T 1829/10 () of 1.2.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T182910.20110201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 2011
Aktenzeichen: T 1829/10
Anmeldenummer: 02774013.3
IPC-Klasse: A61B 1/247
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dentale oder endoskopische Kamera
Name des Anmelders: Dürr Dental AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 116(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Schlagwörter: Antrag auf mündliche Verhandlung
Rückerstattung der Beschwerdegebühr
Zurückverweisung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0283/88
T 0668/89
T 0263/91
T 0095/04
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2373/11
T 1500/13
T 0831/17
T 2024/21

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 15. April 2010 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde die europäische Patentanmeldung wegen mangelnder Klarheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit ohne vorherige Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgewiesen.

II. Im Antwortschreiben der Anmelderin vom 27. Januar 2010 auf den ersten Bescheid der Prüfungsabteilung vom 17. Juli 2009 befindet sich am Schluss ein Absatz mit folgendem Wortlaut:

"Sollten weiterhin grundlegende Bedenken bezüglich der Patentfähigkeit bestehen, wird ein Interview oder eine Anhörung für sachdienlich gehalten. Kleinere noch für sachdienlich gehaltene Änderungen an den Ansprüchen könnten auch telefonisch mit dem Unterzeichner besprochen werden."

III. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung am 14. Juni 2010 Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am 15. Juni 2010 entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 16. August 2010 eingereicht.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragt:

1. die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr;

2. hilfsweise die Erteilung des Patentes auf der Basis der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 5, die Gegenstand des vor der Prüfungsabteilung gestellten Hauptantrags waren;

3. weiterhin hilfsweise die Erteilung des Patentes auf der Basis der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 1 oder Hilfsantrag 2, wie sie mit der Beschwerdebegründung vom 16. August 2010 gestellt wurden.

V. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Im Schriftsatz vom 27. Januar 2010 sei die Anberaumung einer Anhörung bzw. die Terminsvereinbarung für ein Interview beantragt worden. Hierbei sei eine "höfliche" Formulierung gewählt worden, dergemäss ein Interview oder eine Anhörung "für sachdienlich gehalten" werde.

Falls Anträge für unklar gehalten werden sollten, sei der wahre Wille des Erklärenden im Wege der Auslegung zu ermitteln gewesen. Aus dem entsprechenden Abschnitt des Schriftsatzes vom 27. Januar 2010 gehe klar hervor, dass die Anmelderin sich nicht mit diesem Schriftsatz habe zufrieden geben wollen, sondern vielmehr auf dem Wege eines Interviews oder einer Anhörung nochmals vor einer Entscheidung habe gehört werden wollen.

Die Nichtgewährung eines Interviews oder einer Anhörung stelle somit einen Verfahrensfehler dar, der die Rückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung und die Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensaspekte

2.1 Es ist hier die Frage zu klären, ob der oben unter Punkt II wiedergegebene Schlussabschnitt des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 27. Januar 2010 einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne von Artikel 116 EPÜ enthält. Nach Auffassung der Kammer geht es in diesem Absatz um drei Aspekte, nämlich um ein Interview, eine Anhörung und eine telefonische Rücksprache.

2.2 Ein Antrag auf ein "Interview", also eine persönliche Rücksprache, oder auf telefonische Rücksprache ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts kein Antrag auf mündliche Verhandlung. Wird eine derartige Rücksprache vom Anmelder vorgeschlagen oder beantragt, steht es im Ermessen des Prüfers bzw. der Prüfungsabteilung, ob einem solchen Antrag stattgegeben wird oder nicht (siehe auch Prüfungsrichtlinien, C-VI, 6.2 i.d. Fassung vom April 2010).

2.3 Hiervon grundsätzlich zu unterscheiden ist ein Antrag auf mündliche Verhandlung. Wenn diese von einem Verfahrensbeteiligten beantragt wird, muss gemäss Artikel 116(1) EPÜ eine mündliche Verhandlung stattfinden, bevor eine Entscheidung von Seiten des Amtes ergeht. Diese Vorschrift ist zwingend und lässt, im Gegensatz zu der im EPÜ nicht explizit erwähnten Möglichkeit einer Rücksprache, keinerlei Ermessensspielraum zu.

2.4 Im vorliegenden Fall wurde von der Anmelderin der Begriff "Anhörung" verwendet. Wie in der angegriffenen Zurückweisungsentscheidung unter Punkt 4 zutreffend dargestellt, ist dieser Ausdruck einer "mündlichen Verhandlung" im Sinne von Artikel 116(1) EPÜ gleichzusetzen. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang von der Anmelderin nicht explizit der Begriff "beantragen" oder "Antrag" verwendet. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass eine "Anhörung für sachdienlich gehalten" wird, wenn "weiterhin grundlegende Bedenken bezüglich der Patentfähigkeit bestehen" sollten. Bei fairer und verständnisvoller Lesart kann diese Formulierung nach Ansicht der Kammer jedoch nichts anderes bedeuten, als dass die Anmelderin vor einer Entscheidung der Prüfungsabteilung nochmals gehört werden wollte und somit eine Anhörung bzw. mündliche Verhandlung begehrte, also beantragte. Ob der formelle Begriff "Antrag" oder "beantragen" verwendet wird oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (siehe auch T 263/91, Entscheidungsgründe Punkt 2, 3. Absatz). Wichtig ist allein die Absicht und Intention der Anmelderin, die im vorliegenden Fall nach Ansicht der Kammer klar und zweifelsfrei feststellbar ist. Wenn die Prüfungsabteilung in dieser Hinsicht auch nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, so wäre sie verpflichtet gewesen, Kontakt mit der Anmelderin aufzunehmen, um zu klären, ob eine mündliche Verhandlung gemäss Artikel 116(1) EPÜ tatsächlich beantragt wird oder nicht, da es sich hierbei um ein unabdingbares Recht der Beteiligten im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt handelt (siehe z.B. T 668/89, Punkt 3; T 95/04, Punkt 3). Der von der Anmelderin verwendete Ausdruck "sachdienlich" impliziert, anders als bei einem Antrag auf Rücksprache, bei einem Antrag auf mündliche Verhandlung keinerlei Ermessensspielraum der Prüfungsabteilung hinsichtlich seiner Gewährung.

2.5 Die in der angegriffenen Zurückweisungsentscheidung zitierte Entscheidung T 263/91 ist auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragbar, da sich die Verfahrensbeteiligte dort lediglich das Recht auf eine mündliche Verhandlung vorbehielt, also nur zum Ausdruck brachte, dass sie in der augenblicklichen Lage noch keinen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen wollte, dies aber möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt tun wolle (siehe Punkt 2, 3. Absatz der Entscheidungsgründe). Die hier zu beurteilende Situation ist vielmehr eher mit der vergleichbar, die der in dem o.a. Absatz zitierten Entscheidung T 283/88 zugrunde lag, in der von der Anmelderin eine mündliche Verhandlung angeregt bzw. vorgeschlagen wurde, was von der dort entscheidenden Kammer ebenfalls als Antrag auf mündliche Verhandlung angesehen wurde (siehe Punkt 4 der Entscheidungsgründe).

2.6 Im hier vorliegenden Fall war die Prüfungsabteilung folglich nicht berechtigt, eine Zurückweisungsentscheidung zu treffen, ohne vorher die beantragte mündliche Verhandlung anzuberaumen. Dies ist eine Verletzung des durch Artikel 116(1) EPÜ gegebenen unabdingbaren Rechts auf eine mündliche Verhandlung. Die angegriffene Entscheidung ist daher nichtig und somit aufzuheben.

2.7 Das Recht auf mündliche Verhandlung nach Artikel 116(1) ist ein wichtiger und wesentlicher Bestandteil der Verfahren vor den Organen des Europäischen Patentamts. Ein Verstoss hiergegen stellt daher prinzipiell einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103(1)(a) EPÜ dar. Die Prüfungsabteilung hat nach der Antwort der Anmelderin auf den (ersten und einzigen) Prüfungsbescheid unmittelbar entschieden und hierbei die erkennbare Absicht der Anmelderin übergangen oder zumindest nicht zu klären versucht (vgl. T 283/88, Punkt 4 der Entscheidungsgründe). Es handelt sich damit um einen wesentlichen Verfahrensmangel, der nach Regel 103(1)(a) EPÜ die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt. Gemäss Artikel 11 der VOBK ist die Angelegenheit in einer solchen Situation regelmässig an die erste Instanz zurückzuverweisen. Dies wurde im übrigen von der Beschwerdeführerin auch explizit beantragt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an das Organ der ersten Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Prüfungsverfahren unter Anberaumung der beantragten mündlichen Verhandlung fortzusetzen.

3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.

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