T 0387/11 (Funkbasierte Fahrzeugkommunikation/DEUTSCHE TELEKOM) of 6.7.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T038711.20120706
Datum der Entscheidung: 06 Juli 2012
Aktenzeichen: T 0387/11
Anmeldenummer: 03001601.8
IPC-Klasse: H04L 12/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 242 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und System für die Informationsbereitstellung und Kommunikation in Fahrzeugen
Name des Anmelders: Deutsche Telekom AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention Art 108 (2007) Sent 3
European Patent Convention Art 122
European Patent Convention R 136
Schlagwörter: Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist - (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0007/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0017/16
J 0006/22
T 0970/12
T 0600/18
T 1049/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, zur Post gegeben am 8. September 2010, auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 03001601.8 aufgrund unzulässiger Erweiterung (Artikel 123(2) EPÜ). Folgender Stand der Technik wurde im erstinstanzlichen Verfahren genannt:

D1: WO-A-01/97433;

D2: WO-A-01/77877;

D3: WO-A-00/14987.

II. Die Beschwerdeschrift ging am 9. November 2010 ein. Die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 teilte die Geschäftsstelle der Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht begründet worden und sie daher gemäß Artikel 108 Satz 3 und Regel 101(1) EPÜ voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sei.

III. Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 teilte die Geschäftsstelle der Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht begründet worden und sie daher gemäß Artikel 108 Satz 3 und Regel 101(1) EPÜ voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sei.

IV. Mit Schriftsätzen vom 24. Februar 2011, eingegangen am 26. Februar 2011, beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung und begründete die Beschwerde sowie ihren Antrag auf Wiedereinsetzung. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am 16. März 2011 in voller Höhe entrichtet. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trug der Vertreter der Beschwerdeführerin Folgendes vor:

- eine interne Überprüfung der Kanzleiorganisation zeige, dass in den Fristenkalender als Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung der 17. Januar 2011 eingetragen wurde;

- am 26. Januar 2011 wurde erstmalig Kenntnis über das Fristversäumnis zur Einreichung der Beschwerdebegründung erlangt;

- die für die Fristüberwachung und sonstige Bürotätigkeit verantwortliche Mitarbeiterin hatte ihre Tätigkeit mit Wirkung vom 22. November 2010 in der Kanzlei beendet, so dass der Vertreter der Beschwerdeführerin, der als Einzelanwalt seine Tätigkeit ausübt, allein für die Einhaltung der Termine verantwortlich wurde;

- mit Wirkung vom 2. Januar 2011 wurde eine neue Mitarbeiterin für die kanzleitechnisch notwendigen Arbeiten eingestellt, die durch ihre langjährige Tätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei über einschlägige Kenntnisse in Bezug auf Fristüberwachung verfüge, aber zum Zeitpunkt des Fristversäumnisses noch nicht mit allen organisatorischen Einzelheiten bezüglich des kanzleiinternen Tätigkeitsfeldes und insbesondere hinsichtlich der Fristüberwachung vertraut war, so dass der Vertreter im Januar 2011 alleine für alle Termin- und Fristangelegenheiten zuständig war;

- durch den plötzlichen und überraschenden Tod der Mutter des Vertreters am 22. Dezember 2010 traten bei dem Vertreter starke psychische Belastungen u. a. im Zusammenhang mit der Bewältigung der organisatorischen Aufgaben zur Beisetzung der Verstorbenen auf, die dazu führten, dass er zunächst Anfang Januar 2011 gemäß ärztlichem Attest krankgeschrieben wurde und später im Januar 2011 erheblich in seiner Arbeits fähigkeit eingeschränkt war;

- der Vertreter der Beschwerdeführerin unterhält eine Ein-Mann-Kanzlei, in der Vorkehrungen zur Wahrung der Fristen im Krankheitsfall durch Inanspruchnahme der Hilfe eines Patentanwaltskollegen getroffen sind.

Zusammenfassend wurde geltend gemacht, dass die im Januar 2011 vorhandenen starken psychischen Belastungen des Vertreters sowie die noch nicht mögliche volle Unterstützung durch die neue Mitarbeiterin bei der Bewältigung der täglichen Aufgaben dazu führten, dass der Vertreter nicht in der Lage war, die notwendigen Vorkehrungen zur Einhaltung der Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung zu treffen. Zur Glaubhaftmachung wurden eine Sterbeurkunde und die Kopie der Todesanzeige dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügt sowie eine gutachterliche Stellungnahme durch den ärztlichen Betreuer über den Krankheitszustand des Vertreters im fraglichen Zeitraum eingereicht.

Mit der nachgereichten Beschwerdebegründung wurde zudem die Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags (Ansprüche 1 bis 8), hilfsweise auf der Grundlage eines ersten Hilfsantrags (Ansprüche 1 bis 8) bzw. eines zweiten Hilfsantrags (Ansprüche 1 bis 8) beantragt. Zusätzlich wurde hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.

V. Die Kammer hat mit der Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 28. Februar 2012 ihre vorläufige Meinung zum gestellten Wiedereinsetzungsantrag sowie zur Beschwerde mitgeteilt. Hierbei wurde zum einen angegeben, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung stattgegeben werden kann und zum anderen wurden Einwände gestützt auf die Artikel 123(2) EPÜ (bezüglich des ersten und zweiten Hilfsantrags), Artikel 84 EPÜ 1973 (bezüglich des zweiten Hilfsantrags), Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit 54 EPÜ 1973 (bezüglich aller vorliegenden Anträge) erhoben und die Gründe hierfür dargelegt.

VI. Mit Schreiben vom 6. Juni 2012 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag (Ansprüche 1 bis 8) und einen neuen Hilfsantrag (Ansprüche 1 bis 8) als neue Basis für eine beantragte Patenterteilung ein.

VII. Am 6. Juli 2012 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin als Reaktion auf die in der Verhandlung von der Kammer geäußerte Einschätzung, wonach auch der geänderte Anspruch 1 nicht klar sei, die vorliegenden Anspruchssätze durch den Anspruchssatz eines neu eingereichten und einzigen Hauptantrags (Ansprüche 1 bis 8) ersetzte. Alle vorliegenden Anträge wurden in der mündlichen Verhandlung erörtert.

Die Beschwerdeführerin beantragte in der Sache abschließend, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten einzigen Hauptantrags zu erteilen. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Informationsbereitstellung und Kommunikation in Fahrzeugen (1), nach welchem Insassen eines Fahrzeugs (1) der Zugriff auf Informationen und die Kommunikation durch ein im Fahrzeug (1) angeordnetes Informations- und Kommunikationssystem (2, 3, 3', 4, 4') ermöglicht wird, mit welchem sie mittels von ihnen mitgeführter elektronischer Daten- und Kommunikationsgeräte (5, 5'), wie Laptops, PDAs oder Mobilfunkgeräte, drahtlos über verteilt im Fahrzeug (1) angeordnete Systemzugangspunkte beziehungsweise Access Points (3, 3'), breitbandig kommunizieren, dadurch gekennzeichnet, dass das Informations- und Kommunikationssystem (2, 3, 3', 4, 4') den Insassen des Fahrzeugs den Zugriff auf lokale, von dem System (2, 3, 3', 4, 4') selbst bereitgestellte Informationen und die Kommunikation mit externen Kommunikationspartnern sowie die Nutzung externer Anwendungen und Dienste (6) ermöglicht, wobei die Daten bei der Nutzung eines externen Dienstes (6) in einem Server (2) des Systems (2, 3, 3', 4, 4') gepuffert und die mit sehr hohen Datenraten am Server (2) eingehenden Daten von diesem mit gegenüber diesen sehr hohen Datenraten verringerter Datenrate an den Nutzer weitergegeben werden und dass der Datenaustausch bei der Nutzung externer Dienste (6) entsprechend den Anforderungen des von einem Fahrzeuginsassen jeweils genutzten externen Dienstes (6) und der Verfügbarkeit der Funknetze (7, 7'), in welche Sende- und Empfangs-einheiten (4, 4') des Informations- und Kommunikations-systems (2, 3, 3', 4, 4') eingebucht sind, über unterschiedliche Funknetze (7, 7') erfolgt und wobei erforderlichenfalls auch während der Nutzung eines Dienstes (6) softwaregesteuert ein Wechsel zwischen diesen Funknetzen (7, 7') erfolgt."

Der unabhängige Anspruch 5 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"System (2, 3, 3', 4, 4') zur Informationsbereitstellung und Kommunikation in Fahrzeugen (1), welches aus einem in dem jeweiligen Fahrzeug (1) angeordneten Server (2), mindestens einer mit dem Server (1) verbundenen, über einen Zugang zu mindestens einem Funknetz (7, 7') verfügende Sende- und Empfangseinheit (4, 4') sowie mehreren ebenfalls mit dem Server (2) verbundenen, im Fahrzeug (1) verteilt angeordneten Systemzugangspunkte beziehungsweise Access Points (3, 3') besteht, wobei die Access Points (3, 3') jeweils über eine Schnittstelle für einen drahtlosen, vorzugsweise funkbasierten, breitbandigen Datenaustausch mit von den Fahrzeuginsassen mitgeführten elektronischen Daten- und Kommunikationsgeräten (5, 5'), wie Laptops, PDAs oder Mobilfunkgeräten, verfügen, dadurch gekennzeichnet, dass das System (2, 3, 3', 4, 4') den Fahrzeuginsassen, gesteuert durch eine auf dem Server (2) ablaufende Software, den Zugriff auf lokale, von dem System (2, 3, 3', 4, 4') selbst bereitgestellte Informationen und die Kommunikation mit externen Kommunikationspartnern sowie die Nutzung externer Anwendungen und Dienste (6) ermöglicht, wobei mindestens ein Server (2) des Systems (2, 3, 3', 4, 4') zur Pufferung bei der Nutzung externer Dienste (6) mit sehr hohen Datenraten am Server eingehender Daten und deren Weitergabe mit gegenüber diesen sehr hohen Datenraten verringerter Datenrate an den Nutzer ausgebildet ist und dass das System (2, 3, 3', 4, 4') jedem Nutzer einen Online-Zugang zum Internet zur Verfügung stellt, bei dem der Datenaustausch entsprechend den Anforderungen eines

von einem Fahrzeuginsassen genutzten externen Dienstes (6) und der Verfügbarkeit der Funknetze (7, 7'), in welche die Sende- und Empfangseinheiten (4, 4') des Systems (2, 3, 3', 4, 4') eingebucht sind, flexibel und gegebenenfalls auch während der Nutzung eines Dienstes (6) wechselnd, über Funknetze (7, 7'), wie GSM, GPRS, UMTS, dedizierte Netze, wie GSM-R oder Satellitennetze ermöglicht ist."

Entscheidungsgründe

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren lief gemäß Artikel 108 Satz 3 und Regel 126(2) EPÜ die Frist zur Begründung der gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 8. September 2010 eingelegten Beschwerde am 18. Januar 2011 ab.

1.1 Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags

Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Schriftsatz vom 24. Februar 2011 beantragt, hinsichtlich der Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wieder in den vorigen Stand eingesetzt zu werden.

Gemäß Artikel 122(2) Satz 1 und Regel 136(1) Satz 1 EPÜ ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses einzureichen. Wie aus dem Schriftsatz vom 24. Februar 2011 zu entnehmen ist, stellte der Vertreter der Beschwerdeführerin erst-malig am 26. Januar 2011 fest, dass die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist an diesem Tag eingetreten war.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Frage nach dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses eine Tatsachenfrage. Es kommt darauf an, bis zu welchem Zeitpunkt der Vertreter der Beschwerdeführerin tatsächlich gehindert war, die versäumte Handlung vorzunehmen (gemäß ständiger Rechtsprechung im Anschluss an J 7/82, ABl. EPA 1982, 391).

Als Zeitpunkt für den Wegfall des Hindernisses ist daher der 26. Januar 2011 anzusehen. Der am 26. Februar 2011 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag ist folglich rechtzeitig gestellt worden. Da der Antrag mit dem am 26. Februar 2011 eingegangenen Schriftsatz samt Beweismittel begründet wurde, die Beschwerdebegründung ebenfalls am 26. Februar 2011 einging sowie die Wiedereinsetzungsgebühr am 16. März 2011 vollständig entrichtet wurde, sind die Erfordernisse des Artikels 122(2) Satz 1 und Regel 136(1) Satz 1 und 3 sowie Regel 136(2) EPÜ ebenfalls erfüllt.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist somit zulässig.

1.2 Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags

Nach Artikel 122(1) EPÜ ist der Antrag begründet, wenn das Fristversäumnis trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt eingetreten ist. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat durch die Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme nachgewiesen, dass er Ende Dezember 2010 und im Januar 2011 durch den plötzlichen Tod seiner Mutter erheblich psychisch belastet war. Zusätzlich war der Vertreter nach dem Ausscheiden der einzigen für die Fristüberwachung und die sonstigen Bürotätigkeiten verantwortlichen Mitarbeiterin und während der Einarbeitung einer neuen Mitarbeiterin allein für alle Termin- und Fristan-gelegenheiten zuständig. Diese Situation dauerte von Ende November 2010 bis in den Januar 2011 an, d. h. zeitgleich mit dem Zeitraum, in dem die 4-Monatsfrist zur Einreichung der Beschwerdebegründung am 18. Januar 2011 ablief.

Es wurde glaubhaft dargelegt, dass der plötzliche und unvorhersehbare Trauerfall in diesem Zeitraum bei dem Betroffenen eine massive psychische Belastung ausgelöst hatte, die zur Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist führte. In Anbetracht dieser vorgebrachten und glaubhaft dargelegten Umstände ist die Kammer davon überzeugt, dass sich der Vertreter der Beschwerdeführerin in einer außergewöhnlichen Situation befand, die ihn daran gehindert hat, der fälligen Frist die nötige Aufmerksamkeit zu widmen und die für ihre Einhaltung erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.

Darüber hinaus hat der Vertreter ausgeführt, dass er eine Ein-Mann-Kanzlei führt und Vorkehrungen getroffen hatte, dass im Normalfall die Wahrung von Fristen im Falle seiner Verhinderung durch Krankheit durch Einspringen eines Kollegen sichergestellt war. Insofern hat der Vertreter organisatorische Maßnahmen getroffen, die dem Erfordernis "aller gebotenen Sorgfalt" Rechnung tragen.

Dem Antrag des Vertreters der Beschwerdeführerin, in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt zu werden, wird daher stattgegeben.

2. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdeschrift und auch die Beschwerdebegründung wurden folglich wirksam und fristgerecht eingereicht (siehe Punkt 1). Die Beschwerdegebühr wurde ebenfalls fristgerecht entrichtet. Somit erfüllt die Beschwerde die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 bzw. Regel 99 EPÜ und ist daher zulässig.

3. Artikel 52(1) EPÜ: Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Nach Beurteilung der Kammer ist der einzige Antrag (Hauptantrag) nicht gewährbar, da die Ansprüche 1 und 5 nicht die Erfordernisse des Artikels 52(1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973 erfüllen.

3.1 Die Kammer betrachtet Dokument D2 als den nächstliegenden Stand der Technik, da es wie die Erfindung auf eine funkbasierte Fahrzeug-Datenkommunikation gerichtet ist.

3.2 In Bezug auf den Wortlaut des Anspruchs 1 offenbart nun D2 ein Verfahren zur Informationsbereitstellung und Kommunikation in Fahrzeugen (viz., "vehicle"), nach welchem Insassen (viz., "user 114") eines Fahrzeugs der Zugriff auf Informationen und die Kommunikation durch ein im Fahrzeug angeordnetes Informations- und Kommuni-kationssystem (siehe Fig. 1: "vehicle server 110"; Fig. 3: "network server unit 302") ermöglicht wird (siehe z. B. Fig. 1), mit welchem sie mittels von ihnen mitgeführter elektronischer Daten- und Kommunikations-geräte (siehe z. B. Fig. 3: "wireless terminal 316") drahtlos über verteilt im Fahrzeug angeordnete Systemzugangspunkte (siehe z. B. Fig. 3: "wireless unit 314" und Seite 7, Zeilen 15-22) breitbandig kommunizieren (siehe Seite 4, Zeilen 22-24: "... Users 114 ... suitably send and receive e-mail by communicating with vehicle server 110 ...").

Darüber hinaus stellt der Fahrzeugserver ("vehicle server 110"; "network server unit 302") gemäß D2 lokale, von dem System selbst bereitgestellte Informationen (wie z. B. Hilfe- bzw. Auswahloptionen) bereit und ermöglicht den Insassen des Fahrzeugs durch das Verschicken dieser Informationen auch den Zugriff auf diese lokalen Daten (siehe z. B. Seite 12, Zeilen 8-11: "... server 302 suitably sends e-mail messages to user 114 ... providing help options to user 114, and providing options ... for selecting in-box headers to be offered ..."). Zudem ermöglicht das System hier auch die Kommunikation mit externen Kommunikationspartnern (wie z. B. mit E-Mail-Empfängern; siehe Fig. 5, Schritt 512 und Seite 13, Zeilen 14-25) sowie die Nutzung externer Anwendungen und Dienste (wie z. B. E-Mail Dienste; siehe Seite 11, Zeilen 16-17: "... E-mail messages are obtained via mail server 202 from user 114's home mail server 102 ...").

Gemäß D2 findet auch ein Datenaustausch bei der Nutzung externer Dienste statt (siehe z. B. die Empfangs- und Sendeverfahren für E-Mail-Nachrichten in Fig. 4 und Fig. 5). Da hierbei nun nach der Lehre von D2 unterschiedliche Kommunikationsarten für den Datenaustausch ausgewählt werden und diese Kommunikationsarten auch verschiedene drahtlose Netze (wie z. B. Satelliten- bzw. UHF/VHF-Netze) umfassen können (siehe Seite 9, Zeilen 13-18: "... communication modes for transporting data between vehicle server 110 and ground server 106 and vice versa include Gatelink Data Communications ... satellite communications, UHF/VHF communications to ground-based antennas connected to the ... NATS ... network, and others ..."), ist davon auszugehen, dass der Datenaustausch über solche unterschiedlichen Funknetze erfolgt.

Die Auswahl dieser Funknetze hängt nun auch in D2 von den Anforderungen des von einem Fahrzeuginsassen jeweils genutzten externen Dienstes und der Verfügbarkeit der Funknetze ab (siehe Seite 4, Zeile 30 bis Seite 5, Zeile 3: "... In determining how to connect to ground server 106, vehicle server 110 may consider selection criteria such as ... the urgency of the data, geographic location, data type ... These and similar selection criteria suitably assist in selecting an appropriate communication mode ..."). Überdies verdeutlicht beispielsweise Fig. 3, dass gemäß D2 in diese Funknetze auch die entsprechenden Kommunikations-schnittstellen des Fahrzeugservers, also dessen Sende- und Empfangseinheiten ("interface 308A"; "interface 308B"), eingebucht sind.

Zusätzlich lehrt D2, dass der über einen Optimierungs-algorithmus ermittelte "communication mode" für den Datenaustausch zwischen Fahrzeuginsassen und einem externen Dienst von Auswahlkriterien wie geographischer Fahrzeugposition bzw. der Netzbandbreitenverfügbarkeit abhängt (siehe z. B. Seite 4, Zeile 30 bis Seite 5, Zeile 1; Seite 9, Zeilen 3-7; Ansprüche 8 bis 10). Demnach müsste im Falle einer signifikanten Positions-änderung des Fahrzeugs während der Nutzung des E-Mail-Dienstes gegebenenfalls auch ein anderer "communication mode", d. h. ein anderes Funknetz, ausgewählt werden. Folglich kann auch hier - im Sinne des Anspruchs 1 - während der Nutzung eines Dienstes ein automatischer Wechsel zwischen verschiedenen Funknetzen erfolgen. Dieser Interpretation wurde von Seiten der Beschwerdeführerin auch nicht widersprochen.

3.3 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung von D2 darin, dass die mit einer sehr hohen Datenrate eingehenden Daten am Server gepuffert und mit gegenüber diesen sehr hohen Datenraten verringerter Datenrate an den Nutzer weitergegeben werden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu gegenüber dem Stand der Technik (Artikel 54 EPÜ 1973).

3.4 Das obige Unterschiedsmerkmal wurde in der mündlichen Verhandlung in die unabhängigen Ansprüche aufgenommen, um klarzustellen, gegenüber welcher Bezugsgröße die Datenrate tatsächlich verringert werden soll (vgl. Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung, Abschnitt 6.2).

Hiermit soll gemäß der Anmeldung die technische Wirkung erreicht werden, bei der Nutzung der externen Dienste eventuell auftretende Funkunterbrechungen vor dem Nutzer zu verbergen (vgl. Seite 5, Zeilen 3-11 der ursprünglich eingereichten Beschreibung). Hieraus würde nach Ansicht der Beschwerdeführerin der Fachmann zweifelsfrei entnehmen, dass die zu lösende objektive Aufgabe darin bestünde, "bei der Nutzung eines externen Dienstes einen kontinuierlichen Eingang von Daten am Endgerät des Nutzers auch dann sicherzustellen, wenn für einen gewissen Zeitraum aufgrund einer Unterbrechung der Funkverbindung mit der eigentlichen externen Datenquelle beim Fahrzeug, d. h. beim Server des erfindungsgemäßen Systems, keine Daten eingehen" (vgl. Seite 4, Abschnitt III des Antwortschreibens vom 6. Juni 2012).

Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass eine derart spezifische objektive Aufgabe hier nicht angemessen erscheint, da die auf dem Unterschiedsmerkmal basierende Maßnahme im Falle eines aufgebrauchten Datenpuffers (z. B. bei längeren Funkunterbrechungen) einen kontinuierlichen Dateneingang beim Endgerät des Nutzers nicht gewährleisten kann, d. h. mit einer solchen Lösung unter bestimmten Umständen die gewünschte Wirkung nicht garantiert wird.

3.5 Nach Ansicht der Kammer besteht die durch den Gegenstand des Anspruchs 1 zu lösende objektive Aufgabe vielmehr darin, eine temporäre Überlastung und damit verbundene Datenverluste bei den Endgeräten der Fahrzeuginsassen im betrachteten Kommunikationssystem generell zu verhindern.

3.6 Der Fachmann wüsste nun zum betreffenden Prioritäts-zeitpunkt, dass gängige mobile Endgeräte aufgrund ihrer eingeschränkten Prozessorleistungen und Speicherkapazitäten übermäßig hohe ("sehr hohe") Datenraten nicht verarbeiten konnten. Ausgehend von D2, wonach bei den vom Server ausgehenden Daten bereits eine Übertragungs-anpassung mittels einer Zwischenpufferung und einer Datenkompression zur Optimierung der entstehenden Verbindungskosten bei einer funkbasierten Daten-kommunikation vorgenommen wird (siehe Seite 9, Zeilen 1-11: "... network server unit 302 may queue outgoing e-mail messages ... e-mail protocols are not typically designed for wireless communications because, for example, they ... typically have smaller bandwidth ... network server 302 may suitably overcome these weak-nesses by compressing ... data prior to transfer ..."), würde der mit der objektiven Aufgabe konfrontierte Fachmann auch für die beim Server eingehenden und an die Nutzer weiterzugebenden Daten eine Anpassung der zu übertragenden Datenmenge pro Zeiteinheit vorsehen, um die mobilen Endgeräte nicht zu überlasten.

Unabhängig davon, ob eine Datenkompression - mangels einer genauen Angabe im Anspruch 1 über die betrachtete Netto-Datenmenge bzw. Zeiteinheit - bei breiter Auslegung einer verringerten Datenrate entspricht oder nicht, käme jedoch eine solche Datenkompression wie auf der Ausgangsseite gemäß D2 für den Fachmann nicht in Frage, da der Server hierbei für alle gegenwärtig im Fahrzeug befindlichen Endgeräte mit einem unvertretbaren Aufwand vorab in Erfahrung bringen müsste, ob das jeweilige Endgerät eine Dekompression vornehmen kann bzw. es den der Kompression am Server entsprechenden Dekompressionsalgorithmus auch unterstützt. Daher würde der Fachmann prinzipiell nur zwei Möglichkeiten für eine Übertragungsanpassung ins Auge fassen, nämlich entweder eine statische oder eine dynamische Datenratenanpassung.

Eine dynamische Datenratenanpassung wäre wiederum auch mit einem immensen Verwaltungsaufwand verbunden, weil für jeden gerade im Fahrzeug anwesenden Nutzer die jeweilig unterstützte Datenrate seines Endgeräts abgefragt und gespeichert werden müsste, um aufgrund dieser Information dann die passende Datenrate entsprechend einzustellen bzw. bei einer ermittelten Überlastung eines Endgeräts eine Reduktion der Datenrate mittels einer aufwändigen Signalisierung zwischen dem Endgerät und dem Server zu veranlassen.

Folglich würde der Fachmann auf dem Gebiet der funk-basierten Datenkommunikation gemäß seinem allgemeinen Fachwissen nur eine statische Datenratenanpassung als probateste Maßnahme zur Lösung der objektiven Aufgabe betrachten, mittels derer eine "sehr hohe" eingehende Datenrate über eine Zwischenpufferung in eine niedrigere (d. h. geringere als "sehr hohe") Datenrate umgesetzt wird bzw. bei der eine konstant "niedrige" Datenrate für die Datenübertragung vom Server zu den Endgeräten eingestellt wird. Eine solche abgesenkte Datenrate würde praktischerweise so gewählt werden, dass die zum Prioritätszeitpunkt allgemein üblichen Endgeräte nicht überlastet und somit auch keine Datenverluste verursacht werden.

Mit einer derartigen statischen Lösung würde auch ein weitaus geringerer technischer Aufwand einhergehen als mit den anderen möglichen Maßnahmen. Die Anwendung solcher statischen Datenratenanpassungen für Endgeräte mit geringerer Leistungsfähigkeit ist dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt der Anmeldung zuzurechnen, wie es sich beispielsweise mit D1 belegen lässt (siehe z. B. D1, Seite 7, Zeilen 15-19 und Seite 8, Zeilen 12-16).

3.7 Die obige Merkmalsanalyse und Argumentationskette in Bezug auf Anspruch 1 gilt mutatis mutandis auch für den hierzu korrespondierenden unabhängigen Anspruch 5, wobei D2 auch vorwegnimmt, dass das System "jedem Nutzer einen Online-Zugang zum Internet zur Verfügung stellt" (siehe z. B. Seite 5, Zeilen 13-14).

3.8 Somit beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973).

3.9 Die Beschwerdeführerin versuchte hinsichtlich des in den unabhängigen Ansprüchen enthaltenen Ausdrucks "während der Nutzung eines/des Dienstes", einen technischen Unterschied zwischen "noch andauernder Nutzung eines Dienstes" und "wiederholter Nutzung desselben Dienstes" herauszuarbeiten (vgl. Seite 7, erster Absatz der Beschwerdebegründung), um den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche von den Ausführungs-beispielen des D2 entsprechend abzugrenzen.

Der in den unabhängigen Ansprüchen verwendete Ausdruck "während der Nutzung eines Dienstes" lässt aber nach Auffassung der Kammer keine Rückschlüsse auf den zeitlichen Beginn und das Ende einer solchen Nutzung (wie z. B. über Zeitpunkte des Verbindungsauf- bzw. abbaus) zu und ist daher sehr breit auszulegen. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass allein die Registrierung für einen bestimmten Dienst im Allgemeinen schon als "Nutzung" dieses Dienstes aufgefasst werden kann.

3.10 Die Prüfungsabteilung vertrat im Obiter Dictum der Zurückweisungsentscheidung die Auffassung, dass die Ermöglichung des Zugriffs auf lokale, vom System selbst bereitgestellte Informationen mittels von ihnen mitgeführter Geräte nicht in D2 offenbart sei.

In dieser Frage bestreitet die Beschwerdeführerin nicht die Ansicht der Kammer, dass das Senden von zwischen-gespeicherten E-Mail-Nachrichten, Hilfe- und Auswahl-optionen vom Fahrzeugserver ("vehicle server") an die Fahrzeuginsassen gemäß D2 (siehe Seite 12, Zeilen 8-11) jedoch durchaus mit dem Zugriff auf lokale, selbst bereitgestellte Informationen des betrachteten Fahrzeugsystems gleichgesetzt werden kann, so dass auch dieses Merkmal (wie oben in Punkt 3.2 ausgeführt) als vorweggenommen gilt.

3.11 Die Beschwerdeführerin brachte zudem vor, dass die in den unabhängigen Ansprüchen angegebene Lösung im Gegensatz zu den Offenbarungen von D2 bzw. D1 keine aufwändige Flusskontrolle, wonach bei Überlastung der Endgeräte durch Übermittlung eines Steuersignals die Reduktion der Datenrate veranlasst werde, umfasse.

Dieser Ansicht kann die Kammer nicht folgen, da zum einen dem Wortlaut der unabhängigen Ansprüche nicht zu entnehmen ist, dass hierbei keine herkömmliche Fluss-kontrolle bei der Festlegung der verringerten Datenrate anzuwenden sei und zum anderen weder D2 noch D1 die Anwendung eines komplexen, auf der Übermittlung von Steuersignalen basierenden Flusskontrollverfahrens lehren.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation