T 0250/09 (Trennung von Nukleinsäuregemischen/QIAGEN GmbH) of 22.1.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T025009.20130122
Datum der Entscheidung: 22 Januar 2013
Aktenzeichen: T 0250/09
Anmeldenummer: 01113857.5
IPC-Klasse: C07H 1/08
C07H 21/00
C12N 15/10
C12P 19/34
C12Q 1/68
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Trennung von Doppelstrang / Einzelstrangnukleinsäurestrukturen
Name des Anmelders: QIAGEN GmbH
Name des Einsprechenden: Roche Diagnostics GmbH
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 112(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Hauptantrag: Gegenstand geht über den Inhalt der Stammanmeldung hinaus (ja)
Hilfsanträge 1 bis 24: Zulässigkeit (nein)
Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten: Änderungen (nicht zulässig)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
G 0006/95
T 1685/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerde-führerin I) und der Einsprechenden (Beschwerde-führerin II) richten sich gegen die am 17 November 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent EP 1 146 049 in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche des 3. Hilfsantrags und der daran angepassten Beschreibung aufrechterhalten wurde. Die dem vorliegenden Streitpatent zu Grunde liegende europäische Anmeldung 01113857.5 ist eine Teilanmeldung der früheren europäischen Anmeldung 95909684.3.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent von der Beschwerdeführerin II in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ und Artikel 56 EPÜ), wegen unvollständiger Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie wegen unzulässiger Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 76 EPÜ) angegriffen worden.

III. Ansprüche 1, 14 und 15 in der erteilten Fassung lauten:

"1. Verfahren zur Trennung von doppel- und einzelsträngigen Nukleinsäuren aus diese Stoffe enthaltenden Quellen, wobei eine Probe mit mindestens einem mineralischen Träger behandelt wird, wobei 1.1 die Behandlungsbedingungen durch ein wässriges Gemisch von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 bis 10 M und niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in einer Konzentration von 1 bis 90 Vol.-% so eingestellt sind, dass überwiegend die einzelsträngige Nukleinsäure enthaltende Fraktion an einem mineralischen Träger adsorbiert wird, während die doppelsträngige Nukleinsäure nicht adsorbiert wird, woraufhin die am mineralischen Träger adsorbierte einzelsträngige Nukleinsäure, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser, oder 1.2 die Behandlungsbedingungen so eingestellt sind, dass Erdalkali-Ionen komplexierende Substanzen in Abwesenheit von niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in der Lösung enthalten sind, die einzelsträngige Nukleinsäure unter diesen Behandlungsbedingungen nicht an einem mineralischen Träger adsorbiert wird und von der übrigen Probe abgetrennt wird, die doppelsträngige Nukleinsäure jedoch überwiegend an den mineralischen Träger bindet, woraufhin die doppelsträngige Nukleinsäure, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser oder 1.3 die Behandlungsbedingungen so eingestellt sind, dass Netz-, Wasch- oder Dispergiermittel in Abwesenheit von niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in der Lösung enthalten sind und die einzelsträngige Nukleinsäure unter diesen Behandlungsbedingungen nicht an einem mineralischen Träger adsorbiert wird und von der übrigen Probe abgetrennt wird, die doppelsträngige Nukleinsäure jedoch überwiegend an den mineralischen Träger bindet, woraufhin die doppelsträngige Nukleinsäure, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom ersten mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser oder 1.4 die Behandlungsbedingungen durch ein entsprechendes wässriges Gemisch von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 bis 10 M und niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in einer Konzentration von 1 bis 90 Vol.-% so eingestellt sind, dass die Gesamtnukleinsäure (einzel- oder doppelsträngige) an einem mineralischen Träger adsorbiert wird, gefolgt von einer Fraktionierung der an den Träger gebundenen einzel-/doppelsträngigen Nukleinsäuren durch Elution der einzel-/doppelsträngigen Nukleinsäuren vom mineralischen Träger durch selektive Elution der doppelsträngigen Nukleinsäure mittels Behandlung mit einer Lösung verminderter Ionenstärke und Konzentration von niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen oder Elution der einzelsträngigen Nukleinsäure mittels einer Lösung enthaltend eine Erdalkali-Ionen komplexierende Substanz und/oder ein Netz-, Wasch- oder Dispergiermittel sowie eine oder mehrere Salzarten, wobei die jeweils andere Nukleinsäure an dem mineralischen Träger gebunden bleibt und, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser. 14. Verwendung einer wässrigen Lösungen [sic] enthaltend 1 bis 5 M Guanidin-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidinhydrochlorid, 0,1 bis 3% Sarkosyl als Puffer zum Binden von DNA an mineralische Träger. 15. Verwendung einer wässrigen Lösung enthaltend 1 bis 5 M Guanidiniumthiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidiniumhydrochlorid, 5 mM bis 200 mM EDTA oder EGTA als Puffer zum Binden von DNA, doppelsträngiger Nukleinsäure an mineralischen Träger sowie als Puffer um einzelsträngige Nukleinsäure (RNA) nicht an mineralischen Träger zu binden."

IV. In der angefochtenen Entscheidung entschied die Einspruchsabteilung, dass die Verfahrensalternativen 1.1 und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 gegen Artikel 100 c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 76 EPÜ verstoßen, da in der Stammanmeldung eine Konzentration von 1 bis 10 M in eindeutiger Weise nur für "andere Salze" wie NaCl, LiCl, KCl, NaAc oder MgCl2 offenbart war. Der Stammanmeldung war jedoch nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob chaotrope Salze oder Substanzen ebenfalls in einer bevorzugten Konzentration von 1 bis 10 M im Rahmen der Verfahrens-alternativen 1.1 und 1.4 zu verwenden seien. Weiters entschied die Einspruchsabteilung, dass Hilfsantrag 1 gegen Artikel 123(2) und (3) EPÜ sowie Regel 80 EPÜ verstößt und Hilfsantrag 2 gegen Artikel 83 EPÜ verstößt. Hilfsantrag 3 erfüllte die Erfordernisse des EPÜ.

V. Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vor der Einspruchs-abteilung wurden die Verfahrensvarianten 1.1. und 1.4. durch Aufnahme der Merkmale aus dem erteilten Anspruch 2 eingeschränkt. Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 vor der Einspruchsabteilung wurden die Verfahrensvarianten 1.1. und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 gestrichen. In Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Hilfsantrags 3 wurden die Verfahrensvarianten 1.1. und 1.4 des erteilten Anspruch 1 gestrichen und die verbleibenden Verfahrensvarianten 1.2 und 1.3 (nunmehr 1.1. und 1.2) durch Aufnahme der Merkmale aus den erteilten Ansprüchen 14 bzw. 15 eingeschränkt. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet:

"1. Verfahren zur Trennung von doppel- und einzelsträngigen Nukleinsäuren aus diese Stoffe enthaltenden Quellen, wobei eine Probe mit mindestens einem mineralischen Träger behandelt wird, wobei 1.1 unter Verwendung einer wässrigen Lösung enthaltend 1 bis 5 M Guanidiniumthiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidiniumhydrochlorid, 5 mM bis 200 mM EDTA oder EGTA als Puffer zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure an mineralischen Träger die Behandlungsbedingungen so eingestellt sind, dass in Abwesenheit von niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen, die einzelsträngige Nukleinsäure unter diesen Behandlungsbedingungen nicht an einem mineralischen Träger adsorbiert wird und von der übrigen Probe abgetrennt wird, die doppelsträngige Nukleinsäure jedoch überwiegend an den mineralischen Träger bindet, woraufhin die doppelsträngige Nukleinsäure, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser oder 1.2 unter Verwendung einer wässrigen Lösungen [sic] enthaltend 1 bis 5 M Guanidin-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidinhydrochlorid, 0,1 bis 3% Sarkosyl als Puffer zum Binden von DNA an mineralische Träger die Behandlungsbedingungen so eingestellt sind, dass in Abwesenheit von niederen aliphatischen Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen und [sic] die einzelsträngige Nukleinsäure unter diesen Behandlungsbedingungen nicht an einem mineralischen Träger adsorbiert wird und von der übrigen Probe abgetrennt wird, die doppelsträngige Nukleinsäure jedoch überwiegend an den mineralischen Träger bindet, woraufhin die doppelsträngige Nukleinsäure, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom ersten mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser, wobei die jeweils andere Nukleinsäure an dem mineralischen Träger gebunden bleibt und, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 entsprechen den erteilten Ansprüchen 2 bis 4, 6 bis 9, 11 und 13 wobei die erteilten Ansprüche 5, 10, 12 und 16 gestrichen wurden.

VI. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) legte mit Schreiben vom 16. Januar 2009 Beschwerde ein und beantragte die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

VII. Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) legte mit Schreiben vom 22. Januar 2009 Beschwerde ein und beantragte die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

VIII. Mit Schreiben vom 26. März 2009 reichte die Beschwerdeführerin II ihre Beschwerdebegründung ein.

IX. Mit Schreiben vom 27. März 2009 reichte die Beschwerdeführerin I ihre Beschwerdebegründung ein.

X. Mit Schreiben vom 2 April 2009 bzw. 7 April 2009 teilte die Beschwerdeführerin I einen Vertreterwechsel mit.

XI. Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 nahm die Beschwerdeführerin II zur Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin I Stellung und stellte fest, dass als einziger Antrag der Beschwerdeführerin I der Hauptantrag vorliege.

XII. Mit Schreiben vom 12. August 2009 reagierte die Beschwerdeführerin I auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II.

XIII. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 reichte die Beschwerdeführerin I Hilfsanträge 1 bis 7 ein.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterschied sich von Anspruch 1 des Hauptantrags darin, dass in den Varianten 1.1 und 1.4 die chaotropen Salze näher definiert wurden: "(…) durch ein wässriges Gemisch von chaotropen Salzen ausgewählt aus GTC und/oder GuHCl in einer Konzentration von 1 bis 10 M (…)".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterschied sich von Anspruch 1 des Hauptantrags darin, dass in den Varianten 1.1 und 1.4 die chaotropen Salze auf GTC eingeschränkt wurden: "(…) durch ein wässriges Gemisch von GTC in einer Konzentration von 1 bis 10 M (…)".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterschied sich von Anspruch 1 des Hauptantrags darin, dass in den Varianten 1.1 und 1.4 die chaotropen Salze auf GTC in einer bestimmten Konzentration eingeschränkt wurden: "(…) durch ein wässriges Gemisch von GTC in einer Konzentration von 1,75 M (…)".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterschied sich von Anspruch 1 des Hauptantrags darin, dass in der Variante 1.2 das Merkmal "die Erdalkali-Ionen komplexierende Substanzen" durch das Merkmal "1-5 M Guanidinisothio-cyanat und/oder 1-8 M Guanidinhydrochlorid und 5mM - 200mM EDTA oder EGTA" ersetzt wurde. In Variante 1.3 wurde das Merkmal "Netz-, Wasch- oder Dispergiermittel" durch das Merkmal "1-5 M Guanidinisothiocyanat und/oder 1-8 M Guanidinhydrochlorid und 0,1 - 5% Sarkosinat" ersetzt.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 kombinierte die in dem Hilfsantrag 1 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 kombinierte die in dem Hilfsantrag 2 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 kombinierte die in dem Hilfsantrag 3 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Ansprüche 2 bis 16 der Hilfsanträge 1 bis 7 entsprachen Ansprüchen 2 bis 16 des Hauptantrags.

XIV. Mit Schreiben vom 6. September 2012 wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2013 geladen.

XV. In einer Mitteilung vom 17. Dezember 2012 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (VOBK) teilte die Kammer mit, dass nach ihrer vorlaüfigen Auffassung die Entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich des Hauptantrags richtig sei. Des weiteren merkte die Kammer an, dass keiner der als Hilfsanträge 1 bis 7 gekennzeichneten Anspruchsätze in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sei (Artikel 12(4) und 13(1) VOBK). Es wurde überdies dargelegt, dass nach vorläufiger Auffassung der Kammer Anspruch 1 der Hilfsanträge 1, 2, 5 und 6 gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße, da eine Untergrenze von 1 M chaotropem Salz für die Bindung der einzelsträngigen Nukleinsäure bzw. Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger in den Beispielen der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart sei. Anspruch 1 der Hilfsanträge 3 und 7 wurde als unzulässige Verallgemeinerung angesehen, da im Beispiel 1 ein bestimmter Alkohol, nämlich Ethanol, in einem bestimmten Konzentrationsbereich verwendet wurde und zwischen der Bindung an den mineralischen Träger, der Konzentration des chaotropen Salzes und der Menge des Alkohols ein funktioneller Zusammenhang bestehe. Schließlich wurde angemerkt, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 (Verfahrensvarianten 1.1 und 1.4) aus denselben Gründen wie der Hauptantrag gegen Artikel 76 EPÜ verstoße.

XVI. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 reichte die Beschwerdeführerin I Hilfsanträge 1 bis 24 ein.

Hilfsanträge 1 bis 3 entsprechen den mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass in der Variante 1.1. das wässrige Gemisch als "GTC in einer Konzentration von 1,75 M und Ethanol in einer Konzentration von 30 Vol%" definiert wird, während in Variante 1.4 das wässrige Gemisch wie folgt "GTC in einer Konzentration von 1,75 M und Ethanol in einer Konzentration von 45 Vol%" definiert wird.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Varianten 1.2 und 1.3 durch die Aufnahme des Merkmals "die Zellen zunächst in einem wässrigen Lyse-System enthaltend chaotrope Substanzen oder andere Salze aufgeschlossen (lysiert) werden oder damit versetzt werden" aus dem erteilten Anspruch 8 eingeschränkt werden.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 kombiniert die in dem Hilfsantrag 1 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 5 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 kombiniert die in dem Hilfsantrag 2 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 5 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 kombiniert die in dem Hilfsantrag 3 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 5 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 kombiniert die in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 5 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Der jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 10 bis 13 entspricht dem jeweiligen Anspruch 1 der mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eingereichten Hilfsanträge 4 bis 7.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 14 kombiniert die in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit den in dem Hilfsantrag 10 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 15 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Varianten 1.2 und 1.3 gestrichen wurden.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 16 kombiniert die in dem Hilfsantrag 1 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit der Streichung der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 17 kombiniert die in dem Hilfsantrag 2 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit der Streichung der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 18 kombiniert die in dem Hilfsantrag 3 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit der Streichung der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 19 kombiniert die in dem Hilfsantrag 4 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.1 und 1.4 mit der Streichung der Varianten 1.2 und 1.3.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 20 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Varianten 1.1 und 1.4 gestrichen wurden.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 21 kombiniert die in dem Hilfsantrag 5 durchgeführten Änderungen der Varianten 1.2 und 1.3 mit der Streichung der Varianten 1.1 und 1.4.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 22 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Varianten 1.1 und 1.4 gestrichen wurden und zusätzlich die Merkmale des erteilten Anspruchs 2 in den Anspruch 1 aufgenommen wurden.

Hilfsantrag 23 unterscheidet sich von dem von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz dadurch, dass in Anspruch 1, die Variante 1.1 durch Hinzufügen des Merkmals "DNA" geändert wurde und das Merkmal "wobei die jeweils andere Nukleinsäure an dem mineralischen Träger gebunden bleibt und, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser" gestrichen wurde. Zudem wurden jene Ansprüche, welche den erteilten Ansprüchen 12 und 16 entsprechen, nicht gestrichen.

Hilfsantrag 24 unterscheidet sich von dem von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz dadurch, dass in Anspruch 1, die Variante 1.1 durch Hinzufügen des Merkmals "DNA" geändert wurde und das Merkmal "wobei die jeweils andere Nukleinsäure an dem mineralischen Träger gebunden bleibt und, nach gegebenenfalls durchgeführten Waschschritten, vom mineralischen Träger eluiert wird unter Bedingungen geringer Ionenstärke oder mit Wasser" gestrichen wurde.

XVII. Am 22. Januar 2013 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Im Verlauf der Verhandlung wurde nach der Behandlung des Hauptantrags die Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 bis 24 besprochen. Die Kammer merkte an, dass die in den Hilfsanträgen durchgeführten Änderungen nicht den im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Änderungen entsprächen. Die Kammer gab zu Bedenken, dass die Beschwerdeführerin keine Rechtfertigung für die Vielzahl der Änderungen oder deren Verspätung geliefert hatte und die Mitteilung der Kammer den rechtlichen und sachlichen Rahmen nicht geändert hatte. Des Weiteren stellte die Kammer fest, dass die Hilfsanträge nicht einen einzigen Erfindungsgedanken verfolgten, sondern auf divergierende Gegenstände gerichtet seien und damit im Widerspruch zu dem Erfordernis einer konsistenten Verteidigungslinie stünden. Überdies seien die Hilfsanträge 1-3, 6-8, 11-13 und 16-18 nicht verfahrensfördernd, da bereits im Zwischenbescheid der Kammer für entsprechende Änderungen in den damals vorliegenden Hilfsanträgen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ als nicht erfüllt angesehen wurden und die Beschwerdeführerin I diese Einwände nicht entkräftet habe. Hilfsanträge 5, 10 und 15 seien nicht verfahrensfördernd, da sie - aus denselben Gründen wie der Hauptantrag - gegen Artikel 76 EPÜ verstießen. In den Hilfsanträgen 4, 9, 14 und 19 seien zu einem sehr späten Zeitpunkt und sowohl für die Gegenpartei als auch die Kammer überraschend Merkmale aus der Beschreibung eingeführt worden. Hilfsanträge 20 bis 22 verfolgten die Varianten 1.2 und 1.3, welche in den Hilfsanträgen 15 bis 19 gestrichen worden waren alleine weiter, unverändert oder mit Änderungen, welche in der ersten Instanz nicht vorgebracht wurden. Hilfsanträge 23 und 24 entsprachen weder "im Wesentlichen" noch "exakt" dem von der Einspruchs-abteilung aufrecht erhaltenen Anspruchssatz.

XVIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin I, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag

Artikel 100 c) EPÜ und Artikel 76(1) EPÜ

Der erteilte Anspruch 1 werde durch die Ansprüche 1 und 5 und insbesondere den Aufbau der Ansprüche 1 bis 5 der Stammanmeldung gestützt. Die Konzentrationsangaben des Anspruchs 5 der Stammanmeldung bezögen sich auf alle Salze der Ansprüche 1 bis 4 und definierten die Salze mit einer Konzentration von 1 bis 10 M, wobei die aufgezählten Salze rein beispielhaft seien. Durch die Bezugnahme auf "Salze" in Anspruch 5, der auf die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 4 rückbezogen sei, seien chaotrope Salze selbstverständlich mitumfasst.

Die Einspruchsabteilung habe einen in der Stammanmeldung überhaupt nicht erscheinenden Begriff geprägt, nämlich den Begriff der "anderen Salze". Aus der Beschreibung ergäbe sich, dass mit Salzen die Bindungsbedingungen der Nukleinsäuren am Träger eingestellt werden sollen (vgl. Seite 5, 2. Absatz; Seite 7, 2. Absatz). Die dafür erforderlichen Konzentrationsbedingungen fänden sich im Anspruch 5. Der Fachmann unterscheide bei Kenntnisnahme der Offenbarung von Anspruch 5 nicht zwischen chaotropen Salzen oder "anderen Salzen" und würde dem Anspruch 5 den Konzentrationsbereich von 1-10 M für Salze, insbesondere also auch für chaotrope Salze, entnehmen können.

In der Stammanmeldung sei an mehreren Stellen definiert, dass es sich bei dem Gemisch von Salzen mit Alkoholgruppen enthaltenden Substanzen insbesondere um chaotrope Substanzen handeln solle. Somit sei der Begriff der chaotropen Substanz eine genauere Definition des allgemeinen Ausdrucks "Salz". Dies ergäbe sich aus der Offenbarung der Seite 5, 3. und 4. sowie 16. und 17. Zeile des zweiten Absatzes; Seite 7, 4. und 5. sowie 17. und 18. Zeile des zweiten Absatzes und 1. bis 3. Zeile des dritten Absatzes sowie dem auf Seite 9 als letztem Absatz beginnenden und auf Seite 10 übergreifenden Absatz. Aus Seite 11, dritter Absatz folge, dass chaotrope Salze eine Ausführungsform der in der Anmeldung genannten Salze darstellten.

Die Rechtsprechung lasse zu, dass ein bestimmtes Merkmal aus einem Beispiel mit der Offenbarung der Beschreibung einer Anmeldung kombiniert werde, wenn dem fachkundigen Leser ersichtlich sei, dass dieses Merkmal nicht in engem Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen eines bestimmten Ausführungsbeispiels stünde. In den Beispielen 2, 3, 5, 6 und 7 werde jeweils mit einem Waschpuffer gewaschen, der 1,0 M GTC enthalte. Da unter diesen Bedingungen ein Wascheffekt erzielt werden könne, sei zwangsweise die einzelsträngige Nukleinsäure bei dieser Konzentration noch gebunden. Somit sei als untere Grenze für das Binden der Nukleinsäuren an den Träger eine 1,0 M Lösung eines chaotropen Salzes offenbart. In Beispiel 13 würde gezeigt, dass die Verfahrensvariante 1.4 des erteilten Anspruchs 1 mit den dort beanspruchten Verfahrensmerkmalen durchgeführt werden könne. Die Konzentration des chaotropen Salzes betrage beim Binden 2.2 M GTC und damit würden in allen Beispielen zum Binden und Waschen nur Puffer verwendet, die mindestens 1 M chaotropes Salz enthielten.

Hilfsanträge 1 bis 24

Zulässigkeit

Alle Hilfsanträge seien zuzulassen, da die bislang verfolgten Hilfsanträge 1 bis 7 zu einem sehr frühen Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt wurden und die neuen Hilfsanträge nicht über den Umfang der zuvor vorgelegten Hilfsanträge hinausgingen. Es sei zu berücksichtigen, dass nach Einreichen der Beschwerde-begründung ein Vertreterwechsel stattgefunden habe. Die vorgelegten Hilfsanträge gingen auch in keinem Punkt über den Gegenstand hinaus, der bereits im Einspruchsverfahren diskutiert wurde. Die Hilfsanträge berücksichtigen nur bereits im Verfahren befindliche Merkmalskombinationen bzw. Anspruchsvarianten, die sich lediglich durch Streichung bereits in den Ansprüchen befindlicher Merkmale ergeben. Hilfsantrag 23 entspräche im Wesentlichen und Hilfsantrag 24 entspräche exakt dem durch die Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz.

In der mündlichen Verhandlung wurde weiters geltend gemacht, dass die Anträge vor Ablauf der Schrift-satzfrist eingereicht wurden. Es würde keinen Sinn machen eine Frist zu setzen, wenn keine neuen Anträge eingereicht werden dürften. Die Anträge würden sich ernsthaft mit der Problematik unter Artikel 54 EPÜ und 56 EPÜ auseinandersetzen.

Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrecht erhalten

Zulässigkeit

Selbst wenn Hilfsantrag 24 nicht exakt dem durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz entspräche stünde Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrecht erhalten zumindest im Raum.

Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ

Neben der Offenbarung auf Seite 13, 2. vollständiger Absatz, würden auch jene Textstellen, welche die Verwendung der Puffer offenbaren, nämlich Seite 10, letzter Absatz, Seite 11, erster Absatz, der Absatz welcher die Seiten 12 und 13 verbindet, Seite 13, erster vollständiger Absatz, sowie die Beispiele 9 und 10 auf den Seiten 26 unten bzw. 27 oben, Anspruch 1 stützen. Diese Textstellen offenbarten, dass unter Verwendung der Puffer die Bedingungen so eingestellt werden, dass die doppelsträngige Nukleinsäure an den mineralischen Träger bindet, während die einzelsträngige Nukleinsäure nicht bindet, wobei der Konzentrationsbereich letztlich egal sei, solange der Puffer verwendet werde und die Bindung wie gewünscht stattfinde. Die Möglichkeit der Kombination der Puffer mit weiteren Flüssigkeiten sei beispielsweise den Beispielen zu entnehmen.

Vorlage an die Große Beschwerdekammer

Zwar stünde die Nichtzulässigkeit der Hilfsanträge 1 bis 24 im Einklang mit der Rechtssprechung, es werde jedoch angeregt der Großen Beschwerdekammer die Frage vorzulegen, ob die mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eingereichten Hilfsanträge in das Verfahren zuzulassen gewesen wären.

XIX. Die Argumente der Beschwerdeführerin II, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag

Artikel 100 c) EPÜ und Artikel 76 EPÜ

Die Konzentration chaotroper Salze zur Bindung von einzelsträngigen Nukleinsäuren oder von Gesamt-nukleinsäuren an einen mineralischen Träger sei in der Stammanmeldung nicht definiert. Die in Anspruch 5 offenbarten Salze würden zur Bindung verwendet, wohingegen die spezifischen chaotropen Salze gemäss 3. Absatz auf Seite 11 jedoch ausschließlich zur Lysierung der die Nukleinsäuren enthaltenden Quellen verwendet würden. Es sei unstrittig, dass der technische Begriff "chaotrope Salz in einer Konzentration von 1 bis 10 M" nicht explizit in der Stammanmeldung offenbart sei. Es stelle sich daher die Frage, ob ein Konzentrations-bereich von 1 bis 10 M auch für chaotrope Salze implizit offenbart sei. Der Fachmann erkenne in den Textstellen auf Seite 5, 2. Absatz und Seite 7, 2. Absatz, dass der Begriff "Salze" technisch gesehen etwas anderes bedeute als der Begriff "chaotrope Substanzen". Der Begriff "chaotrope Substanzen" könne auch z.B. Harnstoff umfassen, der eindeutig kein Salz sei. Es fehle die Information, dass jedes chaotrope Salz in einer Konzentration von 1 bis 10 M zur Bindung von einzelsträngiger Nukleinsäure oder zur Bindung von Gesamtnukleinsäure (einzel- oder doppelsträngige) an einen mineralischen Träger verwendet werden könne. Anspruch 2 beziehe sich auf chaotrope Substanzen und damit auch auf Harnstoff in einer Konzentration von 0,1 - 10 M zur Lysierung. In den Ansprüchen 3 und 4 stünde nicht "chaotrope Salze", sondern es würden spezifische Salze erwähnt. Die Beispiele enthielten keine verallgemeinerungsfähige Lehre.

Hilfsanträge 1 bis 24

Zulässigkeit

Die Anträge seien nicht zuzulassen, da sie verspätet seien, und da sie das Problem des Hauptantrags (Artikel 76 EPÜ) nicht lösen (siehe Hilfsanträge 5, 10 und 15) bzw. neue Probleme unter Artikel 123(2) EPÜ aufwerfen (siehe Hilfsanträge 1 bis 3, 6 bis 8, 11 bis 13, 16 bis 18) und das Verfahren komplizieren würden. In den Hilfsanträgen 4, 9, 14 und 19 seien verspätet Merkmale aus der Beschreibung aufgenommen worden. Die Vielzahl der vorgelegten Änderungen sei nicht zielführend, um in einem vernünftigen Zeitrahmen zu einer Entscheidung zu kommen. Die im Dezember 2009 eingereichten Anträge seien bereits verspätet gewesen.

Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrecht erhalten

Zulässigkeit

Dieser Antrag liege nicht vor, da die Beschwerde-führerin I im Beschwerdeverfahren zu keinem Zeitpunkt beantragt habe, das Patent im Umfang dieses Antrags aufrecht zu erhalten.

Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ

Gemäß Seite 13, 3. Absatz der Anmeldung werde das wässrige Lösungssystem zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure an mineralische Träger verwendet. Seite 13 offenbare jedoch weder das Einstellen von Bedingungen unter Verwendung des Puffers noch das Verdünnen des Puffers. Gemäß den beanspruchten Verfahrensalternativen 1.1 und 1.2 seien die Behandlungsbedingungen jedoch so eingestellt, dass auch andere Substanzen bzw. Flüssigkeiten mit Ausnahme von niederen aliphatischen Alkoholen vorhanden sein könnten, damit einzelsträngige Nukleinsäuren unter diesen geänderten Behandlungs-bedingungen nicht an einem mineralischen Träger adsorbiert würden. Dies bedeute zwangsläufig eine Konzentrationsänderung der wässrigen Lösung, die zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure geeignet sein sollte. Für diesen Zusammenhang fehle es jedoch an Stütze in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen. Auch Beispiele 9 und 10 beträfen Lösungssysteme, in welchen die Puffer unverdünnt eingesetzt würden. Die Ansprüche 14 und 15 wie ursprünglich eingereicht bezögen sich auf die Verwendung der Puffer - so wie sie sind - in dem angegebenen Konzentrationsbereich zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure an den mineralischen Träger, jedoch nicht auf die Verwendung der Puffer zum Einstellen irgendwelcher Bedingungen.

XX. Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung oder hilfsweise auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 24. Die Beschwerde-führerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

Änderungen - Artikel 100 c) EPÜ und Artikel 76(1) EPÜ

1. Der im Hinblick auf Artikel 76(1) EPÜ strittige Punkt betrifft die Basis in der Stammanmeldung für das Merkmal "wässriges Gemisch von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 bis 10 M" in den Varianten 1.1 und 1.4 des erteilten Anspruchs 1.

2. Gemäß Artikel 76(1) EPÜ darf der Gegenstand der Teilanmeldung nicht über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob durch eine Änderung ein Gegenstand hinzugefügt wird, der über den Inhalt der Stammanmeldung in der eingereichten Fassung hinausgeht, ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, ob die vorgeschlagene Änderung insgesamt dazu führt, dass dem Fachmann zusätzliche, technische Informationen vermittelt werden, die er der Stammanmeldung auch unter Berücksichtigung dessen, was für den Fachmann vom Inhalt her implizit miterfasst ist, nicht unmittelbar und eindeutig entnommen hätte (vgl. z.B. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, Abschnitt IV.1).

3. Es ist unbestritten, dass die Stammanmeldung das Merkmal "wässriges Gemisch von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 bis 10 M" nicht explizit offenbart. Daher gilt es zu klären, ob dieses Merkmal in der Stammanmeldung implizit offenbart ist, d.h. dem Inhalt der Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig entnommen werden kann.

4. Die Beschwerdeführerin I argumentiert, dass der erteilte Anspruch 1 durch die Ansprüche 1 und 5 und insbesondere den Aufbau der Ansprüche 1 bis 5 der Stammanmeldung gestützt werde. Anspruch 1 der Stammanmeldung (Verweise beziehen sich auf die veröffentliche Fassung der PCT-Anmeldung der Stammanmeldung, WO 95/21849) offenbart, dass gemäß Verfahrensvariante 1.1 "[…] die Behandlungsbedingungen durch ein wässriges Gemisch von Salzen und Alkoholgruppen enthaltenden Substanzen so eingestellt sind, dass überwiegend die einzelsträngige Nukleinsäure enthaltende Fraktion an einem ersten mineralischen Träger adsorbiert wird […]", bzw. gemäss Verfahrensvariante 1.4 "[…] die Behandlungsbedingungen durch ein entsprechendes wässriges Gemisch von Salzen und Alkoholgruppen enthaltenden Substanzen so eingestellt sind, dass die Gesamtnukleinsäure (einzel- oder doppelsträngige) an einem ersten mineralischen Träger adsorbiert wird […]" (Hervorhebung durch die Kammer). Anspruch 5 der Stammanmeldung offenbart ein "Verfahren nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 4, wobei die Alkoholgruppen aufweisenden Substanzen niedere aliphatische Alkohole wie Methanol, Ethanol, Isopropanol, Butanol und Pentanol in einer Konzentration von 1 bis 90 Vol.-% sind und die Salze, wie NaCl, KCl, LiCl, MgCl2, NaAc, in Konzentration von 1 bis 10 M vorliegen." (Hervorhebung durch die Kammer).

5. Der Fachmann kann somit Ansprüchen 1 und 5 entnehmen, dass zum Binden der einzelsträngigen Nukleinsäure bzw. der Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger die Salze in einer Konzentration von 1 bis 10 M vorliegen. Weder Anspruch 1 noch Anspruch 5 erwähnen jedoch das Merkmal "chaotrope Salze". Es bleibt zu prüfen, ob Anspruch 5 durch den Rückbezug auf die ursprünglichen Ansprüche 2 bis 4, die Verwendung chaotroper Salze in einer Konzentration von 1 bis 10 M unmittelbar und eindeutig offenbart.

6. Anspruch 2 der Stammanmeldung offenbart ein "Verfahren nach Anspruch 1, wobei das System zur Lysierung der die Nukleinsäuren enthaltenden Quellen chaotrope Substanzen in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M enthält". Es gehört zum Allgemeinwissen des Fachmanns, dass chaotrope Substanzen zwar Salze umfassen, jedoch nicht ausschließlich. Eine der am häufigsten verwendeten chaotropen Substanzen, nämlich Harnstoff, ist z.B. kein Salz. Somit ist der Begriff "chaotrope Substanzen" breiter als der Begriff "chaotrope Salze" und der letztere lässt sich Anspruch 2 der Stammanmeldung nicht klar und eindeutig entnehmen.

7. Anspruch 3 der Stammanmeldung offenbart ein "Verfahren nach Anspruch 1 und/oder 2 wobei die Nukleinsäuren enthaltenden Quelle mit einer Lösung versetzt wird, die Natriumperchlorat, Guanidiniumhydrochlorid, Guanidinium-iso-thiocyanat Guanidinium-thiocyanat, Natriumjodid, Kaliumjodid und/oder Kombinationen davon in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M enthält." Die offenbarten Salze sind zwar chaotrope Salze, doch weiß der Fachmann auch, dass es wesentlich mehr chaotrope Salze als die sechs spezifisch aufgeführten Salze gibt. Das Merkmal "chaotrope Salze" stellt daher eine unzulässige Verallgemeinerung der spezifisch genannten chaotropen Salze dar und lässt sich somit auch Anspruch 3 der Stammanmeldung nicht klar und eindeutig entnehmen.

8. Anspruch 4 der Stammanmeldung schließlich offenbart ein "Verfahren nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 3, wobei die Nukleinsäuren enthaltende Quelle mit einer Lösung versetzt wird, die Natriumchlorid, Lithiumchlorid, Kaliumchlorid, Natriumacetat, Magnesiumchlorid, Harnstoff und/oder Kombinationen davon in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M enthält." Die genannten Salze sind dieselben wie die in Anspruch 5 genannten Salze und Harnstoff ist zwar chaotrop aber kein Salz. Somit lässt sich das Merkmal "chaotrope Salze" auch Anspruch 4 der Stammanmeldung nicht klar und eindeutig entnehmen.

9. Damit offenbart Anspruch 5 der Stammanmeldung - auch unter Berücksichtigung der Offenbarung der Ansprüche 2 bis 4 - nicht unmittelbar und eindeutig die Verwendung von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 bis 10 M.

10. Die Beschwerdeführerin I argumentiert weiters, dass Anspruch 5 im Lichte der Beschreibung der Stammanmeldung den Konzentrationsbereich von 1 bis 10 M für chaotrope Salze offenbare. Die Kammer stellt fest, dass die Stammanmeldung auf Seite 5, 2. Absatz offenbart, dass "[…] die Behandlungsbedingungen durch ein entsprechendes wässriges Gemisch von Salzen, insbesondere chaotrope Substanzen und Alkoholgruppen enthaltender Substanz so eingestellt sind, dass überwiegend die einzelsträngige Nukleinsäure Fraktion an einem ersten mineralischen Träger adsorbiert wird, […]". Laut Seite 7, 2. Absatz werden "[…] die Behandlungsbedingungen durch ein entsprechendes wässriges Gemisch von Salzen, insbesondere chaotrope Substanzen und Alkoholgruppen enthaltenden Substanzen so eingestellt, dass die Gesamtnukleinsäure aus einzelsträngiger Nukleinsäure und doppelsträngiger Nukleinsäure an einem mineralischen Träger adsorbiert wird […]". Diese Passagen offenbaren somit, dass es sich bei den zur selektiven Bindung der einzelsträngigen Nukleinsäure bzw. Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger verwendeten Salzen insbesondere um chaotrope Substanzen - nicht chaotrope Salze - handeln soll, ohne jedoch in diesem Zusammenhang die Konzentration der zur Bindung an den mineralischen Träger verwendeten chaotropen Substanz zu offenbaren.

11. Seite 11, 3. Absatz der Stammanmeldung offenbart, dass "Systeme zur Lysierung der die Nukleinsäure enthaltenden Quellen sind vorzugsweise Lösungen chaotroper Substanzen in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M. Als chaotrope Substanzen kommen insbesondere Salze wie Natrium-perchlorat, Guanidiniumhydrochlorid, Guanidinium-iso-thiocyanat/Guanidinium-thiocyanat, Natriumjodid, Kaliumjodid und/oder Kombinationen davon in Frage." Nach Auffassung der Kammer geht hieraus jedoch nicht hervor, dass chaotrope Salze im allgemeinen eine Ausführungsform der in der Stammanmeldung genannten Salze darstellen, sondern lediglich, dass die spezifisch genannten chaotropen Salze in dem auf Seite 11 offenbarten System in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M als chaotrope Substanzen zur Lysierung - nicht zur Bindung an den mineralischen Träger - verwendet werden können. Im nachfolgenden Absatz (siehe Seite 11, 4. Absatz) offenbart die Stammanmeldung, dass wässrige Lösungen enthaltend Salze wie Natriumchlorid, Lithiumchlorid, Kaliumchlorid, Natriumacetat, Magnesiumchlorid in einer Konzentration von 0,1 bis 10 M als wässrige Systeme sowohl zur Lyse als auch zur Bindung verwendet werden können.

12. Zusammenfassend, entnimmt der Fachmann der Beschreibung der Stammanmeldung, dass chaotrope Substanzen in unbekannter Konzentration in Kombination mit Alkoholgruppen enthaltenden Substanzen zum Binden einzelsträngiger Nukleinsäuren eingesetzt werden sowie, dass bestimmte chaotrope Salze in einer Konzentration von 0,1 bis 1 M und in Abwesenheit Alkoholgruppen enthaltender Substanzen zur Lyse der Nukleinsäure enthaltenden Quellen eingesetzt werden wohingegen Salze wie Natriumchlorid, Lithiumchlorid, Kaliumchlorid, Natriumacetat, Magnesiumchlorid in einer Konzentration von 0,1 bis 1 M zur Lyse und zur Bindung eingesetzt werden.

13. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass in der Stammanmeldung durchaus zwischen chaotropen Substanzen und "anderen Salzen" unterschieden wird (siehe Seite 10, letzter Absatz und Anspruch 8). Die Kammer stellt überdies fest, dass die Stammanmeldung den Begriff "chaotropes Salz" ein einziges Mal offenbart (siehe den Absatz welcher die Seiten 9 und 10 verbindet). Dieser Absatz kann jedoch nicht als Basis für die Verwendung chaotroper Salze zur Bindung an einen mineralischen Träger in einer Konzentration von 1 bis 10 M dienen, da er explizit die Abwesenheit chaotroper Salze in den erfindungsgemässen Verfahren offenbart. Angesichts der in der Stammanmeldung vorgenommenen Unterscheidung zwischen chaotropen Substanzen und "anderen Salzen" und im Lichte der Offenbarung der Beschreibung der Stammanmeldung (siehe Seite 9, letzter Absatz bis Seite 10 erster Absatz; Seite 11, 3. und 4. Absatz) kann sich die Kammer daher nicht der Auffassung der Beschwerdeführerin I anschließen, dass der Fachmann im Lichte der Beschreibung Anspruch 5 der Stammanmeldung dahingehend verstanden hätte, dass der Ausdruck "Salze, wie NaCl, KCl, LiCl, MgCl2, NaAc, in Konzentration von 1 bis 10 M" den Konzentrationsbereich von 1 bis 10 M unmittelbar und eindeutig für "chaotrope Salze" offenbart. Es ist unbestritten, dass die beispielhaft aufgezählten Salze den Schutzumfang des Anspruchs nicht einschränken. Der Fachmann hatte jedoch - auch unter Berücksichtigung der Beschreibung der Stammanmeldung - keinerlei Veranlassung anzunehmen, dass Anspruch 5 den Konzentrationsbereich von 1 bis 10 M insbesondere für chaotrope Salze definiert.

14. Die Beschwerdeführerin I macht weiters geltend, dass die Beispiele die Untergrenze des Einsatzes von chaotropen Salzen in einer Konzentration von 1 M offenbare. Die Kammer stellt fest, dass in jedem der Beispiele 2 bis 8 der Stammanmeldung (siehe Seite 22, 1. Absatz bis Seite 26, letzter Absatz) zum Zeitpunkt der Bindung der RNA an den mineralischen Träger die Konzentration des chaotropen Salzes (GTC oder GuHCl) deutlich über 1 M liegt. Daher ist die Konzentration von 1 M zur Bindung der einzelsträngigen Nukleinsäure an den mineralischen Träger gemäss Variante 1.1 des erteilten Anspruchs 1 den Beispielen 2 bis 8 nicht zu entnehmen. Es ist zwar korrekt, dass in den Beispielen 2, 3, 5, 6 und 7 jeweils mit einem Waschpuffer gewaschen wird, der 1,0 M GTC enthält. Dies ist jedoch insofern irrelevant, als es sich bei dem Waschschritt um einen anderen Schritt im Verfahren handelt und sich für den Fachmann aus der Tatsache, dass der zum Waschen verwendete Puffer unter anderem 1 M GTC enthält nicht unmittelbar und eindeutig die Verwendung eines Puffers mit 1 M chaotropem Salz zum Binden an den mineralischen Träger ergibt, insbesondere da dieselben Beispiele explizit eine höhere Konzentration des chaotropen Salzes für den Bindeschritt offenbaren.

15. Auch Beispiel 13 offenbart nicht die Verwendung eines chaotropen Salzes in der Konzentration von 1 M zur Bindung der Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger. In diesem Beispiel wird Lebergewebe in 300 myl eines Puffers, welcher 4,0 M GTC, 25 mM NaCitrat pH 7,5, 0,7 % beta-MSH enthält, lysiert und die Gesamtnukleinsäure nach Zugabe von 250 myl EtOH an den mineralischen Träger gebunden. Aus der Tatsache, dass der zur Bindung verwendete Puffer 2.2 M GTC enthält ergibt sich für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig die Verwendung eines Puffers mit mindestens 1 M chaotropem Salz in einem Verfahren gemäß Variante 1.4 des erteilten Anspruchs 1.

16. Nach der ständigen Rechtssprechung ist die Änderung eines Konzentrationsbereiches auf der Basis eines in einem Beispiel offenbarten Wertes überdies nur zulässig, wenn der Fachmann ohne weiteres erkennen kann, dass dieser Wert mit den übrigen Merkmalen des Beispiels nicht so eng verbunden ist, dass er die Wirkung dieser erfindungsgemässen Ausführungsform als Ganzes auf außergewöhnliche Weise und in erheblichen Ausmaß bestimmt (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, Abschnitt III.A.1). Laut der Stammanmeldung besteht jedoch ein enger funktioneller Zusammenhang zwischen der Bindung der Nukleinsäure an den mineralischen Träger, der Konzentration des chaotropen Salzes und der Menge des Alkohols. So ist die Konzentration des Alkohols in Kombination mit der Konzentration des chaotropen Salzes ausschlaggebend dafür, ob eine selektive Bindung der einzelsträngigen Nukleinsäure oder der Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger erfolgt (siehe Seite 8, Zeile 1 bis Seite 9, zweiter Absatz und Abbildung 1). Selbst wenn die Beispiele der Stammanmeldung die Verwendung einer 1 M Lösung eines chaotropen Salzes zum Binden der einzelsträngigen Nukleinsäure bzw. der Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger offenbaren würden, könnte dieser Wert daher nicht zur Beschränkung eines Konzentrations-bereiches herangezogen werden.

17. Somit ist weder den Ansprüchen noch der Beschreibung oder den Abbildungen der Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass zur Bindung von einzelsträngiger Nukleinsäure bzw. Gesamtnukleinsäure an den mineralischen Träger chaotrope Salze in einer Konzentration von 1 bis 10 M eingesetzt werden und daher enthält der erteilte Anspruch 1 technische Information die über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht.

18. Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Ergebnis, dass Anspruch 1 in der erteilten Fassung gegen Artikel 76(1) EPÜ verstößt und stimmt daher der angefochtenen Entscheidung in diesem Punkt zu.

Hilfsanträge 1 bis 24

Zulässigkeit

19. Entsprechend der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag einer Partei enthalten. Sie sollen neben allen Tatsachen, Argumenten und Beweismitteln auch alle Anträge enthalten (Artikel 12(2) VOBK). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin I mit der Beschwerdebegründung den Gegenstand des Hauptantrags vor der Einspruchsabteilung weiterverfolgt und ihren vollständigen Sachvortrag darauf beschränkt. Weder in der Beschwerdebegründung noch in der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II wurden Rückzugspositionen formuliert. Erst nach Ablauf der gemäß 12(1)b) VOBK gesetzten Frist wurden mit Schreiben vom 22 Dezember 2009 sieben Hilfsanträge eingereicht. Knapp einen Monat vor der mündlichen Verhandlung wurden diese Hilfsanträge durch die Hilfsanträge 1 bis 24 ersetzt. Die Beschwerdeführerin II beantragte diese Anträge als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen.

20. Die Beschwerdeführerin I hat im schriftlichen Verfahren weder eine Rechtfertigung für das späte Vorbringen der Hilfsanträge 1 bis 24 noch eine Begründung für die Vielzahl der durchgeführten Änderungen oder deren Zweck hinsichtlich der im Lauf des Verfahrens erhobenen Einwände geliefert. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde angegeben, dass die Änderungen den Zweck verfolgten sich ernsthaft mit der Problematik unter Artikel 54 EPÜ und 56 EPÜ auseinanderzusetzen. Die Beschwerdeführerin I machte geltend, dass ein Nicht-Zulassen der Hilfsanträge 1 bis 24 eine deutliche Benachteiligung der Patentinhaberin darstellen würde, da es ihr gestattet sein müsse, auch während des Beschwerdeverfahrens ihr Schutzrecht zu verteidigen.

21. Hierzu ist anzumerken, dass das Beschwerdeverfahren nicht die Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens ist. Der Hauptzweck eines zweiseitigen Beschwerde-verfahrens besteht darin, dem Unterlegenen die Möglichkeit zu geben, die ihm nachteilige Entscheidung der ersten Instanz sachlich anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens grundsätzlich für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend (vgl. Entscheidungen G 9/91 und G 10/91, ABl. EPA, 1993, 408, 420). Nach ständiger Rechtsprechung hat die beschwerdeführende Patentinhaberin somit das Recht, die zurückgewiesenen Anträge vor der Beschwerdekammer erneut prüfen zu lassen oder im Beschwerdeverfahren rechtzeitig - insbesondre zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung oder ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung einer anderen Partei - neue Anträge einzureichen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, Abschnitt VII.E.16.2.1).

22. Aus Artikel 13(1) VOBK geht jedoch hervor, dass kein Rechtsanspruch auf eine nachträgliche Änderung des Vorbringens besteht, sondern dass es im Ermessen der Beschwerdekammer steht Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung dieses Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

23. Es stellt sich daher im vorliegenden Verfahren unter anderem die Frage, ob eine Zulassung der Anträge das Verfahren so komplizieren würde, dass es mit der gebotenen Verfahrensökonomie unvereinbar wäre diese Änderung des Vorbringens zuzulassen (Artikel 13(1) VOBK).

24. Die Kammer ist der Auffassung, dass alleine die Vielzahl der Anträge ohne Angabe über den Zweck der durchgeführten Änderungen hinsichtlich der im Laufe des Verfahrens erhobenen Einwände, noch irgendwelcher Argumente hinsichtlich der zu überwindenden Einspruchsgründe, gegen die Zulassung der Anträge unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Verfahrensökonomie spricht. Die im Artikel 12(2) VOBK kodifizierten Erfordernisse für die Beschwerdebegründung und die Erwiderung gelten auch, wenn das Vorbringen eines Beteiligten geändert wird. Mit anderen Worten hätte die Beschwerdeführerin I bereits zum Zeitpunkt der Vorlage der Änderungen darlegen müssen, warum angesichts der durchgeführten Änderungen die angefochtene Entscheidung aufzuheben sei und sie hätte alle diesbezüglichen Argumente ausdrücklich und spezifisch anführen müssen, um es der Gegenpartei und der Kammer zu ermöglichen, sich in einem vernünftigen Zeitrahmen einen Überblick über die mögliche Bedeutung der unterschiedlichen Änderungen zu verschaffen.

25. Nach der ständigen Rechtssprechung der Beschwerdekammern ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz der Verfahrensökonomie überdies, dass die in den Ansprüchen in einem so fortgeschrittenem Verfahrensstadium vorgenommenen Änderungen zumindest den formellen Vorschriften des EPÜ genügen müssen, um als verfahrensfördernd angesehen werden zu können und damit zulässig zu sein. Denn nur dann können sie von den anderen Beteiligten und von der Kammer ohne Weiteres und unverzüglich unter dem Gesichtspunkt der Patentier-barkeit beurteilt werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, Abschnitt VII.E.16.4.1).

26. Die Kammer hatte in der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK (siehe vorstehend Nr. XV) dargelegt, warum nach ihrer vorläufigen Auffassung die in den damals vorliegenden Hilfsanträgen 1 bis 3 und 5 bis 7 vorgenommenen Änderungen gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoßen. Die nun vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 3, 6 bis 8, 11 bis 13 und 16 bis 18 enthalten dieselben Änderungen (siehe vorstehend Nr. XIII bzw. Nr. XVI), welche bereits von der Kammer unter Artikel 123(2) EPÜ beanstandet wurden.

27. Die Beschwerdeführerin I ist weder im schriftlichen Verfahren noch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung auf die Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ eingegangen. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung von ihrer Meinung abzuweichen, dass die Änderungen, welche im Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3, 6 bis 8, 11 bis 13 und 16 bis 18 vorgenommen wurden gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoßen. Diese Anträge können somit nicht als verfahrensfördernd angesehen werden und sind deswegen auch aus diesem Grund nicht in das Verfahren zuzulassen.

28. Hilfsanträge 5, 10 und 15 umfassen die Verfahrens-varianten 1.1 und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 und verstoßen daher, so wie der erteilte Anspruch 1, gegen Artikel 76 EPÜ (siehe vorstehend Nr. 18) und sind somit ebenso wenig verfahrensfördernd. Diese Anträge sind somit auch aus diesem Grund nicht in das Verfahren zuzulassen.

29. In den Hilfsanträgen 4, 9, 14 und 19 wurden die Verfahrensvarianten 1.1 und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 durch Definition des chaotropen Salzes (GTC), des Alkohols (EtOH) und der jeweiligen Konzentration eingeschränkt. Diese Merkmalskombination entstammt nicht einem abhängigen Anspruch, sondern wurde der Beschreibung entnommen und erstmalig beansprucht. Diese Änderung war nicht vorhersehbar und ist damit überraschend. Die Behandlung der damit verbundenen Fragen ist der Gegenpartei und der Kammer zu einem so späten Zeitpunkt nicht zumutbar und daher sind diese Anträge auch aus diesem Grund nicht zuzulassen.

30. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie ist für die Zulassung erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingeführter neuer Anträge auch von Bedeutung, ob die Patentinhaberin mit ihren verschiedenen Anträgen eine konsistente Verteidigungslinie verfolgt und nicht, zumal am Ende des Beschwerdeverfahrens, durch einen Schirm divergierender Anspruchsfassungen sowohl für die andere Partei als auch für die Kammer eine unübersichtliche und unzumutbare Verfahrenssituation schafft, in der eine Vielzahl von inkongruenten Anspruchsfassungen mit den jeweils daran geknüpften unterschiedlichsten rechtlichen und sachlichen Aspekten zu bewerten wären (vgl. Entscheidung T 1685/07 vom 4. August 2010, Nr. 6.5ff der Gründe).

31. Im vorliegenden Fall umfasst Anspruch 1 des Hauptantrags vier Verfahrensvarianten 1.1. bis 1.4, die sich auf die Bindung von einzelsträngiger Nukleinsäure (1.1), doppel-strängiger Nukleinsäure (1.2 und 1.3) bzw. Gesamt-nukleinsäure (1.4) an den mineralischen Träger richten. Während nun in den Hilfsanträgen 1 bis 4 die Verfahrens-varianten 1.1 und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 einge-schränkt wurden, finden sich diese Einschränkungen nicht mehr im Hilfsantrag 5, in welchem die Varianten 1.1 und 1.4 wieder in der erteilten Fassung gemäß dem Haupt-antrag verfolgt werden. In den Hilfsanträgen 6 bis 9 und 11 bis 14 werden unterschiedliche Änderungen aller vier Verfahrensvarianten 1.1 bis 1.4 verfolgt, wohingegen in den Hilfsanträgen 10 und 15 die Varianten 1.1 und 1.4 erneut in der erteilten Fassung verfolgt werden. Hilfs-anträge 16 bis 19 verfolgen unterschiedliche Änderungen der erteilten Varianten 1.1 und 1.4, wobei Verfahrens-varianten 1.2 und 1.3 in allen diesen Anträgen gestrichen wurden. Im Hilfsantrag 20 werden im Gegensatz hierzu die Verfahrensvarianten 1.1 und 1.4 ersatzlos gestrichen und erneut die Verfahrensvarianten 1.2 und 1.3, und zwar in der erteilten Fassung, weiterverfolgt, welche in den vorangehenden Hilfsanträgen eingeschränkt oder gänzlich gestrichen worden waren. Hilfsanträge 21 bis 24 schließlich richten sich auf unterschiedliche Änderungen der erteilten Verfahrensvarianten 1.2 und 1.3.

32. Insgesamt gehen somit die vorliegenden Hilfsanträge in unterschiedliche Richtungen. Einerseits dadurch, dass Einschränkungen, die in den einzelnen Verfahrens-varianten in höherrangigen Hilfsanträgen vorgenommen worden sind wieder fallen gelassen werden und andererseits dadurch, dass Verfahrensvarianten, die in höherrangigen Hilfsanträgen deutlich eingeschränkt oder bereits gänzlich gestrichen worden waren zum alleinigen Gegenstand nachrangiger Hilfsanträge gemacht werden, siehe insbesondere Hilfsanträge 20 bis 24. Anstatt den Gegenstand des Hauptantrags in eine Richtung zunehmend einzuschränken, wurden durch die Aufnahme jeweils verschiedener Merkmale mit nachfolgender Beschränkung zuerst auf zwei bestimmte Verfahrensvarianten (1.1 und 1.4) und sodann auf die anderen zwei Verfahrensvarianten (1.2 und 1.3) unterschiedliche Erfindungsgedanken verfolgt. Diese Vorgehensweise ist nicht verfahrens-fördernd und spricht auch gegen die Zulassung der Anträge, da eine unübersichtliche Verfahrenssituation geschaffen würde (siehe vorstehend Nr. 30).

33. Hilfsanträge 23 und 24 bedürfen einer gesonderten Würdigung. Im Begleitschreiben gab die Beschwerde-führerin I an, dass Hilfsantrag 23 "im Wesentlichen" und Hilfsantrag 24 "exakt" dem durch die Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz entspräche. Bei Prüfung durch die Kammer stellte sich heraus, dass im Hilfs-antrag 23 zwei Ansprüche, welche in dem durch die Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz gestrichen worden waren, darunter der einzige erteilte Produktanspruch, nicht gestrichen worden waren. Hilfsantrag 24 schließlich entsprach nicht dem durch die Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz, sondern unterschied sich von diesem dadurch, dass im Anspruch 1 die letzten 5 Zeilen gestrichen worden waren und ein bereits gestrichenes Merkmal (DNA) wieder eingeführt wurde. Auf diese Unterschiede angesprochen, merkte die Beschwerdeführerin I an, dass die Streichung der letzen 5 Zeilen im Anspruch 1 durch die Streichung der erteilten Variante 1.4 bedingt sei. Für die übrigen Änderungen in Bezug auf den von der Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Anspruchsatz wurde keine Erklärung angeboten.

34. Angesichts der unvollständigen Angaben über die durchgeführten Änderungen und in Ermangelung jeglicher Argumentation seitens der Beschwerdeführerin I, warum angesichts der durchgeführten Änderungen die angefochtenen Entscheidung aufzuheben sei, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass eine Zulassung dieser verspäteten Anspruchsätze der gebotenen Verfahrensökonomie zuwider laufen würde, da es der Gegenpartei und der Kammer nicht zuzumuten ist, sich in kurzer Zeit einen Überblick über die möglichen Konsequenzen der tatsächlich durchgeführten Änderungen zu verschaffen.

35. Die Beschwerdeführerin I macht geltend, dass die Hilfsanträge 1 bis 24 nicht über den Umfang der vorhergehenden Hilfsanträge 1 bis 7 hinausgingen und zu berücksichtigen sei, dass nach Einreichen der Beschwerdebegründung ein Vertreterwechsel stattgefunden habe.

36. Die Kammer stellt fest, dass der Vertreterwechsel stattfand, bevor die Frist unter Artikel 12(1)b) VOBK abgelaufen war. Die Beschwerdeführerin I hatte daher Gelegenheit nach dem Vertreterwechsel mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerde-führerin II Hilfsanträge einzureichen. Diese Gelegenheit wurde jedoch nicht wahrgenommen. Nach der ständigen Rechtssprechung der Beschwerdekammern stellt ein Vertreterwechsel überdies keinen stichhaltigen Grund für verspätetes Vorbringen dar. Der Vertreterwechsel ist alleine von der Beschwerdeführerin I zu verantworten. Es ist jedoch nicht mit einer vernünftigen Führung des Verfahrens vereinbar, dass eine Partei, hier die Beschwerdeführerin I, darauf Einfluss nehmen kann, welche Verfahrensschritte als verspätet bzw. als fristgerecht betrachtet werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, VII.E.16.7.2). Somit wären bereits die vorherigen Hilfsanträge 1 bis 7 als verspätet zu betrachten gewesen.

37. Das Argument, dass die Hilfsanträge nicht über den Gegenstand hinausgingen, der bereits im Einspruchs-verfahren diskutiert wurde, hat die Kammer nicht überzeugt, da die in den Hilfsanträgen 1 bis 9, 11 bis 14, 16 bis 19, 21 bis 24 vorgenommenen Änderungen erstmals im Beschwerdeverfahren eingeführt worden sind (siehe vorstehend Nr. XIII und Nr. XVI).

38. Auch das Argument, dass die Hilfsanträge nur im Verfahren befindliche Merkmalskombinationen bzw. Anspruchsvarianten, die sich lediglich durch Streichung bereits in den Ansprüchen befindlicher Merkmale ergeben, berücksichtigen, hat die Kammer nicht überzeugt. Die einzige im Verfahren befindliche Merkmalskombination ist die des Hauptantrags sowie die des Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten (siehe nachstehend Nr. 43). Die Kammer stellt fest, dass die in den vorhergehenden Hilfsanträgen 1 bis 7 verfolgten Merkmalskombinationen nicht im Verfahren sind, da die Beschwerdeführerin I diese Anträge ersetzt hat, bevor die Kammer über die Zulässigkeit dieser Anträge ins Verfahren entscheiden konnte.

39. Auch das Argument der Beschwerdeführerin I, dass alle Hilfsanträge innerhalb der Schriftsatzfrist eingereicht worden waren und daher zulässig sein sollten, hat die Kammer nicht überzeugt. Weder in der Ladung zu der mündlichen Verhandlung noch in der Mitteilung der Kammer unter Artikel 15(1) VOBK wurde ein Zeitpunkt bestimmt, bis zu welchem Schriftsätze zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereicht werden können (vgl. Entscheidung G 6/95, Nr. 5 der Gründe). Im Beschwerde-verfahren ist grundsätzlich jedes weitere Vorbringen nach der Beschwerdebegründung und der termingerechten Beschwerdeerwiderung verspätet und bedarf der Zulassung durch die Kammer (Artikel 13(1) VOBK). Neue Anträge nach einem Bescheid der Kammer sind nur dann nicht verspätet, wenn sie gemäss den Anweisungen der Kammer eingereicht wurden (Artikel 12(1)c) VOBK). Im vorliegenden Fall ist die Kammer in ihrer vorläufigen Mitteilung im Wesentlichen der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Verstoßes gegen Artikel 76 EPÜ des Hauptantrags gefolgt. Weder Artikel 54 EPÜ noch Artikel 56 EPÜ wurden in der vorläufigen Mitteilung der Kammer angesprochen. Die Kammer hat in der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK jedoch Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ gegen sechs der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Hilfsanträge erhoben. Das Einreichen neuer Anträge in welchen sich die beanstandeten Merkmale in nunmehr zwölf Anträgen wiederfinden, zudem ohne auf die Einwände der Kammer einzugehen, kann jedenfalls nicht als Antwort gemäß den Anweisungen der Kammer gewertet werden. Im übrigen wurde zu keinem Punkt geltend gemacht - noch ist es für die Kammer ersichtlich - dass sich der sachliche und rechtliche Rahmen durch den Bescheid der Kammer geändert hätte und dies das Einreichen der Hilfsanträge bedingt hätte.

40. Nach Abwägung dieser Gesamtumstände (siehe vorstehend Nr. 19 bis Nr. 39) hat die Kammer in der Ausübung ihres Ermessens (Artikel 13(1) VOBK) entschieden die Hilfsanträge 1 bis 24 nicht in das Verfahren zuzulassen.

41. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I ist somit zurückzuweisen.

Hilfsantrag 3 wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten

Zulässigkeit

42. Die Beschwerdeführerin II vertritt die Auffassung, dass dieser Antrag nicht vorliegt, da die Beschwerde-führerin I im Beschwerdeverfahren nie einen dahin-gehenden Antrag gestellt hat.

43. Es trifft zu, dass die Beschwerdeführerin I die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Hilfsantrags nicht explizit beantragt hat. Nach Ansicht der Kammer ist die Prüfung dieses Antrags jedoch im Rahmen der Prüfung der Beschwerde der Beschwerdeführerin II vorzunehmen, da die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin I zunächst zur Folge hat, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrag 3 aufrechtzuerhalten, Bestand hat.

Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ

44. In Anspruch 1 wurden die Varianten 1.1. und 1.4 des erteilten Anspruchs 1 gestrichen und die verbliebenen Varianten 1.2 und 1.3 des erteilten Anspruch 1 (nunmehr Varianten 1.1 und 1.2) durch Aufnahme der Merkmale aus den ursprünglichen unabhängigen Ansprüchen 14 bzw. 15 eingeschränkt (siehe vorstehend Nr. V).

45. Die Parteien waren sich einig, dass Anspruch 1 dahingehend zu verstehen ist, dass unter Verwendung der jeweiligen wässrigen Lösung gemäß Variante 1.1 oder 1.2 die Behandlungsbedingungen so eingestellt werden, dass die einzelsträngige Nukleinsäure nicht an den mineralischen Träger bindet, die doppelsträngige Nukleinsäure jedoch überwiegend an den mineralischen Träger bindet, wobei die in den ursprünglichen Ansprüchen 14 bzw. 15 angegebenen Konzentrationsbereiche unter- oder überschritten werden können. Die Kammer stimmt dieser Interpretation des Anspruchs 1 zu. Der im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ strittige Punkt betrifft die Basis für die Verbreiterung der in den ursprünglichen Ansprüchen 14 und 15 offenbarten Konzentrationsbereiche auf alle Konzentrationsbereiche, in denen eine Bindung der doppelsträngigen Nukleinsäure an den mineralische Träger stattfindet.

46. In der angefochtenen Entscheidung (siehe Nr. 5.2 der Gründe) wurde entschieden: "Aus der gesamten Offenbarung des Streitpatents geht hervor, dass diese Puffer [Puffer aus den früheren Ansprüchen 14 und 15, Anmerkung der Kammer] auch für eine Verwendung in den Verfahren des Anspruch 1 geeignet sind. Insbesondere weist das Streitpatent im Rahmen der allgemeinen Beschreibug des Verfahrens auf die Verwendbarkeit der betreffenden Lösungen hin (z.B. erteilte [sic] Fassung, Seite 5, Absatz [40]). Daher ergibt sich direkt und eindeutig eine Verwendung der Puffer aus den früheren Ansprüchen 14 und 15 in den Verfahren nach Anspruch 1."

47. Gemäß Artikel 123(2) EPÜ dürfen die europäische Patentanmeldung und das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Die Kammer stellt fest, dass die ursprünglichen unabhängigen Ansprüche 14 bzw. 15 (Verweise beziehen sich auf die ursprünglich eingereichte Fassung der Teilanmeldung) die Verwendung einer wässrigen Lösung enthaltend 1 bis 5 M Guanidin-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidinhydrochlorid, 0,1 bis 3% Sarkosyl bzw. 1 bis 5 M Guanidiniumthiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidiniumhydrochlorid, 5 mM bis 200 mM EDTA oder EGTA zum Binden von DNA an mineralische Träger offenbaren. Diesen Ansprüchen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass auch außerhalb der offenbarten Konzentrationsbereiche eine Bindung der DNA an den mineralische Träger stattfindet.

48. Die Beschwerdeführerin I verweist auf den 2. vollständigen Absatz auf Seite 13 sowie weitere Textstellen in der Beschreibung als Basis für Anspruch 1. Auf Seite 13, 2. vollständiger Absatz offenbart die Beschreibung: "Als wäßriges Lösungssystem, das zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure an mineralische Träger verwendet werden kann, kommt eine wäßrige Lösung enthaltend 1 bis 5 M Guanidin-iso-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidinhydrochlorid mit 0,1 bis 5 % Sarkosinaten oder 5 mM bis 200 mM EDTA in Betracht. Zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure kommt auch eine Lösung enthaltend 1 bis 5 M Guanidinium-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidiniumhydrochlorid, 5 mM bis 200 mM EDTA oder EGTA in Frage." Diese Passage offenbart somit ein System und die in dem System vorliegenden Konzentrationen der Salze zum Binden von doppel-strängiger Nukleinsäure an den mineralischen Träger. Es wird jedoch nicht offenbart, dass außerhalb der angegebenen Konzentrationsbereiche der Salze ebenfalls eine Bindung der doppelsträngigen Nukleinsäure an den mineralischen Träger stattfindet, geschweige denn, dass unter Verwendung der offenbarten wäßrigen Lösungen die Behandlungsbedingungen so eingestellt werden können, dass eine Bindung an den mineralischen Träger außerhalb der angegebenen Konzentrationsbereiche stattfinden würde.

49. Auch die weiteren von der Beschwerdeführerin I zitierten Textstellen liefern keine Basis für Anspruch 1. So offenbart Seite 10, letzter Absatz und Seite 11, erster Absatz: "Zellen werden vorzugsweise zunächst in einem wässrigen Lysesystem, welches chaotrope Substanzen und/oder andere Salze enthält, aufgeschlossen, indem im einfachsten Falle die Zellen damit versetzt werden. Gegebenenfalls kann durch mechanische Einwirkung der Prozess des Aufschliessens beschleunigt werden. Danach wird die so behandelte Probe, je nach Problemstellung welche Nukleinsäureart von der anderen getrennt werden soll, wie in den Verfahrensschritten 1.1 bis 1.4 gemäss Patentanspruch 1 beschrieben, weiter aufgearbeitet." Aus dieser Passage geht lediglich hervor, dass das wässrige Lysesystem - so wie es ist - zum Aufschluss der Zellen verwendet wird. Es werden jedoch keine Angaben zum Binden von doppelsträngiger Nukleinsäure an einen mineralischen Träger oder der dafür erforderlichen Konzentration der Salze gemacht.

50. Der Paragraph, welcher die Seiten 12 und 13 verbindet offenbart, dass: "Die im erfindungsgemässen Verfahren zur Anwendung kommenden Lösungen sind ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Erfindung. Als Lysepuffer und/oder Bindungspuffer kommen erfindungsgemäss insbesondere wässrige Lösungen enthaltend 0,5 bis 8,0 M Guanidinium-iso-thiocyanat/Guanidiniumthiocyanat und/oder Guanidinhydrochlorid, 0 bis 50 % Ethanol und/oder Isopropanol in Betracht." Diese Passage bezieht sich erstens nicht auf die im Anspruch 1 verwendeten Bindungspuffer und macht überdies auch keine Angaben zur Änderung der für den Bindungspuffer offenbarten Konzentrationen zur Bindung doppelsträngiger Nuklein-säure an den mineralischen Träger.

51. Der erste vollständige Absatz auf Seite 13 offenbart, dass "Als Lösung zum Auswaschen bzw. Eluieren von an dem mineralischen Träger gebundenen Nukleinsäuren kommt eine wässrige Lösung enthaltend 0,1 bis 3 M Guanidinium-iso-thiocyanat/Guanidiniumthiocyanat und/oder Guanidinhydrochlorid zusammen mit 1 bis 30 Vol. % Ethanol und/oder Isopropanol in Frage." Diese Passage bezieht sich auch nicht auf den im Anspruch 1 verwendeten Bindungspuffer und zudem auf einen völlig anderen Schritt im Verfahren und ist somit ebenfalls irrelevant.

52. Beispiele 9 und 10 (siehe Seite 26, die letzten zwei Absätze bis Seite 27, dritter Absatz) schließlich offenbaren die selektive DNA-Bindung an den mineralischen Träger unter Verwendung des Lysepuffers L8, bestehend aus 4,0 M GTC, 50 mM TRIS/HCl pH 7,5, 1 % Sarkosyl, bzw. L9, bestehend aus 4,0 M GTC, 50 mM TRIS/HCl pH 7,5, 25 mM EDTA und zwar ohne Zugabe irgendeiner anderen Lösung. Somit ist die Möglichkeit einer Abänderung der in den Ansprüchen 14 und 15 offenbarten Konzentrationen der Bindungspuffer, etwa durch Kombination mit anderen Lösungen, auch den Beispielen nicht zu entnehmen.

53. Das Argument der Beschwerdeführerin I, dass Anspruch 1 auf Verfahren beschränkt sei, welche funktionieren kann nicht überzeugen, da die Anmeldung ursprünglich nicht offenbart, dass doppelsträngige Nukleinsäure bei Konzentrationen, die außerhalb der in den Ansprüchen 14 und 15 offenbarten Konzentration von 1 bis 5 M Guanidin-thiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidinhydrochlorid, 0,1 bis 3% Sarkosyl bzw. 1 bis 5 M Guanidiniumthiocyanat und/oder 1 bis 8 M Guanidiniumhydrochlorid, 5 mM bis 200 mM EDTA oder EGTA liegen, an den mineralischen Träger bindet. Somit führt die Aufnahme der Merkmale aus den ursprünglichen unabhängigen Ansprüchen 14 und 15 in den erteilten Anspruch 1 zu neuer technischer Information, die den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder unmittelbar noch eindeutig zu entnehmen ist.

54. Daher kommt die Kammer zum Schluss, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 3, welcher der Einspruchsabteilung vorlag, gegen Artikel 123(2) EPÜ verstößt und das Patent auf der Grundlage dieses Antrags nicht aufrecht erhalten werden kann.

Vorlage an die Große Beschwerdekammer

55. Die Beschwerdeführerin I vertritt zwar die Auffassung, dass die Nichtzulassung der Hilfsanträge 1 bis 24 im Einklang mit der ständigen Rechtssprechung der Beschwerdekammern steht, regt jedoch an, der Großen Beschwerdekammer die Frage vorzulegen, ob die mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eingereichten Anträge in das Verfahren zuzulassen gewesen wären.

56. Artikel 112 (1) EPÜ sieht vor, dass zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer befasst, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält. Eine Vorlage setzt somit voraus, dass eine Antwort für die Entscheidung erforderlich und nicht lediglich von theoretischem Interesse ist (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage 2010, Abschnitt VII.E.14.2).

57. Die mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 wurden von der Beschwerdeführerin I durch die Hilfsanträge 1 bis 24 ersetzt, bevor die Kammer über deren Zulässigkeit entscheiden konnte. Diese Anträge sind daher nicht Teil der vorliegenden Entscheidung und daher sieht die Kammer aus diesem Grund alleine keine Notwendigkeit der Großen Beschwerdekammer eine Frage vorzulegen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I wird zurückgewiesen.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Das Patent wird widerrufen.

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