T 1142/09 () of 10.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T114209.20130610
Datum der Entscheidung: 10 Juni 2013
Aktenzeichen: T 1142/09
Anmeldenummer: 03029219.7
IPC-Klasse: C01B 33/18
C09C 1/30
C09C 3/12
C08K 3/20
C08K 9/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wasserbenetzbare silylierte Metalloxide
Name des Anmelders: Wacker Chemie AG
Name des Einsprechenden: Evonik Degussa GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 114(1)
European Patent Convention Art 114(2)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - neuer Einspruchsgrund (nicht zulässig)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
T 0222/85
T 0453/87
T 1002/92
T 0793/93
T 0131/01
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1286/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 10. März 2009, den Einspruch gegen das europäische Patent EP-B1-1 433 749 zurückzuweisen.

II. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurden folgende Dokumente zitiert:

D1: EP-A-798 348

D2: EP-A-860 478.

In ihrer Entscheidung argumentierte die Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sei, da weder D1 noch D2 das Merkmal der Menge an teilhydrophobierendem Organosilan I und/oder Organosiloxan II in Kombination mit den anderen Merkmalen des Anspruchs 1 offenbaren würde. Zudem wurde der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit nicht zugelassen, da er zum einen verspätet vorgebracht und zum anderen nicht substantiiert worden sei.

III. Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatentes lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von teilhydrophobem Metalloxid, dadurch gekennzeichnet, dass das Metalloxid mit

I) Organosilan der Formel R**(1)nSiX4-n wobei n = 1, 2 oder 3 bedeutet oder Mischungen aus diesen Organosilanen,

wobei R**(1) ein gesättigter oder einfach bzw. mehrfach ungesättigter, einwertiger, gegebenenfalls halogenierter, Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 24 C-Atomen ist und dabei gleich oder verschieden sein kann und X = Halogen, Stickstoffrest, OR**(2), OCOR**(2), O(CH2)xOR**(2) , wobei R**(2) Wasserstoff oder ein einwertiger Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12 C-Atomen bedeutet und x = 1, 2, 3 bedeutet

oder

II) Organosiloxan aufgebaut aus Einheiten der Formel (R**(1)3SiO1/2), und/oder (R**(1)2SiO2/2), und/oder (R**(1)SiO3/2)

wobei R**(1) die obige Bedeutung hat, wobei

die Anzahl von diesen Einheiten in einem Organosiloxan mindestens 2 ist, und I und II allein oder in beliebigen Gemischen in einer gesamten Menge von 0,015 mMol/g bis 0,15 mMol/g pro einer eingesetzten Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g BET-Oberfläche (gemessen nach der BET Methode nach DIN 66131 und 66132) eingesetzt wird, silyliert wird."

"7. Teilhydrophobe Kieselsäure, deren Partikel einen Kontaktwinkel (??in Luft gegen Wasser von kleiner 180º aufweisen, wobei die Dichte der Oberflächen-silanolgruppen SiOH sich zwischen minimal 0,9 und maximal 1,7 SiOH pro nm**(2) Partikeloberfläche bewegt und einen Kohlenstoffgehalt von 0,1 - 2,0 Gew.% aufweist sowie eine Methanolzahl von kleiner 30 aufweist."

"8. Additiv zur Steuerung der Rheologie von flüssigen und pulverförmigen Systemen, dadurch gekennzeichnet, dass es eine Kieselsäure nach Anspruch 7 oder hergestellt nach einem der Ansprüche 1 - 6 enthält."

"9. Toner oder Entwickler, dadurch gekennzeichnet, dass er eine Kieselsäure nach Anspruch 7 oder hergestellt nach einem der Ansprüche 1 - 6 enthält."

"10. Emulsion, dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Kieselsäure nach Anspruch 7 oder hergestellt nach einem der Ansprüche 1 - 6 enthält."

IV. Mit dem Schreiben vom 28. Mai 2009 wurde die Beschwerde und mit dem Schreiben vom 6. August 2009 die Beschwerdebegründung eingereicht. Folgendes Dokument wurde zusätzlich zitiert:

D3: Kohlenstoffgehalt-Berechnungen.

V. In ihrem Antwortschreiben vom 12. Februar 2010 erwiderte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Beschwerde.

VI. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2013 wurde am 18. Februar 2013 und ein Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK am 16. April 2013 verschickt.

VII. Am 10. Mai 2013 reichte die Beschwerdegegnerin 3 Hilfsanträge, sowie Berechnungen der Stoffmenge Silyliermittel, die in den Beispielen 1-6 aus D2 verwendet wurden, ein.

VIII. Am 24. Mai 2013 reichte die Beschwerdeführerin eine weitere Berechnung der Stoffmenge Silyliermittel des in D1 offenbarten Verfahrens ein.

IX. Die mündliche Verhandlung fand am 10. Juni 2013 statt. Die Beschwerdeführerin unterzeichnete nochmals den am 24. Mai 2013 eingereichten Brief, da dieser nicht durch eine fortgeschrittene elektronische Signatur einer im Verfahren handlungsberechtigten Person bestätigt war (siehe ABI, EPA 2009, 182, Artikel 8(2)). Während der mündlichen Verhandlung wurde die Neuheit gegenüber D1 und D2 diskutiert, auch angesichts der in D3 vorgelegten Berechnungen. Zudem wurde diskutiert, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen richtig ausgeübt hat, soweit sie den Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit nicht hat.

X. Die im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Einspruchsabteilung habe sich bei ihrer Entscheidung von einer unzutreffenden Beurteilung des Standes der Technik im Hinblick auf Neuheit leiten lassen. Eine Diskussion und Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Patentgegenstandes sei nicht erfolgt.

Die in Anspruch 7 angegebenen Werte von Kohlenstoffgehalt, BET-Oberfläche und Methanolzahl entsprächen völlig den in D1 angegebenen Bereichen. Zudem seien der Kontaktwinkel und die Dichte der Oberflächensilanolgruppen Pseudomerkmale, die keine Unterscheidungskraft beinhalten würden, da ein Kontaktwinkel von kleiner 180º von allen teil- bis vollhydrophoben Kieselsäuren erfüllt sei.

D1 und D2 würden also die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 7 vorwegnehmen. Zudem würde D2 auch die Neuheit des Gegenstandes der Ansprüche 8-11 vorwegnehmen.

D3 wurde vorgelegt, worin die Kohlenstoffgehaltsberechnungen der Oberflächen der teilhydrophoben Oxidpartikel aus D1, D2 und dem Streitpatent zusammengefasst wurden. Die Wertebereiche aus D1 (Tabelle, Seite 3) und D2 (Seite 3, Zeilen 37 und 57) stimmten weitestgehend mit dem des Streitpatents überein, sodass die Wahl der Menge an Silylierungsmittel zu dem zu silylierenden Metalloxid in den Verfahren von D1 und D2 der Bemessungsregel gemäß Anspruch 1 des Streitpatents entspreche.

Den Ansprüchen 1-6 fehle demzufolge die Neuheit.

Das auf Seite 4, Zeilen 53 bis 56 in Verbindung mit der zweiten Tabelle auf Seite 4 offenbarte Verfahren falle eindeutig unter die Definition von Anspruch 1 des Streitpatentes. Die molare Menge an Polydimethylsiloxan-Monomer pro Gramm Kieselsäure pro 100 m**(2)/g SiO2-Oberfläche betrage bei der Verwendung einer Kieselsäure mit einer BET-Oberfläche von 300 m**(2)/g, wie in Zeile 24 auf Seite 4 der D1 angegeben, 0,146 mmol/100 m**(2).

Der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit, der in dem Schreiben vom 10. Februar 2009 erwähnt wurde, sei als substantiiert anzusehen, da infolge des Neuheitseinwands eine detaillierte Analyse der erfinderischen Tätigkeit nicht nötig oder sogar widersprüchlich sei. Demzufolge hätte die Einspruchsabteilung die prima facie Relevanz des Einspruchgrundes prüfen müssen. Gemäß der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, habe die Einsprechende nicht die Möglichkeit gehabt, sich dazu zu äußern, sodass ein Verfahrensfehler vorliege. Es sei widersprüchlich, dass D2 einerseits für die Frage der Neuheit relevanter als D1 angesehen wurde, aber andererseits D2 nicht für die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt wurde.

Durch die formalen Unterscheidungsmerkmale könne keine erfinderische Tätigkeit begründet werden, da keine unerwarteten Ergebnisse und/oder nicht naheliegende Vorteile erzielt würden.

XI. Die im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Ausführungen der Einsprechenden zur Neuheit würden nichts substantiell Neues beinhalten.

Der in der Tabelle von D1 auf Seite 3 genannte Kohlenstoffgehalt lasse keine Aussage über den Hydrophobiergrad der entsprechenden Kieselsäure zu. Da in D1 die für eine Teilhydrophobierung notwendige Menge Silyliermittel nicht angegeben sei, sei das Verfahren des Streitpatents neu gegenüber D1.

Die Silanolgruppendichte sei in D1 nicht explizit genannt und könne auch nicht direkt aus dem Kohlenstoffgehalt berechnet werden. Deshalb sei die im Streitpatent beanspruchte Kieselsäure sowie ihre Verwendung neu gegenüber D1.

Es sei nicht eindeutig, dass das auf Seite 4, Zeile 55 der D1 erwähnte Polymethylsiloxan ein Polydimethylsiloxan sei. Dadurch sei es nicht unmittelbar und eindeutig herleitbar, dass die am 24.05.2012 eingereichte Berechnung sich auf ein Beispiel der D1 beziehe.

Da in allen Beispielen aus D2 eine Menge Silyliermittel bezogen auf eine Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g eingesetzt werde, die über der beanspruchten und in den Beispielen des Streitpatents eingesetzten Menge von 0,015-0,15 mMol/g liegen, sei das Verfahren des Streitpatents neu gegenüber D2.

Dadurch hätten die Metalloxide einen geringeren Anteil an nicht reagierten Silanolgruppen und seien deshalb hydrophober. Somit sei auch der Gegenstand der Ansprüche 7-11 neu.

Die Einspruchsabteilung habe zu Recht den Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit nicht zugelassen. Der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit sei somit ein neu eingeführter Einspruchsgrund. Die Patentinhaberin gebe ihr Einverständnis zum Einführen dieses neuen Einspruchsgrundes nicht.

Zudem mache D1 keine Angabe, welche Menge Silyliermittel eingesetzt werden müsse, um die Hydrophobizität zu verändern und sei daher nicht relevant für die erfinderische Tätigkeit der vorliegenden Ansprüche.

D2 würde die Herstellung eines teilhydrophoben Metalloxids gar nicht behandeln und die Menge an Silyliermittel auch nicht variieren, um die Hydrophobizität zu verändern. D2 sei daher auch nicht relevant für die erfinderische Tätigkeit der vorliegenden Ansprüche.

XII. Anträge:

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patentes in vollem Umfang. Zudem wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Beschwerde zurückzuweisen und das Streitpatent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten. Hilfsweise wird die Erteilung auf Basis von einem der Hilfsanträge 1-3 beantragt.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Artikel 100(a): Neuheit

Es war unstrittig zwischen den Parteien, dass D1 und D2 die Silylierung von Fällungskieselsäuren mit Organosiloxanen und/oder Organosilanen offenbaren.

Der einzige strittige Punkt war, ob aus D1 oder D2 unmittelbar und eindeutig hevorgeht, dass Organosilan und Organosiloxan jeweils allein oder in beliebigen Gemischen in einer gesamten Menge von 0,015 mMol/g bis 0,15 mMol/g pro einer eingesetzten Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g BET-Oberfläche verwendet wurde und die erhaltene teilhydrophobe Kieselsäure eine Dichte der Oberflächensilanolgruppen SiOH zwischen minimal 0,9 und maximal 1,7 SiOH pro nm**(2) Partikeloberfläche hat.

1.1 Anspruch 1

1.1.1 D1 offenbart teilhydrophobe Fällungskieselsäuren, gekennzeichnet durch eine Methanolbenetzbarkeit von 10-49% (siehe Anspruch 1). Diese können z.B. durch Umsetzung von Fällungskieselsäure mit Hydrophobierungsmittel hergestellt werden (siehe Anspruch 13). Eine explizite Offenbarung der eingesetzten Menge an Hydrophobierungsmittel (Silylierungsmittel) pro Kieselsäure-Oberfläche ist in D1 nicht gegeben. Dies wurde von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift als formaler Unterschied bezeichnet.

Es muss also untersucht werden, ob dieses Merkmal in D1 implizit vorhanden ist, das heißt das zwangsläufige Ergebnis der wörtlichen Offenbarung ist.

Auf Seite 4, Zeilen 53-55 offenbart D1 ein Verfahren zur Herstellung der teilhydrophoben Fällungskieselsäure durch Reaktion einer wässrigen Fällungskieselsäure-suspension (160 kg/h) mit Polymethylsiloxan (0,424 kg/h). Die mit dem Schreiben vom 24.05.2013 vorgelegten Berechnungen zeigen, dass dieses Verfahren unter den Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents fallen würde, wenn eine Kieselsäure mit einer BET-Oberfläche von 300 m**(2)/g mit Polydimethylsiloxan umgesetzt worden wäre.

Die Beschwerdekammer ist jedoch der Meinung, dass es für den Fachmann nicht eindeutig und unmittelbar aus dem erwähnten Abschnitt hervorgeht, dass als Polymethylsiloxan ein Polydimethlysiloxan und als Fällungskieselsäure eine Fällungskieselsäure mit einer BET-Oberfläche von 300 m**(2)/g verwendet wurden. Es stimmt, dass es für den Fachmann sehr wahrscheinlich ist, dass als Polymethylsiloxan ein Polydimethylsiloxan verwendet wurde. Die Verwendung von Polymethylhydrosiloxan als Polymethylsiloxan kann jedoch nicht ganz ausgeschlossen werden, was auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurde. In diesem Fall würde das Verfahren nicht mehr unter den Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents fallen, da dann die eingesetzte Menge an Silylierungsmittel pro Kieselsäure-Oberfläche nicht mehr im Bereich von 0,015 mMol/g bis 0,15 mMol/g pro einer eingesetzten Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g BET-Oberfläche liegen würde.

Zudem offenbart die Zeile 53 auf Seite 2 der D1 nur "eine[r] wässrige[n] Fällungskieselsäuresuspension" ohne anzugeben, um welche es sich handelt. Es werden zwei bevorzugte Fällungskieselsäuren auf Seite 4 genannt, wobei die erste eine BET-Oberfläche von 150 m**(2)/g hat und die zweite eine BET-Oberfläche von 300 m**(2)/g hat (siehe Tabellen auf Seite 4). Das zwangsläufige Ergebnis des in dem Abschnitt (Seite 4, Zeilen 53-55) beschriebenen Verfahrens fällt also nur unter den Wortlaut des Anspruchs 1, wenn als Polymethylsiloxan ein Polydimethlysiloxan verwendet wurde und als Fällungskieselsäure eine Fällungskieselsäure mit einer BET-Oberfläche von 300 m**(2)/g.

Da für die Feststellung eines zwangsläufigen Ergebnisses der wörtlichen Offenbarung ein strengerer Ansatz als die Abwägung der Wahrscheinlichkeit gilt (siehe T 793/93), kommt die Kammer zum Schluss, dass der erwähnte Abschnitt nicht als neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatentes anzusehen ist.

Weiter muss bestimmt werden, ob aus den in der D3 gezeigten Berechnungen des Kohlenstoffgehaltes der Oberflächen der Kieselsäuren aus D1, die eingesetzte Menge an Silylierungsmittel pro Oberfläche abgeleitet werden kann.

Die Beschwerdekammer kann nicht erkennen, wie aus diesen Ergebnissen eindeutig und unmittelbar abgeleitet werden kann, dass die Menge an Organosilan und Organosiloxan jeweils allein oder in beliebigen Gemischen zwischen 0,015 mMol/g bis 0,15 mMol/g pro einer eingesetzten Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g BET-Oberfläche betragen soll. Der Kohlenstoffgehalt der teilhydrophoben Kieselsäure ist das Ergebnis der Reaktion von Silanolgruppen mit einem Silyliermittel. Wieviel Silyliermittel eingesetzt wurde, um einen bestimmten Kohlenstoffgehalt zu erhalten, hängt vom Silyliermittel (z.B. dessen Kohlenstoffgehalt), von der Kieselsäure und von den Reaktionsbedingungen ab. So zeigt die Tabelle 1 der D1 einige hydrophobe Kieselsäuren, deren Oberfläche und Gehalt an Kohlenstoff angegeben sind. Aus diesen Angaben kann man nicht herleiten, welche Menge Silyliermittel verwendet wurde, da die Art und vor allem der Kohlenstoffgehalt des Silyliermittels nicht angegeben sind.

Die Annahme der Beschwerdeführerin, dass die Menge an verwendetem Silyliermittel in D1 die gleiche sein muss wie im Streitpatent, da der Kohlenstoffgehalt der teilhydrophoben Kieselsäure aus D1 und der teilhydrophoben Kieselsäure aus dem Streitpatent überlappen (siehe Seite 2 des Dokuments D3), lässt sich nur eindeutig und unmittelbar bestätigen, wenn die Art des Silyliermittels, die zur Herstellung der Kieselsäure verwendet wurde, bekannt ist. Es stimmt, dass D1 Silyliermittel auf Seite 4, Zeilen 37-42 offenbart, die größtenteils mit den im Streitpatent angegebenen Silyliermitteln identisch sind, aber es gibt keine explizite Offenbarung einer Reaktion eines definierten Silyliermittels mit einer definierten Kieselsäure und keine Offenbarung des Kohlenstoffgehalts des Produktes, was eine Berechnung der eingesetzten Mengen ermöglichen würde.

Zudem beruhen die in D3 gezeigten Berechnungen auf allgemeinen Angaben aus der Beschreibung (siehe Tabelle, Seite 3). Aus diesen allgemeinen Angaben lassen sich jedoch keine Schlussfolgerungen für den speziellen Fall ziehen, da eine wesentliche Größe (Menge und Art des Silyliermittels) nicht bekannt ist (siehe auch die Beispiele aus der D1, in der keine Angabe über die Silyliermittel zu finden ist).

Die Kammer ist deshalb der Meinung, dass die Schlussfolgerungen aus den in D3 gezeigten Berechnungen spekulativ sind. Es mag sein, dass die in D1 eingesetzten Mengen an Silyliermittel auch in dem in Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Bereich hätten liegen können, aber es gibt keine Angabe, die dies zweifelsfrei bestätigt. Der Fachmann kann nicht eindeutig und unmittelbar die Menge an eingesetztem Silyliermittel aus D1 herleiten.

1.1.2 D2 offenbart ebenfalls oberflächenmodifizierte Kieselsäuren. Eine explizite Offenbarung der eingesetzten Menge an Silylierungsmittel pro Kieselsäure-Oberfläche ist auch hier nicht gegeben. Die Beispiele 1 bis 6 beschreiben die Reaktion eines Metalloxids (pyrogene Kieselsäure in Beispielen 1 und 3 bis 6; Titanoxid in Beispiel 2) mit einem Silyliermittel. Wie aus den Berechnungen der Beschwerdegegnerin, die am 10. Mai 2013 eingereicht und von der Beschwerdeführerin als korrekt angesehen wurden, hervorgeht, wurde eine Menge Silyliermittel bezogen auf eine Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g eingesetzt, die über der beanspruchten eingesetzten Menge von 0,015 bis 0,15 mMol/g liegt. Die Beispiele sind deshalb nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents.

Wie für D1 hat die Beschwerdeführerin auch für D2 den Kohlenstoffgehalt der Oberflächen der teilhydrophoben Oxidpartikel aus allgemeinen Angaben aus der Beschreibung berechnet und daraus hergeleitet, dass die Menge an verwendetem Silyliermittel in D2 die gleiche sein muss wie im Streitpatent, da der Kohlenstoffgehalt der teilhydrophoben Kieselsäure aus D2 und der teilhydrophoben Kieselsäure aus dem Streitpatent überlappen (siehe Seite 2 des Dokuments D3).

Dieser Schlussfolgerung kann sich die Beschwerdekammer nicht anschließen, da, wie bereits für D1 erwähnt, das verwendete Silyliermittel von entscheidender Bedeutung ist. Zudem zeigen die explizit offenbarten Beispiele, dass die eingesetzte Menge an Silyliermittel eben nicht in den in Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Bereich fällt. Aus den allgemeinen Angaben in der Beschreibung kann demzufolge nicht auf den Einzelfall geschlossen werden, da im Einzelfall das verwendete Silyliermittel entscheidend ist.

Das Merkmal betreffend den Einsatz der Mengen an I Organosilan und II Organosiloxan, nämlich "I und II allein oder in beliebigen Gemischen in einer gesamten Menge von 0,015 mMol/g bis 0,15 mMol/g pro einer eingesetzten Metalloxid-Oberfläche von 100 m**(2)/g BET-Oberfläche (gemessen nach der BET Methode nach DIN 66131 und 66132)" geht somit weder aus D1 noch aus D2 unmittelbar und eindeutig hervor, sodass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neu gegenüber D1 und D2 ist.

1.2 Anspruch 7

D1 und D2 offenbaren auch nicht die Dichte der Oberflächensilanolgruppen der teilhydrophobierten Kieselsäure, die in Anspruch 7 des Streitpatents vorkommt. Die Dichte lässt sich auch nicht aus dem Kohlenstoffgehalt herleiten, da die chemische Strukturformel des zur Modifizierung verwendeten Silyliermittels den Kohlenstoffgehalt bei gleichem Anteil an nicht-reagierten Silanolgruppen beeinflusst. Zudem kann bei gegebenem Kohlenstoffgehalt eine Kieselsäure mit einer kleinen Oberfläche weniger freie Silanolgruppen haben, als eine Kieselsäure mit einer größeren Oberfläche.

Da die Menge des eingesetzten Silyliermittels nicht unmittelbar und eindeutig aus D1 oder D2 hervorgeht, kann auch nicht argumentiert werden, dass das in D1 oder D2 offenbarte Verfahren das gleiche wie im Streitpatent ist und somit das Produkt zwangsweise das gleiche mit der gleichen Dichte an Oberflächensilanol-gruppen sein muss.

Der Gegenstand des Anspruchs 7 ist somit ebenfalls neu gegenüber D1 und D2.

1.3 Ansprüche 8-10

1.3.1 Gemäß der Beschwerdegegnerin ermöglicht es das Verfahren gemäß Anspruch 1, einen oberflächenmodifizierten Feststoff mit definierter Silanolgruppendichte bereitzustellen, der wasserbenetzbar, aber nicht zu stark hydrophob ist. Da es keinen Beleg dafür gibt, dass die nach dem Verfahren der Ansprüche 1-6 hergestellte Kieselsäure zum Stand der Technik gehört und auch in D1 oder D2 erhalten wird, wird eine gemäß Ansprüchen 1-6 hergestellte Kieselsäure als neu angesehen.

Die Ansprüche 8 bis 10 enthalten entweder die Kieselsäure gemäß Anspruch 7, die unter 1.2 als neu angesehen wurde, oder eine nach dem Verfahren der Ansprüche 1-6 hergestellte Kieselsäure. Demzufolge ist auch der Gegenstand der Ansprüche dieser unabhängigen Ansprüche neu.

Somit steht der Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit den Ansprüchen 1-11 des Streitpatents nicht entgegen.

1.4 Die Einspruchsabteilung hat den verspätet vorgebrachten Neuheitseinwand basierend auf D2 als ausreichend begründet angesehen und D2 für relevanter als das sich bereits im Verfahren befindende Dokument D1 befunden. Deshalb wurde das Dokument D2 unter Artikel 114(1) EPÜ von der Einspruchsabteilung in das Verfahren zugelassen. Ob das Dokument wirklich als prima facie relevant für die Frage der Neuheit betrachtet wurde, geht aus der Entscheidung nicht wirklich hervor. Angesichts der hier gemachten Anmerkungen zur Neuheit bezüglich D2, scheint es der Kammer fraglich, ob D2 überhaupt in das Verfahren hätte aufgenommen werden müssen. Diese Frage muss hier aber nicht endgültig beantwortet werden, da sie nicht entscheidungsrelevant ist.

1.5 Artikel 100(a): Erfinderische Tätigkeit

1.5.1 Der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit wurde nach der Neun-Monatseinspruchsfrist erhoben und zeitgleich mit dem Dokument D2 am 10. Februar 2009 vorgebracht. Nur zum Neuheitsmangel gegenüber D2 wurden von der Einsprechenden Argumente vorgebracht. Es wurde ergänzend bemerkt, dass angesichts der gleichen Tatsachen und Gründe der Gegenstand des Patents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit wurde von der Einspruchsabteilung als nicht substantiiert angesehen und deshalb nicht in das Verfahren aufgenommen.

Es muss überprüft werden, ob die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den neuen Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit nicht in das Verfahren aufzunehmen, korrekt war.

Gemäß T 1002/92 setzt die Prüfung der prima facie Relevanz eines neuen Einspruchsgrundes voraus, dass "Tatsachen und Beweismittel" zu seiner Stützung vorgebracht werden. "Die bloße Nennung eines neuen Einspruchsgrunds ohne Angabe entsprechender neuer Tatsachen, Beweismittel und Argumente wäre nämlich weder vor noch nach Ablauf der Einspruchsfrist zulässig." (siehe T 1002/92, Gründe 3.2).

Im vorliegenden Fall wurden keine Argumente bezüglich der erfinderischen Tätigkeit vorgebracht, da dies gemäß der Beschwerdeführerin im Falle eines Neuheitseinwands basierend auf dem gleichen Dokument widersprüchlich sei. Ein ähnlicher Fall liegt der T 131/01 zu Grunde, wobei jedoch innerhalb der Neun-Monats-Einspruchsfrist sowohl Neuheit, als auch erfinderische Tätigkeit als Einspruchsgründe angegeben wurden, dabei aber nur der Neuheitseinwand eingehend begründet wurde. Die Beschwerdekammer kam in dieser Sache zum Schluss, dass die Untersuchung der erfinderischen Tätigkeit Neuheit voraussetzt, die von der Einsprechenden ja gerade bestritten wurde, und in einem solchen Fall eine ausführliche Darlegung des Einwands der mangelnden erfinderischen Tätigkeit entbehrlich ist. Wird dieser dann später im einzeln geltend gemacht, stelle dies keinen neuen Einspruchsgrund dar (siehe T 131/01, Gründe 3.1).

Anders verhält es sich jedoch im vorliegenden Fall, in dem bereits die Begründung des Neuheitseinwands basierend auf D2 sehr dürftig ausgefallen ist und es daher sehr fraglich erscheint, ob die in T 222/85 aufgestellten Bedingung, dass die Einspruchsschrift vom Inhalt her geeignet sein muss, das Vorbringen des Einsprechenden objektiv verständlich zu machen (Leitsatz II), erfüllt ist. Da vorliegend - im Gegensatz zu dem der T 131/01 zu Grunde liegenden Fall - keine ausführliche Diskussion der Neuheit durchgeführt wurde, kann der Fachmann auch nicht verstehen, welche Merkmale für die erfinderische Tätigkeit relevant sein könnten, sollte der Neuheitseinwand nicht durchgreifen.

Die Diskussion der Neuheit in dem Schreiben vom 10. Februar 2009 enthält keine Angaben über die Ansprüche die als neuheitsschädlich vorweggenommen gelten und enthält keine Merkmalsanalyse der Ansprüche. Wieso und an welchen Stellen die im Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Mengen oder die in Anspruch 7 des Streitpatents angegebenen Parameter in Kombination mit den sonstigen Merkmalen (angeblich) aus der D2 hervorgehen sollten, wird überhaupt nicht thematisiert. Der Fachmann weiß somit nicht, auf welchen Anspruch sich die Einwände beziehen und welche Merkmale wo offenbart sind.

Auch über etwaige Unterschiede zum Streitpatent wird im ergänzenden Schriftsatz vom 10. Februar 2009 nichts ausgeführt, was einen weiteren Unterschied zu dem der T 131/01 zu Grunde liegenden Fall darstellt (siehe auch T 131/01, Gründe 3.2).

Eine Bedingung, einen Einspruchsgrund als substantiiert anzusehen ist auch, dass die Einspruchsabteilung und die Patentinhaberin den vorgebrachten Einspruchsgrund ohne weitere Ermittlungen nachprüfen können (siehe T 453/87, Gründe 2.2). Dies ist im vorliegenden Fall für den Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit nicht erfüllt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Schreiben vom 10. Februar 2009 nicht geeignet ist, das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der erfinderischen Tätigkeit verständlich zu machen.

Demzufolge ist der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit als nicht substantiiert anzusehen und im Einklang mit T 1002/92 musste die prima facie Relevanz der Patentschrift D2 nicht geprüft werden. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist in dieser Hinsicht korrekt.

Gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde D2 in das Verfahren aufgenommen, da sie für die Frage der Neuheit als relevanter als D1 angesehen wurde, was jedoch nicht bedeutet, dass D2 als insgesamt prima facie relevant angesehen wurde.

Der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit ist somit vorliegend ein neuer Einspruchsgrund.

Da die Patentinhaberin ihr Einverständnis zur Prüfung des Einspruchgrundes der erfinderischen Tätigkeit nicht gegeben hat, kann dieser Grund nicht geprüft werden (siehe G 10/91, Gründe 18).

Fehlende Neuheit war demzufolge der einzige zu prüfende Einspruchsgrund.

2. Rechtliches Gehör (Artikel 113(1) EPÜ)

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113(2) EPÜ) lässt sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht herleiten. Wie aus Seite 4 der Niederschrift hervorgeht, wurde der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung besprochen. Es geht nicht hervor, in welchem Masse die Einsprechende sich zu diesem Einspruchsgrund äußern durfte. Es gibt jedenfalls keinen Beleg dafür, dass die Einspruchsabteilung der Einsprechenden das Wort nicht erteilt hat.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr zurückgezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wurde. Da der Beschwerde im vorliegenden Fall nicht stattgegeben wird, muss der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückgewiesen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird nicht stattgegeben.

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