European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T101010.20131212 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Dezember 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1010/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00916803.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01D 9/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR STEUERUNG DER KRISTALLGRÖSSE BEI DER KONTINUIERLICHEN MASSENKRISTALLISATION | ||||||||
Name des Anmelders: | Domo Caproleuna GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Honeywell International Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - alle Anträge - naheliegende Lösung (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent Nr. 1 165 198 unter Berücksichtigung der Änderungen auf der Basis des mit Schreiben vom 12. Februar 2010 eingereichten Hilfsantrags und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere jenen der ausreichenden Offenbarung, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit, genüge. Das Patent betrifft ein Verfahren zur Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation.
II. Im erstinstanzlichen Verfahren wurden unter anderem folgende Dokumente vorgebracht:
D3: US 4 009 045
D4: WO93/19826.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein. Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung gingen am 6. Mai 2010 bzw. am 12. Juli 2010 ein. Dabei reichte die Beschwerdeführerin unter anderem folgende Dokumente ein:
D18: Secondary Nucleation in a Class II System: Ammonium Sulfate-Water, Youngquist and Randolph, AIChe Journal (Vol. 18, No. 2), März 1972, S. 421-429.
D19: Chemical Engineers Handbook, Perry et al., 5. Auflage, 1973, S. 21-41.
Die Beschwerdeführerin erhob Einwände unter Art. 83 EPÜ und Art. 56 EPÜ.
IV. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
V. Die Parteien wurden am 6. März 2013 zu einer mündlichen Verhandlung geladen.
VI. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2013 teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VII. Am 12. Dezember 2013 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt, im Verlaufe derer die Beschwerdegegnerin Hilfsanträge 1 und 2 einreichte.
Anspruch 1 des Hauptantrags, d.h. des Hilfsantrags, auf dessen Grundlage die erstinstanzliche Entscheidung erging, lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation von Ammoniumsulfat durch Zugabe von Impfprodukten, dadurch gekennzeichnet, dass
- das Impfprodukt in seinen Parametern unabhängig vom aktuellen Kristallisationsprozess hergestellt wird,
- der mittlere Korndurchmesser des Feststoffes der Impfprodukte 0,1 bis 1,0 mm beträgt und kleiner als der des gewünschten Kristallisates ist,
- der Feststoff des Impfproduktes unabhängig vom Hauptprozess der Kristallisation aus verschiedenen technologischen Teilströmen im angegebenen Korngrößenbereich erzeugt wird,
- die Temperatur des Impfproduktes bei der Zugabe bis zu 40**(o)C, vorzugsweise 10 bis 30**(o)C, niedriger als die Prozesstemperatur im Kristallisator ist,
- alle anderen Einspeisungen und Rückführungen in den Kristallisator feststofffrei sind und
- die gewünschte Korngröße des Feststoffes des Impfproduktes durch mechanische Zerkleinerung des Endproduktes und/oder in einer separaten Kristallisationsstufe erzeugt wird."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"und wobei das Impfprodukt dem Kristallisationsprozess als Kristallsuspension zugeführt wird, welche charakterisiert ist durch den Feststoffgehalt, die Korngrößenverteilung und der (sic) pro Zeiteinheit in den Kristallisationsapparat eingespeisten Menge des Produktes, wobei über die Steuerung dieser Parameter die Korngrößenverteilung des Endproduktes beeinflusst und die Schwankungen in der Korngrößenverteilung des Endprodukts vermindert werden."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"und dass beim diskontinuierlichen Impfen das Impfprodukt diskontinuierlich derart zugegeben wird, dass der Massenanteil einer ausgewählten Fraktion des Kristallisates im Kristallisator im vorgegebenen Grenzbereich bleibt,
oder
dass beim kontinuierlichen Impfen der Feststoffanteil des Impfproduktes in Mengen von 5 bis 30 Gew.-% (vorzugsweise 7 bis 15 Gew.-%) bezogen auf den aus dem Kristallisator ausgetragenen Feststoff, zugegeben wird."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Ausgehend von Dokument D3 liege der Gegenstand von Anspruch 1 nahe, da das einzige Unterscheidungsmerkmal Ammoniumsulfat sei und es eine naheliegende Alternative sei, Ammoniumsulfat in D3 zu verwenden.
Ausgehend von Dokument D4 liege der Gegenstand von Anspruch 1 ebenfalls nahe, da die von der Einspruchsabteilung festgestellten Unterschiede zu D4 Teil des allgemeinen Fachwissens seien und die Beschwerdegegnerin keine darauf beruhende technische Wirkung glaubhaft gemacht habe.
Aus diesen Gründen seien die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllt.
IX. Die Beschwerdegegnerin hat hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
D3 könne nicht als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden, da das Kristallisationsverhalten von Ammoniumsulfat sich beträchtlich von jenem von Zucker unterscheide. Die Unterscheidungsmerkmale gegenüber der D4 seien von der Einspruchsabteilung wie folgt festgestellt worden:
(a) das Impfprodukt wird in seinen Parametern unabhängig vom aktuellen Kristallisationsprozess hergestellt,
(b) alle anderen Ströme in den Kristallisator sind feststofffrei und
(c) das Impfprodukt hat einen mittleren Kornduchmesser von 0,1 bis 1,0 mm.
D3 könne nicht für das Unterscheidungsmerkmal (c) herangezogen werden, da D3 die Kristallisation von Zucker betrifft.
Es sei nicht offensichtlich, in D4 die Zuströme feststofffrei zu gestalten. Aus dem Begriff "externe Quelle 25" in D4 sei nicht abzuleiten, dass das Impfprodukt in der D4 unabhängig vom eigentlichen Kristallisationsprozess hergestellt würde. Dies habe auch nicht nahegelegen. Folglich sei das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit erfüllt.
Das Merkmal (b) sei in D4 nicht offenbart, da der Überlauf des Zyklons 19 in Abbildung 1 Feststoffe enthält. Ebenso sei das Merkmal (a) nicht in D4 offenbart, da dieses ausschließe, dass Partikel aus dem Kristallisator diesem unkontrolliert wieder zugeführt würden. Obwohl der Zyklon 19 in D4 - in engen Grenzen - einstellbar sei, trenne er unscharf, weshalb die feinen Partikel aus dem Kristallisator über den Zyklon 19 und die Leitung 22a dem Kristallisator in unkontrollierter Weise wieder zugeführt würden. Im Gegensatz dazu würde der Abschlämmkristallisator 16 in Abb. 1 des Patents eine kontrollierte Einstellung der Parameter des Impfprodukts erlauben.
In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer trug die Beschwerdegegnerin vor, dass es ausgehend von D4 mehrere Möglichkeiten gäbe, die mittlere Korngröße des Endprodukts zu verringern. So würde der Fachmann neben der Änderung der Eigenschaften des Impfprodukts auch eine Verminderung der Verweilzeit im Kristallisator in Betracht ziehen. Bei einer mittleren Korngröße des Impfprodukts von unter 1 mm zu arbeiten, sei angesichts des Standes der Technik nicht offensichtlich. Die in D18 dem Kristallisator zugegebenen Kristalle seien keine Impfkristalle im eigentlichen Sinne, da die eigentlichen Impfkristalle erst durch Zerschlagen der zugegebenen Kristalle erzeugt würden.
Bezüglich des Hilfsantrags 1 trug die Beschwerdegegnerin vor, dass das hinzugefügte Merkmal dem Dokument D4 nicht zu entnehmen sei, da dort keine Steuerung über die angegebenen Parameter erfolge.
Bezüglich des Hilfsantrags 2 trug sie vor, dass insbesondere die zweite Alternative in den hinzugekommenen Merkmalen darauf abziele, sich weiter gegenüber D4 einzuschränken und trotzdem die Beispiele 3 und 4 weiterhin abzudecken.
X. Anträge
Die Beschwerdeführerin hatte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. EP 1 165 198 beantragt.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bzw. 2, wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2013.
Entscheidungsgründe
1. Ausführbarkeit
Die Kammer hat sich vergewissert, dass die Bedingungen des Arikels 83 EPÜ erfüllt sind. Da keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit erfüllt, braucht die Kammer auf die Frage der Ausführbarkeit nicht näher einzugehen.
2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
2.1 Gegenstand der Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation von Ammoniumsulfat.
2.2 Nächstliegender Stand der Technik
Eine kontinuierliche Massenkristallisation von Ammoniumsulfat wird in Dokument D4 offenbart (Seite 5, Zeilen 29 bis 32), von dem die Beschwerdegegenerin als nächstliegenden Stand der Technick ausging. Die Kammer kann sich diesem Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anschließen.
Dokument D3, das die Beschwerdeführerin neben D4 in Betracht gezogen hat, um die erfinderische Tätigkeit anzugreifen, wird aus Sicht der Kammer als weniger geeignet angesehen, da die D3 die Kristallisation von Zucker betrifft.
2.2.1 D4 offenbart ein Verfahren zur Steuerung der Kristallgröße (Seite 1, Zeilen 3 bis 7) bei der kontinuierlichen Massenkristallisation von Ammoniumsulfat (Seite 5, Zeilen 29 bis 32) durch Zugabe von Impfprodukten (Abbildung 1, Bezugszeichen 22a). Ziel ist unter anderem, die zyklischen Schwankungen der Korngrößenverteilung des Endprodukts zu vermindern. Der Feststoff des Impfproduktes wird aus verschiedenen technologischen Teilströmen (22, 27) erzeugt und die Temperatur des Impfproduktes bei der Zugabe 20**(o)C niedriger gehalten als die Prozesstemperatur im Kristallisator (Seite 8, Zeilen 20 bis 22). Beim Impfen ist der mittlere Korndurchmesser kleiner als der des gewünschten Kristallisats (vgl. Seite 7, Zeilen 23 bis 27 und Abbildung 3). In D4 wird die gewünschte Korngröße des Feststoffes des Impfproduktes durch eine separate Kristallisationsstufe erzeugt, da dort von einer "crystals in essentially saturated solution from some external source" die Rede ist (Seite 7, Zeilen 5ff) und somit die zugeführten Impfkristalle implizit in einer separaten Kristallisationsstufe erzeugt werden.
In D4 wird zwar erwähnt, dass 64% der Impfkristalle eine Größe von unter 1,4 mm aufweisen (siehe Seite 8, Zeilen 24 und 25). Aus dieser Angabe ergibt sich jedoch keine eindeutige Offenbarung für einen mittleren Korndurchmesser des Impfprodukts im beanspruchten Bereich von 0,1 bis 1,0 mm.
2.2.2 Zwei Merkmale der streitpatentgemäßen Prozessführung, die auch in der mündlichen Verhandlung kontrovers diskutiert wurden, bedürfen im Hinblick auf D4 der näheren Betrachtung:
(a) Abhängigkeit der Parameter des Impfstoffes vom Kristallisationsverfahren und
(b) Feststofffreiheit aller anderen Einspeisungen und Rückführungen in den Kristallisator.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Ansicht, dass in D4 (a) das Impfprodukt in seinen Parametern nicht "unabhängig vom aktuellen Kristallisationsprozess hergestellt" bzw. nicht "unabhängig vom Hauptprozess der Kristallisation erzeugt" wird (vgl. den Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags) und
(b) das Merkmal, dass "alle anderen Einspeisungen und Rückführungen in den Kristallisator feststofffrei sind", nicht offenbart ist.
Die Kammer kann sich dieser Ansicht aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Zu Merkmal (a): In der in Abbildung 1 gezeigten Ausführungsform im Streitpatent wird flüssige Phase (Bezugszeichen 15) vom Kristallisator abgezogen und dem
Abschlämmkristallisator 16 zugeführt. Das bedeutet, dass der Abschlämmkristallisator abhängig von den Eigenschaften dieser flüssigen Phase, wie z.B. Sättigungsgrad, Durchfluss und Temperatur, und damit abhängig vom "aktuellen" Kristallisationsprozess, betrieben wird.
Ebenso ist es im Streitpatent ausdrücklich vorgesehen (siehe Abschnitt [0033]) einen Teil des Endprodukts zu mahlen und die so erhaltenen Kristalle als Teil des Impfprodukts zu verwenden. Auch hier hängt die nach dem Mahlen erhaltene Korngrößenverteilung von der Korngrößenverteilung des zu mahlenden Endproduktes - und somit vom "aktuellen" Kristallisationsprozess - ab.
Die Kammer legt daher das Merkmal "unabhängig vom aktuellen Kristallisationsprozess hergestellt" bzw. "unabhängig vom Hauptprozess der Kristallisation erzeugt" so aus, dass auch Verfahren davon umfasst sein sollen, bei denen das Impfprodukt teilweise aus einem Teilstrom erhalten wird, welcher vom Kristallisator abgezogen wird und einem Behandlungsschritt unterzogen wird.
Dieses Merkmal ist aber auch in D4 offenbart, wo ein Teilstrom (17,17a) dem Kristallisator entnommen wird und, nachdem er mittels des Zyklons einer Behandlung unterzogen wurde, wieder als Teil des Impfprodukts über eine Leitung (22a) dem Kristallisator zugeführt wird.
Zu Merkmal (b): In D4 (Abbildung 1) gibt es neben der Zuführung des Impfprodukts (bei 22a) nur eine einzige weitere Rückführung, nämlich jene aus der Umwälzleitung (11a). Die in dieser Leitung befindlichen Feststoffe werden gelöst (D4, S. 6, Z. 24-28), sodass es für die Kammer feststeht, dass die Rückführung in den Kristallisator feststofffrei erfolgt.
2.3 Aufgabe
Gemäß Abschnitt [0013] bestand die Aufgabe der Erfindung darin, ein Verfahren zur reproduzierbaren Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation zu finden.
In der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdegegnerin auch vor, dass durch die Verwendung einer mittleren Korngröße des Impfprodukts, welche unter jener des in der D4 verwendeten Impfprodukts liegt, eine kleinere mittlere Korngröße des Endprodukts erhalten würde. Deshalb sei die Aufgabe auch darin zu sehen, eine kleinere mittlere Korngröße des Endprodukts zu erhalten.
2.4 Lösung
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein Verfahren nach Anspruch 1 des Hauptantrags vor, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass der mittlere Korndurchmesser des Feststoffs der Impfprodukte 0,1 bis 1,0 mm beträgt.
2.5 Erfolg der Lösung
2.5.1 Reproduzierbare Steuerung
Wie insbesondere aus Abbildung 4 und Beispiel 3 des Streitpatents hervorgeht, ermöglicht es die Erfindung, die Kristallgröße des Endprodukts reproduzierbar zu steuern.
2.5.2 Verminderung des mittleren Korndurchmessers des Endprodukts
Das Patent enthält keine Ausführungsbeispiele, die direkt einen Schluss auf die Wirkung der Verminderung des mittleren Korndurchmessers der Impfprodukte auf die mittlere Korngröße des Endprodukts zuließen.
Die Kammer erkennt jedoch an, dass es grundsätzlich plausibel ist, dass eine Verminderung der mittleren Korngröße des Impfprodukts auch zu einer Verminderung der mittleren Korngröße des Endprodukts führt.
Vergleicht man im vorliegende Fall Abbildung 3 von D4, wo die Schwankungen der Fraktion > 1,7 mm (entsprechend "+10 Mesh %", vgl. Spalte "sieve opening, mm" in Tabelle 21-12 von D19) zwischen 60 und 80% liegen, mit dem in Abbildung 4 des Streitpatents dargestellten Beispiel 3, so lässt sich keine wesentliche Änderung des Anteils > 1,7 bzw. > 1,8 mm feststellen. Hieraus kann jedoch nicht zwingend geschlussfolgert werden, dass auch die mittlere Korngröße unverändert bleibt. Die Kammer kommt daher zu Gunsten der Beschwerdegegnerin zu dem Schluss, dass die Aufgabe der Verminderung des mittleren Korndurchmessers des Endprodukts gelöst ist.
2.5.3 Die oben unter 2.32.3 genannte Aufgabe wird daher als gelöst angesehen. Eine Umformulierung der Aufgabe erübrigt sich.
2.6 Naheliegen
Im Dokument D4 wird bereits ein Verfahren zur reproduzierbaren Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation bereitgestellt (siehe Punkt 2.2.12.2.1 oben).
In der D4 wird die Kristallgröße durch die Zugabe von Impfprodukten gesteuert, wie dies insbesondere aus Beispiel 2 und Abbildung 3 des Dokuments D4 hervorgeht.
Die Beschwerdegegnerin selbst trug in der mündlichen Verhandlung vor, dass eine der Möglichkeiten, die Kristallgröße des Endprodukts zu verringern, für den Fachmann darin bestand, die Parameter des Impfprodukts zu verändern. Ein solcher Parameter ist jedoch typischerweise der mittlere Korndurchmesser des Impfprodukts.
Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann, um eine kleinere Korngröße beim Endprodukt zu erreichen, die Verwendung von kleineren Impfkristallen in Betracht ziehen, da die Veränderung anderer Prozessparameter wie z.B. die Verminderung der Verweilzeit im Kristallisator zu unwägbaren Nebeneffekten, wie z.B. breitere Korngrößenverteilung, führen könnte.
Die Beschwerdegegnerin trug auch vor, dass Impfkristalle für Ammoniumsulfat in einem Bereich von 0,1 bis 1 mm unüblich seien. Jedoch ist der Akte kein Beleg für diese Behauptung zu entnehmen.
Aus D18 (S. 422, linke Spalte, erster vollständiger Absatz) geht vielmehr hervor, dass Impfkristalle in einer Größe von 70 bis 30 mesh, d.h. ca. 0,2 mm bis ca. 0,6 mm (vgl. Tabelle 21 bis 12 von D19) im Stand der Technik verwendet wurden.
Das Argument der Beschwerdeführerin, dass in D18 keine Impfkristalle verwendet wurden, sondern diese erst durch Zerschlagen der zugegebenen Kristalle erzeugt wurden, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang, da auch der vorliegende Anspruch 1 ("die gewünschte Korngröße des Feststoffes des Impfproduktes [wird] durch mechanische Zerkleinerung des Endproduktes.... erzeugt ...") nicht ausschließt, dass das Impfprodukt nach Zugabe zum Kristallisator z.B. durch einen Rührer zerkleinert wird.
Aus D18 (S. 421, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz) ergibt sich darüber hinaus, dass die Keimbildung beim Impfen hauptsächlich durch das Zerschlagen der Impfkristalle innerhalb des Kristallisators verursacht wird, d.h. der Begriff "Impfen" schließt üblicherweise die auf die Zugabe der Impfkristalle im Prozess nachfolgende Zerkleinerung der Impfkristalle mit ein.
Die Kammer kommt aus diesen Gründen zu dem Schluss, dass der Fachmann, welcher vor die zu lösende Aufgabe gestellt wird, im Verfahren nach D4, das bereits ein Verfahren zur reproduzierbaren Steuerung der Kristallgröße bei der kontinuierlichen Massenkristallisation ist, Impfprodukte mit einer mittleren Korngröße im beanspruchten Bereich verwenden würde.
Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ ist somit nicht erfüllt.
3. Hilfsantrag 1 - erfinderische Tätigkeit
3.1 Das Verfahren des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von demjenigen des Hauptantrags dadurch, dass
"das Impfprodukt dem Kristallisationsprozess als Kristallsuspension zugeführt wird, welche charakterisiert ist durch den Feststoffgehalt, die Korngrößenverteilung und der (sic) pro Zeiteinheit in den Kristallisationsapparat eingespeisten Menge des Produktes, wobei über die Steuerung dieser Parameter die Korngrößenverteilung des Endproduktes beeinflusst und die Schwankungen in der Korngrößenverteilung des Endprodukts vermindert werden".
3.2 In D4 wird das Impfprodukt dem Kristallisationsprozess als Kristallsuspension zugeführt (vgl. Seite 6, Zeilen 18 bis 21). Diese ist selbstverständlich charakterisiert durch Feststoffgehalt, Korngrößenverteilung und die pro Zeiteinheit in den Kristallisationsapparat eingespeiste Menge des Produktes (siehe Beispiel 2 auf Seite 8). Dadurch, dass diese Parameter eingestellt werden, kommt es zu einer bestimmten Korngrößenverteilung des Endprodukts, d.h. es liegt eine Steuerung der genannten Parameter vor, welche zu einer Beeinflussung der Korngrößenverteilung des Endprodukts führt. In D4 werden auch die Schwankungen in der Korngrößenverteilung des Endprodukts vermindert (siehe Abbildung 3 im Vergleich zu Abbildung 2).
3.3 Die zusätzlich eingefügten Merkmale räumen daher die Gründe für das Naheliegen des Verfahrens gemäß Hauptantrag nicht aus. Die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind somit für den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht erfüllt.
4. Hilfsantrag 2 - erfinderische Tätigkeit
4.1 Das Verfahren laut Anspruch 1 des Hilfsantrags sieht zusätzlich zu den Merkmalen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags noch vor, dass beim kontinuierlichen Impfen der Feststoffanteil des Impfproduktes in Mengen von 5 bis 30 Gew.-% (vorzugsweise 7 bis 15 Gew.-%) bezogen auf den aus dem Kristallisator ausgetragenen Feststoff, zugegeben wird.
4.2 Die Kammer weist darauf hin, dass auch in D4 kontinuierlich geimpft wird (Seite 7, Zeilen bis 9). Die Menge an Impfkristallen in der zugeführten Suspension in D4 bezogen auf die Menge des abgezogenen Endprodukts ist 4 bis 25 % (Seite 7, Zeilen 29 bis 33; Anspruch 1, Zeile 33). Aus der Zusammenschau von D4 (s. z.B. Anspruch 1, wo die Rückführung der "fines" beim Ausgang des Zyklons 22 nicht erwähnt wird) ergibt sich, dass der weitaus größere Teil der Impfprodukte von der extern zugeführten Quelle (25) stammt und nicht aus der Rückführung der "fines" vom "thickener" 19.
Somit kann geschlussfolgert werden, dass der Anteil der Impfprodukte, die in D4 über die Leitung 22a dem Kristallisator zugeführt werden, nicht wesentlich über 4 bis 25 % bezogen auf das Endprodukt und damit im beanspruchten Bereich liegt.
Das zusätzlich eingefügte Merkmal räumt somit die Gründe für das Naheliegen des Verfahrens gemäß Hauptantrag nicht aus. Die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind somit für den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 nicht erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.