T 1397/10 (T-Zell-Aktivierungsnachweisverfahren/KERN) of 6.5.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T139710.20140506
Datum der Entscheidung: 06 Mai 2014
Aktenzeichen: T 1397/10
Anmeldenummer: 99930888.5
IPC-Klasse: G01N 33/50
G01N 33/68
C12P 21/00
A61K 38/17
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 344 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM IDENTIFIZIEREN VON T-ZELL-STIMULIERENDEN PROTEINFRAGMENTEN
Name des Anmelders: Kern, Florian
Name des Einsprechenden: Miltenyi Biotec GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(3)
European Patent Convention Art 87
European Patent Convention Art 88
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Mündliche Verhandlung - in Abwesenheit des Beschwerdeführers abgehalten
Priorität - dieselbe Erfindung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/92
T 0789/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Beschwerdeführer ist Inhaber des auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 99930888.5 erteilten Patents Nr. 1051619. Das Patent in der erteilten Form enthielt 13 Ansprüche.

Der unabhängige Anspruch 1 lautete wie folgt:

"1. Verfahren zum Identifizieren von T-Zell-stimulierenden Proteinfragmenten, die folgenden Schritte umfassend:

a) Ermitteln der Aminosäuresequenz eines Antigens, welches ein Protein oder Peptid ist,

b) Unterteilen der gefundenen Aminosäuresequenz des Antigens in Proteinfragmente,

c) Synthetisieren von mindestens einem Proteinfragment mit einer Länge von B (sic) bis 30 Aminosäuren oder Spalten der Aminosäuresequenz des Antigens zu mindestens einem Proteinfragment mit einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren,

dabei ist das Proteinfragment eine Teilsequenz der ermittelten Aminosäuresequenz des Antigens. (sic)

d) Inkubieren einer T-Zellen enthaltenden Suspension mit dem oder den Proteinfragmenten in Versuchsansätzen,

e) Identifizieren

(i) von mindestens einem T-Zell-Zytokin, das durch das oder die Proteinfragmente induziert und in den T-Zellen synthetisiert wurde,

dabei liegen das oder die T-Zell-Zytokine intrazellulär oder an die Zellmembran gebunden vor,

und/oder

(ii) von mindestens einem aufgrund der T-Zellstimulation durch das oder die Proteinfragmente exprimierten oder in seiner Expression gesteigerten Aktivierungsmarker, der durch das oder die Proteinfragmente induziert oder in seiner Expression gesteigert wurde und in den T-Zellen exprimiert wird, dabei kann der Aktivierungsmarker intrazellulär vorliegen oder auf der Zelloberfläche exprimiert sein

dabei werden das oder die T-Zell-Zytokine oder Aktivierungsmarker durchflußzytometrisch identifiziert, und

f) Zuordnen der Versuchsansätze, bei denen T-Zellen stimuliert wurden und diese T-Zell-Stimulation durch das Identifizieren von einem T-Zell-Zytokin oder mehreren T-Zell-Zytokinen und/oder einem oder mehreren Aktivierungsmarkern erkannt wurde, zu der oder den Aminosäuresequenzen der Proteinfragmente, welche mit den T-Zellen inkubiert wurden,

dadurch gekennzeichnet,

daß die Inkubationszeit so lang ist,

daß das oder die Proteinfragmente von den MHC Molekülen,

die sich auf der Zelloberfläche befinden,

ausreichend aufgenommen werden,

wobei die Aufnahme dann ausreichend ist,

wenn eine eindeutige Identifizierung stimulierter T-Zellen möglich ist,

und,

daß die Inkubationszeit der T-Zellen enthaltenden Suspension mit dem oder den Proteinfragmenten so kurz ist,

daß eine Selektion und Proliferation, die mit einer gezielten Eliminierung bestimmter T-Zellen einhergeht, nicht erfolgt."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurde Einspruch eingelegt. Die Einspruchsgründe waren auf Artikel 100(a) und (b) EPÜ gestützt, mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ im gesamten Umfang wegen mangelnder erfinderischen Tätigkeit nicht patentfähig sei, und dass das europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

III. Der Patentinhaber beantragte, den Einspruch zurückzuweisen, oder hilfsweise, das Patent auf Grundlage eines ersten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten.

IV. Die nachfolgenden Entgegenhaltungen wurden inter alia im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zitiert:

O2 Waldrop et al., 1997, J. Clin. Invest. 99(7), Seiten 1739-1750

O12 DE 19802174.7

O16 WO 98/23960

V. In ihrer an der mündlichen Verhandlung vom 11. März 2010 verkündeten und am 19. April 2010 zur Post gegebenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche in ihrer erteilten Fassung die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllt und dass der Hilfsantrag den Erfordernissen des Artikels 123(2) nicht genügt. Folglich wurde das Patent gemäß Artikel 101(3)(b) EPÜ widerrufen.

Die Einspruchsabteilung stellte zuerst fest, dass der Gegenstand vom Anspruch 1 des Hauptantrags die Priorität vom 19. Januar 1998 nicht genoss und die Entgegenhaltung O16 somit zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ gehörte. Das erste Prioritätsdokument offenbare insbesondere nicht u.a. Peptide mit einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren, und die "Untergrenze" ("daß die Inkubationszeit so lang ist, daß...") und "Obergrenze" ("daß die Inkubationszeit (...) so kurz ist, daß...") der Inkubationszeit so wie

im Anspruch 1 definiert. Ausgehend von O16 und in Kenntnis von der Entgegenhaltung O2 beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Leistung. Hinsichtlich Artikel 83 EPÜ war die Einspruchsabteilung der Meinung, dass dieser Einwand vom Einsprechenden nicht durch die nötigen Beweismittel substantiiert wurde.

Bezüglich des Hilfsantrags kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nicht in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart sei.

VI. Der Patentinhaber (Beschwerdeführer) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.

Mit seiner Beschwerdebegründung reichte der Beschwerdeführer einen neuen Anspruchsatz als Hilfsantrag ein und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der erteilten Ansprüche (Hauptantrag) oder hilfsweise gemäß dem neuen Hilfsantrag. Hilfsweise beantragte der Beschwerdeführer die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Der Anspruchsatz gemäß 1. Hilfsantrag besteht aus 12 Ansprüchen, und unterscheidet sich vom Hauptantrag unter anderem dadurch, dass Anspruch 1 so geändert wurde:

"1. ...

...,

c) Synthetisieren von mindestens einem Proteinfragment mit einer Länge von 5[deleted: 8] bis 30 Aminosäuren oder Spalten der Aminosäuresequenz des Antigens zu mindestens einem Proteinfragment mit einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren,

dabei ist das Proteinfragment eine Teilsequenz der ermittelten Aminosäuresequenz des Antigens,[deleted: .]

daß eine Selektion und Proliferation, die mit einer gezielten Eliminierung bestimmter T-Zellen einhergeht, nicht erfolgt, wobei die T-Zellen enthaltende Suspension Zellen enthält, die das Proteinfragment im wesentlichen an MHC-Klasse-I Moleküle gebunden präsentieren."

VII. Der Einsprechende reichte keine substantielle Antwort auf die Beschwerde ein. Mit Brief vom 9. Dezember 2010 nahm der Einsprechende den Einspruch zurück.

VIII. Dem Antrag des Beschwerdeführers entsprechend wurde eine mündliche Verhandlung anberaumt.

In der Mitteilung der Beschwerdekammer, die der Ladung beigefügt wurde (gemäß Artikel 15(1) VOBK), teilte die Beschwerdekammer u.a. mit, dass die Kammer die Meinung der Einspruchsabteilung bezüglich der ersten Priorität teilte, und dass nach ihrer vorläufigen Auffassung der Hauptantrag und der Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllen. Bezüglich des Hilfsantrages, war es, in Abwesenheit von Argumenten seitens des Beschwerdeführers, nicht offensichtlich inwiefern die vorgenommenen Änderungen gegenüber dem Hauptantrag zu erfinderischer Tätigkeit beitragen sollen.

IX. Der Beschwerdeführer äußerte sich nicht zu den Ausführungen der Kammer, sondern kündigte mit Brief vom 4. April 2014 an, dass er an der Verhandlung nicht teilnehmen würde.

X. Am 6. Mai 2014 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

XI. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Priorität

Bezüglich der Prioritätssituation nahm der Beschwerdeführer auf die Ausführungen in dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung Bezug, ohne weitere Argumente gegen die angefochtene Entscheidung vorzutragen. Zudem gab der Beschwerdeführer auch keine substantielle Antwort auf den Bescheid der Kammer.

Hauptantrag - Artikel 56 EPÜ

Dem Gegenstand von Anspruch 1 liege die technische Aufgabe zugrunde, ein effizientes Verfahren zum T-Zell-Epitopmapping von Proteinantigenen bereitzustellen. Wegweisend für ein Erreichen der vorliegenden Erfindung sei unter anderem die Erkenntnis der Erfinder, dass es möglich sei, Peptid-spezifische T-Zellen in T-Zellen enthaltende Suspensionen durch Inkubieren mit Peptiden einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren derart zu stimulieren, dass diese T-Zell-Zytokine und/oder Aktivierungsmarker exprimieren, die dann durch Durchflusszytometrie bestimmt werden können. Weiterhin sei entscheidend, dass notwendige Maßnahmen für ein Unterdrücken der Freisetzung dieser Zytokine und/oder Aktivierungsmarker nicht mit einer erforderlichen Stimulierung der T-Zellen interferieren.

Anders als in dem in O16 beschriebenen Verfahren (Seite 2 Zeilen 4-10 und 29; Seite 1 Zeilen 5-8; Seite 3 Zeilen 1 und 2) wurde in dem erfindungsgemäßen Verfahren kein freigesetztes Zytokin nachgewiesen: O16 sehe ausdrücklich nur einen Nachweis von freigesetztem Zytokin vor. Eine durchflusszytometrische Messung von Zytokinen finde in Dokument O16 keine Berücksichtigung und der Fachmann hätte zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Veranlassung gehabt, das in O16 beschriebene Verfahren derart zu modifizieren, dass anstatt eines Nachweises von sekretierten Zytokinen durch einen ELISPOT-Assay, eine intrazelluläre Akkumulation von Zytokinen durchflusszytometrisch gemessen wurde, in der Erwartung, das modifizierte Verfahren wurde empfindlicher sein als das in O16 beschriebene Verfahren.

Aus O16 ginge nicht hervor, dass der ELISPOT-Assay nicht empfindlich genug sei, ein T-Zell-Epitopmapping durchzuführen; O16 verweise beispielsweise auf Seite 1, Zeilen 9 bis 19 im Gegenteil ausdrücklich auf die Vorteile, insbesondere die Empfindlichkeit des ELISPOT-Assays.

Es sei bereits zweifelhaft, ob der Fachmann überhaupt in Betracht gezogen hätte, die Lehre von O2 mit der Lehre von O16 zu kombinieren. O2 betreffe kein Verfahren zum Identifizieren von T-Zell-stimulierenden Proteinfragmenten, sondern eine Bestimmung von Cytomegalovirus-spezifischen CD4+-T-Zellen in normalen und HIV+ Patienten. Im Gegensatz dazu wurden in dem erfindungsgemäßen Verfahren definierte Peptide einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren verwendet. Somit wurden erfindungsgemäß nur T-Zellen einer bestimmten Spezifität stimuliert und im Fall einer positiven Reaktion können somit später Rückschlüsse auf die Identität des T-Zell-stimulierenden Proteinfragments gezogen werden. Das sei mit dem in O2 beschriebenen Verfahren nicht möglich.

Auch hätte der Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Veranlassung zu der Vermutung gehabt, dass eine durchflusszytometrische Messung bei einer Erfassung von stimulierten T-Zellen empfindlicher sei als das ELISPOT-Verfahren. Die von der Einspruchsabteilung zitierte Passage von O2 auf Seite 1746 rechte Spalte 4. Absatz sei in diesem Sinn fraglich, da es sich lediglich um eine Behauptung handele, die nicht wissenschaftlich fundiert sei. Festzustellen sei zudem, dass in O2 selbst (Seite 1741 linke Spalte) dargestellt werde, dass zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren, um die Sensitivität des Testverfahrens zu steigern, und dass die verhältnismäßig kleine Größe der Antigen-spezifischen Populationen sich als problematisch darstellten. So erfordert das in O2 beschriebene durchflusszytometrische Nachweisverfahren eine Behandlung durch Brefeldin A, um dadurch allgemein die zelluläre Proteinsekretion zu hemmen. O2 sei nicht zu entnehmen, wie sich eine derartige Behandlung auf die Stimulierung von T-Zellen auswirkt, insbesondere wenn eine spezifische Stimulierung mit definierten Peptiden einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren beabsichtig ist, die nicht durch intrazelluläre Prozessierung, sondern durch direkte Aufnahme auf MHC-Moleküle der Antigen-präsentierenden Zellen gelangen. O2 befasse sich mit einer Fragestellung, die zu der technischen Aufgabe sowohl von O16 als auch der vorliegenden Erfindung keinen Bezug habe. Allein deshalb hätte der Fachmann schon keine Veranlassung gehabt, das in O16 beschriebene Verfahren im Hinblick auf O2 grundlegend abzuändern.

XII. Der Beschwerdeführer beantragte, die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrages) oder gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt, der nach ordnungsgemäßer Ladung angekündigt hatte, nicht daran teilzunehmen.

Die vorliegende Entscheidung basiert auf Tatsachen und Beweismittel, die schon im schriftlichen Verfahren vorgebracht wurden und zu denen dem Beschwerdegegner Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen. Somit sind die in der Stellungnahme der Grossen Beschwerdekammer G4/92, ABl. 1994, 149, ausgeführten Kriterien erfüllt.

Außerdem ist die Kammer nach Artikel 15(3) VOBK nicht verpflichtet, einen Verfahrenschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist; dieser kann dann so behandelt werden, als stütze er sich lediglich auf sein schriftliches Vorbringen.

3. Der Einsprechende, der im vorliegenden Fall Beschwerdegegner wäre, nahm mit Brief vom 9. Dezember 2010 seinen Einspruch zurück. Diese Rücknahme hat aber keinen Einfluss auf das Beschwerdeverfahren, d.h. das Beschwerdeverfahren bleibt weiterhin anhängig. Die Kammer muss daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung inhaltlich prüfen; dabei können Beweismittel herangezogen werden, die der Einsprechende vor der Rücknahme des Einspruchs vorgelegt hat. Allerdings hat die Rücknahme des Einspruchs durch den Beschwerdegegner zur Folge, dass der Beschwerdegegner hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt ist; ferner, da kein Antrag auf Kostenverteilung vorliegt, hat der Einsprechende kein Parteistatus mehr (T 789/89, ABl. 1994, 482).

4. Priorität

4.1 Gemäß Artikel 87 EPÜ genießt eine europäische Patentanmeldung die Priorität einer früheren Anmeldung nur dann, wenn sie sich auf "dieselbe Erfindung" bezieht. Das in Artikel 87(1) EPÜ für die Inanspruchnahme einer Priorität genannte Erfordernis "derselben Erfindung" bedeutet, dass die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Anmeldung gemäß Artikel 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs - d.h., die spezifische Merkmalskombination in dem Anspruch - unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann (G 2/98, ABl. EPA 2001, 413). Der Umfang des Prioritätsrechts wird durch die Offenbarung der früheren Anmeldung bestimmt und beschränkt sich zugleich darauf.

4.2 Das Streitpatent beansprucht Prioritätsrechte aus zwei früheren nationalen Anmeldungen: DE 19802174 vom 19. Januar 1998 (Dokument O12) und DE 19834932 vom 28. Juli 1998. Hinsichtlich des entgegengehaltenen Stands der Technik ist es erforderlich, die Gültigkeit des ersten Prioritätsrechts (d.h. aus O12) nachzuprüfen.

4.3 Die Kammer stellt fest, dass zumindest folgende Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags Dokument O12 nicht zu entnehmen sind:

(1) "Proteinfragment mit einer Länge von 8 bis 30 Aminosäuren";

(2) "daß die Inkubationszeit so lang ist, daß das oder die Proteinfragmente von den MHC Molekülen, die sich auf der Zelloberfläche befinden, ausreichend aufgenommen werden, wobei die Aufnahme dann ausreichend ist, wenn eine eindeutige Identifizierung stimulierter T-Zellen möglich ist" (Untergrenze des Inkubationszeitbereiches), und

(3) "daß die Inkubationszeit der T-Zellen enthaltenden Suspension mit dem oder den Proteinfragmenten so kurz ist, daß eine Selektion und Proliferation, die mit einer gezielten Eliminierung bestimmter T-Zellen einhergeht, nicht erfolgt" (Obergrenze des Inkubationszeitbereiches).

4.3.1 Hinsichtlich der Länge der Proteinfragmente (Merkmal (1) oben) werden in O12 Peptide mit 9-11 Aminosäuren (Seite 3, Zeile 9), mit 9 Aminosäuren (Seite 4, Zeilen 32 bis 33 und 35; und Seite 5, Peptide 1 bis 7 und 9), mit 15 Aminosäuren (Seite 4, Zeile 36) und mit 10 Aminosäuren (Seite 5, Peptid 8) beschrieben. Obwohl all diese Peptide eine Länge aufweisen, die in dem beanspruchten Bereich von 8 bis 30 Aminosäuren liegt, wird der Bereich selbst nicht in O12 offenbart, noch sind seine Grenzen aus O12 zu entnehmen.

4.3.2 Nur zwei Stellen in O12 beziehen sich auf die Inkubationsdauer: Seite 3, Zeilen 22 bis 24, und Seite 4, Zeile 31. In der ersten Stelle wird beschrieben, dass "T-Zellen in vitro mit einzelnen Peptiden oder Mischung daraus unter optimierten Bedingungen stimuliert [werden]" und "nach ausreichender Stimulationsdauer" markiert und analysiert werden: es ist nicht zu entnehmen, dass die "ausreichende Stimulationsdauer" so wie in den Merkmale (2) und (3) oben zu definieren ist. In der zweiten Stelle wird lediglich eine Inkubationszeit von "über 6 Stunden" beschrieben: auch wenn davon auszugehen wäre, dass diese spezifische Inkubationsdauer der Definition der Merkmalen (2) und (3) entsprechen könnte, wäre das nur eine von mehreren möglichen Inkubationszeiten, die unter den so definierten Inkubationszeitbereich fallen würden.

4.4 Die obengenannten Merkmale sind daher weder explizit noch implizit der Prioritätsanmeldung zu entnehmen, auch unter Berücksichtigung des gesamten Offenbarungsgehaltes der Prioritätsanmeldung und unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens.

4.5 Somit kann Anspruch 1 des Streitpatents die Priorität aus der früheren Anmeldung O12 nicht wirksam in Anspruch nehmen.

5. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Das vorliegende Patent beschreibt ein Verfahren, mit dem Proteinfragmente, deren Aminosäure-Sequenzen bekannt sind, in kurzer Zeit als T-Zell-stimulierende Proteinfragmente identifiziert werden können. Die T-Zell-Stimulation wird durch das durchflußzytometrische Identifizieren von einem oder mehreren T-Zell-Zytokinen und/oder einem oder mehreren Aktivierungsmarkern erkannt und die Methode soll auch bei einer kleinen Anzahl von T-Zellen arbeiten, ohne dass T-Zell-Linien oder -Klone zur Verfügung stehen müssen (Patent, Absätze [0005] und [0006]).

5.2 Die nach dem ersten Prioritätsdatum und vor dem zweiten Prioritätsdatum veröffentlichte Entgegenhaltung O16 ist, mangels Wirksamkeit der für das Streitpatent ersten beanspruchten Priorität (siehe oben), als Stand der Technik im Sinne des Artikels 54(2) EPÜ zu berücksichtigen. O16 beschreibt ebenfalls ein Verfahren zur Bestimmung eines T-Zell-Epitopes, dadurch gekennzeichnet, dass T-Zell-Zytokine identifiziert werden und zu den Aminosäuresequenzen der Proteinfragmente, welche mit den T-Zellen inkubiert wurden, zugeordnet werden (O16: Anspruch 11; Seite 2, Zeilen 8 bis 10; Seite 8, Zeilen 2 bis 6; Seite 9, Tabelle 1; Seite 11, Zeilen 12 bis 15). Daher ist O16 der nächstliegende Stand der Technik.

5.3 Der Unterschied zwischen Anspruch 1 des Hauptantrags und dem Inhalt der Entgegenhaltung O16 ist, dass die T-Zell-Zytokine und -Aktivierungsmarker durch durchflusszytometrische Identifizierung bestimmt werden. In seiner Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer die technische Aufgabe als die Bereitstellung eines effizienten Verfahrens zum T-Zell-Epitopmapping von Proteinantigenen formuliert. Da O16 jedoch auch ein effizientes Verfahren zum T-Zell-Epitopmapping von Proteinantigenen beschreibt, ist die technische Aufgabe die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zum T-Zell- Epitopmapping von Proteinantigenen.

5.4 Diese Aufgabe soll durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 gelöst werden, das, anstatt ELISPOT Assays wie in O16 beschrieben, durchflusszytometrische Assays vorsieht. Angesichts der Beispiele und den entsprechenden Abbildungen 1 und 2 der Anmeldungsschrift, ist diese Aufgabe plausibel gelöst.

5.5 Jedoch ist es für den Fachmann naheliegend, ausgehend von dem im Dokument O16 beschriebenen Verfahren, alternative Assays zur Messung der Antigen-spezifischen T-Zell-Zytokinantwort zu prüfen: O16 sieht selbst vor, dass die sekretierte Zytokinen mit irgendeinem der zahlreichen aus der Literatur bekannten Verfahren nachgewiesen werden können (O16, Seite 3 Zeile 1 bis 2). In diesem Zusammenhang würde sich der Fachmann O2 zuwenden, da dieses Dokument durchflusszytometrische Assays zur Messung der antigenspezifischen T-Zell Zytokinantwort beschreibt und darüberhinaus die Vorteile dieser Assays gegenüber dem ELISPOT Assay herausstellt (Seite 1746, rechte Spalte letzter Absatz; Seite 1747, linke Spalte zweiter Absatz).

5.6 Zwar stimmt es, dass in dem in O16 beschriebenen Verfahren freigesetztes anstatt intrazelluläres Zytokin nachgewiesen wird. Die Kammer stellt aber fest, dass sowohl in O16 wie auch in O2 und im vorliegenden Patent die Aktivierung von T-Zellen durch Antigene gemessen wird, und zwar durch den Nachweis von Aktivierungsmarkern wie etwa T-Zell-Zytokine. Verfahrensbedingt müssen die Proteine, die mit Durchflusszytometrie nachzuweisen sind, an die Zellen gebunden sein: deswegen werden bei dem beanspruchten Verfahren (wie auch bei dem in O2 beschriebenen Verfahren) Maßnahmen vorgenommen, die die Freisetzung der Zytokinen unterdrücken. Trotzdem wird genau das gleiche Produkt nachgewiesen: T-Zell-Zytokine als Marker für die Aktivierung von T-Zellen durch Antigene.

5.7 Auch wenn es angenommen werden kann, dass - wie vom Beschwerdeführer argumentiert - das erfindungsgemäße Verfahren Vorteile gegenüber dem in O16 beschriebenen Verfahren hat, können solche Vorteile nicht berücksichtigt werden, da sie als direkte Folge der Anwendung der Durchflusszytometrie auftreten und zu erwarten wären. Dadurch, dass verfahrensbedingt intrazelluläre Zytokine nachgewiesen werden, erlaubt das erfindungsgemäße Verfahren unter anderem auch eine Bestimmung der Frequenz Peptid-spezifischer T-Zellen und/oder eine Analyse der reagierenden T-Zell-Gruppen. Dieser vom Beschwerdeführer angeführte Vorteil der Erfindung ist jedoch nicht überraschend, sondern wird auch schon in O2 beschrieben (supra).

5.8 Obwohl O2 kein Verfahren zur Identifizierung von T-Zell-stimulierenden Proteinfragmenten, sondern zur Bestimmung von Cytomegalovirus (CMV)-spezifischen CD4+-T-Zellen betrifft, befasst sich jedoch das in O2 beschriebene Verfahren wie das beanspruchte Verfahren, mit der Aktivierung von T-Zellen. Dabei zeigt O2, dass die vorgenommenen Maßnahmen zur Unterdrückung der Proteinsekretion keine negative Auswirkung auf die Stimulierung von T-Zellen haben (Seite 1740, rechte Spalte letzer Absatz - Seite 1741, linke Spalte Zeile 1). Der Fachmann hatte daher keinen Grund, in Frage zu stellen, dass das in O16 beschriebene Verfahren auch unter Anwendung einer durchflusszytometrischen Messung funktioniert.

5.9 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ nicht erfüllt.

6. Hilfsantrag

6.1 Da die unter Punkt 4.3 aufgelistete Merkmale auch im Anspruch 1 des Hilfsantrags enthalten sind, genießt auch dieser Anspruch nicht das erste Prioritätsrecht (Artikel 88 EPÜ). Somit ist O16 auch für den Hilfsantrag Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ.

6.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch Hinzufügen eines funktionellen Merkmals (siehe oben, Punkt VI).

Wie bereits in dem zu der Ladung beigefügten Bescheid angedeutet, ist es nicht offensichtlich, warum dieses weitere Merkmal zur erfinderischen Tätigkeit beitragen soll. Es liegen seitens des Beschwerdeführers keine Argumente bezüglich des Hilfsantrags vor, und aus dem Patent geht auch nicht hervor, inwiefern die vorgenommenen Änderungen gegenüber dem Hauptantrag die Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen sollen.

6.3 Somit ist die Kammer der Auffassung, dass der Hilfsantrag den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ auch nicht genügt, aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation