, wie dieses Quantum Wärme erzeugt werde. Dieses müsse nicht explizit erwähnt werden.

VI. Der Beschwerdeführer reichte ein weiteres Schreiben ein (27. Februar 2012), welches als Stellungnahme zum vorliegenden Beschwerdefall bezeichnet ist, aber tatsächlich eine frühere Stellungnahme wiedergibt, die der Beschwerdeführer auf eine Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 21. März 2011 zu einer anderen europäischen Patentanmeldung des Beschwerdeführers (Nr. 04100660.2) abgegeben hatte.

Entscheidungsgründe

Anmeldungsgegenstand

1. Die Anmeldung zielt auf eine schnelle Auswertung großer Datenmengen und das Kenntlichmachen darin enthaltener wertvoller Informationen, z.B. Abhängigkeiten, Auffälligkeiten, Ähnlichkeiten, Muster, die dann zur Steuerung von (ungenannten) Verfahrensabläufen eingesetzt werden können (A2, Absatz 0002), indem sie als Einflussgrößen in (irgend)einen Regelprozess eingebunden werden, um z.B. (irgend) ein Herstellungsverfahren zu optimieren (A2, Seite 3, Zeilen 37 bis 40; Seite 4, Zeilen 2 bis 5; Absatz 0025; Seite 6, Zeile 29).

Zum Aufspüren von komplexen Ähnlichkeiten in großen Datenmengen werden die Daten nach abstrakten mathematischen Vorschriften verarbeitet. Die analytischen Informationssysteme sollen zur Lösung oder Untersuchung technischer Fragestellungen, aber auch für wirtschaftliche Abfragen, z.B. Analyse einer Einkaufsdatenbank, Wirtschaftsprognosen, Erstellung von Lieferanten- oder Kundenprofilen, dienen (A2, Absatz 0003; Seite 2, Zeile 15: "Unternehmensdaten").

2. Das von der Anmeldung vorgeschlagene Analysesystem behandelt jeden Datensatz einer Datenbank als Vektor und sucht in einem iterativen Verfahren einen Modellvektor, der die gespeicherten Daten statistisch charakterisiert. Ein erster Vektor (V1) wird versuchsweise als Modellvektor (Anfangsmodell) angenommen. Eine Stichprobe (z.B. 10%) der Datensätze bildet eine Anzahl weiterer Vektoren (V2). Mathematisch untersucht werden die Beträge der Differenzvektoren (V3 = V2 - V1), und zwar im Hinblick darauf, ob die Häufigkeit dieser Beträge einer der bekannten statistischen Verteilungsfunktionen folgt, wie z.B. einer Gauss-, Poisson-, Binominal-, Raleigh-, Lorentz-, Gamma-Weibull-Verteilung o. dgl. Wenn die Stichprobe unter keine der bekannten Verteilungsfunktionen fällt, wird die Analyse mit einer erweiterten Stichprobe (z.B. 20%) der Datensätze wiederholt. Wenn keine der sukzessive erweiterten Stichproben einer bekannten Verteilungsfunktion zugeordnet werden kann, wird versucht, die ermittelte Verteilung in mehrere Normalverteilungen zu zerlegen. Wenn auch dies nicht möglich ist, bedeutet dies, dass der anfängliche Modellvektor (das hypothetische Anfangsmodell) in den untersuchten Daten nicht aufzufinden ist, und das gesamte Verfahren wird mit einem anderen (manuell eingegebenen oder automatisch kreierten) Modellvektor-Kandidaten neu begonnen (A2, Seite 4, Zeilen 23 bis 43). Die Wahl des ersten Modellvektors ist somit nur ein erster Versuch, der im Lauf der Iterationen solange geändert wird, bis das Ergebnis zeigt, dass der gewählte Modellvektor zu den Datensätzen passt und sie daher repräsentiert.

Artikel 56 EPÜ 1973 - Erfinderische Tätigkeit

3. Im Licht des Artikels 52 (1)(2)(3) EPÜ verlangt Artikel 56 EPÜ 1973 einen nicht-naheliegenden technischen Beitrag, siehe die Entscheidung T 641/00-Zwei Identitäten/COMVIK, Leitsatz 1 (ABl. EPA 2003, 352). Merkmale ohne Beitrag zum technischen Charakter können somit die Erfordernisse dieses Artikels nicht erfüllen (siehe z.B. auch die jüngere Entscheidung T 1784/06-Classification method/COMPTEL).

Für das mathematische Verfahren und sein Ergebnis nennt der Anspruch jedoch keine technische Anwendung. Die Anmeldung selbst sagt (A2, Seite 4, Zeilen 2 bis 5):

"Die gefundenen Ergebnisse [der Datenauswertung] sind in der vorliegenden Form in der Regel nur schwer weiter zu benutzen; sie müssen aufbereitet werden. Entweder werden sie für eine Steuerung in Eingangsparameter umgewandelt oder für einen Benutzer wird eine Präsentation erstellt, bei der Auffälligkeiten leicht zu erkennen sind."

4. Im Bescheid vom 3. Februar 2012 hat die Kammer ihre Bedenken bezüglich der erfinderischen Tätigkeit der Erfindung zum Ausdruck gebracht (s. Punkt IV oben).

5. Der Beschwerdeführer argumentiert zwar, dass eine produktionssteigernde Wirkung des Verfahrens auf verschiedensten technischen Gebieten möglich sei. Jedoch geben weder der Anspruch noch die Anmeldung als Ganze eine konkrete technische Anwendung an. Insbesondere thematisieren sie nicht eine Energie- oder Wärmegewinnung, weder generell noch in Bezug auf einen Informationsverarbeitungsprozess. Da die diesbezüglichen Ausführungen in der Bescheidserwiderung (s. Punkt V oben) sich nicht auf die ursprüngliche Offenbarung beziehen, geht die Kammer auf die Frage der Plausibilität jener Ausführungen nicht näher ein. Erwähnt sei nur, dass das in der Bescheidserwiderung behauptete Perpetuum Mobile grundsätzlich nicht geeignet ist, eine Energiegewinnung aus Informationsverarbeitung plausibel zu machen.

6. Die Kammer bleibt daher bei ihrer Ansicht, dass Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit erkennen lässt und somit die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 nicht erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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