European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2011:T092308.20110802 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 02 August 2011 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0923/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06019756.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61F 2/46 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zur Bestimmung der Veränderung eines Objektes | ||||||||
Name des Anmelders: | BrainLAB AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | Setzt ein Verfahren, das zum Erfassen von Messwerten am menschlichen oder tierischen Körper vorgesehen ist, zwingend einen chirurgischen Schritt zur Befestigung eines für die Verfahrensdurchführung unverzichtbaren Messelements am menschlichen oder tierischen Körper voraus, ist dieser Schritt als wesentliches Merkmal des Verfahrens anzusehen, das von einem solchen Verfahren umfasst wird, selbst wenn im Anspruch kein Verfahrens merkmal ausdrücklich auf diesen Schritt gerichtet ist. Ein solches Verfahren ist gemäß Artikel 53 (c) EPU von der Patentierbarkeit ausgenommen. Das Ausklammern eines solchen chirurgischen Schritts, sei es durch eine Formulierung, wonach das chirurgisch befestigte Messelement bereits vor dem Beginn des Verfahrens am Körper angebracht war oder durch einen Disclaimer verletzt Artikel 84 EPU (1973), weil ein solcher Verfahrensanspruch dann nicht alle wesentlichen Merkmale der beanspruchten Erfindung enthält. |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Chirurgisches Behandlungsverfahren - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja) Vorlage an die große Beschwerdekammer (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Entscheidung über die Zurückweisung der Patent anmeldung Nr. 06 019 756.3 wurde am 18. Februar 2008 zur Post gegeben.
Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen diese Entscheidung, unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr, am 25. Februar 2008 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde am 15. April 2008 eingereicht.
II. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag chirurgische Verfahrens schritte enthalte und somit nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierung ausgenommen sei. Zwar enthalte das in diesem Anspruch beschriebene Verfahren nicht ausdrücklich chirurgische Verfahrens schritte, derartige Schritte seien aber implizit davon umfasst, da sie für nahezu sämtliche beanspruchten Schritte zwingend vorliegen müssten. Beispielhaft wurde hierzu unter anderem auf das Merkmal verwiesen, wonach ein erstes Referenzsystem mit einem zweiten Objekt (nach der Beschreibung ein Hüftknochen) verbunden ist. Dies setze einen chirurgischen Eingriff voraus, da anderen falls keine Verbindung des ersten Referenzsystems mit dem Knochen hergestellt werden könne.
Ferner sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß dem Hilfsantrag gegenüber der aus
D1: US-A-2003/0 153 829
bekannten Vorrichtung nicht neu. Außerdem beruhe er gegenüber
D2: EP-A-1 654 997
und
D3: EP-A-1 563 810
auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
III. Die Beschwerdeführerin beantragt:
die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Patentansprüche 1-8 (Hauptantrag),
hilfsweise
Patentanspruch 1 und Beschreibung Seiten 1a, 1b, 1c, 2 bis 7 gemäß Hilfsantrag,
beide Anträge eingereicht in der mündlichen Verhandlung,
Zeichnungen Figuren 1 bis 3 wie veröffentlicht.
Außerdem beantragt sie folgende in der mündlichen Verhandlung überreichte Rechtsfrage der Großen Beschwerde kammer vorzulegen:
"Ist die Patentierung jeglicher Verfahren, die vor der Durchführung des Verfahrens einen chirurgischen Eingriff zum Erreichen des Verfahrensziels voraussetzen, nach Artikel 53 c) EPÜ verboten?"
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Bestimmen der Veränderung oder Längen veränderung eines ersten Objektes (b), das in einem Anfangszustand mit einem zweiten Objekt (d) über ein Gelenk (k) verbunden ist und nach einer Loslösung von dem zweiten Objekt (d) verändert wurde, wobei ein erstes Referenzsystem (e1) mit dem zweiten Objekt (d) verbunden ist und das erste Objekt (b) mit einem zweiten Referenz system (e2) verbunden ist, welches nicht unmittelbar an dem ersten Objekt (b) angebracht ist, mindestens eine Referenzmarke (f) an dem ersten Objekt (b) erfasst und die relative Lage zwischen der mindestens einen Referenz marke (f) und dem ersten Referenzsystem (e1) ermittelt und/oder gespeichert wird, wobei das erste Objekt (b) nach dem Lösen der Verbindung zwischen dem ersten Objekt (b) und dem zweiten Objekt (d), dem Bearbeiten des ersten Objekts (b) und dem Zusammenfügen des bearbeiteten ersten Objekts (b) und des zweiten Objekts (d), unter Verwendung der durch das zweite Referenzsystem (e2) bestimmten Position relativ zu dem mit dem zweiten Objekt (d) verbundenen ersten Referenz system (e1) ausgerichtet wird und eine Veränderung des ersten Objektes (b) über die erneute Erfassung der Position der mindestens einen Referenzmarke (f) oder einer ein bekanntes Lage verhältnis dazu aufweisenden anderen Referenz marke relativ zum ersten Referenzsystem (e1) und den Vergleich mit der im Anfangszustand erfassten Relativposition zwischen der mindestens einen Referenzmarke (f) und dem ersten Referenzsystem (e1) ermittelt wird."
Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag lautet:
"Vorrichtung zum Bestimmen der Längenveränderung eines Femurs (b), der in einem Anfangszustand mit einem Beckenknochen (d) über ein Gelenk (k) verbunden ist, bestehend aus einem ersten Referenzsystem (e1), das unmittelbar und bevorzugt fest an dem Beckenknochen (d) befestigbar ist, einem zweiten Referenzsystem (e2) mit einem Band (j), das an einer den Femur (b) umgebenden relativ zum Femur (b) bewegbaren Haut (c) mittels des Bandes (j) um die Haut (c) herum, welches sich relativ zu dem Femur (b) bewegen kann, anbringbar ist und mit einem Zeigerinstrument oder Pointer (g), mit welchem die Position mindestens eines charakteristischen Punktes (f) auf dem Femur erfasst werden kann, und mit einem Navigations system (m), mit welchem die Positionen des ersten Referenzsystems (e1), des zweiten Referenzsystem (e2) und des Pointers (g) erfasst werden können, und die Längenveränderung des Femurs (b) bestimmt werden kann."
V. Zur Begründung hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vorgetragen:
a) Hauptantrag
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei kein chirurgisches Verfahren im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ.
Es treffe zwar zu, dass das darin beanspruchte Verfahren im Zusammenhang mit der Durchführung eines chirurgischen Verfahrens verwendet werden könne. Ein derartiges Verfahren sei aber nach G 01/07 nicht schon deswegen zwingend von der Patentierung ausgeschlossen, weil es während eines operativen Eingriffs durchgeführt werde.
Wie auch seitens der Prüfungsabteilung zugestanden wurde, enthalte das beanspruchte Verfahren außerdem explizit keinen chirurgischen Verfahrensschritt. Für das in der angefochtenen Entscheidung herangezogene Konzept eines impliziten chirurgischen Schrittes gebe es keine gesetzliche Grundlage. Folglich könne es auch nicht die Grundlage für einen Ausschluss von der Patentierbarkeit gemäß Artikel 53 c) EPÜ bilden.
Auch im Hinblick auf die Feststellung in der Entscheidung G 01/07, dass ein einziger chirurgischer Schritt in einem Verfahren ausreiche, um es von der Patentierung auszuschließen, könne das beanspruchte Verfahren zum Bestimmen der Veränderung oder Längen veränderung eines Objekts kein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers sein, da keiner der beanspruchten Verfahrensschritte einen invasiven Eingriff umfasse.
Das Anbringen eines Referenzsystems an einem Objekt, insbesondere einem Hüftknochen, sei nicht Gegenstand des beanspruchten Verfahrens. Vielmehr sei im Verfahren definiert, dass ein erstes Referenzsystem mit einem zweiten Objekt verbunden ist und nicht dass dieses Referenzsystem mit diesem Objekt verbunden wird. Die Verbindung des Referenzsystems mit dem Objekt liege somit bereits vor, wenn das beanspruchte Verfahren ausgeführt werde.
Schließlich sei auch in der Entscheidung T 836/08, der ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liege, entschieden worden, dass die Tatsache, dass ein beanspruchtes Verfahren durchgeführt wird nachdem ein chirurgischer Eingriff am Körper erfolgt ist (ebenfalls die Befestigung eines Referenz systems an einem Knochen) nicht bedeutet, dass das folgende Positions ermittlungs verfahren als solches ein chirurgisches Behandlungs verfahren sei.
b) Hilfsantrag
Der Anspruch betreffe eine Vorrichtung zum Bestimmen der Längenveränderung eines Femurs, die ein Referenzsystem umfasst, das mittels eines Bandes um die den Femur umgebende und bewegbare Haut anbringbar ist.
Hingegen beschreibe D1 eine Vorrichtung, bei der ein Referenz system mit einer Indexierungsmanschette und einem Band invasiv direkt am Femurkopf befestigt werde. Dabei sei die Indexierungs manschette so gestaltet, dass sie im angebrachten Zustand gegenüber dem Femur nicht bewegbar sei.
Die durch die vorliegende Erfindung zu lösende Aufgabe bestehe darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, mit der eine einfache und schonende Messung der Längen veränderung eines Femurs möglich sei.
Zur Lösung dieser Aufgabe habe der Fachmann keinen Anlass, die Befestigung des zweiten Referenzsystems am Femur kopf der D1 so umzugestalten, dass sie nicht direkt am Knochen, sondern an der, den Knochen umgebenden und beweglichen, Hautoberfläche angebracht ist. Die Funktions weise der Vorrichtung gemäß D1 beruhe nämlich gerade darauf, dass das Referenzsystem unmittelbar und fest mit dem Knochen verbunden sei.
Auch D2 und D3 könnten die beanspruchte Vorrichtung nicht nahelegen, weil sie beide keine Befestigungs vorrichtung des zweiten Referenzsystems offenbarten, die dafür geeignet sei, mittels eines Bandes um die den Femur umgebende Haut befestigt zu werden.
Folglich sei der Gegenstand des Anspruchs neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Verfahren zur chirurgischen Behandlung
2.1 Nach Artikel 53 c) EPÜ werden Europäische Patente nicht erteilt für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers.
In der Entscheidung G 1/07 hat die Große Beschwerde kammer die Frage, ob ein vor oder während eines chirurgischen Eingriffs durchzuführendes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke, das einen Schritt aufweist oder umfasst, der in einem physischen Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper besteht, gemäß Artikel 53 c) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist, selbst wenn dieser Schritt per se nicht auf die Erhaltung von Leben und Gesundheit abzielt, folgender maßen beantwortet:
Ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren ist als ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nach Artikel 53 c) EPÜ vom Patent schutz ausgeschlossen, wenn bei seiner Durch führung die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit des Körpers von Bedeutung ist und wenn es einen invasiven Schritt aufweist oder umfasst, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durch führung medizinische Fach kenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem erheblichen Gesundheits risiko verbunden ist (siehe erster Leitsatz der G 1/07).
2.2 Dem vorliegenden Fall liegt eine vergleichbare Situation zugrunde. Auch hier wird ein Verfahren beansprucht, das im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff durch geführt wird. Wie aus der Beschrei bung hervorgeht, ist das beanspruchte Verfahren insbesondere zum Bestimmen der Längenveränderung eines Femurs vorgesehen, wenn zum Beispiel ein beschädigter Femurkopf im Rahmen einer Hüftgelenkoperation abgeschnitten und durch ein Implantat ersetzt wird. Damit wird es ermöglicht, die Länge des operierten Femurs im Vergleich zur ursprüngli chen Länge zu ermitteln, so dass sich das wieder zusammen gesetzte Hüftgelenk möglichst nicht von einem gesunden Gelenk unterscheidet (siehe EP-A-1 911 421 = veröffentli chte Fassung der ursprünglichen Anmeldung, Absatz [0008]). Folglich ist bei der Durchführung des beanspruchten Verfahrens die Wiederherstellung der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers von Bedeutung.
Eine unverzichtbare Voraussetzung für die Durchführung des beanspruchten Verfahrens besteht darin, dass im Anfangszustand, d.h. vor Beginn oder am Anfang der Hüftgelenk operation ein erstes Referenzsystem bevorzugt unmittelbar und direkt mit einem Beckenknochen, zum Beispiel durch Einschrauben, verbunden wird (siehe EP-A-1 911 421, Spalte 1, Zeilen 38 bis 50). Wie auch die Beschwerdeführerin zu gestanden hat, ist es ohne ein fest mit dem Becken knochen verbundenes Referenzsystem aus geschlossen, die angestrebte Bestimmung der Längen veränderung des Femurs zu erreichen.
Das Verbinden des Referenzsystems mit dem Beckenknochen ist ein invasiver Schritt, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durch führung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko verbunden ist. Dies wurde auch von der Beschwerdeführerin nicht bezweifelt.
Allerdings ist sie der Auffassung, dass die Verbindung des Referenzsystems mit dem Beckenknochen vor dem Beginn des beanspruchten Verfahrens erfolgt und das beanspruch te Verfahren selbst somit keinen invasiven Schritt aufweist. Im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag werde dies durch die Formulierung hervorgehoben, wonach das erste Referenz system mit dem zweiten Objekt verbunden ist.
2.3 Ein beanspruchtes Verfahren ist jedoch bereits dann gemäß Artikel 53 c) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn es einen chirurgischen Schritt umfasst (vgl. G 1/07 erster Leitsatz).
Im vorliegenden Fall ist im Anspruch 1 des Hauptantrags weder ausdrücklich angegeben, dass das darin beanspruchte Verfahren zur Bestimmung der Veränderung oder Längen veränderung eines Femurs vorgesehen ist, noch dass dazu die Befestigung des ersten Referenzsystems am Becken knochen gehört. In der Beschreibung kommt jedoch ein deutig zum Ausdruck, dass das beanspruchte Verfahren zum Bestimmen der Veränderung oder Längenveränderung eines Femurs vor gesehen ist. Eine andere Anwendung ist dort nicht angegeben. Außerdem geht daraus ebenso eindeutig hervor, dass die Befestigung des ersten Referenz systems am Beckenknochen für das beanspruchte Verfahren unverzicht bar ist und ein wesentliches Merkmal dieses Verfahrens darstellt, weil es zur Lösung der dem beanspruchten Verfahren unterliegenden Aufgabe erforderlich ist.
Das in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchte Verfahren geht von einem bekannten Verfahren zum Bestimmen der Veränderung oder Längenveränderung eines Femurs aus, bei dem ein Referenzsystem (Referenzstern) sowohl unmittelbar am Beckenknochen, als auch un mittelbar am Femur, zum Beispiel durch Einschrauben in den jeweiligen Knochen, befestigt wird (EP-A-1 911 421, Absatz [0003]).
Nach Absatz [0004] ist es die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Verfahren vorzuschlagen, welches eine einfachere Messung der Veränderung, insbesondere der Längenveränderung eines Gelenkteils (Femurs) ermöglicht.
Folglich muss ein zur Lösung dieser Aufgabe in einem Patentanspruch vorgeschlagenes Verfahren sämtliche Merkmale bzw. Verfahrensschritte enthalten, die unabdingbar sind um eine vereinfachte Bestimmung einer derartigen Veränderung zu ermöglichen. Eine Voraus setzung dafür ist es, dass ein erstes Referenz system fest mit dem zweiten Objekt (Becken knochen) verbunden, ein zweites Referenzsystem mittelbar mit dem ersten Objekt (Femur) verbunden und eine Referenzmarke am zweiten Objekt (Femur) festgelegt wird. Wie bereits oben dargelegt wurde (siehe 2.2, zweiter Absatz), ist ohne diese Maßnahmen eine Bestimmung der Veränderung oder Längen veränderung des ersten Objekts (Femur) mit dem beanspruchten Verfahren nicht möglich.
Gemäß Spalte 2, Zeilen 7 bis 11 der EP-A-1 911 421, ist es (im Unterschied zum weiter oben genannten nächst liegenden Stand der Technik) erfindungs gemäß nicht erforderlich ein zweites Referenzsystem unmittelbar am Femur zu befestigen, so dass auf einen chirurgischen Eingriff an dieser Stelle verzichtet werden kann. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass auf die unmittelbare Befestigung des ersten Referenzsystems am Beckenknochen jedoch nicht verzichtet werden kann.
Das Verbinden des ersten Referenzsystems mit dem zweiten Objekt (Beckenknochen) ist daher ein unverzichtbarer Schritt des erfindungsgemäßen Verfahrens, der von dem in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchten Verfahren umfasst ist, auch wenn er im Anspruch nicht erwähnt wird (von der Prüfungsabteilung als "implizit" im Anspruch enthaltener Schritt bezeichnet).
2.4 Wenn ein solcher Schritt nicht vom Anspruch umfasst ist, liegt ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ (1973) vor. Artikel 84 EPÜ (1973) in Verbindung mit Regel 29 EPÜ (1973) verlangt nämlich, dass ein Anspruch alle wesentlichen Merkmale angibt, die zur Definition der Erfindung notwendig sind.
Dieses Erfordernis wird auch in der Entscheidung G1/07 bestätigt. Danach hängt die Feststellung, ob ein von der Patentierbarkeit ausgeschlossener Verfahrensschritt aus einem Anspruch ausgeklammert werden darf, sei es durch Weglassen oder durch eine Formulierung, wonach dieser Schritt außerhalb des beanspruchten Verfahrens aus geführt wird, davon ab, ob die Erfindung auch ohne diesen Schritt durch die übrigen Anspruchsmerkmale vollständig und umfassend definiert wird (siehe Entschei dungs gründe Ziffern 4.2.2 und 3.3.1).
Wie bereits dargelegt wurde, ist im vorliegenden Fall die Befestigung des ersten Referenzsystems am zweiten Objekt (Beckenknochen) als unverzichtbares und somit wesentliches Merkmal des beanspruchten Verfahrens anzusehen, ohne das die Erfindung nicht vollständig und umfassend definiert wird.
2.5 Deshalb ist das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Artikel 53 c) EPÜ nicht patentierbar, so dass der Hauptantrag der Beschwerde führerin zurückzuweisen ist.
2.6 In der von der Beschwerdeführerin ins Feld geführten Entscheidung T 836/08 war Anspruch 1 auf ein Verfahren zum Ermitteln der Position des distalen Endes eines Knochenführungsdrahtes mit einem medizintechnischen, optischen Tracking- und Navigationssystem gerichtet. Dies geschah - ähnlich wie im vorliegenden Fall - mit Hilfe von Referenzvorrichtungen, die sich einerseits am proximalen Drahtende sowie andererseits am Knochen befinden. In jener Entscheidung hat die Kammer allerdings die Bewertung der dabei notwendig voraus zu setzenden Verfahrensschritte anders vorgenommen und ist deshalb zum Ergebnis gelangt, dass die Ansprüche 1 bis 3 lediglich die Arbeitsweise eines technischen Geräts definieren, und es sich deshalb um ein optisches und nicht um ein chirurgisches Verfahren handelt (siehe T 836/08 Ziffer 3 der Entscheidungsgründe). Es mag sein, dass die unterschiedliche Bewertung unter anderem daran liegt, dass die Kammer vorliegend auch der Wahl der Anspruchs kategorie ein anderes Gewicht beigemessen hat als die Kammer in jener Entscheidung. Dies zeigt jedoch, dass sich jede einzelne Entscheidung letzten Endes in Bewertungsspielräumen bewegt, auf deren identische Ausfüllung kein Anspruch bestehen kann. Solche bei der Entscheidungsarbeit notwendigen Bewertungsspielräume sind nur dann verletzt, wenn Grundsätze der Logik oder wesentliche Tatsachengrundlagen missachtet oder sonst ein Verstoß gegen Denkgesetze zugrunde gelegen hat. Dies ist hier nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.
3. Hilfsantrag
3.1 Der einzige Anspruch des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags ist auf eine Vorrichtung zum Bestimmen der Längenveränderung eines Femurs gerichtet.
Die Änderungen beruhen auf dem in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiel, bei dem die Vorrichtung an einem Femur und einem Beckenknochen eingesetzt wird, und genügen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
Da der Anspruchswortlaut klar ist und alle wesentlichen Merkmale der Erfindung beinhaltet, erfüllt er auch die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ (1973).
3.2 D1 offenbart im Gegensatz zum einzigen Anspruch des Hilfsantrags (siehe 3.1) eine Vorrichtung, mit der die Lage eines Femurs in Bezug auf einen Beckenknochen und dadurch die Länge des gesamten Beines bestimmt werden kann. Deshalb besteht die Vorrichtung unter anderem aus einem ersten Referenz system (31), das unmittelbar und fest am Becken knochen befestigbar ist (über die Schraube 62), einem zweiten Referenzsystem (79), das mit einem Band (72) am Femur anbringbar ist, und einem Zeiger instrument oder Pointer (50), mit dem die Position mindestens eines charakteri stischen Punktes am Becken knochen erfasst werden kann und einem Navigations system (26), mit dem die Positionen des ersten Referenz systems (31), des zweiten Referenzsystem (79) und des Pointers (50) erfasst werden können.
Die Vorrichtung gemäß D1 ist jedoch weder dafür konzipiert noch geeignet, die Längenveränderung eines Femurs zu bestimmen. Vielmehr ist sie dafür vorgesehen, die Länge des gesamten Beines, bei einem chirurgischen Eingriff zu bestimmen, bei dem der Becken knochen be arbeitet wird. Nach D1 soll der Femur möglichst un beeinträch tigt bleiben. Deswegen ist in der Vor richtung nach D1 die Befestigungsvorrichtung des Referenzsystems am Femur dafür ausgelegt, die äußerste Knochen schicht nicht zu beschädigen (siehe [0047]) und das Navigations system ist nicht dafür vorgesehen und auch nicht geeignet, die Längenveränderung des Femurs zu bestimmen.
Außerdem ist die Befestigungsvorrichtung des Referenz systems am Femurkopf gemäß D1 nicht geeignet, an der den Femur umgebenden Beinhaut befestigt zu werden.
Folglich ist die beanspruchte Vorrichtung gegenüber der aus D1 bekannten Vorrichtung neu und kann von ihr auch nicht nahegelegt sein.
3.3 D2 und D3 offenbaren Vorrichtungen zum Bestimmen der Länge eines Femurs bzw. eines Beines, bei denen die Referenzsysteme mit Dornen oder Stiften fest am Femur angebracht werden (siehe D2 Spalte 10, Zeilen 48 bis 52 und Figur 5; D3: Spalte 4, Zeilen 14 bis 16). Folglich offenbaren sie weder eine Vorrichtung, bei der ein Referenz system mit einem Band um die Haut herum befestigbar ist, noch können sie sie nahelegen.
Folglich beruht der Gegenstand des einzigen Anspruchs des Hilfsantrags auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der in diesen Entgegenhaltungen offenbarten Vorrichtungen.
4. Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, befasst die Beschwerdekammer bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Grosse Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält (Artikel 112 Absatz 1 a EPÜ (1973).
4.1 Wie unter Punkt 2.6 dargelegt beruht die Entscheidung T 836/08 darauf, dass jene Kammer die Bewertung der bei dem dort beanspruchten Verfahren notwendig vorauszu setzenden Verfahrensschritte anders vorgenommen hat und deshalb zu einem für die mit dem vorliegenden Fall identische Anmelderin positiven Ergebnis gekommen ist. Grund hierfür war indessen die unterschiedliche Ausfüllung des - jedem Spruchkörper bei seiner Ent scheidung zustehenden - Spielraums in der technischen Bewertung von Anspruchsmerkmalen und nicht die ab wei chende Anwendung von in der Rechtsprechung hierzu entwickelten allgemeinen Entscheidungsparametern. Dies folgt schon daraus, dass auch in jener Entscheidung die Grundsätze der G 1/07 angewandt worden sind.
4.2 Mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Frage, stellt sich auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Denn die Frage, ob jegliche Verfahren, die vor der Durchführung des Verfahrens einen chirurgischen Eingriff zum Erreichen des Verfahrensziels voraussetzen, nach Artikel 53 c) EPÜ verboten sind, ist derart weit und unbestimmt gefasst, dass ihre Beantwortung nicht erforderlich ist, um eine Entscheidung der Kammer über die vorliegende Beschwerde zu ermöglichen (vgl. Recht sprechung der Beschwerdekammern 6. Auflage, Kapitel VII. E. 14.2). Insbesondere die Wendungen "jegliche Verfahren" und "zum Erreichen des Verfahrensziels voraussetzen" sind zu unbestimmt, als dass eine solche Frage sinnvoll beantwortet werden könnte und damit übergeordnete Grundsätze als Parameter für Einzel entscheidungen entwickelt werden könnten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Maßgabe ein Patent zu erteilen auf folgender Grundlage:
Patentanspruch und Beschreibung Seiten 1a, 1b, 1c, 2 bis 7 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag, Zeichnungen Figuren 1 bis 3 wie veröffentlicht.
3. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.