T 1083/08 () of 13.10.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T108308.20101013
Datum der Entscheidung: 13 October 2010
Aktenzeichen: T 1083/08
Anmeldenummer: 01938066.6
IPC-Klasse: D21F 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 35 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Papiermaschinensieb
Name des Anmelders: Andritz Technology and Asset Management GmbH
Name des Einsprechenden: Voith Fabrics Patent GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 114(2)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 80
Schlagwörter: Klarheit (ja)
Unzulässige Erweiterung, Hauptantrag (ja), Hilfsantrag (nein)
Neuheit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 294 981 widerrufen worden ist, Beschwerde eingelegt.

Im Einspruchsverfahren war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ angegriffen worden. Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei.

II. Am 13. Oktober 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der am 18. August 2008 eingereichten Ansprüche 1 bis 7, der Beschreibungsseiten 2 bis 4 mit den geänderten Absätzen 1, 2, 5, 8 und 15 sowie dem am 13. September 2010 eingereichten geänderten Absatz 17 (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Papiermaschinensieb, insbesondere für die Blattbildungszone, mit einer Papier(12)- und einer Laufseite (14), gebildet aus mindestens einer Art an Querfäden (16) der Papierseite und Querfäden (18) der Laufseite und mindestens einer Art mit diesen verwobenen Längsfäden (20), die miteinander unter Bildung von Rapporten (A-H) mindestens zwei verschiedene Arten an Kreuzungsstellen (22,24) ausbilden, wobei das Bindungsmuster gebildet aus den Längs(20)- und Querfäden (16) der Papierseite (12) sich zwischen Kreuzungsstellen (22) gleicher Art wiederholt, wobei zwischen den beiden Kreuzungsstellen (22) gleicher Art und unter Bildung der jeweils weiteren Art an Kreuzungsstellen (22) die Längsfäden (20) von der Laufseite (14) auf die Papierseite (12) und umgekehrt wechseln, und wobei das Wechseln der Längsfäden (20) unter Bildung der weiteren Art an Kreuzungsstellen (22) innerhalb des jeweiligen Rapportes (A-H) der Laufseite (14) erfolgt, wobei innerhalb dieses Rapportes (A-H) der Laufseite (14) die Querfäden (18) der Laufseite (14) auf ihrer der Papierseite (12) abgewandten Außenseite (26) von mindestens zwei Längsfäden (20) gehalten sind und dass das Bindungsmuster der Papierseite (12) aus einer Leinwandbindung besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die Leinwandbindung, die zwischen Kreuzungsstellen der einen Art (22) und der unmittelbar nachfolgenden anderen Art (24) verläuft, 8-schäftig ausgebildet ist, und dass die Laufseite (14) innerhalb eines jeden Rapportes (A-H) 8-schäftig ausgebildet ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die Einfügung des Merkmals "wobei alle verbindenden Längsfäden (20) unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind," zwischen den Textstellen "die miteinander unter Bildung von Rapporten (A-H) mindestens zwei verschiedene Arten an Kreuzungsstellen (22,24) ausbilden," und "wobei das Bindungsmuster gebildet aus den Längs(20)- und Querfäden (16) der Papierseite (12) sich zwischen Kreuzungsstellen (22) gleicher Art wiederholt," des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag.

VI. Im Beschwerdeverfahren wurde insbesondere auf die Dokumente

D1: EP-B-0 432 413

D5: US-A-5 865 219

D8: WO-A-99/06632

D13: EP-A-0 224 276

verwiesen.

VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Klarheit

Der Ausdruck "schäftig" beziehe sich auf den Rapport, nicht aber auf die Schäfte, die notwendig seien, die Kettfäden zu halten. Beim Streitpatent weise der Rapport 8 Fäden in Längs- und 8 Fäden in Querrichtung auf. 8-schäftig bedeute also 8-fädig. Dies stelle die übliche Ausdrucksweise in der Webtechnik dar. Auch in den Dokumenten D13 (siehe Seite 6, Zeilen 24 bis 26 und Figuren 1 und 2) und D1 (siehe Seite 3, Zeilen 46 bis 48 und Figur 2c) werde der Ausdruck "schäftig" in diesem Sinne gebraucht. Das Merkmal des erteilten Anspruchs 3 bedeute somit, dass auf der Papierseite des Papiermaschinensiebs die Leinwandbindung zwischen zwei Kreuzungsstellen unterschiedlicher Art, wie in Figur 1 des Streitpatents gezeigt, acht Querfäden aufweise, wobei natürlich der Querfaden an der Kreuzungsstelle nicht ausgelassen werden dürfe, es also nicht sieben Querfäden gebe. Das Merkmal des erteilten Anspruchs 4 bedeute, dass es auf der Laufseite des Papiermaschinensiebs innerhalb eines Rapports acht Querfäden gebe. Da diese Merkmale für sich klar seien, könne ihre Zusammenfassung im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag keine Unklarheit hervorrufen.

Artikel 123(2) EPÜ

Die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 stellten keine Alternativen dar, sondern beträfen einmal die Definition der Oberseite und einmal die Definition der Unterseite des Papiermaschinensiebs. Ein Fachmann isoliere diese Merkmale nicht, sondern sehe sie im Zusammenhang, was auch die Beschreibung auf Seite 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung bestätige. Um die Aufeinanderfolge der Längsfäden gehe es dabei nicht. Das auf Seite 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ebenfalls erwähnte entsprechende Merkmal sei deshalb nicht zwingend in Zusammenhang mit den die Fadenzahl auf der Ober- und Unterseite betreffenden Merkmalen zu sehen. Daher sei das Fehlen des Merkmals, dass alle verbindenden Längsfäden unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet seien, nicht als Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ zu sehen.

Zulässigkeit des Hilfsantrags

Aufgrund der zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung geäußerten vorläufigen Meinung der Kammer sei die Beschwerdeführerin davon ausgegangen, dass die geltenden Ansprüche unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden seien. Erst mit ihrer Eingabe vom 13. September 2010 habe die Beschwerdegegnerin auf einen weiteren Aspekt bei der Beurteilung dieses Punktes hingewiesen. Der Hilfsantrag stelle eine Reaktion auf die veränderte Sachlage dar. Der Hilfsantrag könne somit nicht als verspätet eingereicht betrachtet werden. Das in den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag aufgenommene Merkmal schaffe keine neuen Fakten, sondern stelle nur klar, was ohnehin mit dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag schon gemeint gewesen sei. Die auf Seite 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angesprochene Homogenität des Gewebes durch Vermeidung von zwischen den verbindenden Längsfäden liegenden Oberschuss- oder Oberkettfäden sei die Konsequenz der unmittelbaren Aufeinanderfolge der verbindenden Längsfäden und müsse deshalb im Anspruch nicht erwähnt werden. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag sei somit prima facie gewährbar, so dass nichts gegen die Zulassung des Hilfsantrags spreche.

Neuheit

Die relevanten Dokumente im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1 seien D13 und D5. Bei Dokument D13 gebe es keine Leinwandbindung auf der Papierseite des Papiermaschinensiebs, und die Querfäden der Laufseite seien innerhalb eines Rapports auf der der Papierseite abgewandten Außenseite nicht von mindestens zwei Längsfäden gehalten. Bei Dokument D5 sei die Anzahl der Querfäden auf der Papier- und der Laufseite gleich. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag sei somit neu.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Klarheit

Das Streitpatent liefere keine Erklärung für die Bedeutung des Ausdrucks "schäftig". Ein Fachmann beziehe diesen Ausdruck auf die Schäfte, die allerdings nur mit Kettfäden zusammenwirkten. Ein Zusammenwirken der Schäfte mit den Schussfäden mache keinen Sinn. Ein Fachmann könne somit den Ausdruck schäftig, wie er im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag verwendet werde, nicht verstehen. Auf der Papierseite des Papiermaschinensiebs sei der Rapport anders als auf der Laufseite. Normalerweise gelte ein Rapport aber für beide Seiten und sei die kleinste sich wiederholende Webeinheit. Auf der Papierseite gebe es mit der Leinwandbindung einen Zweierrapport und sieben Querfäden zwischen zwei unterschiedlichen Kreuzungsstellen der Längsfäden. Einen 8er-Rapport gebe es somit auf der Papierseite nicht, allenfalls einen 16er-Rapport, da sich nach 16 Querfäden das Webmuster wiederhole, siehe die Figuren 2 und 3. Der unklare Ausdruck "schäftig" werde somit nicht konsistent verwendet, selbst wenn man annähme, dass damit "fädig" gemeint sei. Durch die Zusammenfassung der Merkmale der erteilten Ansprüche 3 und 4 entstehe eine Verknüpfung von verschiedenen Rapporten und damit eine Unklarheit im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag. Die früher in getrennten Ansprüchen und sicherlich bewusst nicht in Kombination beanspruchten Merkmale der Papierseite und der Laufseite des Papiermaschinensiebs gehörten nicht zusammen.

Artikel 123(2) EPÜ

In der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung habe sich der Anspruch 4 nur auf die Ansprüche 1 und 2, nicht aber auf Anspruch 3 bezogen. Zwar seien die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 4 zusammen mit den Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 3 auf Seite 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung beschrieben, jedoch nicht alleine. Zu der beschriebenen Merkmalskombination gehörten auch das Querschnittsverhältnis der Fäden und das unmittelbare Aufeinanderfolgen der Längsfäden. Wie sich aus Dokument D8 ergebe, stelle letzteres auch kein durch die Leinwandbindung impliziertes Merkmal dar, da dort trotz einer Leinwandbindung die verbindenden Längsfäden nicht unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet seien, siehe Figur A der Zusammenfassung. Lasse man demnach diese Merkmale weg, entstehe eine Abstrahierung, die so nicht ursprünglich offenbart gewesen sei.

Zulässigkeit des Hilfsantrags

Der Mangel des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ sei schon lange bekannt gewesen. Die Beschwerdegegnerin habe schon in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung darauf hingewiesen. Somit sei der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin als verspätet eingereicht zu betrachten. Wenn die Änderung im Wortlaut des Anspruchs nur eine Klarstellung darstelle, so begegne diese Änderung keinem Einspruchsgrund und sei somit auch unter Regel 80 EPÜ nicht zulässig. Die Änderung sei zudem prima facie nicht geeignet, den Mangel unter Artikel 123(2) EPÜ zu beheben, da nur ein Teilsatz der Merkmalsbeschreibung der Zeilen 12 bis 18 der Seite 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung in den Anspruch aufgenommen worden sei. Es bleibe außerdem offen, ob es noch weitere Längsfäden als die verbindenden Längsfäden gebe. Der Hilfsantrag solle deshalb nicht zugelassen werden.

Neuheit

Das Merkmal, dass die Querfäden der Laufseite durch zwei Längsfäden gehalten seien, sei zwar in Dokument D13 im Ausführungsbeispiel der Figuren 4 bis 6 gezeigt, nicht jedoch die Leinwandbindung auf der Papierseite, so dass die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gegenüber diesem Dokument anzuerkennen sei.

Bei Dokument D5 liege ein Schussverhältnis von 1:1 zwischen Papier- und Laufseite vor. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag, bei dem dieses Verhältnis 2:1 betrage, sei somit auch gegenüber diesem Dokument neu.

Entscheidungsgründe

1. Klarheit

1.1 Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag definiert zum einen, dass die Leinwandbindung, die zwischen Kreuzungsstellen der einen Art und der unmittelbar nachfolgenden anderen Art verläuft, 8-schäftig ausgebildet ist, und zum anderen, dass die Laufseite innerhalb eines jeden Rapports 8-schäftig ausgebildet ist. Ein Fachmann weiß, dass bei einer Leinwandbindung die Kettfäden immer abwechselnd über den Schussfäden und unter den Schussfäden verlaufen. Er mag deshalb zunächst Zweifel haben, was mit einer 8-schäftigen Leinwandbindung gemeint sein mag. Betrachtet er jedoch die Figuren des Streitpatents (vgl. insbesondere Figur 1) so erkennt er, dass tatsächlich auf der Papierseite (Oberseite) des Papiermaschinensiebs der Längsfaden 20 immer abwechselnd über und unter den Querfäden 16 verläuft, wobei die Besonderheit des gezeigten Gewebes darin liegt, dass sich zwei Längsfäden abwechseln, um die Laufseite (Unterseite) des Papiermaschinensiebs mit der Papierseite zu verbinden. Dieser Wechsel erfolgt nach jeweils 8 Querfäden der Papierseite. Daraus kann der Fachmann nur den Schluss ziehen, dass mit der 8-schäftigen Ausbildung der Leinwandbindung gemeint ist, dass nach jeweils 8 Querfäden eine Kreuzungsstelle der Längsfäden auftritt. Ein Wechsel nach bereits 7 Querfäden ist dabei selbst dann nicht zu erkennen, wenn man die Querfäden zwischen zwei Kreuzungsstellen zählt, da man einerseits die Kreuzungsstelle immer an der jeweils gleichen Stelle betrachten muss und andererseits keinen Querfaden bei der Zählung auslassen kann. Auf der Laufseite kann der Fachmann erkennen, dass sich nach jeweils 8 in Längsrichtung aufeinanderfolgenden Querfäden das Bindungsmuster wiederholt. Der Rapport der Laufseite umfasst also 8 Querfäden. Daraus kann der Fachmann nur den Schluss ziehen, dass mit der 8-schäftigen Ausbildung der Laufseite eben diese 8-fädige Gestaltung des Rapports gemeint sein muss. Ein Widerspruch zwischen dem Ausdruck 8-schäftig bezüglich der Papierseite und dem Ausdruck 8-schäftig bezüglich der Laufseite ergibt sich dabei nicht.

Es kann dabei auch keine Unsicherheit darüber geben, welche Fäden in Zusammenhang mit "schäftig" gemeint sind, d.h. in welche Richtung die Fäden zur Feststellung der Schäftigkeit zu zählen sind. Da Schäfte die Kettfäden (in Figur 1 des Streitpatents die Längsfäden) halten, werden in dieser Längsrichtung die Schussfäden (in Figur 1 des Streitpatents die Querfäden) gezählt.

Diese Sichtweise ist auch konsistent mit der Beschreibung des Streitpatents (vgl. insbesondere Absatz [0013]). Sie ist auch konsistent mit den Dokumenten D1 (vgl. Seite 3, Zeilen 46 bis 48, und Figuren 2a bis 2c) und D13 (vgl. Seite 6, Zeilen 24 bis 29, Seite 11, Zeilen 3 und 4, Seite 12, Zeilen 3 bis 5, und Figuren 1, 2, 4 und 5), wo der Ausdruck "schäftig" ebenfalls im Sinne von "fädig" verwendet wird.

Ein Fachmann, der also das Streitpatent mit dem Willen liest, es zu verstehen, wird den Anspruch 1 durch einfache Überlegungen auch verstehen können.

1.2 Da sich kein Widerspruch zwischen der 8-schäftigen Ausbildung zwischen zwei Kreuzungsstellen der Längsfäden auf der Papierseite und der 8-schäftigen Ausbildung der Laufseite des Papiermaschinensiebs ergibt, erzeugt die Zusammenfassung der Merkmale der erteilten Ansprüche 3 und 4, die sich auf die Ausbildung der Leinwandbildung auf der Papierseite einerseits und die Ausbildung der Laufseite andererseits beziehen, in einem einzigen Anspruch keine Unklarheit. Nur in dieser Hinsicht aber war Anspruch 1 gemäß Hauptantrag unter Artikel 84 EPÜ zu prüfen, da die jeweilige Ausbildung der Papierseite und der Laufseite des Papiermaschinensiebs für sich betrachtet bereits Gegenstand dieser erteilten Ansprüche war. Diese waren unter Artikel 84 EPÜ nicht angreifbar, da ein Verstoß gegen diesen Artikel keinen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ darstellt.

2. Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Der ursprüngliche Anspruch 4, in dem die 8-schäftige Ausbildung der Laufseite des Papiermaschinensiebs definiert war, bezog sich auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2, nicht aber auf den ursprünglichen Anspruch 3, in dem die 8-schäftige Ausbildung der Leinwandbindung der Papierseite definiert war. Es gab also in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keinen Anspruch, der diese beiden Definitionen zusammen enthielt. Allerdings ist die Ausbildung der Papier- und der Laufseite im Zusammenhang auf Seite 7, Zeilen 18 bis 24 beschrieben. Diese Textstelle bezieht sich durch die Formulierung "Das Bindungsmuster der Papierseite besteht dabei aus …" jedoch auf den vorausgehenden Text, und in diesem wird beschrieben, dass "bei dem Papiermaschinensieb nach der Erfindung alle verbindenden Längsfäden unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind". Dies bedeutet, dass die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nur ein Papiermaschinensieb offenbart, das in Kombination die Merkmale, dass die verbindenden Längsfäden unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind, dass die Leinwandbindung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kreuzungsstellen unterschiedlicher Art 8-schäftig ausgebildet ist und dass die Laufseite innerhalb eines jeden Rapports 8-schäftig ausgebildet ist, enthält. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag enthält diese Kombination nicht vollständig. Das unmittelbare Aufeinanderfolgen der verbindenden Längsfäden fehlt darin. Da eine Leinwandbindung auf der Papierseite auch dann möglich ist, wenn die verbindenden Längsfäden nicht unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind, stellt dies eine Verallgemeinerung dar, für die es in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keine Grundlage gibt. Somit geht der Gegenstand dieses Anspruchs über den Inhalt dieser Anmeldung hinaus. Aus diesem Grunde ist der Hauptantrag nicht gewährbar.

2.2 Die auf Seite 7, Zeilen 14 bis 18, der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angesprochenen Eigenschaften des Gewebes sind als zwangsläufige Konsequenz des unmittelbaren Aufeinanderfolgens der verbindenden Längsfäden zu sehen. Sie bedürfen deshalb keiner gesonderten Erwähnung im Anspruch 1. Das auf Seite 7, Zeilen 4 bis 6, angesprochene Verhältnis der Fadendurchmesser stellt hingegen eine Option dar, da nur gesagt wird, dass die Fadendurchmesser auf der Laufseite verdoppelt werden können. Auch aus den ursprünglichen Ansprüchen geht hervor, dass unterschiedliche Fadendurchmesser auf der Papier- und Laufseite nur eine Option sind, da dieses Merkmal in einem abhängigen Anspruch definiert wurde (Anspruch 6). Das Fehlen dieser Merkmale im Anspruch 1 stellt somit keinen zusätzlichen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ dar.

3. Zulässigkeit des Hilfsantrags

In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid hat die Kammer die vorläufige Meinung geäußert, dass Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in Einklang mit Artikel 123(2) EPÜ zu stehen scheine. In ihrer Erwiderung vom 13. September 2010 auf diesen Bescheid hat die Beschwerdegegnerin auf einen bis dahin noch nicht angesprochenen Aspekt bei der Beurteilung dieses Punktes hingewiesen. Da genau dieser Aspekt, nämlich die Berücksichtigung auch des Merkmals, dass die verbindenden Längsfäden unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind (siehe oben, Punkt 2.1), entscheidungswesentlich für die Ablehnung des Hauptantrags war, war der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu einer Anspruchsänderung zu geben.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein verspätet eingereichter Antrag zuzulassen ist oder nicht, spielt es weiterhin eine Rolle, ob dieser Antrag prima facie gewährbar ist oder nicht. Ein Verstoß gegen Regel 80 EPÜ liegt nicht vor, da in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag das Merkmal eingefügt wurde, dessen Fehlen den Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ des Gegenstands des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag darstellt, die Änderung also einem Einspruchsgrund (Artikel 100 c) EPÜ) begegnet. Mängel im Hinblick auf die Erfordernisse des EPÜ, soweit sie in diesem Beschwerdeverfahren zu behandeln sind, sind nicht erkennbar. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag stützt sich auf die Offenbarung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gemäß Seite 7, da nunmehr auch das Merkmal, dass alle verbindenden Längsfäden unmittelbar aufeinanderfolgend angeordnet sind, beansprucht wird. Damit ist auch eine Leinwandbindung, wie sie in Figur A der Zusammenfassung des Dokuments D8 gezeigt ist, ausgeschlossen, da bei dieser Leinwandbindung verbindende Längsfäden nicht unmittelbar aufeinanderfolgen. Eine Leinwandbindung, bei der zwischen verbindenden Längsfäden ein nicht verbindender Längsfaden verläuft, fällt nicht unter den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag. Darüber hinausgehende Einwände unter den Artikeln 84 und 123(2) EPÜ wurden von der Beschwerdegegnerin nicht vorgebracht, so dass die Erfordernisse dieser Artikel als erfüllt angesehen werden können. Der Hilfsantrag wird somit in Einklang mit Artikel 114(2) EPÜ zugelassen.

4. Neuheit

4.1 Bei Dokument D5 kreuzen sich die Längsfäden des Gewebes nach jeweils 4 Querfäden an der Papierseite, so dass im Vergleich zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag die Leinwandbindung auf der Papierseite 4-schäftig ausgebildet ist (vgl. Figuren 2 bis 4). Der Gegenstand dieses Anspruchs ist somit neu gegenüber Dokument D5.

4.2 Bei Dokument D13 gibt es auf der Papierseite keine Leinwandbindung (vgl. die Figuren 1, 2, 4, 5, 7, 9, 11 und 12). Zudem ist bei diesem Dokument das Merkmal, dass die Querfäden der Laufseite innerhalb eines Rapports der Laufseite auf ihrer der Papierseite abgewandten Außenseite von mindestens zwei Längsfäden gehalten sind, nicht erkennbar, auch nicht in der von der Beschwerdegegnerin angesprochenen Ausführung gemäß den Figuren 4 bis 6. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag auch neu gegenüber Dokument D13.

5. Zurückverweisung

Die angefochtene Entscheidung war nur auf den Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit gestützt. Die erfinderische Tätigkeit war nicht Gegenstand dieser Entscheidung. Die Kammer hält es deshalb für angebracht, die Angelegenheit in Einklang mit Artikel 111(1) EPÜ zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Quick Navigation