T 2052/09 () of 17.12.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T205209.20121217
Datum der Entscheidung: 17 Dezember 2012
Aktenzeichen: T 2052/09
Anmeldenummer: 05003148.3
IPC-Klasse: A61B 17/15
A61B 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Benutzerführung bei der Justierung von Knochenschneidblöcken
Name des Anmelders: BrainLAB AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 53(c)
European Patent Convention Art 52
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Chirurgisches Verfahren (Hauptantrag: ja)
Erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag: ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/07
T 1005/98
T 0625/05
T 0266/07
T 0836/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 30. April 2009 die europäische Patentanmeldung zurückzuweisen.

Die Beschwerdeschrift wurde am 7. Mai 2009 eingereicht und die Beschwerdegebühr am selben Tag bezahlt. Die Beschwerdebegründung wurde am 9. September 2009 eingereicht.

II. Die unabhängigen Ansprüche welche der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, lauten wie folgt:

"1. Knochenschneidblock (1) mit einer Schneidführung (2), mit einer an der Schneidführung (2) verstellbar z.B. drehbar angebrachten Ortungsreferenz (6), die es gestattet, die Schnittebene der Schneidführung (2) räumlich zu bestimmen, mit einer Befestigung (3), die an einem Knochen befestigt werden kann, und mit einer Justierungseinrichtung (4) zwischen Befestigung (3) und Schneidführung (2), wobei mittels der Justierungseinrichtung (4) die Schnittebene der Schneidführung (2) gegenüber dem Knochen eingestellt werden kann, gekennzeichnet durch ein Registrierungselement (5), mit dem die räumliche Lage der Justierungseinrichtung (4) bestimmbar ist."

"12. Verfahren zur Benuzerführung bei der Einstellung der Schnittebene der Schneidführung (2) eines Knochenschneidblocks (1) mit einer Schneidführungs-Justierungseinrichtung (4), bei dem

- eine Soll-Schnittebene festgelegt wird;

- mit Hilfe eines medizintechnischen Navigationssystems und einer Ortungsreferenz (6), die verstellbar z.B. drehbar an der Schneidführung (2) angebracht ist, eine Ist-Schnittebene räumlich bestimmt wird;

- mittels eines Registrierungselements (5) die räumliche Lage der Justierungseinrichtung (4) bestimmt wird; und bei dem

- in Abhängigkeit von der räumlichen Lage der Justierungseinrichtung (4) Justierungsanweisungen ausgegeben werden, die den Benutzer, ausgehend von der Ist-Schnittebene, bei der Einstellung der Soll-Schnittebene unterstützen."

III. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die zwei ersten Schritte des beanspruchten Verfahrens zwangsläufig eine Fixierung des Knochenschneidblocks am Knochen implizieren, so dass das Verfahren einen chirurgischen Schritt beinhaltet, und somit gemäß Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.

Die Prüfungsabteilung vertrat außerdem die Auffassung, dass der Gegenstand gemäß Anspruch 1 ausgehend von D1 oder D3 nicht erfinderisch sei.

D1 : DE-U-20202615

D3 : WO 2004/019792

IV. In der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2012 wurde der Beschwerdeführerin von der Kammer mitgeteilt, dass der Verfahrensanspruch nicht gewährbar zu sein scheint, da er einen chirurgischen Schritt beinhaltet. Desweiteren wurde ein Klarheitseinwand erhoben und darauf hingewiesen, dass die Beschreibung nicht an die Ansprüche angepasst worden sei.

V. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 23. Februar 2012 und vom 14. Dezember 2012 einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag eingereicht.

Sie hat beantragt, auf Basis der eingereichten Unterlagen gemäß Hauptantrag, hilfsweise auf Basis der eingereichten Unterlagen gemäß Hilfsantrag ein Patent zu erteilen.

Ferner hat sie hinzugefügt, dass der ursprünglich gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung nur aufrechterhalten wird, falls die Beschwerdekammer den Hilfsantrag für nicht gewährbar erachten sollte.

VI. Anspruch 10 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"10. Verfahren zur Benuzerführung bei der Einstellung der Schnittebene der Schneidführung (2) eines vor dem Verfahren an einem Knochen befestigten Knochenschneidblocks (1) mit einer Schneidführungs-Justierungseinrichtung (4), bei dem

- eine Soll-Schnittebene festgelegt wird;

- mit Hilfe eines medizintechnischen Navigationssystems und einer Ortungsreferenz (6), die verstellbar z.B. drehbar an der Schneidführung (2) angebracht ist, eine Ist-Schnittebene räumlich bestimmt wird;

- mittels eines eine fest an der Justierungseinrichtung (4) angeordnete Referenz umfassenden Registrierungselements (5) die räumliche Lage der Justierungseinrichtung (4) bestimmt wird, wobei die Referenz punktförmig ist oder eine zweidimensionale Ausdehnung aufweist; und bei dem

- in Abhängigkeit von der räumlichen Lage der Justierungseinrichtung (4) Justierungsanweisungen ausgegeben werden, die den Benutzer, ausgehend von der Ist-Schnittebene, bei der Einstellung der Soll-Schnittebene unterstützen."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet wie folgt:

"1. Knochenschneidblock (1) mit einer Schneidführung (2), mit einer an der Schneidführung (2) verstellbar z.B. drehbar angebrachten Ortungsreferenz (6), die es gestattet, die Schnittebene der Schneidführung (2) räumlich zu bestimmen, mit einer Befestigung (3), die an einem Knochen befestigt werden kann, und mit einer Justierungseinrichtung (4) zwischen Befestigung (3) und Schneidführung (2), wobei mittels der Justierungseinrichtung (4) die Schnittebene der Schneidführung (2) gegenüber dem Knochen eingestellt werden kann, und mit einem eine fest an der Justierungseinrichtung (4) angeordnete Referenz umfassenden Registrierungselement (5), mit dem die räumliche Lage der Justierungseinrichtung (4) bestimmbar ist, wobei die Referenz punktförmig ist oder eine zweidimensionale Ausdehnung aufweist."

Die Ansprüche 2 bis 9 sind abhängige Ansprüche.

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Bezüglich des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Verfahrensanspruchs sei zu berücksichtigen, dass eine Soll-Schnittebene und eine Ist-Schnittebene auch ohne Befestigung des Knochenschneidblocks am Knochen möglich sei, und daher das beanspruchte Verfahren schon deswegen nicht chirurgisch sei.

Im übrigen sei der Artikel 53(c) EPÜ gemäß T 625/05 wie jede Ausnahmeregelung eng auszulegen.

Im Verfahrensanspruch gemäß Hauptantrag wurde ferner klargestellt, dass der Knochenschneidblock vor dem beanspruchten Verfahren am Knochen befestigt wurde.

Somit sei eindeutig, dass das Anbringen des Knochenschneidblocks nicht zum beanspruchten Verfahren gehöre und dieses daher keinerlei chirurgische Schritte umfasse.

Laut der Disclaimer-Lösung gemäß G 1/07 seien Verfahren, die zeitlich vor oder nach einem chirurgischen Schritt stattfinden, und die selber keine chirurgische Schritte umfassen, nicht als chirurgische Verfahren anzusehen.

Die Klarheitseinwände seien berücksichtigt und ausgeräumt, sowie die Beschreibung an die Ansprüche angepasst worden.

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche sei auch gegenüber einer Kombination der Dokumente D1 und D3 schon deswegen erfinderisch, weil keine verstellbar bzw. drehbar an der Schneidführung angebrachte Ortungsreferenz nahegelegt würde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Chirurgisches Verfahren

2.1 Verfahrensanspruch, der der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrunde lag.

Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die zwei ersten Schritte des beanspruchten Verfahrens, nämlich das Festlegen einer Soll-Schnittebene und, mit Hilfe eines medizintechnischen Navigationssystems und einer Ortungsreferenz, die verstellbar z.B. drehbar an der Schneidführung angebracht ist, das räumliche Bestimmen einer Ist-Schnittebene, zwangsläufig eine Fixierung des Knochenschneidblocks am Knochen implizieren, so dass das Verfahren einen chirurgischen Schritt beinhaltet, und folglich gemäß Artikel 53(c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.

In der Tat kann die Ist-Schnittebene erst ermittelt werden, wenn die Schneidführung des Knochenschneidblocks in einer festen Relation zum Knochen steht, also wenn der Knochenschneidblock am Knochen verankert wurde.

Auch wenn es theoretisch möglich ist, den Knochenschneidblock anders als durch Verankerung am Knochen in Position zu halten, wie es die Beschwerdeführerin behauptet, ändert dies nach Auffassung der Kammer jedoch nichts daran, dass der allgemeine Wortlaut des Anspruchs auch die Fixierung am Knochen und somit einen chirurgischen Schritt umfasst, wie es in der Beschreibung zum Beispiel in den Absätzen [0019] und [0029] beschrieben wird:

"Der Knochenschneidblock 1 ist an einem Unterschenkelknochen 20 befestigt, und zwar mit seiner Befestigung 3 (Figur 2), insbesondere angeschraubt oder von Schanzschrauben, Kirschnerdrähten oder ähnlichen Befestigungsmitteln gehalten. An die Befestigung 3 anschliessend befindet sich die Justierungseinrichtung 4, an welcher die Schneidführung 2 fixiert ist."

"Wenn Schneidführung 2 und Justierungseinrichtung 4 in gewünschter Konfiguration miteinander verbunden sind wird die Ortungsreferenz 6 an der Schneidführung 2 angebracht; und der Knochenschneidblock 1 kann im zusammengesetzten Zustand an jedweder Stelle nahe des Resektionsbereiches am Knochen angesetzt (angeschraubt) werden."

In ihrer zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung G 1/07 (Abl. EPA 2011, 134, siehe Leitsatz 2a) hat die Große Beschwerdekammer bestätigt, dass "Ein Anspruch, der einen Schritt mit einer Ausführungsform umfasst, die ein "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" im Sinne des Artikels 53(c) EPÜ ist, kann nicht so belassen werden, dass er diese Ausführungsform umfasst.".

Die Kammer teilt daher die Auffassung der Prüfungsabteilung bezüglich des ihr damals vorliegenden Verfahrensanspruchs.

Die Beschwerdeführerin meinte, dass Ausnahmebestimmungen eng auszulegen seien, und folglich das beanspruchte Verfahren nicht von der Patentierbarkeit auszuschließen sei.

Gemäß Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe von G 1/07 lässt sich aus dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge jedoch kein allgemeiner Grundsatz einer engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit ableiten, der a priori auf die Auslegung solcher Ausnahmen anwendbar wäre. Vielmehr ist eine Ausnahmeregelung im EPÜ in der gleichen Weise zu interpretieren wie jede andere Bestimmung der Patentierbarkeit, d.h. in einer Art und Weise, dass sie dem ihr zugrundeliegenden Zweck und den damit beabsichtigten Zielen in vollem Umfang gerecht wird.

Hauptantrag

2.2 Verfahrensanspruch 10

2.2.1 Gegenüber dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Verfahrensanspruch beginnt der Wortlaut des Anspruchs 10 nun wie folgt:

"Verfahren zur Benutzerführung bei der Einstellung der Schnittebene der Schneidführung (2) eines vor dem Verfahren an einem Knochen befestigten Knochenschneidblocks (1) mit einer Schneidführungs-Justierungseinrichtung (4)..."

Mit dem Hinzufügen von "vor dem Verfahren an einem Knochen befestigten" im einleitenden Teilsatz soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Schritt des Fixierens des Knochenschneidblocks am Knochen nicht beansprucht wird, bzw. vor Beginn des beanspruchten Verfahrens stattfindet.

Der übrige Wortlaut des Verfahrensanspruchs wurde nicht geändert und der erste Verfahrensschritt lautet nach wie vor: "eine Soll-Schnittebene festgelegt wird".

Folglich wird mit dem nun gültigen Wortlaut des Verfahrensanspruchs ein Verfahren beansprucht, bei dem die Bestimmung der Soll-Schnittebene erst stattfinden soll, nachdem der Knochenschneidblock schon am Knochen befestigt wurde.

2.2.2 Es stellt sich somit die Frage, ob das nun beanspruchte Verfahren nicht mehr unter Artikel 53(c) EPÜ fällt, bzw. und/oder ob es überhaupt zulässig ist, im besonderen Fall des beschriebenen Verfahrens auf diese Weise den chirurgischen Schritt des Fixierens des Knochenschneidblocks am Knochen auszuklammern.

Es sei hier vorerst angemerkt, dass entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung es sich bei der von ihr gewählten Formulierung ("vor dem Verfahren an einem Knochen befestigt[en]") nicht um eine G 1/07 entsprechende "Disclaimer-Lösung" (s. erster Absatz von Punkt 4.2.1 der Entscheidungsgründe von G 1/07) handelt. Vielmehr geht es hier um die Weglassung bzw. Ausklammerung eines Schrittes, was unter Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe von G 1/07 diskutiert wird.

2.2.3 Nach Auffassung der Kammer sieht das in den ursprünglichen Unterlagen beschriebene Verfahren nicht vor, dass die Bestimmung der Soll-Schnittebene erst im Operationssaal stattfindet, also intra-operativ nach Befestigung des Schneidblocks am Knochen.

Im Gegenteil, bei dem in der vorliegenden Anmeldung offenbarten computergestützten Knochenresektionsverfahren wird die Soll-Schnittebene nicht erst in dem Operationssaal, sondern schon früher in der Diagnose- bzw. Therapieplanungsphase festgelegt, wobei die Soll-Schnittebene dann in dem Navigationssystem gespeichert wird, wie z.B. aus Absatz [0004] ersichtlich ist (Unterstreichungen hinzugefügt):

"Die Verwendung einer Justierungseinrichtung zur Einstellung der Schnittebene in den knochentypischen Freiheitsgraden Slope, Varus-Valgus und Resektionstiefe nach den Vorgaben des Navigationssystems (Soll-Schnittebene) die Einstellung der Schnittebene, gestaltet sich insbesondere dann schwierig, wenn der Knochenschneidblock (insbesondere die Justierungseinrichtung) so am Knochen befestigt ist, dass die Bedienelemente nicht eindeutig den einzustellenden Freiheitsgraden der Schnittebene zugeordnet sind, so dass die Bedienung eines Elementes mitunter die Veränderung in mehr als einem Freiheitsgrad zur Folge hat oder zwei Bedienelemente betätigt werden müssen, um die Verstellung in einem Freiheitsgrad zu erreichen.

Es hängt dann sehr von dem Können und der Erfahrung des Bedieners ab, den günstigsten Weg zu finden, um in kürzester Zeit den Justiervorgang abzuschliessen. Das heisst, obwohl durch die Navigation die Soll-Schnittebene vorgegeben ist, ist es oft schwierig, ohne Unterstützung die Schneidführung nach diesen Vorgaben einzustellen, vor allem wenn der Schneidblock ungünstig am Knochen angeordnet ist, was mitunter ein iteratives Vorgehen erforderlich macht, da eine gerichtete Justierung durch Abhängigkeit der Funktionsglieder nicht möglich ist."

Es ist auch in den weiteren Teilen der Anmeldung kein spezifisches Verfahren beschrieben, bei dem die Soll-Schnittebene erst dann festgelegt wird, wenn der Schneidblock schon am Knochen befestigt ist.

Im Gegenteil soll gemäß den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen, bei computergestützten Knochenresektionen die Ist-Schnittebene möglichst schnell und genau mit einer vorher festgelegten Soll-Schnittebene zur Deckung gebracht werden (siehe z.B. Absatz [0005]). Dies ist offensichtlich, um die Operationszeit so kurz wie möglich zu halten. Eine Festlegung der Soll-Schnittebene während der Operation, also nach dem Fixieren des Schneidblocks am Knochen, würde daher auch der gestellten Aufgabe zuwiderlaufen, da die genauen Gründe und die genaue Lage der Soll-Schnittebene erst während der Operation bestimmt werden müssten. Eine solche Vorgehensweise wäre bei computergestützten Knochenresektionen auch unüblich, da es viel einfacher und sinnvoller ist anhand der Knochenbilder die Soll-Schnittebene im Voraus zu definieren. Der ursprünglichen Offenbarung ist dementsprechend auch implizit kein Verfahren zu entnehmen, bei dem die Soll-Schnittebene erst nach dem Fixieren des Schneidblocks am Knochen festgelegt wird.

Im übrigen hat die Beschwerdeführerin der Beschwerdekammer diesbezüglich auch keine Argumente vorgelegt.

2.2.4 Im vorliegenden Fall steht, die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Lösung des Ausschlusses des chirurgischen Schrittes, um den Einwand unter Artikel 53(c) EPÜ zu vermeiden, nicht zur Verfügung.

Wie weiter oben schon erwähnt, offenbaren die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen einzig und allein ein Verfahren, bei dem die Festlegung der Soll-Schnittebene vor dem Befestigen des Schneidblocks am Knochen erfolgt. Das ursprünglich offenbarte Verfahren umfasst also zwangsläufig den chirurgischen Schritt des Fixierens des Schneidblocks am Knochen (siehe z.B. T 1005/98).

Es ist daher nicht möglich, einen zwangsläufig stattfindenden chirurgischen Schritt von einem Verfahrensanspruch auszuschließen, wenn dieser Schritt in Anbetracht der Gesamtoffenbarung der Anmeldung zwingend während und nicht vor oder nach dem offenbarten Verfahren stattfinden muss.

Durch die Befestigung des Schneidblocks am Knochen wird die Ist-Schnittebene vorgegeben. Erfindungsgemäß soll diese möglichst schnell und genau mit einer vorher festgelegten Soll-Schnittebene zur Deckung gebracht werden. Die Befestigung des Schneidblocks am Knochen nach Festlegung der Soll-Schnittebene ist also auch für die mit der Erfindung zu lösende Aufgabe von zentraler Bedeutung.

Es handelt sich hier somit nicht um einen am Körper vorzunehmenden chirurgischen Verfahrensschritt, der zwar erforderlich ist, um das beanspruchte Verfahren durchzuführen, aber in keinerlei funktionalem Zusammenhang hiermit steht und gemäß Punkt 4.3.2 der Entscheidungsgründe von G 1/07 in der von der Beschwerdeführerin beantragten Weise vom Anspruch ausgeschlossen werden könnte (wie beispielsweise bei der Anbringung einer Referenzvorrichtung am Knochen für ein anschließend stattfindendes Verfahren zum Ermitteln der Position eines Knochenführungsdrahtes (s. z.B. T 836/08, Punkt 3 der Entscheidungsgründe) oder der Injektion eines Kontrastmittels vor Beginn eines bildgebenden Verfahrens unter bestimmten Umständen der Fall sein kann, s. z.B. T 266/07, Punkt 4 der Entscheidungsgründe). Auch handelt es sich bei dem vorliegenden Fall nicht um reines Betriebsverfahren für eine Vorrichtung. Vielmehr ist die Befestigung des Schneidblocks am Knochen nach Festlegung der Soll-Schnittebene ein erfindungswesentlicher Schritt, ohne den die Folge der beanspruchten Verfahrenschritte überhaupt nicht stattfinden kann, und der nach Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 43 EPÜ nicht ausschließbar ist, da die Erfindung ohne diesen Schritt nicht vollständig und umfassend definiert ist (siehe G 1/07, Punkt 4.3.1. der Entscheidungsgründe).

Im vorliegenden Fall ist es daher nicht möglich, den Schritt der Fixierung des Schneidblocks am Knochen aus dem Verfahren auszuschließen, um den Einwand unter Artikel 53(c) EPÜ auf diese Weise zu beheben.

2.2.5 Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Hilfsantrag

3. Die Neuheit wurde nicht in Frage gestellt und die Kammer sieht auch keinen Grund hierzu.

4. Erfinderische Tätigkeit

Nach Auffassung der Kammer offenbart Dokument D1 den nächstliegenden Stand der Technik, da der darin offenbarte Knochenschneidblock gattungsähnlich ist und die meisten gemeinsame Merkmale mit dem beanspruchten Gegenstand aufweist.

4.1 Dokument D1 offenbar folgende Merkmale:

Einen Knochenschneidblock (Schablone 1) mit einer Schneidführung (Führungsblöcke 66),

mit einer Befestigung (Schrauben 22,24, Haltestab 4,5, plattenförmiger Träger 3, Führungskörper 40), die an einem Knochen befestigt werden kann, und mit einer Justierungseinrichtung (Stellschrauben bzw. -mutter 54,55,60,61, Halterung 48) zwischen Befestigung und Schneidführung (66), wobei mittels der Justierungseinrichtung die Schnittebene der Schneidführung gegenüber dem Knochen eingestellt werden kann. Die Mittel, die diese Einstellbarkeit erlauben, werden auf Seiten 17 und 18 beschrieben bzw. insbesondere in Figur 3 gezeigt.

Es wird auf Seite 21, letzter Satz des ersten Absatzes, erwähnt : "Referenzelemente für das Navigationssystem können auch direkt an den Führungsblocks 66 befestigt werden, so dass auch deren Lage im Raum unmittelbar feststellbar ist.".

Somit offenbart D1 die Anbringung von Referenzelementen bzw. einer Ortungsreferenz an der Schneidführung.

D1 offenbart ebenfalls die Anbringung eines Referenzelementes an der Halterung 48, also an der Justierungseinrichtung, siehe Seite 21, erster Absatz und Figur 1.

4.2 Es bleiben daher folgende unterscheidende Merkmale :

a) die Ortungsreferenz, die an der Schneidführung angebracht ist, ist verstellbar z.B. drehbar an ihr angebracht,

b) das Registrierungselement, mit dem die räumliche Lage der Justierungseinrichtung bestimmbar ist, umfasst eine punktförmige oder eine eine zweidimensionale Ausdehnung aufweisende und fest an der Justierungseinrichtung angeordnete Referenz.

4.3 Diese Unterschiede erlauben einerseits die Verstellung der Ortungsreferenz, die an der Schneidführung angebracht ist, falls dies aufgrund einer geänderten Lage des Patienten oder einer Verbesserung des Zugangs zur Operationsstelle gewünscht wird, andererseits eine einfache und platzsparende Erfassung der Position der Justierungseinrichtung, beispielsweise durch neues Erfassen der Ortungsreferenz und Anfahren der punktförmigen oder eine zweidimensionale Ausdehnung aufweisenden Referenz mit einem Zeigestab.

4.4 Die objektiv zu lösende Aufgabe besteht darin, den Benutzer auch bei ungünstig gelegenen Anordnungen des Schneidblocks am Patienten und beengten Platzverhältnissen dabei zu unterstützen, die Schneidführung schnell und genau in eine vorher festgelegte Soll-Schnittebene zu bringen.

4.5 Obwohl verstellbare Ortungsreferenzen an sich bekannt sind (siehe z.B. das im Recherchenbericht zitierte US 2002/0068942 Fig. 7A, Seite 3, linke Spalte, letzter Satz), ist die Kombination von einer verstellbaren Ortungsreferenz an der Schneidführung mit einer punktförmigen oder eine zweidimensionale Ausdehnung aufweisenden Referenz an der Justierungseinrichtung nicht naheliegend. Diese Kombination erlaubt eine gute Erfassung der Positionen, auch wenn die Position des Patienten geändert wird, und vermeidet die Anbringung einer (üblichen) voluminösen Referenz an der Justierungseinrichtung.

4.6 Die weiteren im Recherchenbericht zitierten Dokumente sind weniger relevant, da sie keine punktförmige Referenz oder verstellbare Ortungsreferenz zeigen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an das Organ der ersten Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Basis des Hilfsantrags, also in folgender Fassung zu erteilen:

Ansprüche 1 bis 5(Teil) eingereicht mit Schreiben vom 14. Dezember 2012, Ansprüche 5(Teil) bis 9 eingereicht mit Schreiben vom 23. Februar 2012, Beschreibungsseiten 1, 1a, 2, 3, 4a, 5 bis 12 eingereicht mit Schreiben vom 23. Februar 2012, Beschreibungsseite 4 eingereicht mit Schreiben vom 14. Dezember 2012, Figuren 1 bis 11 wie ursprünglich eingereicht und Figuren 12 bis 16 eingereicht mit Schreiben vom 19. Mai 2005.

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