T 1759/08 () of 13.7.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T175908.20100713
Datum der Entscheidung: 13 Juli 2010
Aktenzeichen: T 1759/08
Anmeldenummer: 04006657.3
IPC-Klasse: B66D 1/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Laufberuhigung einer Gliederkette eines Kettenzuges, insbesondere zur Verhinderung der Ausbildung einer Resonanzschwingung der Gliederkette, und einen Kettenzug hierfür
Name des Anmelders: Demag Cranes & Components GmbH
Name des Einsprechenden: Stahl CraneSystems GmbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
Schlagwörter: Neuheit (Hauptantrag) - nein
Ausführbarkeit (Hilfsantrag) - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 19. März 2004 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 31. März 2003 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 04006657.3 wurde das europäische Patent Nr. 1 464 611 mit 11 Ansprüchen erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe der Artikel 100 a), 100 b) und 100 c) EPÜ 1973, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

Mit ihrer am 25. Juli 2008 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass das das europäische Patent im geänderten Umfang den Erfordernissen des europäischen Patentübereinkommens genügt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Einspruchsgrund der unzulässigen Erweiterung nicht vorliege. Die Erfindung sei ausreichend offenbart und durch einen Fachmann ausführbar sowie gewerblich anwendbar. Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 7 seien unbestritten neu und beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Der geänderte Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Laufberuhigung einer Gliederkette eines Kettenzuges, insbesondere zur Verhinderung der Ausbildung einer Resonanzschwingung der Gliederkette, in dem eine Gliederkette über ein polygonales Kettenrad mit ungleichförmiger Teilung geführt wird, das von einem Elektromotor angetrieben wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Geschwindigkeit des Kettenrades (4) eine periodische sowie dämpfende Steuergröße überlagert wird und die dämpfende Steuergröße eine Änderung der Kettengeschwindigkeit in [der*] Art bewirkt, dass eine Ausbildung einer Resonanzschwingung verhindert wird." [* = hinzugefügt]

Der unabhängige Anspruch 7 betrifft einen Kettenzug, insbesondere zur Durchführung des Verfahrens.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 10. September 2008 Beschwerde ein und bezahlte am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.

Mit ihrer am 21. November 2008 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründung verfolgte sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents weiter.

IV. Mit ihrer am 26. März 2009 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach die Beurteilung der Einspruchsabteilung im Hinblick auf die Patentfähigkeit in der aufrechterhaltenen Form zunächst nicht zu beanstanden sei. Möglicherweise sei das beanspruchte Verfahren noch nicht ausreichend charakterisiert.

VI. Am 13. Juli 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der noch die folgende Entgegenhaltung eine Rolle spielte:

D1: DE-A-1 531 307

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 464 611

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 und 2 vom 13. Juli 2010 (Hilfsantrag).

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag umfasst den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, an den die Merkmale der abhängigen Ansprüche 2, 3 und 5 angefügt wurden, welche lauten:

"... dass der Elektromotor (2) über einen elektronischen Dämpfer (8) angesteuert wird, dass dem elektronischen Dämpfer (8) als erste Eingangsgröße eine Soll-Drehzahl (nsoll) des Kettenrades (5) und als zweite Eingangsgröße ein Ist-Winkel (psirad) des Kettenrades (5) zugeführt werden und in dem elektronischen Dämpfer (8) aus den beiden Eingangsgrößen eine dämpfende Steuergröße errechnet wird, die in Form einer gedämpften Drehzahl (n*soll) an den Elektromotor (2) übergeben wird, dass die Wirkung einer sich aufbauenden Resonanzschwingung durch Sensorik erfasst wird und bei Bedarf die dämpfende Steuergröße verändert wird."

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die mechanische Kompensation des sogenannten Polygoneffektes sei aus dem Stand der Technik seit langem bekannt. Durch die in D1 offenbarte Radiusvariation als dämpfende Steuergröße werde die Lineargeschwindigkeit der Kette konstant gehalten, wodurch die Ausbildung einer Resonanzschwingung verhindert werde. Das Verfahren nach Anspruch 1 sei daher wortlautgemäß vorweggenommen.

Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag sei nicht ausführbar, da das Patent nicht angebe, wie die Wirkung einer sich aufbauenden Resonanzschwingung ermittelt werde. Die Gleichung für die Geschwindigkeitsschwankungsamplitude lasse offen, wie die Verstärkungsfaktoren V1, V2 und die Phasenverschiebungswinkel Phi1, Phi2 ermittelt werden. Auch sei der Begriff Frequenzverhältnis eta nicht definiert. Der Motorstrom sei als Maß für die Resonanzfrequenz einer zu bewegenden Last ungeeignet, da die Kette als Federglied zwischen Last und Kettenrad betrachtet werden müsse, das eine Frequenzverschiebung verursache. Der zuständige Fachmann erhalte keine Anleitung, wie die dämpfende Steuergröße verändert werden solle.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, aus der Formulierung des Anspruchs 1, wonach die dämpfende Steuergröße überlagert wird, ergebe sich für den einschlägigen Fachmann deutlich, dass hier eine regeltechnische Beeinflussung der Kettengeschwindigkeit beansprucht werde. Die rein mechanischen Lösungen zur Vermeidung einer Resonanzschwingung seien daher mit dem Verfahren nach Anspruch 1 nicht vergleichbar.

Die Variablen V1, V2 und Phi1, Phi2 könnten nach den angegebenen Gleichungen berechnet werden, auch wenn der genaue Lösungsweg nicht offenbart sei. Das Frequenzverhältnis eta sei das Verhältnis der Resonanzfrequenzen zwischen geregeltem und ungeregeltem Betrieb. Eine sich aufbauende Resonanzschwingung könne durch eine dem Fachmann wohlbekannte Sensorik festgestellt werden, z.B. durch die Stromaufnahme des Motors.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag, Neuheit (Artikel 100 a), 54 EPÜ 1973)

2.1 D1 offenbart ein elektrisch angetriebenes Hebezeug, bei dem Mittel vorgesehen sind, um unerwünschte Schwingungen zu vermindern oder ganz zu vermeiden (Seite 2, 1. Absatz). Im Betrieb ergibt sich damit ein Verfahren zur Laufberuhigung einer Gliederkette eines Kettenzuges. Hierzu wird eine Gliederkette 11 über ein polygonales Kettenrad 10 mit ungleichförmiger Teilung geführt, das von einem Elektromotor angetrieben wird. Der Geschwindigkeit des Kettenrades 10 wird eine periodische sowie dämpfende Steuergröße überlagert, indem es mittels eines Stirnrades 12 angetrieben wird, dessen Teilkreis unterschiedlich groß ist, um Schwankungen der Geschwindigkeit der Kette zu verringern, wenn sie um das Kettenrad läuft (Figur 1; Seite 7, Patentanspruch 1). Hieraus folgt, dass die so erzeugte dämpfende Steuergröße eine Änderung der Kettengeschwindigkeit in der Art bewirkt, dass eine Ausbildung einer Resonanzschwingung verhindert wird. Da somit die Merkmale des Anspruchs 1 aus D1 bekannt sind, ist die beanspruchte Lösung nicht neu.

2.2 Den von der Beschwerdegegnerin behaupteten Unterschied, sie beanspruche im Gegensatz zu einer mechanischen Überlagerung eine regeltechnische Beeinflussung der Kettengeschwindigkeit, kann die Kammer nicht erkennen. Aus dem Wortlaut des Anspruchs ergibt sich lediglich, dass der Antrieb elekromotorisch erfolgt, was in D1 ebenfalls der Fall ist. Ob die Steuergröße auf elektrischem oder mechanischem Weg überlagert wird, ist im Anspruch 1 offen gelassen. Da der einschlägige Fachmann sowohl die rein mechanische als auch die regeltechnische Beeinflussung der Kettengeschwindigkeit kennt, umfasst der Anspruch beide Varianten.

3. Hilfsantrag, Ausführbarkeit (Artikel 100 b), 83 EPÜ 1973)

3.1 Gegen die die Zulässigkeit der vorgenommenen Änderungen, die den Schutzbereich einschränken, bestehen seitens der Kammer keine Bedenken, da lediglich erteilte und aufeinander rückbezogene Ansprüche zusammengefasst wurden (Artikel 123 (2), (3) EPÜ).

3.2 In Absatz [0040] der Patentbeschreibung heißt es:

Aus einem Vergleich der Gleichungen der Geschwindigkeitsamplitude ?pol im Bereich des Kettenrades 4 mit der Gleichung für die Geschwindigkeitsamplitude ?m im Bereich der Masse m ergibt sich, dass die dämpfende Steuergröße ein um V1, V2 verstärktes sowie um Phi1, Phi2 phasenverschobenes Korrektursignal ist. Die Größen V1, V2 sowie Phi1, Phi2 werden durch Lösen der Differentialgleichung bestimmt. Die Größen V1, V2 sowie Phi1, Phi2 können leicht verändert werden und hierdurch eine Anpassung zur Berücksichtigung von Totzeiten, die durch Trägheiten oder Spiel im Kettentrieb bedingt sind, einfach möglich.

3.3 In der Differentialgleichung zur Bestimmung der Geschwindigkeitsschwankungsamplitude ?m bezogen auf die Masse m sind sowohl die Größen V1, V2 sowie Phi1, Phi2 enthalten. Zu ihrer näheren Bestimmung ist jedoch nichts angegeben außer einem Wurzelausdruck für V, der die Größen D und eta enthält sowie einem Bruchausdruck für phi, der diese beiden Größen ebenfalls enthält. D ist als Dämpfungsmaß nach Lehr bezeichnet und eta als Frequenzverhältnis. Weitere Angaben für D und eta sind nicht vorhanden.

3.4 Wie von der Beschwerdegegnerin eingeräumt wurde, ist der Lösungsweg zur Bestimmung von V1, V2 und Phi1, Phi2 nicht offenbart. Es ist aber auch nicht erkennbar, wie man von der allgemeinen Berechnung von V und phi aus D und eta zu den speziellen Werten V1, V2 und Phi1, Phi2 gelangen könnte. Ohne weitere Erläuterung bleibt für den fachkundigen Leser auch unverständlich, für welches Frequenzverhältnis eta stehen soll.

3.5 Somit fehlen dem Fachmann notwendige Informationen für die Vorgehensweise bei der Veränderung der Größen V1, V2 und Phi1, Phi2, wenn er das letzte Merkmal des Anspruchs 1 ausführen möchte, um bei Erfassung einer sich aufbauenden Resonanzschwingung durch Sensorik (die insoweit möglich erscheint) bei Bedarf die dämpfende Steuergröße zu verändern. Abgesehen von der Frage, wie diese Größen ermittelt werden sollen, ist im Patent auch keine Richtung angegeben, in die diese Größen verändert werden sollen. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist daher nicht ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ 1973.

4. Da keiner der jeweiligen Ansprüche 1 des Haupt- und des Hilfsantrags die Patentierungsvoraussetzungen erfüllt, kann das Patent nicht aufrecht erhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird widerrufen.

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