T 0451/09 () of 1.12.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T045109.20101201
Datum der Entscheidung: 01 Dezember 2010
Aktenzeichen: T 0451/09
Anmeldenummer: 03740322.7
IPC-Klasse: E04H 7/06
F25J 3/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Coldboxblechmantel
Name des Anmelders: Linde AG
Name des Einsprechenden: L'AIR LIQUIDE, Société Anonyme
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (bejaht)
Zulässigkeit von Beweismitteln (teilweise verneint)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. November 2008, zur Post gegeben am 19. Dezember 2008, den Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 1 520 079 gemäß Artikel 101(2) zurückzuweisen.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hatte am 17. Februar 2009 Beschwerde eingelegt und bereits am 16. Februar 2009 die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 28. April 2009 eingegangen.

III. Mit Ladung vom 22. Juni 2010 zur mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung in einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK mit. Die mündliche Verhandlung fand am 1. Dezember 2010 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig und die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Der unabhängige Anspruch 1 (wie erteilt) hat folgenden Wortlaut:

"1. Tieftemperaturluftzerlegungsanlage mit einer Einhausung zur Aufnahme von Teilen der Tieftemperaturluftzerlegungsanlage, wobei die Einhausung senkrecht zur Grundfläche der Einhausung sich erstreckende Seitenwände aufweist, wobei die Ausdehnung der Einhausung senkrecht zur Grundfläche deren Höhe definiert, dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenwände jeweils aus mehreren Paneelen bestehen, die jeweils einen mit einem Blechmantel versehenen Rahmen aufweisen, und dass in Richtung der Höhe der Einhausung die Stoßstellen der Paneelen [sic!] (1a,1b,2a,2b) einer Seitenwand im Wesentlichen alle denselben Abstand voneinander besitzen."

VI. Für die vorliegende Entscheidung wurden insbesondere folgende Beweismittel berücksichtigt:

D2 = GB-A-860 918

eingereicht mit der Beschwerdebegründung:

D4 = "Oxygen-Enhanced-Combustion", CRC Press, 1998, Seiten 73, 74, 120, 121

D5 = FR-A-2 484 502

D5b = GB-A-2 076 037

D6 = GB-A-2 339 440

VII. Die Parteien haben im wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

VII.1 Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die "erste Hypothese" der Begründung den Standpunkt gegenüber der Einspruchsentscheidung verständlich darstelle, nämlich dass der Wortlaut des Anspruchs 1 auch Rahmen umfasse, die mehreren Paneelen angehören. Zudem seien auch in der "zweiten Hypothese" im Kontext mit genannten Dokumenten in Erwiderung auf die Entscheidung der Erstinstanz Argumente ausführlich vorgetragen, und nicht einfach nur Stand der Technik zitiert worden. Die Beschwerde sei daher zulässig.

Die Beschwerdegegnerin erwiderte, dass zum Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit jedoch keine Begründung angegeben sei, wieso nunmehr vom Verständnis der Auslegung des Anspruchs 1 in der angefochtenen Entscheidung abzuweichen sei ("erste Hypothese"). Darüber hinaus basiere die Argumentation der Beschwerdeführerin lediglich auf Dokumenten, die wegen verspäteten Vorbringens nicht zu berücksichtigen seien ("zweite Hypothese"). Somit sei die Beschwerdebegründung nicht substantiiert vorgetragen und die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

VII.2 Zulässigkeit von Beweismitteln

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sie von der einschränkenden Auslegung des Anspruchs 1 durch die Einspruchsabteilung, wonach jedes Paneel jeweils einen eigenen Rahmen aufweise, überrascht worden sei. Der Umstand, dass diese einschränkende Sichtweise in Schriftsätzen des Einspruchsverfahrens angesprochen wurde, bedeute nicht, dass die Beschwerdeführerin mit einer solchen Auffassung einverstanden sei. Aus diesem Grund seien insbesondere die Dokumente D5(D5b) und D6 nachgereicht worden. D5(D5b) und D6 betreffen zwar ein anderes technisches Gebiet. Da aber für eine einfache bzw. kostengünstige Erstellung der Einhausung nach Anspruch 1, d.h. der "Coldbox", nicht der Chemieingenieur, sondern ein Fachmann auf dem Gebiet des Bauwesens zuständig sei, seien D5(D5b)und D6 ebenfalls in Betracht zu ziehen. Dies sei auch aus der Beschreibung des Patents in Spalte 1, Zeile 25 (wie veröffentlicht) zu entnehmen, wo unter einer Einhausung lediglich "insbesondere" (also fakultativ) eine Ummantelung verstanden werde, die der Aufnahme ein oder mehrerer Bauteile einer Tieftemperaturluft-zerlegungsanlage diene. Schließlich beinhalte Anspruch 1 auch keine Merkmale, wonach die beanspruchte Einhausung gasdicht oder etwa einer bestimmten Temperatur ausgesetzt sei. Somit seien die Dokumente D5(D5b) und D6 relevant und daher ins Verfahren zuzulassen. Schließlich sei auch D4, die als Hintergrundinformation zu der in Anspruch 1 angesprochenen "Coldbox" nachgereicht wurde, zuzulassen.

Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass im Einspruchsverfahren, z.B. bereits in ihrem Schriftsatz vom 20. Februar 2002, das Verständnis der Einspruchsabteilung, wonach die Paneele des Anspruchs 1 "jeweils selbst einen Rahmen aufweisen", frühzeitig angesprochen wurde und daher für die Beschwerdeführerin nicht überraschend sein konnte. Die neue Argumentationslinie der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren, basierend auf den verspätet eingereichten Dokumenten D5(D5b) und D6, sei daher verspätet vorgetragen, und die Einreichung dieser Dokumente somit bereits aus diesem Grund unzulässig. Darüber hinaus werden an den Wandaufbau einer sogenannten "Coldbox" spezielle Anforderungen, wie etwa deren Gasdichtheit, gestellt, die dem Fachmann hinlänglich bekannt seien. So wiesen die Wände einer "Coldbox" auch keine normale, im Bauwesen übliche, Isolierung auf, sondern seien im Inneren mit Perlit verfüllt. Aus diesem Grund würde der Fachmann, ausgehend von einer "Coldbox" aus D4, die D5(D5b), wo Module mit vergleichsweise geringen Abmessungen zum Brand- und Hitzeschutz beschrieben seien, oder die mit im Hausbau üblichen Rahmenstrukturen befasste D6, nur in rückschauender Betrachtungsweise berücksichtigen. Da D5(D5b) und D6 daher auch nicht relevant seien, sei deren Zulassung nicht gerechtfertigt.

VII.3 Erfinderische Tätigkeit

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass, ausgehend von D4, wo ein mit Blech verkleideter Stahlrahmen als Wandaufbau einer "Coldbox" beschrieben sei, der Fachmann auf der Suche nach einer einfachen Montage einer derart großen Einhausung die D2 unter anderem deshalb in Betracht ziehen würde, weil dort Tieftemperaturanlagen und deren Installation in einer Einhausung angesprochen seien. In Figur 5 der D2 überlappen die Randbereiche der Metallblechpaneele rundum zur Gänze ein Rahmenelement ("framing member 1"). Der gleiche Sachverhalt sei Figur 1 zu entnehmen, denn die gezeigten Flansche "c" und "d" ("flanges") dienen ebenfalls als umlaufender Rahmen für jedes Paneel ("plates 2,3"). Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1, insbesondere das Merkmal, wonach die Paneele jeweils einen mit einem Blechmantel versehenen Rahmen aufweisen, ausgehend von D4 durch die Lehre der D2 nahe gelegt.

Die Beschwerdegegnerin erwiderte, dass, selbst wenn der Fachmann D2 in Betracht ziehen würde, D2 lediglich eine Rahmenkonstruktion offenbare, die der nachträglichen Befestigung rahmenloser Paneele diene. Paneele, die als Module jeweils ihren eigenen Rahmen aufweisen, seien in D2 nicht angesprochen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher erfinderisch. Durch die Erfindung werde eine effiziente Montage der Tieftemperaturluft-zerlegungsanlage auch dadurch ermöglicht, dass Teile der im Inneren der "Coldbox" befindlichen Anlage gleichzeitig zur Einhausung nach oben hin aufgebaut werden können. Bisher sei nach Fertigstellung der die Paneele tragenden Rahmenkonstruktion ein Aufbau der Anlage, also durch die Rahmenkonstruktion hindurch, nicht mehr möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Aus der in der Beschwerdebegründung genannten "ersten Hypothese" geht unmittelbar hervor, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 im Sinne der Beschwerdeführerin entgegen der angefochtenen Entscheidung dahingehend auszulegen sei, dass Anspruch 1 auch Rahmen umfasse, die mehreren Paneelen angehören. Daher sei Anspruch 1, etwa ausgehend von D2, nicht erfinderisch. Darüber hinaus ist, ungeachtet dessen, ob die verspätet eingereichten Dokumente D4 bis D6 nun zulässig sind oder nicht, aus dem Vortrag gemäß "zweiter Hypothese" deutlich zu verstehen, dass, selbst wenn die Beschwerdeführerin die Auffassung der Einspruchsabteilung zu Anspruch 1 teilen würde, dieser beispielsweise ausgehend von D4 durch D5 oder D6 nahegelegt sei. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin sind daher jene Tatsachen und Beweismittel, die der vorliegenden Einspruchsentscheidung entgegenstehen, in der Beschwerdebegründung substantiiert dargelegt, und somit sowohl für die Beschwerdegegnerin als auch die Kammer objektiv verständlich, vgl. Regel 99(2) EPÜ.

Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. Zulässigkeit von Beweismitteln

Die Auffassung der Beschwerdegegnerin, wonach die Paneele in Anspruch 1 jeweils einen eigenen Rahmen aufweisen, ist ihrem Schriftsatz vom 20. Februar 2002, Seite 2, letzter Satz unmissverständlich zu entnehmen. Darüber hinaus stimmte die Einspruchsabteilung unter Punkt 7.2 ihres Ladungsbescheids vom 8. Mai 2008 mit dieser Ansicht überein. Daher konnte die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Anspruch 1 in diesem Sinne zu verstehen, für die Beschwerdeführerin auch nicht überraschend sein. Weiters folgt die Kammer der Beschwerdegegnerin, wonach in der Tieftemperaturluft-zerlegungsanlage gemäß Anspruch 1 der Wandaufbau einer "Coldbox" spezielle Anforderungen erfüllen muss, wie etwa an die Gasdichtheit (Spülung mit Stickstoff oder Helium), die Dimensionierung (Höhe, Tragfähigkeit), aber auch an die Art der Isolierung (Perlitverfüllung). Deshalb würde der Fachmann die mit Hitzeproblemen und vergleichsweise kleinen Modulen befasste D5(D5b)(vgl. Zusammenfassung, Seite 1, Zeilen 75 und 76, Figuren), oder die einfache Baumodule betreffende D6 (siehe Zusammenfassung), ausgehend von einer Tieftemperatur-luftzerlegungsanlage mit einer "Coldbox", nicht in Betracht ziehen.

Da nach Ansicht der Kammer mit der Einführung der D5(D5b) und D6 erstens ein neuer Tatsachenvortrag zu einer seit Beginn des Einspruchsverfahrens bekannten Argumentationslinie verspätet vorgelegt wurde, und zweitens auch eine prima facie Relevanz dieser Dokumente für die Kammer nicht ersichtlich ist, war die Zulassung der D5(D5b) und D6 gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht gerechtfertigt.

Gegen die Zulassung der D4 hatte die Beschwerdegegnerin keine Einwände, und da diese eine übliche Tieftemperaturluft-zerlegungsanlage mit einer "Coldbox" beschreibt, wurde D4 von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK ins Verfahren aufgenommen.

3. Änderungen des Anspruchs 1

(Artikel 100 c) EPÜ)

In der Verhandlung vor der Kammer wurde die Zulässigkeit der erteilten Fassung des Anspruchs 1 von der Beschwerdeführerin nicht mehr bestritten, und auch die Kammer hat keinen Anlass, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.

4. Erfinderische Tätigkeit

(Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ)

Da die Neuheit von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurde und nach Überzeugung der Kammer auch gegeben ist, ist nur über die erfinderische Tätigkeit zu entscheiden.

Nach Ansicht der Kammer geht aus dem Wortlaut "... Paneelen bestehen, die jeweils einen ... Rahmen aufweisen,..." in Anspruch 1 unmissverständlich hervor, dass jedes Paneel eine Einheit mit eigenem Rahmen bildet.

Dieses Verständnis ist im übrigen auch von der Beschreibung gestützt: vgl. Patent; Absätze [0031] und [0032](wie veröffentlicht), und Figur 2.

Das Dokument D2 beschreibt hingegen Metallblechpaneele bzw. Platten, die, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, rahmenlos an einer zuvor errichteten Rahmenkonstruktion befestigt werden (vgl. D2; Seite 1, Zeilen 48 bis 71; Figuren 1 und 5). Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin zeigen die Figuren 1 und 5 ("framing members 1" mit "flanges c,d") keine jeweils umlaufenden Rahmen im überlappenden Randbereich der Paneele ("panels 2,3"), sondern eine Rahmenkonstruktion, deren Träger ("framing members 1") auch benachbarten Paneelen angehören.

Daher folgt die Kammer der Ansicht der Beschwerdegegnerin, wonach, selbst wenn der Fachmann für eine flexiblere und besser montierbare Einhausung der D4 die Lehre aus D2 in Betracht ziehen würde, das Merkmal aus Anspruch 1, wonach die Paneele jeweils einen Rahmen aufweisen, durch D2 jedenfalls nicht nahegelegt ist.

Somit erfüllt Anspruch 1 die Erfordernisse der erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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