T 1794/08 () of 26.11.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T179408.20091126
Datum der Entscheidung: 26 November 2009
Aktenzeichen: T 1794/08
Anmeldenummer: 01105634.8
IPC-Klasse: G01B 11/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zur Messung der Dicke und Unrundheit von länglichen Werkstücken
Name des Anmelders: LAP GmbH Laser Applikationen
Name des Einsprechenden: ZUMBACH ELECTRONIC AG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (verneint)
Zurückverweisung - ungeprüfte Einspruchsgründe
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0017/86
T 0284/95
T 0040/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1878/11

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1154226 (Anmeldenummer 01105634.8) widerrufen worden ist.

II. Mit dem Einspruch der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und c) EPÜ 1973 angegriffen worden, insbesondere wegen mangelnder Neuheit bzw. fehlender erfinderischer Tätigkeit und wegen unzulässiger Erweiterung. Die Beschwerdegegnerin stützte ihren Einspruch ferner noch darauf, dass der Gegenstand der Patentansprüche nicht klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ 1973 sei.

In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung die Auffassung, dass Artikel 100 c) 1973 EPÜ den erteilten unabhängigen Patentansprüchen 1 und 6 entgegenstehe, da ihre Gegenstände über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgingen. Insbesondere sei das beanspruchte Merkmal "wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird" in Kombination mit den übrigen Merkmalen der Patentansprüche 1 und 6 in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nicht offenbart.

III. Am 26. November 2009 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhegung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz.

Während der mündlichen Verhandlung wurde der in der Beschwerdebegründung geltend gemachte Einwand, wonach die angefochtene Entscheidung unter Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Artikel 113 EPÜ 1973) ergangen sei, von der Beschwerdeführerin - unter Hinweis auf die vorläufige negative Stellungnahme der Kammer hierzu in der die mündliche Verhandlung vorbereitenden Mitteilung - fallengelassen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung von der Kammer verkündet.

IV. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 6 gemäß der korrigierten Fassung der Patentschrift (EP-B9-1154226) lauten wie folgt:

" 1. Verfahren zur Messung von Durchmesser und Unrundheit von in ihrer Längsrichtung vorbewegten Rundprodukten an Walzstraßen, mit einer Meßeinrichtung aus drei oder mehr Laserscannern, die je einen lichtempfindlichen Sensor (42) und einen Laser (40) aufweisen, der zur Beleuchtung eines Bereichs des Sensors auf diesen ausgerichtet ist, wobei das Werkstück einen vollständig innerhalb des ausgeleuchteten Bereichs des Sensors liegenden Schatten wirft, das folgende Verfahrensschritte aufweist:

- aus einer Schattenkante (38, 44), die das Rundprodukt auf den Sensor des Laserscanners wirft, wird eine an der Außenkante des Rundprodukts anliegende Gerade berechnet, die parallel zu dem Laserstrahl verläuft,

dadurch gekennzeichnet, daß

- zu je drei ermittelten Geraden eine Auswerte einrichtung einen Kreis errechnet, an dem die Geraden als Tangenten anliegen,

- die Berechnung eines Kreises mehrfach wiederholt wird und

- aus den berechneten Kreisdurchmessern der Durchmesser und die Unrundheit des Rundprodukts bestimmt werden, wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird."

" 6. Vorrichtung zur Messung von Durchmesser und Unrundheit von in ihrer Längsrichtung vorbewegten Rundprodukten an Walzstraßen, mit einer Auswerte einrichtung mit drei oder mehr Laserscannern,

- die je einen lichtempfindlichen Sensor(42) und einen Laser (40) aufweisen, der zur Beleuchtung eines Bereichs des Sensors auf diesen ausgerichtet ist,

wobei das Werkstück einen vollständig innerhalb des ausgeleuchteten Bereichs des Sensors liegenden Schatten wirft,

- die im wesentlichen in gleichen Winkelabständen zueinander angeordnet sind,

- und deren Laserstrahlen das Rundprodukt (12) derart beleuchten, daß das Rundprodukt jeweils unter Bildung von zwei Schattenkanten einen Schatten (44) vollständig innerhalb des ausgeleuchteten Bereichs des Sensors (42) wirft oder das Rundprodukt die beleuchteten Bereiche der Sensoren jeweils unter Bildung einer Schattenkante teilweise verdeckt,

dadurch gekennzeichnet, daß

- die Auswerteeinrichtung zu je drei ermittelten Geraden eine Auswerteeinrichtung einen Kreis errechnet, an dem die Geraden als Tangenten anliegen,

- die Berechnung eines Kreises mehrfach wiederholt wird und

- aus den gemessenen Kreisdurchmessern der Durchmesser und die Unrundheit des Rundprodukts bestimmt werden, wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird."

V. Die Beschwerdeführerin stützte ihren Antrag auf folgende Argumente:

Die Erfindung bezieht sich auf eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren zur Messung von Durchmesser und Unrundheit von länglichen Werkstücken. Die Passage der Anmeldung, wonach die "fehlende oder allenfalls geringe Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser [...] eine sehr geringe Unrundheit des zu messenden Werkstücks vor[täuscht]" (veröffentlichte Anmeldung, Absatz [0004]), sagt bereits klar und deutlich aus, dass die Unrundheit des Werkstücks durch die Differenz aus dem größten und dem kleinsten Durchmesser bestimmt ist. Diese Definition ist keinesfalls eine Passage, die sich etwa nur auf den Stand der Technik bezieht, sondern gibt aus der Sicht des Fachmanns eine allgemein gültige Definition der Unrundheit auf dem maßgeblichen Gebiet der Technik wieder, von der erkennbar auch das Streitpatent ausgeht. Mit der genannten Passage wird für die gesamte Anmeldung der Begriff der Unrundheit eingeführt, der von dem Fachmann in den nachfolgenden Unterlagen und in den einzelnen Ausführungsbeispielen auch in diesem Kontext so verstanden werden muss. Bei der Prüfung auf die Erfordernisse des Artikels 100 c) EPÜ 1973 ist grundsätzlich relevant, was für den Fachmann zwangsläufig aus der Patentanmeldung als Ganzes hervorgeht.

In den Absätzen [0029] und [0030] der Anmeldung wird noch einmal die Definition wiederholt. Diese Passagen stehen zwar im Zusammenhang mit dem ersten, auf Triangulationsmessungen basierenden Ausführungsbeispiel. Es wäre aber technisch vollkommen abwegig anzunehmen, dass bei dem Tangentenmessverfahren der Begriff der Unrundheit anders zu definieren ist als bei dem Triangulationsverfahren. Das Merkmal, dass die Unrundheit sich aus der Differenz zwischen größtem und kleinstem Durchmesser ergibt, ist keine Besonderheit des dort beschriebenen Ausführungsbeispiels. Der ursprüngliche Anspruch 12 definiert bereits, dass eine Auswerteeinrichtung einen Kreis errechnet, an dem die Geraden als Tangenten anliegen, und dass die Unrundheit aus den gemessenen Kreisdurchmessern bestimmt wird. Es gibt keine Basis in der Anmeldung, die den Fachmann zu der Annahme bewegen könnte, dass es sich hierbei um eine bei einem Triangulationsverfahren spezifische Unrundheit handelt, die bei dem Tangentenmessverfahren anders zu definieren ist. Die Tatsache, dass beim Triangulations verfahren eine Justierung der Triangulationssensoren zu erfolgen hat, um sicherzustellen, dass alle drei Laserstrahlen sich im Mittelpunkt befinden, ist trivial und bei Triangulationsverfahren mit einer Messung aus mehreren Richtungen selbstverständlich; eine technische Notwendigkeit, die den Schluss nahelegen würde, dass der Fachmann diesem Absatz nun eine andere Definition des Begriffs der Unrundheit entnimmt als bei anderen Messverfahren, ergibt sich hieraus nicht. In Figur 5 ist ein gemeinsamer Punkt auch zwingend, wobei nicht das Objekt sondern die Messvorrichtung den gemeinsamen Punkt bestimmt. Daher wurde durch die beanstandete Änderung ein Merkmal eines Ausführungsbeispiels nicht in ein anderes transferiert, sondern nur in letzterem klargestellt (T 40/97).

Auch im Zusammenhang mit dem Tangentenmessverfahren nach dem zweiten Ausführungsbeispiel macht Absatz [0036] deutlich, dass bei der Auswertung der Unrundheit mindestens auf den minimalen Radius abgestellt wird. Da zuvor bereits mehrfach der minimale Radius als eine wesentlichen Größe zur Bestimmung der Unrundheit erläutert wurde, bestätigt auch diese Passage deutlich, dass kein anderer Begriff der Unrundheit verwendet wird.

Der Figur 5 der Patentanmeldung ist in Zusammenschau mit Figur 2 und deren Beschreibung zu entnehmen, dass auch beim Tangentenmessverfahren die Unrundheit als Differenz von kleinstem und größtem Durchmesser zu bestimmen ist.

Der Begriff der Unrundheit ist außerdem im Zusammenhang mit der Rundheitsprüfung ein fest definierter technischer Begriff ("Lueger - Lexikon der Technik" H. Franke, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart (DE), Band 9, 1968, Seite 213) und auch in den einschlägigen technischen Normen enthalten (DIN ISO 4291 "Verfahren für die Ermittlung der Rundheitsabweichung", Ausgabe 1985, Bilder 6 bis 9 und französische Norm NF E 10-103, 1988, Abschnitt 10).

VI. Die Beschwerdegegnerin stützte ihren Antrag auf folgende Argumente:

Im kennzeichnenden Teil der Ansprüche 1 und 6 ist davon die Rede, dass die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird; unklar ist, ob es sich bei diesem Durchmesser um den Kreisdurchmesser oder um den Durchmesser des Werkstücks handelt. Im Absatz [0030] der Anmeldung ist auch offenbart, dass der Auswerterechner den kleinsten sowie den größten Durchmesser und als Differenz hieraus die Unrundheit ermittelt. Es ist dort jedoch nicht offenbart, um welchen Durchmesser es sich dabei handelt. Ausweislich der Darlegung der Patentinhaberin handelt es sich um den Durchmesser des Werkstücks. Dass es sich bei der Differenz der Durchmesser um die Differenz der Kreisdurchmesser und somit nicht der Werkstücke handelt, ist selbst im Falle des Triangulationsverfahrens nicht offenbart. Die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin sind nicht nachvollziehbar. Einerseits wird nämlich dargelegt, dass bei einem Gleichdick und somit bei einem gleichdickartigen Werkstück nur ein geringer Unterschied zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser des Werkstücks vorliegt, andererseits soll gerade diese sehr kleine Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser des Werkstücks ein Maß für die Unrundheit sein (Offenlegungsschrift, Spalte 1, Zeile 36 bis 39). Ausweislich der von der Beschwerdeführerin selbst gegebenen Definition ist somit das hier in Frage stehende Merkmal "wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird" wie folgt zu interpretieren: "wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser des Werkstücks bestimmt wird".

Das Merkmal "Differenz zwischen größtem und kleinstem Durchmesser", welches die Unrundheit ergeben soll, taucht in keinem der ursprünglichen Ansprüche auf und ist in den ursprünglichen Unterlagen an nur einer einzigen Stelle offenbart, nämlich im Absatz [0030] der Offenlegungsschrift. Dieser Absatz befasst sich mit dem Triangulationsverfahren, das nicht mehr Gegenstand des Patents ist. Außerdem ist das Merkmal der Differenz bildung bezüglich des Triangulationsverfahrens lediglich im Hinblick auf eine bestimmte Problemstellung offenbart. In den Absätzen [0029] und [0030] der Anmeldung geht es darum, dass die Winkellage der Maxima bzw. Minima des vermessenen Gleichdicks nicht bekannt ist. Ferner ist dort von einer Justierung der Triangulationssensoren die Rede, um sicher zu stellen, dass alle drei Laserstrahlen sich im Mittelpunkt schneiden. Das zu prüfende Objekt muss sich im Nullpunkt dieser radialen Anordnung befinden. Nur dann ist die Berechnung eines so genannten zugehörigen Kreises möglich. Die Notwendigkeit eines Nullpunktes als Bezugspunkt für die Bestimmung der Kreise bzw. der Durchmesser und somit auch für die Ermittlung der Unrundheit wird auch bereits durch den im Beschwerdeverfahren zitierten Stand der Technik gestützt ("Lueger - Lexikon der Technik" supra, Seite 213 und DIN ISO 4291 supra, Seite 4, Anhang A). Die Situation bei der oben geschilderten speziellen Ausführungsform des Triangulationsverfahrens ist auf andere Verfahren nicht anwendbar, insbesondere auf das Schattenmessverfahren keinesfalls übertragbar, da die Position des Bezugspunkts von der Position des Objekts abhängt.

Im ursprünglichen Anspruch 12 ist lediglich davon die Rede, dass aus den gemessenen Kreisdurchmessern der Durchmesser und die Unrundheit des Werkstücks bestimmt werden. Es ist dort jedoch nicht offenbart, dass diese Unrundheit als Differenz aus kleinstem und größtem Durchmesser bestimmt wird. Erst recht ist nicht offenbart, dass die Unrundheit als Differenz aus kleinstem und größtem Kreisdurchmesser bestimmt wird.

Würde man den Darlegungen der Beschwerdeführerin folgen, dass die Differenz zur Definition der Unrundheit seit alters her herangezogen wird, dann mag unter der Annahme, dass dieses Merkmal in Zusammenhang mit dem Schattenmessverfahren offenbart ist, kein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ 1973 vorliegen; allerdings könnte dieses Merkmal dann nicht im weiteren Verfahren zur Begründung der Erfindungshöhe herangezogen werden.

Die Tatsache, dass das beanstandete Merkmal den so genannten "Neuheitstest" nicht bestehen würde und dass die Streichung des Merkmals gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoßen würde, zeigt ebenfalls, dass das Merkmal als Erweiterung im Sinne des Artikels 100 c) EPÜ 1973 zu betrachten ist.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Streitpatent wurde von der Einspruchsabteilung mit der Begründung widerrufen, dass Artikel 100 c) 1973 EPÜ den erteilten unabhängigen Patentansprüchen 1 und 6 entgegenstehe, da - wie von der Beschwerdegegnerin während des Verfahrens geltend gemacht - das beanspruchte Merkmal "wobei die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird" in Kombination mit den übrigen Merkmalen der erteilten Patentansprüche 1 und 6 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausginge.

2.1 Während des Verfahrens bestand zwischen den Parteien darüber Einvernehmen,

- dass sich der Gegenstand der unabhängigen Patentansprüche 1 und 6 auf das auf Schattenbildung basierende, im Absatz [0029] der Patentschrift in Verbindung mit Fig. 6 und 7 offenbarte Ausführungs beispiel bezieht, nicht jedoch auf das auf Triangulationsmessungen basierende, in den Absätzen [0022] und [0023] der Patentschrift in Verbindung mit Fig. 2 offenbarte Ausführungsbeispiel und

- dass das beanstandete beanspruchte Merkmal, wonach "die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird", in der Patentanmeldung ausdrücklich nur in Verbindung mit dem auf Triangulationsmessungen basierenden Ausführungsbeispiel (Veröffentlichung "A2" der Anmeldung, Absatz [0030]) und möglicherweise mit dem Stand der Technik (Veröffentlichung der Anmeldung, Absatz [0004]) offenbart ist,

- sodass das beanstandete beanspruchte Merkmal in Verbindung mit dem auf Schattenbildung basierenden Ausführungsbeispiel, auf das sich der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 6 bezieht, in der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung nicht ausdrücklich offenbart ist.

Aus den obigen Überlegungen geht somit hervor, dass - wie von der Kammer in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung bereits hervorgehoben - die zu untersuchende Frage der ursprünglichen Offenbarung des Gegenstands der Patentansprüche 1 und 6 im vorliegenden Fall davon abhängt, ob die beanstandete beanspruchte Merkmalskombination in dem in der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung beschriebenen Ausführungsbeispiel der Erfindung implizit enthalten ist, insbesondere ob die beanspruchte Merkmalskombination im Hinblick auf die primär zu erzielende technische Funktion (Messung von Durchmesser und Unrundheit) durch den Fachmann aus dem gesamten Inhalt der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung, wenn auch nicht explizit, wenigstens implizit und eindeutig zu entnehmen ist (siehe dazu Entscheidungen T 284/94, ABl. EPA 1999, 464, Punkt 2.1.3 und T 17/86, ABl. EPA 1989, 297, Punkt 2.3 und 3; siehe auch die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 40/97, Punkt 2.2).

2.2 Laut der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung besteht die der Erfindung zugrundeliegende primäre Aufgabe darin, eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Messung von Durchmesser und Unrundheit von länglichen Werkstücken, insbesondere von Werkstücken mit Gleichdick-Konturen, zu schaffen, wobei - wie von der Beschwerdeführerin hervorgehoben - neben die Messung von Durchmessern auch die Messung bzw. die Ermittlung der Unrundheit der Werkstücke durchweg als ein wesentlicher Aspekt der primären Aufgabe offenbart ist. Diese primäre Aufgabe wird im einleitenden Teil der Beschreibung der Anmeldung nicht nur ausdrücklich offenbart, sondern auch in Bezug auf den dort angegebenen Stand der Technik mit der eigentlichen Problematik in Verbindung gebracht, nämlich dass die "fehlende oder allenfalls geringe Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser [...] eine sehr geringe Unrundheit des zu messenden Werkstücks vor[täuscht]" (Absatz [0004] der Veröffentlichung der Anmeldung).

In der Anmeldung werden dann zwei Ausführungsbeispiele zur Lösung der primären Aufgabe offenbart, wobei das zweite Ausführungsbeispiel in zwei Varianten offenbart wird und die zweite Variante dem Gegenstand der erteilten Patentansprüche 1 und 6 entspricht. Gemäß dem ersten Ausführungsbeispiel werden zuerst der kleinste und der größte Durchmesser des gleichdickförmigen Objekts mittels Laserstrahlen und Triangulationssensoren bestimmt (Fig. 2 bis 4) und wird dann "als Differenz hieraus die Unrundheit" ermittelt (Absatz [0030] der Veröffentlichung der Anmeldung). Gemäß dem zweiten Ausführungsbeispiel werden Laserscanner und Sensoren um das Objekt derart angeordnet, dass dieses tangential beleuchtet wird und es dadurch Schattenkanten auf die Sensoren wirft (Fig. 5 bis 7), und gemäß der zweiten Variante ist die Anordnung derart ausgebildet, dass das Objekt zwei Schattenkanten auf jeden Sensor wirft (Fig. 6 und 7 und Absatz [0036] der Veröffentlichung der Anmeldung).

Die Beschreibung der zweiten Variante des zweiten Ausführungsbeispiels im Absatz [0036] der Veröffentlichung der Anmeldung beschäftigt sich mit der Abtastung bzw. Messung des Objekts, ohne explizit auf die Messung bzw. Ermittlung irgendwelcher Unrundheit einzugehen. Im Kontext des oben skizzierten Inhalts der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung findet die Kammer jedoch, dass der fachkundige Leser aus dem Gesamtzusammenhang der Beschreibung unmittelbar und eindeutig erkennt, dass die offenbarte Erfindung auf die Messung von Durchmesser und Unrundheit als primäre Aufgabe gerichtet ist, dass das erste Ausführungs beispiel ein Messverfahren zur Ermittlung des kleinsten und des größten Durchmessers des Objekts und zur Bestimmung der Unrundheit des Objekts als Differenz zwischen den so ermittelten Durchmessern beschreibt, und dass das zweite Ausführungsbeispiel nicht isoliert zu betrachten ist und es in Zusammenhang mit der primären Aufgabe der Erfindung und mit dem im ersten Ausführungsbeispiel beschriebenen Verfahren nicht nur auf die Messung von Durchmessern, sondern auch auf die Ermittlung der Unrundheit des Objekts gerichtet ist. Der fachkundige Leser wird somit erkennen, dass, auch wenn sich Absatz [0036] der Veröffentlichung der Anmeldung, in dem die zweite Variante des zweiten Ausführungs beispiels beschrieben wird, explizit nur mit der Messung des Objekts auseinandersetzt, die darin beschriebene Schattenmesstechnik nur als Alternative zu der im ersten Ausführungsbeispiel beschriebenen Triangulationsmess technik zu betrachten ist, ansonsten aber zu demselben technischen Zweck wie im ersten Ausführungsbeispiel eingesetzt wird, d.h. zur Bestimmung der Unrundheit als Differenz zwischen dem ermittelten kleinsten und größten Durchmesser.

Der Beschwerdegegnerin ist zwar zuzustimmen, dass nach der Beschreibung der Anmeldung (Absatz [0030]) das im ersten Ausführungsbeispiel beschriebene Verfahren eine Justierung der Triangulationssensoren in Bezug auf einen Punkt erfordert, der als Bezugspunkt für die Messung des Objekts dient. Die Notwendigkeit einer solchen Justierung betrifft jedoch die Triangulationsmesstechnik selbst und nicht die Bestimmung der Unrundheit als die Differenz der durch diese Technik ermittelten größten und kleinsten Durchmesser, und es ist für die Kammer nicht ersichtlich, weshalb der fachkundige Leser die Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiels so ausgelegt hätte, dass - wie von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht - die Bestimmung der Unrundheit auf der Basis der Differenz der größten und kleinsten Durchmesser auf die Ermittlung des größten und des kleinsten Durchmessers mittels der Triangulationsmess technik beschränkt sein sollte.

Die oben getroffenen Feststellungen werden noch von anderen Stellen der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt. So wird in dem ursprünglichen unabhängigen Anspruch 12, der auf die in dem zweiten Ausführungs beispiel offenbarte Schattenmesstechnik gerichtet ist, ein "Verfahren zur Messung von Durchmesser und Unrundheit von länglichen Werkstücken" definiert, das unter anderem den Schritt der Errechnung eines Kreises mittels der Schattenmesstechnik sowie folgende Schritte beinhaltet: "die Messung zur Errechnung eines Kreises wird mehrfach wiederholt und aus den gemessenen Kreisdurchmessern wird der Durchmesser und Unrundheit des Werkstücks bestimmt". Somit deutet schon der Wortlaut des ursprünglichen unabhängigen Anspruchs 12 darauf hin, dass die im zweiten Ausführungsbeispiel offenbarte Messtechnik nicht zur Durchführung irgendwelcher Messung bzw. Abtastung des Objekts, sondern zur Messung und Ermittlung von den Objektkonturen zugeordneten Kreisdurchmessern sowie zur Bestimmung der Unrundheit dient. Außerdem wird in Fig. 6, auf die sich die Beschreibung in Absatz [0036] der Anmeldung stützt, eine schematische Darstellung des kleinsten und des größten Kreises des gleichdickförmigen Objekts gezeigt und in dem letzten Satz der Beschreibung (Absatz [0036], letzter Satz) zudem erläutert, dass es bei der zweiten Variante des zweiten Ausführungs beispiels nicht möglich ist, "für einen Gleichdick mit nach innen gewölbten, konkaven Seiten den minimalen Radius richtig zu bestimmen". Der in Fig. 6 dargestellte kleinste und größte Kreis und der Hinweis in der Beschreibung auf die Grenzen in der Bestimmung eines "minimalen Radius" bei Objekten mit konkaven Seiten deuten beide darauf hin, dass mit der Messtechnik des zweiten Ausführungsbeispiels nichts anderes erzielt wird als die Ermittlung des kleinsten und des größten Kreises des Objekts, welche in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nur in Verbindung mit der Bestimmung der Unrundheit als die Differenz zwischen den entsprechenden Durchmessern erläutert wird.

2.3 Aus den obigen Ausführungen folgt, dass das beanstandete Merkmal der unabhängigen Patentansprüche 1 und 6, wonach "die Unrundheit als Differenz aus kleinstem sowie größtem Durchmesser bestimmt wird", in Kombination mit den übrigen beanspruchten Merkmalen durch den fachkundigen Leser und somit durch den Fachmann aus dem gesamten Inhalt der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung zwar nur implizit, aber eindeutig und zweifelsfrei zu entnehmen ist, und dass der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten und von der Einspruchsabteilung übernommenen Argumentation von der Kammer insofern nicht gefolgt werden kann, als sie auf eine isolierte Betrachtung der Textstelle im Absatz [0036] bzw. des Anspruchs 12 der ursprünglich eingereichten Anmeldung ohne Berücksichtigung des übrigen Offenbarungsgehalts der Anmeldung basiert.

2.4 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und Schlussfolgerungen erübrigt es sich, auf die Ausführungen der Beschwerdegegnerin hinsichtlich des so genannten "Neuheitstests" einzugehen (Punkt VI oben, letzter Absatz).

Die Beschwerdegegnerin hat ihren Einwand, dass das beanstandete Merkmal als Erweiterung im Sinne des Artikels 100 c) EPÜ 1973 zu betrachten ist, auch darauf gestützt, dass eine Streichung des beanstandeten Merkmals gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoßen würde. Jegliche Streichung eines beanspruchten Merkmals kann jedoch - je nach Sachlage des Einzelfalls - zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des entsprechenden Patentanspruchs führen, und zwar unabhängig davon, ob das Merkmal eine Erweiterung der ursprünglichen Offenbarung des Patents darstellt oder nicht, und die Kammer kann in den Ausführungen der Beschwerdegegnerin keinen Gründe oder Kriterien erkennen, die die obenstehenden Ausführungen und Schlussfolgerungen der Kammer in Frage stellen könnten.

Die Beschwerdegegnerin hat auch die Klarheit des beanstandeten Merkmals hinsichtlich des Begriffs "Durchmesser" (Punkt VI oben, erster Absatz) und die Anwendbarkeit der Ermittlung der Unrundheit als Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser bei dem Schattenmessverfahren (Punkt VI oben, zweiter Absatz) so wie jeglichen Beitrag des beanstandeten Merkmals zur erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Erfindung (Punkt VI oben, vorletzter Absatz) in Frage gestellt. Die hier zu untersuchende Frage betrifft allerdings den Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung (Punkt 2.1 oben) und keiner der Einwände der Beschwerdegegnerin wirkt sich seiner Natur nach auf die Schlussfolgerungen in Punkt 2.3 oben aus, wonach die Ermittlung der Unrundheit als Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser bei dem Schattenmessverfahren durch den Fachmann aus dem gesamten Inhalt der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung zwar implizit, aber eindeutig und zweifelsfrei zu entnehmen ist und zwar ungeachtet möglicher Bedenken bezüglich der Klarheit des beanstandeten beanspruchten Merkmales oder der Durchführbarkeit bzw. der Patentierbarkeit der beanspruchten Erfindung.

3. Aus dem Vorstehenden folgt, dass der einzige von der Einspruchsabteilung vorgebrachte Widerrufsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang nicht entgegensteht und dass die Entscheidung aus den obigen Gründen aufgehoben werden muss.

Die übrigen im Einspruchsverfahren gemäß Artikel 100 c) EPÜ 1973 erhobenen Einwände sowie der geltend gemachte Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 und die auch von der Beschwerdegegnerin erhobenen Einwände betreffend die Klarheit der Patentansprüche (Punkt II oben, erster Absatz) wurden allerdings von der Einspruchsabteilung noch nicht berücksichtigt bzw. geprüft und waren für die angefochtene Entscheidung ohne Bedeutung. Außerdem wurde die Zurückverweisung der Angelegenheit sowohl von der Beschwerdegegnerin hilfsweise als auch von der Beschwerdeführerin beantragt. Unter diesen Umständen hielt es die Kammer für angebracht, in Ausübung ihres Ermessens (Artikel 111 (1) EPÜ 1973) die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, um den Parteien nicht die Möglichkeit einer Prüfung der Sache in zwei Instanzen vorzuenthalten.

4. Die Kammer weist darauf hin, dass im Laufe des Beschwerdeverfahrens eine beschleunigte Behandlung der Beschwerde von beiden Beteiligten beantragt wurde, und die Kammer hat den Fall vorgezogen. Sie nimmt zur Kenntnis, dass in der mündlichen Verhandlung beide Parteien die Absicht bekanntgegeben haben, die Beschleunigung des weiteren Verfahrens vor der Einspruchsabteilung ebenfalls zu beantragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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