T 0280/11 () of 1.7.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T028011.20140701
Datum der Entscheidung: 01 Juli 2014
Aktenzeichen: T 0280/11
Anmeldenummer: 98106894.3
IPC-Klasse: B60T 8/26
B60T 13/66
B60T 13/68
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeugs
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention Art 112(1)(a) (2007) Sent 1
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention R 101(1)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerden (Ja)
Befassung der Grossen Beschwerdekammer mit einer Frage grundsätzlicher Bedeutung (Nein)
Unzulässige Erweiterung - alle Anträge (Ja)
Zulassung weiterer Anträge in das Verfahren - Hilfsanträge 682 - 685 (Nein)
Nochmalige Unterbrechung der Verhandlung zur Ausarbeitung weiterer Hilfsanträge (Nein)
Orientierungssatz:

Die Patentinhaberin, die im schriftlichen Verfahren eine sehr hohe Anzahl von Anträgen (einen Hauptantrag und 681 Hilfsanträge, davon 454 erst drei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht), sowie während der mündlichen Verhandlung weitere (vier) Hilfsanträge vorlegt, muss damit rechnen, dass ein relevanter Teil der zur Verfügung stehenden Zeit am Verhandlungstag alleine zur organisatorischen Bewältigung der (insgesamt 686) Anträge benötigt wird. Nachdem diese Anträge in der mündlichen Verhandlung diskutiert und zurückgewiesen, bzw. (die neuen Hilfsanträge 682 bis 685) nach ausführlicher Diskussion nicht in das Verfahren zugelassen wurden, kann die Patentinhaberin billigerweise nicht erwarten, dass am Spätnachmittag des Verhandlungstages eine erneute Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zur Ermöglichung der Ausarbeitung und Vorlage von weiteren Anträgen gewährt wird (siehe Nr. 5.5 der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/98
J 0005/81
J 0017/12
T 0220/83
T 0213/85
T 0162/90
T 0921/91
T 0727/98
T 0520/01
T 1875/07
T 1634/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0885 793 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten.

Die Einspruchsabteilung hat das Patent im Umfang des Hilfsantrags 4 aufrechterhalten. Dabei wies die Einspruchsabteilung den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 2 wegen mangelnder Neuheit und den Hilfsantrag 3 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurück.

Gegen diese Entscheidung haben die Patentinhaberin und die Einsprechende Beschwerden eingelegt.

II. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und 14 Hilfsanträge eingereicht. Mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Einsprechende hat sie weitere Hilfsanträge, nämlich die Hilfsanträge 15 bis 26, eingereicht. Diese Anträge hat sie alle mit Schreiben vom 13. August 2012 zurückgenommen und ersetzt durch einen Hauptantrag und eine Anzahl von - wie sie später darlegte - 227 Hilfsanträgen gemäß Ziffern 2 bis 25 dieses Schreibens.

III. In einem Bescheid gemäß Artikel 15 (1) Verfahrens­ordnung der Beschwerdekammern des EPA (VOBK) stellte die Kammer u.a. die Entscheidung der Einspruchs­abteilung dahingehend in Frage, ob die Erwähnung der Anhängermasse in Paragraph [0060] der Beschreibung die Grundlage für eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der technischen Information darstellt, dass unter einer Fahrzeugmasse die Zugfahrzeugmasse zu verstehen ist.

Darüber hinaus wies die Kammer darauf hin, dass das Merkmal c) der unabhängigen Ansprüche eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung zu enthalten schien, da in der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen dieses Merkmal u.a. in Kombination mit dem Merkmal der taktweise Erhöhung des Verknüpfungssignals offenbart war.

Des Weiteren bemängelte die Kammer die Vielzahl von Hilfsanträgen und die Tatsache, dass sie in einer großen Anzahl dieser Hilfsanträge selbst redaktionell hätte tätig werden müssen, da diese sich wiederum auf andere Hilfsanträge beziehen, in denen Ansprüche zu streichen oder ersetzen sind.

IV. Mit Schreiben vom 25. Juni 2014 (am EPA eingegangen um 17.22 Uhr) reichte die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin eine Tabelle, aus der die Reihenfolge der (bereits bisher 228) Anträge ersichtlich ist, sowie zwei weitere Sätze von je 227 Hilfsanträgen (Hilfsanträge der Antragspositionen 27 und 28) ein.

V. Am 1. Juli 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, gemäß dem Hauptantrag vom 13. August 2012 oder gemäß einem der in Ziffern 2 bis 25 (Schriftsatz vom 13. August 2012) oder 27 oder 28 (beide mit Schriftsatz vom 25. Juni 2014) formulierten Hilfsanträge, wobei sich die Reihenfolge der in diesen Ziffern 2 bis 25 formulierten 227 Hilfsanträgen aus der als Anlage zum Schriftsatz vom 25. Juni 2014 eingereichten Tabelle ergibt.

Sollten diese nicht zum Erfolg führen, mögen die jeweils 227 Hilfsanträge mit der Ergänzung gemäß Ziffer 27 und weiter hilfsweise mit der gemäß Ziffer 28 (beide eingereicht mit Schreiben vom 25. Juni 2014) geprüft werden.

Die Einsprechende / Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Nach der Diskussion des Hauptantrags und der - nach einer Beratungsunterbrechung der Kammer - geäußerten vorläufigen Einschätzung der Kammer, dass dem Hauptantrag der Artikel 123(2) EPÜ entgegensteht und dass dieser Mangel offenbar auch alle 681 Hilfsanträge erfasst, legte die beschwerdeführende Patentinhaberin neue Anträge gemäß den Ziffern 29 bis 32 vor, die als weitere vier Hilfsanträge nach den oben genannten insgesamt 682 Anträgen gestellt werden.

VI. Nach Unterbrechung der Verhandlung mit Beratung der Kammer und der Verkündung der Einschätzung der Kammer, dass die neu vorgelegten Anträge mit den Ziffern 29 bis 32 nicht in das Verfahren zuzulassen seien, rügte die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin zunächst, es sei ihr das Wort abgeschnitten worden und machte sodann, nach erneuter Erteilung des Wortes weitere Ausführungen zur Zulassung der Hilfsanträge. Nachdem die Kammer diese nach Diskussion mit den Parteien und Beratung erneut abgelehnt hatte, rügte die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin erneut die Verfahrensführung der Kammer und beantragte eine Unterbrechung der Verhandlung, damit sie weitere Hilfsanträge vorbereiten könne. Nach einer Beratungspause der Kammer von 16.45 Uhr bis 17.00 Uhr und der Verkündung der Entscheidung, keine weitere Gelegenheit zur Formulierung neuer Anträge zu geben, bestätigte die beschwerdeführende Patentinhaberin ihre schriftlich vorgelegte Rüge gemäß Regel 106 EPÜ mit folgendem Wortlaut:

"Der Vorsitzende und der 1. Berichterstatter schnitten dem Vertreter der Patentinhaberin mehrfach das Wort und der Vorsitzende verkündete sofort darauf hin, dass alle Anträge zurückgewiesen würden.

Der Vertreter der Patentinhaberin wollte jedoch in Ansehung der Ausführung der Kammer zu neuen Einwänden der Kammer nach Art 123(2) EPÜ, die erfolgt waren, obwohl in den zuvor eingereichten neuen Anträgen gem. Positionen 29-32 vollumfänglich den davor von der Kammer genannten Bedenken Rechnung getragen wurde, geänderte Ansprüche im Hinblick auf die neuen Einwände einreichen. Insofern konnte die Patent­inhaberin nicht mehr auf den Verhandlungs­verlauf reagieren.

Die Rüge betrifft daher Art 112a (2) a) und d)"

VII. Des Weiteren beantragten die beschwerdeführende Einsprechende und die beschwerdeführende Patentinhaberin die jeweils andere Beschwerde als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet abzuweisen.

Die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin beantragte für den Fall, dass sich die Kammer ihrer Auffassung zur Zulässigkeit nicht anschließen kann, die Vorlage der folgenden Frage an die Große Beschwerdekammer:

"Steht es im Ermessen der Beschwerdekammer, eine Beschwerde, in deren Beschwerdebegründung keine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung stattfindet (vgl. T213/85) und/oder der Beschwerdeführer seine Argumente nicht so deutlich und genau vorgetragen hat, dass die Beschwerdekammer und die Patentinhaberin ohne eigene Ermittlungen unmittelbar verstehen können, warum die angefochtene Entscheidung falsch sein soll (vgl. T220/83) und dabei der Beschwerdeführer nicht dargelegt hat, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist, entgegen R 101 (1) i.V.m. R 99 (2) EPÜ die Beschwerde als nicht unzulässig zu verwerfen?"

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (sogenannter unabhängiger Anspruch Block A):

Verfahren zur Abbremsung eines eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeugs, das keinen Anhänger aufweist, oder eines Fahrzeugzugs, der von einem als Zugfahrzug eingerichteten, eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeug und wenigstens einem an das Fahrzeug angekoppelten Anhänger gebildet ist, mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten[PG2] Bremse (15 bzw. 8),

a) welches durch ein vom Fahrer erzeugtes Verzögerungs­anforderungs­signal (SZsoll) gestartet wird,

b) in dem der Bremse (15 bzw. 8) Zuspannenergie derart zugeführt wird, dass ein dadurch bewirktes Ist- Verzögerungssignal (SZist) sich dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) angleicht,

c) in dem als Lastsignal ein Verknüpfungssignal (SV) herangezogen wird,

- wobei in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse eine Abweichung des Ist- Verzögerungssignals (SZist) vom Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) festgestellt und in diesem Fall der bei vorangegangenen Bremsbetätigungen ermittelte und gespeicherte Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht oder verringert wird

- und wobei der Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht wird, wenn sich die Fahrzeugmasse vergrößert, und der Wert des Verknüpfungssignals (SV) verringert wird, wenn sich die Fahrzeugmasse verringert,

d) und in dem die Zuspannenergie als Funktion des Verzögerungsanforderungssignals (SZsoll) sowie dieses Lastsignals bemessen wird, wobei das Verknüpfungs­signal (SV) das Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) und die zugeordnete Bremskraft (Bv) verknüpft,

e) wobei als Ist-Verzögerungssignal (SZist) die Differenz (SZistM - SZist0) zwischen dem momentanen Ist-Verzögerungssignals (SZistM) und einem eine beim Start des Verfahrens vorhandene Anfangsverzögerung (SZist0) abbildenden Anfangs-Verzögerungssignal (SZist0) herangezogen wird.

IX. Der unabhängige Anspruch 10 des Hauptantrags lautet wie folgt (sogenannter unabhängiger Anspruch Block B):

Verfahren zur Abbremsung eines eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeugs, das keinen Anhänger aufweist, oder eines Fahrzeugzugs, der von einem als Zugfahrzug eingerichteten, eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeug und wenigstens einem an das Fahrzeug angekoppelten Anhänger gebildet ist, mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten Bremse (15 bzw. 8),

a) welches durch ein vom Fahrer erzeugtes Verzögerungs­anforderungs­signal (SZsoll) gestartet wird,

b) in dem der Bremse (15 bzw. 8) Zuspannenergie derart zugeführt wird, dass ein dadurch bewirktes Ist- Verzögerungssignal (SZist) sich dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) angleicht,

c) in dem als Lastsignal ein Verknüpfungssignal (SV) herangezogen wird,

- wobei in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse eine Abweichung des Ist- Verzögerungssignals (SZist) vom Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) festgestellt und in diesem Fall der bei vorangegangenen Bremsbetätigungen ermittelte und gespeicherte Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht oder verringert wird

- und wobei der Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht wird, wenn sich die Fahrzeugmasse vergrößert, und der Wert des Verknüpfungssignals (SV) verringert wird, wenn sich die Fahrzeugmasse verringert,

d) und in dem die Zuspannenergie als Funktion des Verzögerungsanforderungssignals (SZsoll) sowie des Lastsignals bemessen wird, wobei das Verknüpfungs­signal (SV) das Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) und die zugeordnete Bremskraft (Bv) verknüpft,

e) wobei das Fahrzeug als Zugfahrzeug zur Koppelung mit wenigstens einem Anhänger mit einer durch ein in dem Zugfahrzeug erzeugten Anhänger-Steuersignal (SAH) gesteuerten Anhängerbremsanlage eingerichtet ist

f) und wobei das Anhänger-Steuersignal (SAH) nach dem Produkt aus dem Verknüpfungssignal (SV) und dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) bemessen wird.

X. Der unabhängige Anspruch 18 des Hauptantrags lautet wie folgt (sogenannter unabhängiger Anspruch Block C'):

Verfahren zur Abbremsung eines eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeugs, das keinen Anhänger aufweist, oder eines Fahrzeugzugs, der von einem als Zugfahrzug eingerichteten, eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeug und wenigstens einem an das Fahrzeug angekoppelten Anhänger gebildet ist, mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten Bremse (15 bzw. 8),

a) welches durch ein vom Fahrer erzeugtes Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) gestartet wird,

b) in dem der Bremse (15 bzw. 8) Zuspannenergie derart zugeführt wird, dass ein dadurch bewirktes Ist- Verzögerungssignal (SZist) sich dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) angleicht,

c) in dem als Lastsignal ein Verknüpfungssignal (SV) herangezogen wird,

- wobei in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse eine Abweichung des Ist- Verzögerungssignals (SZist) vom Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) festgestellt und in diesem Fall der bei vorangegangenen Bremsbetätigungen ermittelte und gespeicherte Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht oder verringert wird

- und wobei der Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht wird, wenn sich die Fahrzeugmasse vergrößert, und der Wert des Verknüpfungssignals (SV) verringert wird, wenn sich die Fahrzeugmasse verringert,

d) und in dem die Zuspannenergie als Funktion des Verzögerungsanforderungssignals (SZsoll) sowie dieses Lastsignals bemessen wird, wobei das Verknüpfungs­signal (SV) das Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) und die zugeordnete Bremskraft (Bv) verknüpft,

e) wobei während einer Bremsbetätigung bei von dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) abweichenden Ist-Verzögerungssignal (SZist) ein Hilfssignal (SR) geändert wird, wobei die Bremskraft (Bv) nach dem Produkt aus dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) und diesem Hilfssignal (SR) bemessen wird und wobei das Verknüpfungssignal (SV) nur nach Abschluss der Bremsbetätigung, d.h. nicht während einer Bremsbetätigung, nach einem Wert des Hilfssignals (SR) aktualisiert wird.

XI. Der unabhängige Anspruch 26 des Hauptantrags lautet wie folgt (sogenannter unabhängiger Anspruch Block D'):

Verfahren zur Abbremsung eines eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeugs, das keinen Anhänger aufweist, oder eines Fahrzeugzugs, der von einem als Zugfahrzug eingerichteten, eine Fahrzeugmasse aufweisenden Fahrzeug und wenigstens einem an das Fahrzeug angekoppelten Anhänger gebildet ist, mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten Bremse (15 bzw. 8),

a) welches durch ein vom Fahrer erzeugtes Verzögerungs­anforderungs­signal (SZsoll) gestartet wird,

b) in dem der Bremse (15 bzw. 8) Zuspannenergie derart zugeführt wird, dass ein dadurch bewirktes Ist- Verzögerungssignal (SZist) sich dem Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) angleicht,

c) in dem als Lastsignal ein Verknüpfungssignal (SV) herangezogen wird,

- wobei in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse eine Abweichung des Ist- Verzögerungssignals (SZist) vom Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) festgestellt und in diesem Fall der bei vorangegangenen Bremsbetätigungen ermittelte und gespeicherte Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht oder verringert wird

- und wobei der Wert des Verknüpfungssignals (SV) erhöht wird, wenn sich die Fahrzeugmasse vergrößert, und der Wert des Verknüpfungssignals (SV) verringert wird, wenn sich die Fahrzeugmasse verringert,

d) und in dem ferner die Zuspannenergie als Funktion des Verzögerungsanforderungssignals (SZsoll) sowie dieses Lastsignals bemessen wird, wobei das Verknüpfungs­signal (SV) das Verzögerungsanforderungssignal (SZsoll) und die zugeordnete Bremskraft (Bv) verknüpft,

e) wobei während einer Annäherung der Bremse (15 bzw. 8) bzw. einer der Bremsen (15,8) an ihre Belastungsgrenze das Verknüpfungssignal (SV) konstant gehalten wird, wobei diese Belastungsgrenze derart definiert ist, dass bei Annäherung an die Belastungsgrenze ein Nachlassen der Bremswirkung eintritt.

XII. Alle unabhängigen Ansprüche der 227 Hilfsanträge (Antragspostionen 2 bis 25), eingereicht mit Schreiben vom 13. August 2012 haben bis einschließlich Merkmal c) denselben Anspruchswortlaut.

XIII. Die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge gemäß Antragsposition 27 unterscheiden sich von den unabhängigen Ansprüchen des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal

mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten Bremse (15 bzw. 8),

lautet:

wobei das Fahrzeug wenigstens eine durch Zuspannenergie betätigte Bremse (15 bzw. 8) aufweist,

Alle unabhängigen Ansprüche der 227 Hilfsanträge der Antragsposition 27, eingereicht am 25. Juni 2014 haben bis einschließlich Merkmal c) denselben Anspruchswortlaut.

XIV. Die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge gemäß Antragsposition 28 unterscheiden sich von den unabhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge gemäß Antragsposition 27 dadurch, dass das Merkmal c) einen weiteren, dritten Spiegelstrich aufweist:

- wobei eine Steuerelektronik (3) den Wert des Verknüpfungssignals (SV) von Takt zu Takt stufenweise bis auf einen Wert erhöht, bei dem eine Vorderachs-Bremskraft eine Bremsverzögerung (Zist) erbringt,

Alle unabhängigen Ansprüche der 227 Hilfsanträge der Antragsposition 28, eingereicht am 25. Juni 2014 haben bis einschließlich Merkmal c) denselben Anspruchswortlaut.

XV. Die Argumente der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin - soweit entscheidungserheblich - lauten wie folgt:

Unzulässigkeit der Beschwerden

Die Beschwerde der Einsprechenden sei als unzulässig zu verwerfen, da sie sich nicht mit den tragenden Gründen der Entscheidung der Einspruchsabteilung auseinandersetze (vgl. T0213/85). Dabei müsse der Beschwerdeführer seine Argumente so deutlich und genau vorbringen, dass die Kammer und die weiteren Parteien ohne eigene Ermittlungen unmittelbar verstehen könnten, warum die angefochtene Entscheidung falsch sein solle (vgl. T0220/83). An keiner Stelle der Beschwerde­­begründung sei aber ausgeführt, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung fehlerhaft sei. Eine Auseinandersetzung lediglich mit den Dokumenten, die in der Entscheidung genannt worden seien, reiche dazu nicht aus.

Die Beschwerde der Patentinhaberin sei indes zulässig. Die Anspruchsfassungen, die nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung gewesen seien, stellten eine Reaktion der Patentinhaberin auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung dar.

Vorlage an die Große Beschwerdekammer

Des Weiteren werde beantragt - für den Fall, dass die Kammer zu dem Schluss kommt, die Beschwerde der Einsprechenden nicht als unzulässig zu verwerfen - der großen Beschwerdekammer die oben wiedergegebene Frage zur Klärung vorzulegen. Damit solle geklärt werden, ob die Kammer berechtigt sei, von der gefestigten Rechtsprechung betreffend die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung aufzustellenden Mindestanforderungen an die Begründung einer Beschwerde abzuweichen.

Unzulässige Erweiterung

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags sei nicht unzulässig erweitert. So beziehe sich die Beschreibung des Streitpatents bis zum Paragraphen [0053] auf ein Fahrzeug mit einer Fahr­zeug­masse m, vgl. beispielsweise Paragraph [0032]. Diese Fahrzeugmasse beschreibe die Masse des in den Formeln (I) bis (VIIb) betrachteten Fahrzeugs, nämlich eines Fahr­zeugs ohne Anhänger. Ab Paragraph [0054] seien Ausführungs­formen mit einem Anhänger beschrieben. Ab diesem Punkt in der Beschreibung werde klar und unmiss­verständlich von einer Fahrzeugmasse und einer Anhänger­masse gesprochen, vgl. z.B. Seite 7, Zeile 8 des Streit­patents. Somit ergebe sich für die Zuordnung des Merkmals Fahrzeugmasse zum Zugfahrzeug in den unabhängigen Ansprüchen eine eindeutige und unmittelbare Lehre in der ursprünglichen Offenbarung des Streitpatents.

Ebenfalls liege keine unzulässige Zwischenver­allgemeinerung vor. Dabei sei es für die Unzulässigkeit der Zwischenverallgemeinerung gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern relevant, ob durch die Zwischenverallgemeinerung weitere, nicht in der ursprünglich eingereichten Offenbarung vorhandene, technische Information gegeben werde. Dies sei mit Bezug auf das Merkmal c) der unabhängigen Ansprüche nicht der Fall, welches definiere, dass das Verknüpfungssignal SV erhöht bzw. erniedrigt werde, wenn sich die Fahrzeugmasse erhöhe bzw. erniedrige. Insbesondere sei die taktweise Erhöhung bzw. die Erniedrigung kein strukturelles oder funktionales Merkmal. Die taktweise Veränderung sei im Ausführungsbeispiel zwar so beschrieben, könne aber schon deshalb für den Fachmann keine Beschränkung darstellen, da der erteilte Anspruch 2 ohne Bezug auf den Takt definiere, dass während der Bremsbetätigung bei von dem Verzögerungs­anforderungs­signal abweichendem Ist-Verzögerungssignal das Verknüpfungssignal geändert wird. Dieser Anspruch bilde daher in allgemeiner Form das Merkmal c) der vorliegenden unabhängigen Ansprüche ab und lasse ebenfalls offen, auf welche Art dies geschehe. Der Fachmann könne damit unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass auch bei einer Konkretisierung des Merkmals c) offen bleiben könne, wie eine technische Realisierung aussehe; insbesondere sei die Erfindung nicht auf eine taktweise Erhöhung oder Erniedrigung festgelegt. Somit erhalte der Fachmann keine zusätzliche technische Information, die in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht auch vorhanden ist.

Zulassung der Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32 in das Verfahren

Die Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32 müssten in das Verfahren zugelassen werden. Insbesondere verletze die weitere Vorlage von Anträgen nicht das Gebot der Fairness. Die Vorlage der 682 Hilfsanträge im schriftlichen Verfahren sei nämlich nicht unfair, da ein Vorschlag zur effizienten Abarbeitung der jeweils unabhängigen Ansprüche im Schreiben vom 25. Juni 2014 beigefügt war. Auch sei der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin für die Vorlage weiterer Hilfsanträge im schriftlichen Verfahren keine Frist gesetzt worden, so dass es kein Versäumnis darstelle, sie erst am 25. Juni 2014 einzureichen, was im Übrigen nicht etwa drei sondern vier Werktage vor der mündlichen Verhandlung gewesen sei, da der Samstag als Werktag mitzuzählen sei. Somit könne das Gebot des fairen Handelns gar nicht verletzt worden sein und folglich sei dadurch die Vorlage weiterer Hilfsanträge nicht ausgeschlossen.

Diese behöben die von der Kammer angesprochenen Mängel; dabei seien exakt die Änderungen durchgeführt worden, die sich aus der Diskussion in der mündlichen Verhandlung ergeben hätten. Aus Gründen der Verfahrens­ökonomie seien die Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32 ausschließlich auf den Erfindungsgegenstand gemäß Block B begrenzt worden. Diese Änderungen seien weiterhin einfach zu verstehen und bestünden aus wörtlichen Übernahmen aus der Beschreibung, so dass ausgeschlossen sei, dass sich durch die Änderungen weitere Probleme ergäben. Damit liege auch keine besonders komplexe Situation oder ein technisch schwer zu verstehender Sachverhalt vor.

Möglichkeit zur Vorlage weiterer Hilfsanträge

So müsse der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin auch die Möglichkeit gegeben werden, nach der Ablehnung der Hilfsanträge gemäß Bezugsziffer 29 bis 32 weitere Hilfsanträge zu stellen. Dafür sei die Verhandlung zu unterbrechen, damit entsprechende Anträge vorbereitet werden könnten. Es sei nicht zu akzeptieren, dass nach einem 3 Jahre dauernden Beschwerdeverfahren es nun auf Stunden ankommen solle und die Zeit fehle, um einen geänderten Antrag auszuarbeiten und diesen zu prüfen. Letztlich habe diese Situation die Kammer selbst herbeigeführt, da sie - entgegen der Vorgaben durch die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern - keinen verfahrensleitenden Bescheid erlassen habe. Somit müsse nun die Kammer auch damit zurechtkommen, dass kurzfristig Anträge gestellt würden, die sich mit Mängeln auseinandersetzten, die erstmals in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden seien. Außerdem habe es die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin nicht zu ver­antworten, dass die Kammer den Vormittag und den frühen Nachmittag des mündlichen Verhandlungstages lediglich damit verbracht habe, Formalien wie unzulässige Erweiterung und Zulassung von weiteren Anträgen in das Verfahren zu diskutieren, anstatt sich mit der substantiellen Prüfung der Anträge auseinanderzusetzen.

Rüge nach Regel 106 EPÜ

Das Verhalten und die Verfahrensführung durch die Kammer sei zu rügen. Der Patentinhaberin hätte die Gelegenheit eingeräumt werden müssen, erneut weitere Hilfsanträge zu formulieren und einzureichen. Es könne nicht angehen, dass die weit fortgeschrittene Zeit am Tag der mündlichen Verhandlung als Argument genutzt werde, neue Hilfsanträge nicht mehr zuzulassen, wenn die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin zuvor Jahre auf die Entscheidungen der Prüfungsabteilung und der Einspruchsabteilung, sowie auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hätte warten müssen. Es sei der Patentinhaberin, die ja versucht habe, auf die in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansichten der Kammer zu reagieren, auch zuzubilligen, ihre Anträge jeweils so nachzubessern, dass sie auch den in der Ablehnungsbegründung geäußerten Einwänden Rechnung trügen.

XVI. Die Einsprechende entgegnete den Argumenten wie folgt:

Zulässigkeit der Beschwerden

Die Beschwerde der Patentinhaberin sei nicht zulässig, jedenfalls aber unzureichend begründet. Es sei bei der Vielzahl von Anträgen der Patentinhaberin nicht erkennbar, in welchem Umfang sie eigentlich beschwert sei. So sei davon auszugehen, dass die meisten Anträge nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung gewesen seien.

Weiterhin sei die eigene Beschwerde ausreichend begründet und somit auch zulässig. Sie setze sich mit den Gründen insofern auseinander, als dass sie die in der Entscheidung genannten Argumentationslinien und die darin genannten Dokumente aufgreife und diese diskutiere. So seien insbesondere auch die Widersprüche zwischen der vorgetragenen Auffassung der Entscheidung deutlich gemacht.

Unzulässige Erweiterung

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei unzulässig erweitert. So könne der Beschreibung nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass der dort genannte Begriff Fahrzeugmasse immer die Zugfahrzeugmasse bezeichne. So ist aus den Passagen, in denen von dem Anhänger mit nicht selbsttätig lastabhängiger Bremskraftregelung die Rede ist, klar entnehmbar, dass zur Berechnung des Verknüpfungssignals (SV) und dem daraus resultierenden Anhängersteuersignal SAH durch die Formeln I bis VIIa für die dort genannte Masse (m) eine Kombination aus Fahrzeugmasse und Anhänger­masse angenommen werden müsse. Das ergebe sich daraus, dass das Anhängersteuersignal SAH aus dem Verknüpfungssignal SV hergeleitet sei und weiter ausweislich der Beschreibung lastabhängig sei, vgl. insbesondere Spalte 10, Zeilen 45 und 46 der veröffentlichten Anmeldung.

Weiterhin liege eine unzulässige Zwischenverall­gemeinerung vor. So erwähne die Beschreibung auf Seite 5 in Zeilen 58 ff., die die Offenbarungsgrundlage für das Merkmal c) darstellten, eine taktweise Anpassung des Verknüpfungssignals; außerdem beziehe sich das gesamte Beispiel auf eine Bremse für eine Vorderachse, vgl. Spalte 4, Zeilen 3 bis 9 der veröffentlichten Anmeldung.

Diese Mängel beträfen im Übrigen alle unabhängigen Ansprüche aller im Verfahren befindlichen 682 Anträge.

Zulassung der Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32 in das Verfahren

Einer Zulassung weiterer Anträge in das Verfahren werde ausdrücklich widersprochen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die beschwerdeführende Patentinhaberin drei Tage vor der mündlichen Verhandlung eine nicht zu überblickende Anzahl von Hilfsanträgen vorgelegt habe, sei dies unzumutbar. Damit nämlich sei das Kontingent an Anträgen, die fairerweise in einem solchen Verfahren gestellt werden können, mehr als überschritten. In Übrigen seien die Mängel, die es hier noch zu beheben gelte, bereits im Bescheid der Kammer angesprochen worden und die beschwerdeführende Patentinhaberin habe es verabsäumt, im Vorfeld darauf zu reagieren. In der Vielzahl der Hilfsanträge, die bis zur mündlichen Verhandlung vorlagen, befinde sich kein einziger, der sich mit dem Problem der unzulässigen Erweiterung in Bezug auf das Merkmal Fahrzeugmasse auseinandersetze. Es sei nun daher auch nicht mehr zu erwarten, dass am Abend der mündlichen Verhandlung ein Antrag vorgelegt werde, der diesen Mangel zu beheben in der Lage sei.

Möglichkeit zur Vorlage weiterer Hilfsanträge

Auch werde widersprochen, dass der beschwerdeführenden Patentinhaberin ein weiteres Mal das Recht eingeräumt wird, Anträge vorzubereiten und vorzulegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig. Insbesondere haben die Beschwerdeführer dargelegt, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist (vgl. Regel 99(2) EPÜ).

1.1 Die beschwerdeführende Einsprechende beantragt die Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig zu verwerfen. Die Patentinhaberin habe vor der Einspruchs­abteilung einen Hauptantrag und 4 Hilfsanträge vorgelegt, wobei die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang in der Fassung des vierten Hilfsantrags aufrechterhalten habe. Nunmehr aber lägen insgesamt 682 Anträge vor, so dass davon auszugehen sei, dass die Patentinhaberin - zumindest teilweise - einen Gegenstand beantrage, der nicht Teil des Einspruchsverfahrens gewesen sei und dessen Nichtgewährung folglich keine Beschwer darstelle.

1.1.1 Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Zulässigkeit der Beschwerde nur in ihrer Gesamtheit geprüft werden. Das EPÜ bietet keinerlei Grundlage für eine "teilweise Zulässigkeit" einer Beschwerde, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, 2013, IV.E.2.6.9.

1.1.2 Zumindest teilweise setzt sich die Beschwerde der Patentinhaberin mit den tragenden Gründen der Entscheidung der Einspruchsabteilung insofern auseinander, als der Hauptantrag der beschwerde­führenden Patentinhaberin aus vier unabhängigen Ansprüchen besteht, die im Wesentlichen auch die Gegenstände abbilden, die durch die vier unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags im Einspruchsverfahren beansprucht waren. Die Änderungen, die am unabhängigen Anspruch 18 (gemäß Block C') bzw. 26 (gemäß Block D') durchgeführt wurden, sind im Wesentlichen auf die in der Entscheidung angeführten Mängel zurückzuführen. Damit aber hat sich die Patentinhaberin mit den Gründen auseinandergesetzt und in eine Weise darauf reagiert, die nicht die Zulässigkeit der Beschwerde als Ganzes in Frage stellen kann. Folglich ist die Beschwerde auch ausreichend begründet.

1.2 Die beschwerdeführende Patentinhaberin beantragt die Beschwerde der Einsprechenden als unzulässig zu verwerfen.

Dabei folgt die Kammer nicht der Auffassung der Patentinhaberin, dass sich die Beschwerde der Einsprechenden nicht mit den tragenden Gründen der Entscheidung auseinandersetze und auf eigene Ermittlungen angewiesen gewesen sei.

1.2.1 So führt die Einsprechende in der Beschwerdebegründung auf Seite 2 aus, dass der Gegenstand des Anspruch 1 gemäß dem im geänderten Umfang aufrechterhaltenen Patent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, wenn der Fachmann die Kombination E2 mit E10 betrachte. Auf Seite 12 der Entscheidung (siehe die letzten beiden Absätze) bzw. auf Seite 4 der Beschwerdebegründung (siehe Zeilen 11 ff.)diskutieren die Einspruchsabteilung bzw. die Einsprechende übereinstimmend, dass das Merkmal e) im nächstliegenden Stand der Technik E1 nicht bekannt sei, und weiter, dass die zu lösende Aufgabe darin bestehe, das Verfahren gemäß E2 unempfindlich gegen Störeinflüsse zu gestalten.

1.2.2 Die Entscheidung kommt auf Seite 13, dritter Absatz zum Schluss, dass dem von der Einsprechenden vor der Einspruchsabteilung vorgebrachten Einwand nicht gefolgt werden kann, da es in E10 keinen Hinweis gibt, dass eine Differenz­bildung unter Einbeziehung der beim Start des Verfahrens vorliegenden Anfangs­verzögerung stattfindet, siehe dazu insbesondere auch im 1. Absatz der Seite 13 die fettgedruckte Passage "beim Start des Verfahrens vorhandenen Anfangs-Verzögerungssignal".

Die Einsprechende führt dazu auf Seite 5, zweiter Absatz der Beschwerdebegründung aus, dass die Formel auf Seite 3 der E10 die Verhältnisse gemäß dem strittigen Merkmal e) genau abbilde, und damit auch "zwangsläufig" (im Schriftsatz der Einsprechenden unterstrichen) die Anfangsverzögerung "zu Beginn der Bremsung", also zum Start des Verfahrens berücksichtigt.

Somit widerspricht die Einsprechende in ihrer Argumentation der Entscheidung der Einspruchsabteilung ("nicht beim Start des Verfahrens" vs. "zwangsläufig") und bringt diesen Widerspruch zwischen der in der Entscheidung fettgedruckten Passage und der eigenen Auffassung durch die Unterstreichung in der Beschwerdebegründung zum Ausdruck.

1.2.3 Die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin moniert, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht in der Beschwerde erwähnt sei und sich schon daher nicht mit den tragenden Gründen auseinander setzen könne.

Des Weiteren habe sie Ermittlungen anstellen müssen.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen wie oben ausgeführt - verständlich und nachvollziehbar - stattgefunden hat, dass aber eine redaktionelle Auseinandersetzung mit der Entscheidung - etwa in Form von Querverweisen - durch das EPÜ oder die sich darauf beziehende Rechtsprechung nicht gefordert ist. Auch konnte der Vertreter der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht angeben, welcher Art die Ermittlungen gewesen seien.

2. Da somit weder eine Beschwerde vorliegt, in deren Beschwerdebegründung keine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung stattgefunden hat (vgl. T 213/85) noch eine Beschwerde, bei der der Beschwerdeführer seine Argumente nicht so deutlich und genau vorgetragen hat, dass die Beschwerdekammer und die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin ohne eigene Ermittlungen unmittelbar verstehen können, warum die angefochtene Entscheidung falsch sein soll (vgl. T 220/83), fehlt es an den von der Patentinhaberin in der vorgeschlagenen Vorlagefrage formulierten Voraussetzungen. Die Kammer beabsichtigt nicht, wie von der Patentinhaberin unterstellt, ein Ermessen dahin auszuüben, von den oben dargestellten und seitens der Patentinhaberin richtig zitierten Anforderungen der Beschwerdekammerrechtsprechung an eine ausreichende Beschwerdebegründung abzuweichen. Die Kammer ist vielmehr bei Anwendung eben dieser Grundsätze zum Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer ausreichend dargelegt hat, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist. Es fehlt somit an dem von der Patentinhaberin selbst formulierten Grund, die Frage der Patentinhaberin der Großen Beschwerdekammer vorzulegen. Eine Vorlage scheidet in dieser Situation aus (vgl. T 727/89, Gründe 9; T 162/90, Gründe 7 und T 921/91, Gründe 2.6). Sie erscheint überdies auch nicht als erforderlich im Sinne von Artikel 112(1)a) Satz 1 EPÜ. Denn die Kammer bewegt sich im Bereich der Anwendung etablierter Rechtsprechungsgrundsätze auf einen Einzelfall (vgl. G 3/98, Gründe 1.1; J 5/81, OJ 1982, 155, Gründe 11; J 17/12, Gründe 7.2; T 520/01, Gründe 4.1; und T 1875/07, Gründe 7.4).

3. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags ist unzulässig erweitert, da Gegenstände enthalten sind, die nicht in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart sind (Artikel 123(2) EPÜ).

3.1 Diese Ansprüche sind auf ein Verfahren abgestellt, zur Abbremsung eines Fahrzeugs ohne Anhänger oder eines Fahrzeugzugs mit einem Zugfahrzeug und Anhänger.

Insbesondere ist nicht offenbart, dass das Merkmal "Fahrzeugmasse" in der Alternative des Fahrzeugzugs mit einem Zugfahrzeug und Anhänger ausschließlich die Masse des Zugfahrzeugs betrifft.

So ist der Patentinhaberin nicht zu folgen, die argumentiert, dass mit Fahrzeugmasse immer nur die Masse des Zugfahrzeugs gemeint sei und zwar insbesondere auch in dem Teil, in dem das Fahrzeug als Zugfahrzeug mit einem Anhänger ausgebildet sei. Dort würde zwischen einer Fahrzeugmasse und einer Anhängermasse unter­schieden, so zum Beispiel in Spalte 10, Zeile 12 der veröffentlichten Anmeldung.

3.2 An keiner Stelle der Beschreibung ist ausgeführt, dass unter der Fahrzeugmasse nur die Masse des Zugfahrzeugs - für den Fall, dass ein Anhänger angekoppelt ist - zu verstehen ist. Die von der Patentinhaberin angeführten Passagen zur Fahrzeugmasse beziehen sich ausnahmslos auf den Teil der Beschreibung, der das erfindungsgemäße Verfahren anhand eines Fahrzeugs ohne Anhänger am Beispiel einer Vorderachse erklärt, vgl. Spalte 4, Zeile 3 bis Spalte 9, Zeile 5. Die einzige Erwähnung des Begriffs "Anhängermasse" ist in Spalte 10, Zeile 12, wo ausgeführt ist, dass ein bestimmtes Anhänger-Steuersignal (SAH) für verschiedene Anhängermassen auch unterschiedliche Anhänger-Bremsverzögerungen zur Folge haben: Diese Textstelle differenziert somit nicht zwischen einer Anhängermasse und einer Zugfahrzeugmasse, sondern beschreibt ein Problem, welches bei Anhängern mit nicht selbsttätig lastabhängiger Bremskraftregelung und unterschiedlichen Anhängermassen auftritt. Daher stellt diese Textstelle keine Offenbarung dafür dar, dass zwischen einer Anhängermasse und einer Zugfahrzeug­masse im Sinne des strittigen Anspruchs unterschieden werden kann.

3.3 Im Rahmen der Beschreibung des erfindungsgemäßen Verfahrens für Zugfahrzeuge mit angekoppelten Anhängern ohne selbsttätige lastabhängige Bremskraftregelung (vgl. Spalte 10, Zeilen 31 ff.) ist ausgeführt, dass das erfindungsgemäße Verfahren die Anhängerlast durch Anpassung des Verknüpfungssignals (SV) berücksichtigt, siehe insbesondere Spalte 10, Zeilen 38 ff. Dabei ist das Verknüpfungssignal (SV) als Lastsignal anzusehen (siehe dort Zeilen 47-48). Daher gibt die Zuteil­elektronik im Falle einer Anhängerbremsanlage mit einer nicht selbsttätig lastabhängigen Bremskraftregelung ein lastabhängig eingestelltes Anhänger-Steuersignal (SAH) ab. Damit ist die Bemessung des lastabhängigen Anhängerbremssignals in die Bremsanlage des Zugfahrzeugs verlagert (in Zeilen 52 ff.).

Da das Verknüpfungssignal (SV) somit die Anhängerlast berücksichtigt, bedeutet dies gemäß der Formeln (I) bis (VIIa), dass das erfindungsgemäße Verfahren auch - in einer nicht näher beschriebenen Form - die Anhängermasse berücksichtigt.

3.4 Darauf wendet die Patentinhaberin ein, dass sich die Beschreibung im Übrigen zu dem Zusammenhang zwischen dem Lastsignal (SV) und der Anhängermasse ausschweigt, dass daraus aber nicht geschlossen werden könne, dass nun die Anhängermasse in die Fahrzeugmasse einfließe. Zwar könne auch die Anhängermasse das Lastsignal verändern, dies sei aber an der entsprechenden Stelle der Beschreibung nicht im Detail ausgeführt und weiterhin durch den Anspruchswortlaut - dort Merkmal c - nicht ausgeschlossen.

3.4.1 Das Merkmal c) (welches in allen unabhängigen Ansprüchen des Hauptantrags gleich ist) legt fest, dass in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse der Wert des Verknüpfungssignals vergrößert oder verkleinert wird. Da aber - wie oben ausgeführt - sowohl die Anhängermasse als auch die Beladung des Zugfahrzeugs einen Einfluss auf das Verknüpfungssignal haben, würde die Fahrzeugmasse, die nur das Zugfahrzeug berücksichtigt, nur einen Teil der offenbarten Einflussfaktoren des Verknüpfungssignals (SV) darstellen, da in diesem Fall der Einflussfaktor Anhängermasse im Anspruch fehlen würde. Gemäß den Zeilen 1 bis 5 der unabhängigen Ansprüche 1 ist aber das Verfahren ebenfalls auf ein Zugfahrzeug mit Anhänger abgestellt, so dass - würde man der Patentinhaberin in dieser Argumentation folgen - die Nichtberücksichtigung des Einflussfaktors Anhängermasse ebenfalls eine unzulässige Erweiterung darstellen würde.

3.4.2 Dies ist insofern von Bedeutung, als dass - im Widerspruch zu Merkmal c) - in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Zugfahrzeugmasse der Wert des Verknüpfungssignals dann nicht vergrößert oder verkleinert würde, wenn gleichzeitig die Anhängelast einen entsprechenden gegensätzlichen Einfluss auf das Verknüpfungssignal (SV) hat. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Zugfahrzeug weiter beladen und ein vorhandener Anhänger entfernt oder entladen wird.

3.5 Zusammenfassend stellt die Kammer fest, dass die diskutierten Gründe aufzeigen, dass der in der Beschreibung verwendeten Begriff "Fahrzeugmasse" nicht unmittelbar und eindeutig der Zugfahrzeugmasse zugeordnet werden kann. Deshalb stellt der in den unabhängigen Ansprüchen hergestellte Bezug des Begriffs "Fahrzeugmasse" zur Masse des Zugfahrzeugs eine unzulässige Erweiterung dar.

3.6 Da weiterhin alle unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge bis einschließlich Ziffer 28 in Bezug auf die Fahrzeugmasse dieselbe Anspruchsformulierung aufweisen, sind damit alle Ansprüche dieser Hilfsanträge unzulässig erweitert.

3.7 Weiterhin ist der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche gemäß dem Hauptantrag in unzulässiger Weise zwischenverallgemeinert (Artikel 123(2) EPÜ).

3.7.1 Die unabhängigen Ansprüche gemäß dem Hauptantrag enthalten alle das Merkmal c).In der Beschreibung, Spalte 5, Zeilen 58 ff., die die Grundlage für die Offenbarung des Merkmals c) darstellt, ist beschrieben, dass das Verknüpfungssignal SV solange taktweise erhöht bzw. verringert wird, bis die Ist-Bremsverzögerung der Soll-Bremsverzögerung entspricht. Der strittige Anspruch definiert nicht, dass die Erhöhung bzw. Erniedrigung taktweise geschieht.

3.7.2 Die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin führt dazu aus, dass Anspruch 2, wie ursprünglich eingereicht, definiere, dass während einer Bremsbetätigung bei von dem Verzögerungs­anforderungs­signal (SZsoll) abweichendem Ist-Verzögerungssignal (SZist) das Verküpfungssignal (SV) geändert wird. Damit sei eine Offenbarung gegeben, die unabhängig von einer Taktvorgabe eine Änderung erlaube.

3.7.3 Dem ist nicht zu folgen, da das Ausführungsbeispiel und dessen Merkmale in den unabhängigen Ansprüchen des Hauptantrags über die Offenbarung des Anspruchs 2, wie ursprünglich eingereicht, hinausgehen. So sind nunmehr Merkmale definiert, die die Änderung genau spezifizieren, z.B. dass in Erwiderung auf eine Vergrößerung oder Verringerung der Fahrzeugmasse das Verknüpfungssignal erhöht bzw. verringert wird. Damit aber ist die taktweise Anpassung ein funktionales Merkmal, welches fest mit den Merkmalen, die dem Ausführungs­beispiel entnommen wurden, verknüpft ist und das daher bei der Ergänzung des Anspruchs nicht hätte weggelassen werden dürfen.

3.7.4 Hierdurch wurde in unzulässiger Weise neue technische Information aufgenommen: Insbesondere sind nun über die strittige Zwischenverallgemeinerung Ausführungen unter Schutz gestellt, die nicht ursprünglich offenbart wurden, nämlich alle diejenigen, die nicht zeitdiskret arbeiten, wie zum Beispiel eine Änderung des Verknüpfungssignals auf analogem Wege.

3.7.5 Da dasselbe Merkmal c) in allen unabhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge gemäß Ziffer 2 bis 25 und 27 enthalten ist, sind auch diese Ansprüche in unzulässiger Weise zwischenverallgemeinert. Auch der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge gemäß Ziffer 28 ist in unzulässiger Weise zwischenverallgemeinert: Diese Ansprüche definieren zwar eine taktweise Erhöhung des Verknüpfungssignals, lassen jedoch offen wie die Verringerung des Verknüpfungssignals vorgenommen wird.

4. Die Hilfsanträge gemäß Ziffern 29 bis 32, vorgelegt während der mündlichen Verhandlung, werden nicht in das Verfahren zugelassen.

4.1 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung bzw. Beschwerdeerwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Anträge, die im bereits weit vorgerückten Verfahrensstand nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung oder gar erst während dieser selbst eingereicht wurden, können demnach nur bei geringer Komplexität und wenn die gebotene Verfahrensökonomie nicht entgegensteht, zugelassen werden.

Hierzu hat die Entscheidung T 1634/09 (Gründe 3.2) die Leitlinie entwickelt, dass ein nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung vorgelegter Antrag angenommen werden kann, wenn

i) es gute Gründe gibt, diesen Antrag so spät zu stellen (z.B. die Entwicklung der Diskussion und des Verfahrens), wenn

ii) der Antrag nicht über den Umfang, der den Diskussionen, die der Beschwerdebegründung und der Stellungnahme der Beschwerdegegnerin zugrunde lagen, hinausgeht, oder etwas vereinfacht, wenn der Antrag nicht neue Probleme aufwirft und wenn

iii) der Antrag eindeutig gewährbar ist.

Diese Grundsätze auf die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 29 bis 32 angewandt, stellt die Kammer folgendes fest:-

4.2 Zu (i): In der Tat stellen die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29, 30, 31 und 32 die Hilfsanträge 682, 683, 684 und 685 dar. Mit der Vorlage dieser Hilfsanträge während der mündlichen Verhandlung sollte der Patentinhaberin eine weitere Möglichkeit gegeben werden, auf die in der mündlichen Verhandlung sehr ausführlich diskutierten Mängel zu reagieren, obgleich diese Mängel bereits im Bescheid der Kammer genannt wurden und sich keiner der 681 Hilfsanträge, die bis zur mündlichen Verhandlung vorlagen, mit dem Mangel der unzulässiger Erweiterung durch das Merkmal "Fahrzeugmasse" (siehe oben, Punkt 3.1 ff.) auseinandersetzt.

4.3 Zu (ii): Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32 bringen nun durch die im jeweiligen Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen neue - bislang nicht diskutierte - Aspekte ein, die zu prüfen gewesen wären. Die folgenden Punkte betreffen dabei alle unabhängigen Ansprüche 1 aller Hilfsanträge mit den Bezugsziffern 29 bis 32.

4.3.1 So ist es zunächst fraglich, ob die Änderungen überhaupt in der Lage sind, die beanstandeten Mängel zu beheben, da sich neue Probleme unter Artikel 123(2) EPÜ stellen.

Die Änderungen berücksichtigen den diskutierten Einwand in Bezug auf die unzulässige Erweiterung in Verbindung mit dem Merkmal "Fahrzeugmasse" insofern, als dass die unabhängigen Ansprüche nunmehr abgestellt sind auf ein "Verfahren zur Abbremsung eines Fahrzeugs mit wenigstens einer durch Zuspannenergie betätigten Bremse (15 bzw. 8), wobei das Fahrzeug als Zugfahrzeug zur Kopplung mit wenigstens einem Anhänger mit einer durch ein in dem Zugfahrzeug erzeugtes Anhänger-Steuersignal (SAH) gesteuerten Bremsanlage". Somit wird die Beanstandung, dass die Fahrzeugmasse nicht als Zugfahrzeugmasse offenbart ist, dadurch behoben, dass das Merkmal "Fahrzeugmasse" nicht mehr genannt wird. In Merkmal c) indes, ist - nun ohne eine vorherige Definition - nach wie vor die Fahrzeugmasse als Teilmerkmal vorhanden. In diesem Zusammenhang bestehen nun erhebliche Zweifel, dass durch das Streichen der Definition - was unter einer Fahrzeugmasse anspruchs­gemäß zu verstehen ist - in den ersten Zeilen des Anspruchs, der damit in Verbindung stehende Mangel an unzulässiger Erweiterung überhaupt behoben werden kann, siehe oben, insbesondere 3.4.1 und 3.4.2.

4.3.2 Weiter ist fraglich, ob das Merkmal c) des jeweiligen Anspruchs 1 klar formuliert ist, und ob durch die Formulierung nicht ein anderer Mangel der unzulässigen Erweiterung entstanden ist.

Dabei gestaltet insbesondere das Merkmal (in den mit handschriftlichen Änderungen während der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen mit "**" bezeichnet) "und nach einer Fahrzeug-Entladung mit einer Verringerung der Fahrzeugmasse den Wert des Verknüpfungssignals (SV) von Takt zu Takt verringert," im Kontext des dritten Spiegelstrichs in Merkmal c) den jeweiligen Anspruch 1 mindestens unklar. Die dort genannte Bedingung "und nach einer Fahrzeugentladung" mag zwar, wie die Patent­inhaberin vorbringt, wörtlich der Beschreibung zu entnehmen sein, gibt aber dem Merkmal c), dritter Spiegelstrich, deshalb eine missverständliche Bedeutung, weil dort nur auf eine Massenänderung durch Entladung Bezug genommen wird, nicht aber auf die Massenänderung durch Beladung. Damit definiert dieses Teilmerkmal nämlich nun, dass eine Steuerelektronik den Wert des Verknüpfungssignals von Takt zu Takt stufenweise bis auf einen Wert erhöht, ..., und nach einer Fahrzeugentladung ... den Wert von Takt zu Takt verringert. So wäre mit einer Zulassung der erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge (Ziffer 29 bis 32) in das Verfahren zu prüfen, ob das Fehlen des Teilmerkmals "nach einer Fahrzeug-Beladung" im dritten Spiegelstrich des Merkmals c) - einzufügen nach "wobei eine Steuerelektronik (3)" - nicht das Sinnverständnis des Merkmals des dritten Spiegelstrich dahingehend verschiebt, dass das erste Teilmerkmal ("wobei eine Steuerelektronik (3) den Wert - erhöht, -") unbedingt, das hinzugefügte, zweite, Teilmerkmal aber nur unter einer Bedingung, nämlich "nach einer Fahrzeugentladung" zum Tragen kommt.

4.4 Zu (iii): Da bereits aufgrund der unter 4.3.1 und 4.3.2 genannten Zweifel eine eindeutige Gewährbarkeit der neuen Hilfsanträge nicht vorliegt, war auf die Frage, ob auch hinsichtlich der weiteren Erteilungs­voraussetzungen, etwa Artikel 54 und 56 EPÜ, Zweifel auftauchen, nicht mehr einzugehen.

Zusammenfassend ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der Komplexität des durch die Änderungen hervorgerufene Diskussions- und Prüfungsbedarfs, angesichts des weit vorgerückten Verfahrensstands und im Hinblick auf die gebotene Verfahrensökonomie die Abhandlung der nicht auf den ersten Blick gewährbaren und spät, nämlich am Nachmittag des Tags der mündlichen Verhandlung, gestellten neuen Hilfsanträge nicht mehr angemessen ist. Sie hat daher ihr in Artikel 13(1) VOBK eingeräumtes Ermessen dahingehend ausgeübt, die neuen Anträge unter Ziffern 29 bis 32 (Hilfsanträge 682 bis 685) nicht mehr in das Verfahren zuzulassen.

5. Der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin war vorliegend im späteren Verlauf der mündlichen Verhandlung auch keine weitere Möglichkeit mehr einzuräumen, Hilfsanträge zu stellen, Artikel 13(1) und (3) VOBK.

5.1 Die Patentinhaberin/Beschwerdeführerin beantragte während der mündlichen Verhandlung, nach der Diskussion über die Zulassung der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge (Ziffer 29 bis 32) und der Verkündung der Auffassung der Kammer zu diesem Punkt, sowie einer auf Rüge hin erfolgten erneuten Diskussion dieses Punktes eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, damit sie weitere Hilfsanträge vorbereiten und der Kammer vorlegen kann.

5.2 Auf die oben unter 4 ausgeführten Grundsätze zu Artikel 13(1) VOBK, die auch im Rahmen der Frage, ob eine Unterbrechung zur Formulierung weiterer Anträge hätte gewährt werden müssen, zu beachten sind, wird Bezug genommen. Die Tatsache, dass der Verfahrensstand bei Stellung des Unterbrechungsantrags noch weiter fortgeschritten war, dass die Einsprechende eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte gerügt hatte und dass die zu erwartende neue Antragsfassung noch nicht bekannt war, ist bei der Ermessensabwägung zusätzlich zu berücksichtigen. Hinsichtlich des letztgenannten Gesichtspunktes ist zu beachten, dass zwar einerseits noch nicht klar war, welche neuen Anträge die Patentinhaberin stellen würde und ob diese keine neuen Probleme aufwerfen und zugleich prima facie gewährbar sein würden; andererseits war in dieser Hinsicht festzustellen, dass

- die ersten 227 Hilfsanträge, die auf den Sachvortrag der Einsprechenden hin formuliert wurden, der die wesentlichen auch von der Kammer aufgegriffenen Rügen bereits enthielt, keinen Antrag beinhalteten, der diesen Einwänden ausreichend Rechnung getragen hätte,

- die weiteren Sätze von je 227 Hilfsanträgen, die auf den Bescheid der Kammer vom 1. April 2014 hin (allerdings erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung) eingereicht wurden, den im Bescheid unter Punkten 3 bis 3.3 genannten Einwänden immer noch nicht Rechnung getragen haben,

- die vier um 14.10 Uhr eingereichten weiteren Hilfsanträge weitere Diskussionspunkte aufwarfen und ebenfalls keine eindeutig gewährbaren Ansprüche umfassten.

Da zudem die Einsprechende auf die in ihren Augen gegebene Benachteiligung, dass sie sich nunmehr zum wiederholten Male auf umfassende und häufig auch äußerst kurzfristige Anspruchsneufassungen einstellen habe müssen, hingewiesen und das Verfahren im Übrigen am Ende eines fast achtstündigen Verhandlungstages entscheidungsreif war, hätte wohl schon die Ermessensabwägung nach Artikel 13(1) VOBK alleine ergeben, dass eine erneute Unterbrechung zur Formulierung weiterer (dann erst von der Gegenpartei und der Kammer zu begutachtender) Anträge nicht mehr geboten war.

5.3 Hinzu kommt, dass gemäß Artikel 13(3) VOBK Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen werden, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten sind.

5.3.1 Der Antrag der Patentinhaberin auf Unterbrechung zur Formulierung und Vorlage weiterer Hilfsanträge ist abends um 16.45 Uhr, am Tag der mündlichen Verhandlung gestellt worden. Es war - wie oben ausgeführt - bereits zweifelhaft, ob die Patentinhaberin in der Lage sein würde, einen Antrag zu formulieren, der nicht nur die angesprochenen Mängel behebt, sondern auch eine Diskussion zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit abschließend ermöglicht. Jedenfalls hätte der Einsprechenden und der Kammer zunächst Gelegenheit gegeben werden müssen, die nach Unterbrechung etwa gegen 17.15 Uhr bis 17.30 Uhr zu erwartenden angekündigten Anträge erst auf die Erfüllung der Patentierungsvoraussetzungen des EPÜ hin zu studieren. Somit hätte eine Diskussion über die Zulassung des Antrags in das Verfahren realistischerweise wohl nicht vor 18.00 Uhr beginnen können, so dass absehbar war, dass zur eigentlichen Diskussion eines oder mehrerer etwa zuzulassender Anträge in der Sache am Verhandlungstag keine Zeit mehr zur Verfügung gestanden hätte. Es war damit davon auszugehen, dass mit der Zulassung eines weiteren Antrags die mündliche Verhandlung hätte vertagt werden müssen, oder das Verfahren im Schriftlichen hätte fortgesetzt werden müssen.

5.3.2 Dabei ist es insbesondere unerheblich, ob es - wie die Patentinhaberin ausführt - bei einem drei Jahre andauernden Beschwerdeverfahren nun bei der Frage der Zulassung weiterer neuer Anträge nur noch auf wenige Stunden ankommt. So musste den Verfahrens­beteiligten bekannt sein, dass gemäß der Praxis der Beschwerdekammern das Verfahren so geführt wird, dass am Ende der anberaumten mündlichen Verhandlung die Sache entscheidungsreif ist (siehe auch Artikel 15 (6) VOBK).

Eine Möglichkeit zur Vorlage weiterer Anträge am Abend des Tages der mündlichen Verhandlung, von denen zu erwarten gewesen wäre, dass eine Diskussion zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nicht hätte abgeschlossen werden können, konnte somit die Patentinhaberin billigerweise nicht erwarten.

5.4 Diese Situation wäre auch keine andere, wenn die Kammer einen weiteren schriftlichen Bescheid - wie von der Patentinhaberin gefordert - schon vor der Ladung und nicht allein - wie im Rahmen der bei den Beschwerdekammern üblichen Handhabung geschehen - einen solchen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung erlassen hätte. Die Kammer hat in dem Bescheid zur Ladung am 1. April 2014 zu den Anträgen (ein Hauptantrag, 227 Hilfsanträge) Stellung genommen und insbesondere Bedenken dahingehend geäußert, dass "die Erwähnung einer Anhängermasse in Paragraph [0060] der Beschreibung die Grundlage für eine zweifelsfreie und eindeutige Offenbarung dafür darstellt, dass unter einer Fahrzeugmasse die Zugfahrzeugmasse zu verstehen ist". Trotz dieser Bedenken der Kammer hat keiner der weiteren 454 Hilfsanträge der beschwerdeführenden Patentinhaberin, vorgelegt mit Schreiben vom 25. Juni 2014, versucht, sich mit diesem Mangel auseinanderzusetzen.

5.5 Auch das Argument, die mündliche Verhandlung sei nicht effizient geführt, da zunächst umfänglich formale Dinge wie Artikel 123(2) EPÜ diskutiert wurden, anstatt sich mit der erfinderischen Idee auseinandersetzen, wird zurück­gewiesen. Die Kammer hat die beschwerdeführende Patentinhaberin darauf hingewiesen, dass alleine die Anzahl der vor­gelegten Anträge die Komplexität des Falles deutlich erhöht, vgl. Bescheid der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK, Punkt 1.3, und dass eine derartig hohe Anzahl von Anträgen für den vorliegenden Erfindungsgegenstand kaum zu rechtfertigen ist, dito Punkt 1.4. Somit hatte die beschwerdeführende Patentinhaberin damit rechnen müssen, dass ein relevanter Teil der zur Verfügung stehenden Zeit am Verhandlungstag alleine zur organisatorischen Bewältigung der dann schon insgesamt 685 Anträge, von denen 454 Anträge drei Tage vor und vier am Nachmittag der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurden, benötigt werden wird.

5.6 Im Übrigen aber kann es nicht Angelegenheit einer mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer sein, dass für jeden denkbar möglichen, sich durch die Offen­barung der Anmeldung ergebenden Erfindungs­gegen­stand eigene Anträge vorgelegt werden, die dann der Reihe nach von der Kammer und den anderen Parteien abzuarbeiten sind, um - vorliegend sogar mehrere - möglichst nahe an der Grenze der Patentierbar­keit liegenden Erfindungsgegenstände gewährt zu bekommen.

5.7 Die Kammer ist daher auch unter Berücksichtigung der Interessenlagen beider Parteien bei der nach Artikel 13(1) und (3) VOBK gebotenen Ermessensabwägung angesichts der oben genannten Gesichtspunkte zu dem Ergebnis gekommen, dass eine weitere Unterbrechung zur Vorbereitung neuer Hilfsanträge im fraglichen Zeitpunkt nicht mehr angemessen und statt dessen der Abschluss des im übrigen entscheidungsreifen Verfahrens durch Verkündung einer Endentscheidung geboten war.

Damit würde nämlich die mündliche Verhandlung missbraucht werden, um auszuloten, welcher Gegenstand nach Auffassung der Kammer patentierbar wäre. In solchen Fällen wäre die Kammer zwar nicht der Autor, aber doch der Ghostwriter dessen, was letztlich beansprucht werde, siehe dazu die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, 2013, IV.E.4.4.9.

6. Die Rüge der Patentinhaberin gemäß Regel 106 EPÜ wird zurückgewiesen.

6.1 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung rügte die Patentinhaberin nach der Verkündung und wunschgemäßen mündlichen Begründung der vorläufigen Entscheidung, die um 14.10 Uhr eingereichten neuen Hilfsanträge nicht mehr in das Verfahren zuzulassen, zunächst, es sei ihr das Wort abgeschnitten worden.

6.2 Sie erhielt daraufhin erneut Gelegenheit zur Stellungnahme und nützte diese zu den auf Seite 3, letzter Absatz, sowie Seite 4, Absätze 1 und 3 des Protokolls wiedergegebenen Ausführungen. Nach Anhörung beider Seiten beriet die Kammer die Frage der Zulassung erneut und kam zu dem Ergebnis, dass die unter Ziffern 29 bis 32 gestellten weiteren Hilfsanträge (Nr. 682 bis 685) weiterhin nicht in das Verfahren zuzulassen sind.

6.3 Anschließend reichte die Patentinhaberin eine schriftliche Rüge betreffend die Verfahrensführung der Kammer ein. Die Patentinhaberin hätte die Gelegenheit erhalten müssen, neue Hilfsanträge zu stellen.

6.4 Der Inhalt dieser schriftlichen Rüge wurde sodann mit den Parteien diskutiert und von 16.45 Uhr bis 17.00 Uhr seitens der Kammer beraten. Die Kammer kam dabei aus den oben unter Punkt 5.2 bis 5.7 dargelegten Gründen zu dem Ergebnis, dass dem Begehren der Patentinhaberin nicht nachzukommen und ihrer Rüge daher nicht abzuhelfen ist.

6.5 Dabei blieb sie auch im Rahmen der Endentscheidung, nachdem die Patentinhaberin ihre schriftlich zu Protokoll eingereichte Rüge bestätigt hatte:

Entgegen der Ansicht der Patentinhaberin ist einer Partei, die bereits mehrfach Gelegenheit hatte, auf Einwände des Gegners und der Kammer zu reagieren, nicht in jedem Falle zuzubilligen, ihre Anträge stets so nachzubessern, dass sie auch den in den jeweils gegebenen Ablehnungsbegründungen geäußerten Einwänden Rechnung tragen. Andernfalls könnte ein Beschwerdeverfahren nie zum Abschluss gebracht werden. Die Patentinhaberin muss daher damit leben, dass aus Gründen der Verfahrensökonomie aber auch wegen des nicht nur ihr, sondern auch der anderen Partei geschuldeten Fairnessgebotes weiteren Änderungswünschen, die in einem sehr späten Verfahrensstadium vorgebracht werden, im Einzelfall und nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht mehr nachgekommen wird.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer, sowie die Rüge der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) werden zurückgewiesen.

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