T 1535/10 (Zulässigkeit der Beschwerde) of 13.5.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T153510.20110513
Datum der Entscheidung: 13 Mai 2011
Aktenzeichen: T 1535/10
Anmeldenummer: 03020528.0
IPC-Klasse: F41H 5/007
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kombinierte Schutzanordnung
Name des Anmelders: GEKE Technologie GmbH
Name des Einsprechenden: Dynamit Nobel Defence GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: 1. Die Zurechnung von Hindernissen und Verzögerungen beim Zugang von Entscheidungen, die nach Regel 126 (1) EPÜ zuzustellen sind, erfolgt nach Risikosphären:
Das Amt hat sowohl die Risiken, die sich in der eigenen Sphäre ergeben, als auch die sog. Transportrisiken zu tragen, z.B. das Risiko des Briefverlusts auf dem Weg zum Empfänger.
Davon zu unterscheiden sind jedoch die Risiken, die im Organisations- und Machtbereich des Empfängers liegen, z.B. das Risiko, dass Angestellte oder sonst Empfangsbeauftragte den bei der Geschäftsadresse abgegebenen Brief nicht oder nur verzögert weiterleiten. Für die Annahme, dass ein Brief in den Organisations- und Machtbereich des Empfängers gelangt ist, genügt es, dass der Brief dort eingeht und der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, ohne dass es auf den (endgültigen) Besitzerwerb des Briefes und die Kenntnisnahme dessen Inhalts durch den Empfänger ankommt.
2. Verfügt der Empfänger (hier: der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin) über keine eigene Poststelle und bedient sich als Ausgleich dafür einer "fremden" Poststelle (hier: der Poststelle eines Unternehmens, an dessen Geschäftssitz das Vertreterbüro residiert und mit dem auch sonst eine organisatorische Verflechtung besteht), so muss der Empfänger für die Frage der Zustellung von fristgebundenen Mitteilungen die "fremde" Poststelle wie eine eigene Poststelle gelten lassen. Eine Verzögerung der (internen) Weiterleitung von der Poststelle ist dann der Empfängersphäre zuzurechnen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 125
European Patent Convention R 126
European Patent Convention R 130
European Patent Convention R 131
European Patent Convention 1973 R 81
European Patent Convention 1973 R 82
Schlagwörter: Zustellung an den zugelassenen Vertreter (ja)
Risikoverteilung bei Zustellverzögerungen zwischen EPA und Empfänger (hier: Weiterleitung der Postsendung im Verantwortungsbereich des zugelassenen Vertreters)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0031/89
T 0703/92
T 0247/98
T 0172/04
T 0743/05
T 0580/06
T 0261/07
T 0529/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/18
J 0028/10
T 2210/10
T 2017/12
T 1553/13
T 2054/15
T 1897/17
T 1529/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung mit Postausgang vom 4. Mai 2010 über die Zurückweisung des seitens der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdeführerin) gegen das Europäische Patent Nr. 1 517 110 (im Folgenden: Streitpatent) gerichteten Einspruchs.

II. Die Beschwerdeführerin ist, wie bereits im Einspruchsverfahren, durch den zugelassenen Vertreter Andreas Scherzberg vertreten. Die Einlegung des Einspruchs am 24. September 2008 erfolgte auf Briefpapier der Chemetall GmbH, das vor der Firmenangabe durch die Zusatz "Dr. Andreas Scherzberg c/o" und in der Absenderzeile vor der Bezeichnung der Firma durch den Zusatz "Patente, Marken & Lizenzen c/o" ergänzt wurde und im Übrigen neben der Nennung des Streitpatents, das Zeichen des zugelassenen Vertreters, dessen Telefon- und Telefaxnummern sowie dessen E-Mail-Adresse "andreas.scherzberg@chemetall.com" enthielt.

Die Abbuchung der Einspruchsgebühr erfolgte über das laufende Konto ("deposit account") 28 000 543, als dessen Inhaber die Chemetall GmbH registriert ist.

Die in der Einspruchsschrift in Bezug genommene Allgemeine Vollmacht 511730.4 der Beschwerdeführerin vom 21. April 2006 lautet auf:

1) Dr. Uppena, Franz

2) Dr. Hübner, Günter,

3) Dr. Scherzberg, Andreas

c/o Chemetall GmbH

Trakehner Straße 3

60487 Frankfurt am Main

III. Die angefochtene Entscheidung wurde versandt an:

Scherzberg, Andreas Hans

Chemetall GmbH

Patente, Marken & Lizenzen

Trakehner Straße 3

60487 Frankfurt am Main.

Die auf den zugelassenen Vertreter ausgestellte Zustellbescheinigung des Postzustellers weist als Zustelltag den 14. Mai 2010 aus und ist mit "Petersen" unterzeichnet.

Die vom zugelassenen Vertreter F. Uppena unterzeichnete Empfangsbescheinigung trägt das Datum 17. Mai 2010.

IV. Alle früheren Mitteilungen seitens des Europäischen Patentamtes (EPA) waren ebenfalls an diese Adresse gerichtet und vom zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin auch empfangen, so auch die Ladung vom 8. Dezember 2009 zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 16. April 2010, deren Zustellung am 15. Dezember 2009 auf der Zustellbescheinigung von Herrn Petersen und am selben Tage auf der Empfangsbescheinigung von Herrn Uppena bestätigt wurde.

V. Mit Telefaxschreiben vom 15. Juli 2010 legte die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr unter Verwendung desselben laufenden Kontos wie bei der Zahlung der Einspruchsgebühr Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 4. Mai 2010 mit dem Antrag ein, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Die Beschwerdeschrift erfolgte wiederum unter Verwendung des Briefbogens der Chemetall GmbH, ergänzt um die Angaben betreffend den zugelassenen Vertreter sowie unter Hinweis in der Betreffzeile "Auf die Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs Art. 101 (2) EPÜ vom 04.05.2010, zugestellt am 17.05.2010".

Die Beschwerdebegründung wurde in derselben Weise und Form am 16. September 2010 eingereicht.

VI. Durch Mitteilung der Geschäftsstelle vom 6. Oktober 2010 wurde die Beschwerdeführerin auf die Unzulässigkeit der Beschwerde nach Artikel 108 und Regel 101 (1) EPÜ wegen Nichteinhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde nach Artikel 108 Satz 1 EPÜ hingewiesen. Es wurde ihr zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Monaten gegeben.

VII. In ihrer Stellungnahme vom 16. Dezember 2010 und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2011 machte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geltend, die angefochtene Entscheidung sei ihr erst am 17. Mai 2010 wirksam zugestellt worden, mithin nach Ablauf der sog. Zehntagefrist nach Regel 126 (2) EPÜ. Dementsprechend sei die Beschwerde am 15. Juli 2010 innerhalb der zweimonatigen Beschwerdefrist nach Artikel 108 EPÜ i.V.m. Regeln 125 (2) a), 126 (2) sowie 130 (1) und (2) EPÜ eingelegt worden und zulässig.

Das Schreiben, mit dem die angefochtene Entscheidung übersandt wurde, sei falsch adressiert, da die Angabe "c/o" vor "Chemetall GmbH" fehle. Demzufolge sei es nicht gemäß Regel 130 (1) EPÜ an den zugelassenen Vertreter gerichtet und sei somit die Zustellung nicht formgerecht gewesen.

Soweit die Zustellbescheinigung die (erste) Entgegennahme der Briefsendung am 14. Mai 2010 durch Herrn Petersen ausweise, sei ihr diese nicht zuzurechnen, vielmehr komme es schon wegen der nicht formgerechten Zustellungsadressierung nach Regel 125 (4) EPÜ auf die tatsächliche Entgegennahme durch einen in der Allgemeinen Vollmacht 511730.4 der Beschwerdeführerin vom 21. April 2006 bevollmächtigten Vertreter an, die erst durch den zugelassenen Vertreter Franz Uppena am 17. Mai 2010 erfolgt und bestätigt worden sei. Dieser habe noch am selben Tage den mit dem Verfahren betrauten zugelassenen Vertreter informiert. Nach der Entscheidung T0703/92 komme es zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung darauf an, ob und wann der Vertreter über die vollständige Entscheidung habe verfügen können.

Herr Barry Petersen sei bei der Chemetall GmbH im internen Postdienst tätig und von den in der genannten Allgemeinen Vollmacht aufgeführten zugelassenen Vertretern zu keinem Zeitpunkt zur Entgegennahme von an diese gerichteten Sendungen bevollmächtigt worden, was dieser in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 10. Mai 2011 bestätigt hat.

Die Vertretergemeinschaft, denen die in der Allgemeinen Vollmacht erwähnten zugelassenen Vertreter angehören, habe lediglich ihren Sitz in dem Räumlichkeiten der Chemetall GmbH, sei aber nicht identisch mit dieser oder gehöre auch sonst nicht zu dieser.

Die in der Allgemeinen Vollmacht genannten zugelassenen Vertreter seien früher bei der Chemetall GmbH tätig gewesen, hätten sich dann aber zur eigenständigen Vertretergemeinschaft zusammengeschlossen. Aufgrund einer Vereinbarung mit der Chemetall GmbH dürfe die Vertretergemeinschaft, deren Mitarbeiter zugleich Beschäftigte der GmbH seien, sämtliche Materialien und Einrichtungen der GmbH nutzen. Da die Vertretergemeinschaft nicht über eine eigene Poststelle verfüge, werde in Schriftsätzen stets der Zusatz "c/o Chemetall GmbH" verwandt, um ihre postalisch Erreichbarkeit zu gewährleisten. Wenn dieser Zusatz verwandt worden wäre, hätte Herr Petersen die Sendung nicht entgegengenommen, sondern den Postzusteller an die Vertretergemeinschaft verwiesen.

VIII. Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) brachte in ihrer zunächst auf die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde beschränkten Erwiderung vom 12. Januar 2011 sowie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2011 unter Hinweis auf die Entscheidung T0580/06 vor, dass es für den Zeitpunkt der Zustellung darauf ankomme, wann eine Mitteilung in den Verantwortungsbereich des Empfängers gelangt sei, und der Empfänger die Risiken in seiner eigenen Sphäre zu tragen habe.

Der äußere Anschein des vom zugelassenen Vertreter verwendeten Briefpapiers lasse nicht erkennen, dass dieser kein Mitarbeiter der Chemetall GmbH sei. Es sei davon auszugehen, dass Herr Petersen zum Empfang von an die Vertretergemeinschaft gerichteter Post ausdrücklich oder stillschweigend bevollmächtigt gewesen sei. Auch wenn eine ausdrückliche Vollmacht nicht vorläge, lasse der Umstand, dass andere Mitteilungen des EPA mit derselben Adressierung umgehend von Herrn Petersen an einen zugelassenen Vertreter in der Vertretergemeinschaft weitergegeben worden seien, darauf schließen, dass auch die angefochtene Entscheidung noch am 14. Mail 2010 an das Büro der Vertretergemeinschaft übermittelt worden und damit in deren Verantwortungsbereich gelangt sei.

Im Übrigen sei das Argument der Beschwerdeführerin, die Übersendung der angefochtenen Entscheidung sei falsch adressiert worden, nicht glaubhaft, da die Beschwerdeführerin bzw. deren zugelassene Vertreter diese bereits bei früheren Gelegenheiten, bei denen dieselbe Adressierung verwandt wurde, hätten rügen müssen, was sie indes nicht getan hätten.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte,

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 517 110.

X. Die Beschwerdegegnerin beantragte,

die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig.

Entscheidungsgründe

Gegenstand der Entscheidung ist die Zulässigkeit der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt ihrer fristgemäßen Einlegung.

1. Nach Artikel 108 Satz 1 EPÜ ist die Beschwerde nach Maßgabe der Ausführungsordnung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung beim EPA einzulegen.

1.1 Nach der Ausführungsordnung werden Entscheidungen, durch die eine Beschwerdefrist in Lauf gesetzt wird, durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zugestellt (Regel 126 (1) EPÜ). Nach Regel 126 (2) EPÜ gilt ein derartiger Brief mit dem zehnten Tag nach der Abgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, das zuzustellende Schriftstück ist nicht oder an einem späteren Tag zugegangen; im Zweifel hat das Europäische Patentamt den Zugang des Schriftstücks und gegebenenfalls den Tag des Zugangs nachzuweisen.

Ist ein Vertreter bestellt worden, so werden die Zustellungen gemäß Regel 130 (1) EPÜ an den Vertreter gerichtet. Sind mehrere Vertreter für einen Beteiligten bestellt, so genügt die Zustellung an einen von ihnen (Regel 130 (2) EPÜ).

Für die Fristberechnung gilt Regel 131 (1) und (4) EPÜ.

1.2 Die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung ist am 4. Mai 2010 entsprechend der Regel 126 (1) EPÜ unter Benennung des zugelassenen Vertreters der Beschwerdeführerin als eingeschriebener Brief mit Rückschein zur Post gegeben worden. Dieser Tag ist damit maßgeblich für die Berechnung der Beschwerdefrist. Unter Anwendung der Zehntageregel nach Regel 126 (2), 1. Alternative EPÜ sowie von Regel 131 (1) und (2) EPÜ endete die Frist für die Einlegung der Beschwerde mithin mit Ablauf des 14. Juli 2010, sofern es nicht zu einer dem EPA zurechenbaren Zustellverzögerung gekommen ist, die die gesetzliche Vermutung der Zustellung innerhalb der Frist von zehn Tagen nach Regel 126 (2) EPÜ widerlegt bzw. entkräftet.

1.3 Die Beschwerdeführerin hat sich auf eine solche Zustellverzögerung berufen und geltend gemacht, dass die Zehntageregel vorliegend nicht gelte, weil die Zustellung wegen einer fehlerhaften Adressierung nicht ordnungsgemäß an den zugelassenen Vertreter gerichtet gewesen und diesem ungeachtet der Entgegennahme durch einen nach ihrem Vortrag von ihr nicht empfangsbevollmächtigten Dritten (Herrn Petersen) am 14. Mai 2010 deshalb erst am 17. Mai 2010 zugegangen wäre (Regel 125 (4), 126 (2), 2. Alternative, sowie 130 (1) und (2) EPÜ).

1.4 Was den Einwand der Falschadressierung anbelangt, wies das Schreiben, mit dem die angefochtene Entscheidung am 4. Mai 2010 versandt wurde, insofern tatsächlich eine Unrichtigkeit in der Adressierung auf, als es zwar alle Einzelangaben zur Person des zugelassenen Vertreters (Andreas Scherzberg), Bezeichnung der Vertretergemeinschaft (Patente, Marken & Lizenzen), Straßen- und Ortsangabe (Trakehner Straße 3, 60487 Frankfurt am Main) und Firma Chemetall GmbH, an deren Geschäftssitz der zugelassene Vertreter residiert, enthielt, bei letzterer Angabe jedoch der Zusatz "c/o" fehlte.

1.4.1 Diese Unrichtigkeit führt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin indes nicht dazu, dass die Übersendung der angefochtenen Entscheidung unter Verstoß gegen die Regel 130 (1) EPÜ als nicht an deren zugelassenen Vertreter gerichtet zu qualifizieren wäre. Abgesehen davon, dass dieser ausdrücklich an erster Stelle des Adressfeldes genannt wurde und somit eindeutig als (End-) Empfänger gekennzeichnet war, hat die Beschwerdeführerin nicht überzeugend darlegen können, dass allein wegen des fehlenden "c/o"-Zusatzes vor der Firmenbezeichnung Chemetall GmbH eine Zuordnung des Schreibens unmöglich oder auch nur mehr als unerheblich erschwert gewesen wäre.

1.4.2 Zum einen steht ihre Behauptung, bei Verwendung des "c/o"-Zusatzes hätte Herr Petersen in der Poststelle der Chemetall GmbH die Sendung nicht entgegengenommen, sondern stattdessen den Postzusteller an das Büro der Vertretergemeinschaft verwiesen, im Widerspruch zu ihrem Vortrag im Übrigen. Denn die Beschwerdeführerin hat auf Nachfrage der Kammer eingeräumt, dass die Vertretergemeinschaft über gar keine eigene Poststelle verfüge, sondern vielmehr sämtliche Materialien und Einrichtungen der Chemetall GmbH nutze.

Dafür, dass die Vertretergemeinschaft und insbesondere der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin den Postverkehr nicht selbst, sondern über die Poststelle der Chemetall GmbH abwickelte, spricht auch die Verwendung deren Freistemplers auf den an das EPA zurückgesendeten Empfangsbescheinigungen sowohl im Einspruchs- als auch im Beschwerdeverfahren (siehe: die am 15. Dezember 2009 von Herrn Uppena unterzeichnete und Folgetag freigestempelte Empfangsbescheinigung betreffend die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sowie die am 17. Mai 2010 von Herrn Uppena unterzeichnete und am Folgetag freigestempelte Empfangsbescheinigung betreffend die Übersendung der angefochtenen Entscheidung).

Da der zugelassene Vertreter und die Vertretergemeinschaft, der er angehört, mithin über keine eigene Poststelle verfügten, sondern sich für ihren eingehenden wie ausgehenden Postverkehr der zentralen Poststelle der Chemetall GmbH bedienten, hätte der in ebendieser Poststelle tätige Herr Petersen den Postzusteller, der den Brief mit der angefochtenen Entscheidung auslieferte, diesen selbst dann nicht weiterverweisen können, wenn der "c/o"-Zusatz im Adressfeld gestanden hätte. Denn es gab keine Poststelle, an die er hätte verweisen können.

1.4.3 Zum anderen ist durch die diversen Zustellungen, die im Einspruchs- wie im Beschwerdeverfahren unter derselben Adressierung ohne "c/o"-Zusatz erfolgten und stets von der Poststelle der Chemetall GmbH und insbesondere auch von dem dort tätigen Herrn Petersen an die Vertretergemeinschaft weitergeleitet wurden, bei der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sogar noch am Empfangstag, dokumentiert, dass die Zuordnung der an den zugelassenen Vertreter gerichteten Post offenbar keine Schwierigkeit aufwarf.

1.4.4 Im Übrigen schließt sich die Kammer dem fragenden Hinweis seitens der Beschwerdegegnerin im Termin zur mündlichen Verhandlung an, weswegen der zugelassene Vertreter, der sich wegen des fehlenden "c/o"-Zusatzes auf eine Falschadressierung von Zustellungen seitens des EPA beruft, das EPA nicht schon im Zusammenhang mit früheren gleichlautenden Zustellungen im Einspruchsverfahren hierauf aufmerksam gemacht hat. Weshalb der zugelassene Vertreter gleichwohl diese naheliegende Handlung nicht ergriffen hat, sondern insoweit gänzlich untätig geblieben ist, hat der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin nicht erklärt.

1.5 Der Einwand der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Nichtzurechenbarkeit der Entgegennahme der angefochtenen Entscheidung durch den nach ihrem Vortrag dazu nicht bevollmächtigten Herrn Petersen am 14. Mai 2010 betrifft die Frage, wem das Risiko einer verzögerten Weiterleitung der Postsendung von der Poststelle der Chemetall GmbH an den zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin, der den eigenen Empfang erst für den 17. Mai 2010 bestätigt hat, zuzurechnen ist.

1.5.1 Aus den Regeln 125 (4) und 126 (2) EPÜ ergibt sich, dass das EPA sowohl die Risiken zu tragen hat, die sich in der eigenen Sphäre ergeben, als auch die sog. Transportrisiken, z.B. das Risiko des Briefverlusts auf dem Weg zum Empfänger.

1.5.2 Davon zu unterscheiden sind jedoch die Risiken, die im Organisations- und Machtbereich des Empfängers liegen, z.B. das Risiko, dass Angestellte oder sonst Empfangsbeauftragte den bei der Geschäftsadresse abgegebenen Brief nicht weiterleiten oder ein durch einen "OK"-Vermerk vom Empfängergerät bestätigtes Telefax infolge einer technischen Störung des Gerätespeichers oder -druckers "verloren geht" (siehe für die Risikoverlagerung im letztgenannten Beispiel: T0580/06 vom 1. Juli 2008, Nr. 1.4.2 der Entscheidungsgründe); diese in seinem Verantwortungsbereich angesiedelten Risiken hat der Empfänger selbst zu tragen. Für die Annahme, dass ein Brief in den Organisations- und Machtbereich des Empfängers gelangt ist, genügt es, dass der Brief beim Empfänger eingeht und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.

In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist anerkannt, dass eine solche Möglichkeit bereits dann besteht, wenn ein Angestellter oder sonst Empfangsbevollmächtigter des Adressaten, hier der zugelassene Vertreter, in seinem Namen die Postsendung entgegennimmt. Eine "Inempfangnahme" und/oder Kenntnisnahme durch den zugelassenen Vertreter für seinen Mandanten ist nicht erforderlich. Der Umstand, dass der Empfänger, hier der zugelassene Vertreter, erst mehrere Tage oder gar Wochen später von der Sendung Kenntnis erhält, spielt insoweit keine Rolle, weil die einzige rechtliche Bedingung, nämlich die Zustellung an ihn, erfüllt ist (T0247/98 vom 17. Juni 1999, Nr. 1 der Entscheidungsgründe; T0172/04 vom 13. Dezember 2005, Nr. 4 der Entscheidungsgründe; T0743/05 vom 12. Oktober 2006, Nrn 1.6 bis 1.8 der Entscheidungsgründe; T0261/07 vom 27. September 2007, Nr. 1.6 der Entscheidungsgründe; T0529/09 vom 10. Juni 2010, Nr. 4 der Entscheidungsgründe).

Nicht anders ist die von der Beschwerdeführerin genannte Entscheidung T0703/92 vom 14. September 1995 zu verstehen. Soweit dort (Nr. 1.1.1 der Entscheidung) ausgeführt wird, dass es zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung daher darauf ankomme, ob und wann der Vertreter über die vollständige Entscheidung verfügen konnte, betraf dies eine besondere, anders als im vorliegenden Beschwerdeverfahren gelagerte Fallkonstellation.

Dort ging es um eine Verletzung der Regel 81 (1) EPÜ 1973 (jetzt Regel 130 (1) EPÜ), weil die schriftlich begründete Entscheidung und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht dem bevollmächtigten zugelassenen Vertreter, sondern der Einsprechenden selbst zugeschickt wurde. Dieser Zustellmangel konnte und wurde erst durch die (erneute) Zustellung an den Vertreter nach Regel 82 EPÜ 1973 (jetzt Regel 125 (4) EPÜ) geheilt.

Im vorliegenden Fall war demgegenüber die angefochtene Entscheidung von vornherein an den bevollmächtigten zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin gerichtet, und es geht allein darum, wann diese Zustellung bewirkt wurde: schon mit der Übergabe an einen Mitarbeiter in der Poststelle der Chemetall am 14. Mai 2010 oder erst mit der bestätigten Kenntnisnahme durch den zugelassener Vertreter am 17. Mai 2010.

Insoweit berief sich die Beschwerdeführerin nämlich darauf, dass Herr Petersen weder Angestellter ihres zugelassenen Vertreters bzw. der Vertretergemeinschaft noch zum Empfang von an diesen bzw. diese gerichteten Postsendungen bevollmächtigt war und es deshalb allein auf die Kenntnisnahme durch den zugelassenen Vertreter ankomme.

1.5.3 Entscheidend ist mithin, ob die von der Beschwerdeführerin behauptete verzögerte Weiterleitung des Briefes mit der angefochtenen Entscheidung infolge der Übergabe des Briefes durch den Postzusteller an Herrn Petersen noch Teil des vom EPA zu verantwortenden Transportes war oder schon innerhalb des Macht- und Verantwortungsbereiches des zugelassenen Vertreters lag.

Letzteres wäre dann der Fall, wenn ungeachtet der nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin fehlenden Empfangsbevollmächtigung von Herrn Petersen, dessen Entgegennahme der Postsendung dem zugelassenen Vertreter zuzurechnen wäre, weil es ihm bereits in diesem Zeitpunkt möglich war, von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis zu nehmen.

Diese Möglichkeit der Kenntnisnahme tritt nämlich nicht erst beim (endgültigen) Besitzerwerb des Briefes durch den zugelassenen Vertreter ein, erfordert aber zumindest, dass er diesem so nahe gebracht wird, dass es nur noch am ihm liegt, von dem Brief Kenntnis zu nehmen.

1.5.4 Soweit die Beschwerdeführerin behauptet hat, Herr Petersen sei nicht zur Entgegennahme von an die der Vertretergemeinschaft angehörenden zugelassenen Vertretern gerichtete Sendungen bevollmächtigt gewesen, wie dieser es in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 10. Mai 2011 erklärte, steht dies der Zurechnung des Eingangs der angefochtenen Entscheidung in der Poststelle der Chemetall GmbH dem zugelassener Vertreter gegenüber nicht entgegen.

Auch ohne eine ausdrückliche Bevollmächtigung von Herrn Petersen hatten die Vertretergemeinschaft und mit ihr der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin den Postverkehr in einer Art und Weise organisiert, der die Nutzung der zwar zur Chemetall GmbH gehörenden und somit fremden Poststelle jedenfalls nach außen quasi als eigene Poststelle erscheinen ließ. Die Vertretergemeinschaft war nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin organisatorisch und infrastrukturell derart eng mit der Chemetall GmbH verbunden, dass zumindest für den Postverkehr nach außen keine Unterscheidung zwischen beiden erkennbar war.

Diese Verflechtung gründet sich auf die Verwendung des Briefpapiers der Chemetall GmbH mit allen deren Angaben, einschließlich des Eintrags im Handelsregister, der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und der Kontoverbindung. Außerdem hat die Beschwerdeführerin eine personelle Verflechtung dahingehend eingeräumt, dass Kanzleimitarbeiter zugleich Mitarbeiter der Chemetall GmbH waren. In organisatorischer und infrastruktureller Hinsicht bestand die Verflechtung darüber hinaus in der seitens der Beschwerdeführerin eingeräumten Verwendung von Materialen und Einrichtungen der Chemetall GmbH, darunter eben deren Poststelle, einschließlich des Freistemplers sowie deren E-Mail-Servers (chemetall.com).

Schließlich haben der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin und die von ihr bevollmächtigte Vertretergemeinschaft offenbar auch das auf die Chemetall GmbH lautende laufende Konto für die Zahlung der Einspruchsgebühr als auch der Beschwerdegebühr genutzt (deposit account number 28000543).

Insgesamt war die juristische Eigenständigkeit der Vertretergemeinschaft in tatsächlicher Hinsicht durch die enge Verflechtung mit der Chemetall nach außen hin derart verwischt, dass die von der Beschwerdeführerin bevollmächtige Vertretergemeinschaft und der ihr angehörende zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin sich jedenfalls hinsichtlich der Organisation des Postverkehrs so behandeln lassen müssen, als ob die Poststelle der Chemetall GmbH zumindest zugleich auch ihre eigene Poststelle war bzw. als solche zu gelten hatte.

Infolgedessen kommt es auf die Frage der (ausdrücklichen) rechtlichen Bevollmächtigung von Herrn Petersen zur Entgegennahme von an die Vertretergemeinschaft oder an ihr angehörende zugelassene Vertreter gerichtete Postsendungen nicht an, da diese ihren Postverkehr betreffend in einer Weise so eng an die Poststelle der Chemetall GmbH faktisch angebunden waren, dass deren Poststelle ohne weiteres auch als solche der Vertretergemeinschaft fungierte bzw. nach außen in Erscheinung trat.

1.6 Abgesehen von diesen Erwägungen müssen sich der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin und die Vertretergemeinschaft, die die Beschwerdeführerin im Einspruchs- und im Beschwerdeverfahren bevollmächtigte, auch unter einem weiteren Gesichtspunkt den Zeitpunkt des Eingangs von an sie gerichteten Postsendungen in der Poststelle der Chemetall GmbH als eigenen Eingang zurechnen lassen und für jede interne Verzögerung der (internen) Weiterleitung von Postsendungen von der Poststelle der Chemetall GmbH an ihre Büroräume einstehen.

Ein zugelassener Vertreter ist im Rahmen seiner Berufspflichten (vgl.: Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern, ABl. EPA 1978, 91, ABl. EPA 2008, 14; Richtlinien des Instituts der beim EPA zugelassenen Vertreter (epi) für die Berufsausübung, ABl. EPA 2003, 523) gehalten, die uneingeschränkte postalische Erreichbarkeit zu gewährleisten. Diese allgemeine Grundregel für den Verkehr zwischen zugelassenem Vertreter einerseits sowie seinen Mandanten, dem EPA, dem epi, anderen zugelassenen Vertretern etc. andererseits verlangt entweder nach einer eigenen Poststelle (sei es auch nur ein Briefkasten) oder nach einer anderweitigen Einrichtung zum Empfang von Postsendungen.

Auf den vorliegenden Fall übertragen heißt dies, dass der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin und die von ihr bevollmächtigte Vertretergemeinschaft als Ausgleich für das Fehlen einer eigenen Poststelle sich zwar einer "fremden" Poststelle, hier der Poststelle der Chemetall GmbH, bedienen durften, diese dann aber für die Frage der Zustellung von fristgebundenen Mitteilungen wie eine eigene Poststelle gelten lassen müssen.

Ein anderes Verständnis in der Weise, dass es in einem solchen Fall des Nichtvorhaltens einer eigenen Poststelle für die Frage des Zustellzeitpunktes und damit des Fristbeginns nicht auf den Empfang in der "Ersatz-" Poststelle, sondern auf den Moment der Kenntniserlangung seitens des zugelassenen Vertreters vom Inhalt der Mitteilung selbst ankäme, führte für alle Nutzer des europäischen Patentsystems zu Unsicherheit, da die Antwort auf die Frage, ob die Zustellung tatsächlich erfolgt sei, in diesem Fall völlig von der Ehrlichkeit, dem guten Willen oder den organisatorischen Fähigkeiten des zugelassenen Vertreters abhinge.

1.7 Die Beschwerdeführerin kann sich schließlich nicht auf den Fristenzettel der Vertretergemeinschaft berufen, den die Beschwerdeführerin mit ihrem Schriftsatz vom 16. Dezember 2010 vorgelegt hat und auf dem der ebenfalls von der Beschwerdeführerin bevollmächtigte zugelassene Vertreter Franz Uppena vermerkte "Achtung, keine 10-Tage Regel".

Es galt jedoch, wie dargelegt, die Zehntageregel gemäß Regel 126 (2) EPÜ, so dass der zugelassene Vertreter insoweit einem Rechtsirrtum unterlag. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind Unkenntnis oder falsche Auslegung einer Bestimmung des EPÜ, insbesondere bei der Berechnung von Fristen, unbeachtlich (vgl. z.B. J 31/89 vom 31. Oktober 1989, Nr. 3 der Entscheidungsgründe; Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6. Auflage 2010, Kap. VI.E.7.4.2b), S. 595 ff., m.w.N.).

Mithin kann die Beschwerdeführerin nicht mit Erfolg die – irrige – Fristenberechnung seitens des zugelassenen Vertreters geltend machen, um sich auf eine spätere Zustellung als am 14. Mai 2010 zu berufen.

2. Die Postsendung mit der angefochtenen Entscheidung wurde dementsprechend am 14. Mai 2010 in der Poststelle am Sitz der Chemetall GmbH mit Wirkung auch für die Vertretergemeinschaft und den zugelassenen Vertreter der Beschwerdeführerin zugestellt. Dass dieser nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin erst am 17. Mai 2010 tatsächlich Kenntnis von der angefochtenen Entscheidung nahm, ist ohne Belang für die Frage des Empfangs und damit der Wirksamkeit der Zustellung, die schon am 14. Mai 2010 erfolgt war.

Damit wurde die Zustellung der angefochtenen Entscheidung innerhalb der Zehntagefrist nach Regel 126 (2) EPÜ bewirkt und endete die Frist für die Einlegung der Beschwerde nach Artikel 108 Satz 1 EPÜ sowie Regel 131 (1) und (2) EPÜ mit Ablauf des 14. Juli 2010.

Die Beschwerde mit Schriftsatz vom 15. Juli 2010 ging folglich erst nach Ende der Beschwerdefrist ein und ist daher nicht zulässig.

Sie ist deshalb ohne Prüfung der Begründetheit in der Sache als unzulässig zu verwerfen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

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