European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T040208.20100422 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 April 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0402/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01989444.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | D04B 1/16 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung eines Verkleidungsmaterials für Kraftfahrzeuge | ||||||||
Name des Anmelders: | Finke, Heiner | ||||||||
Name des Einsprechenden: | 1. Eybl International AG/Eybl Trier GmbH + Co KG 2. Trevira GmbH |
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Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausführbarkeit - ja Neuheit - ja Erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 8. November 2001 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 8. November 2000 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 01989444.3 wurde das europäische Patent Nr. 1 334 224 mit 11 Ansprüchen erteilt.
Der Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Herstellung eines Verkleidungsmaterials für Kraftfahrzeuge, bei dem aus einem bereits spinngefärbten Garn (Schritt 1') ein Gewirke oder Gestricke hergestellt wird (Schritt 2'), das Gewirke oder Gestricke fixiert wird (Schritt 3') und das fixierte Gewirke oder Gestricke auf einem Untergrund angeordnet wird (Schritt 4'), dadurch gekennzeichnet, dass danach ein entstandener Farbumschlag ermittelt und durch Variieren der Farbgebung bei der Garnherstellung (Schritt 10') kompensiert wird."
II. Gegen das erteilte Patent wurden, gestützt auf die Einspruchsgründe der Artikels 100 a) EPÜ 1973, zwei Einsprüche eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt. Im Lauf des Einspruchsverfahrens wurde noch mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ 1973) geltend gemacht.
Mit ihrer am 14. Dezember 2007 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung die Einsprüche gegen das europäische Patent zurück. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das beanspruchte Verfahren ausführbar sei und die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfülle.
III. Gegen diese Entscheidung legten die Beschwerdeführerinnen am 21. Februar 2008 (Einsprechende 02) und am 26. Februar 2008 (Einsprechende 01) Beschwerde ein und bezahlten jeweils am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.
Mit ihren am 18. und am 24. April 2008 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründungen verfolgten die Beschwerdeführerinnen ihre Anträge auf Widerruf des europäischen Patents wegen mangelnder Patentfähigkeit gemäß Artikel 52 bis 57 EPÜ weiter. Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 01) reichte weitere Entgegenhaltungen zum Stand der Technik ein.
IV. Mit seiner Erwiderung vom 1. September 2008 trat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen in allen Punkten entgegen.
V. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach die neuen Dokumente anscheinend nicht vorveröffentlicht oder zumindest nicht datiert seien, so dass ihre Zulassung zum Verfahren fraglich sei. Es sei nicht dargelegt, was die von der Beschwerdeführerin II benannten Zeugen im einzelnen bestätigen sollten. Ausforschungsbeweise seien unzulässig. Die Beurteilung der Neuheit und der erfinderische Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung sei nicht zu beanstanden.
VI. Am 22. April 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, bei der der Beschwerdegegner, wie mit Schreiben vom 16. April 2010 angekündigt, nicht vertreten war. Folgende Entgegenhaltungen spielten in der Diskussion eine Rolle:
D1: DE-A-195 06 038
D5: EP-A-0 407 927
D6: EP-A-0 816 815
D7: US-A-5 369 4837
D13: Farbeigenschaften in textilen Flächen für automobile Formteile (Im Einspruchsverfahren von der Beschwerdeführerin I vorgelegte tabellarische Aufstellung).
Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 01 und 02) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 334 224.
Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte im schriftlichen Verfahren die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. Die Beschwerdeführerinnen brachten vor, soweit das beanspruchte Verfahren überhaupt eine Lösung des angegebenen Problems anbiete, sei diese jedenfalls naheliegend. Von jeher sei es die Anforderung der Kraftfahrzeughersteller an die Lieferenten von Verkleidungsmaterialien gewesen, eine Farbtreue der Oberflächen einzuhalten, zumal verschiedene Ausstattungsteile auch von verschiedenen Lieferanten bezogen wurden. Die geforderte Qualität könne nur am fertigen Produkt festgestellt werden, da im Lauf des Herstellungsverfahrens zwangläufig Farbveränderungen aufträten. Einerseits handle es sich um dünne, durchscheinende Gewirke oder Gestricke, so dass die Träger- bzw. Klebematerialien die Oberflächenfarbe beeinflusse. Andererseits spiele auch die Verarbeitungstemperatur eine Rolle. Deshalb bestehe die einzig sinnvolle Möglichkeit der Ermittlung des Farbumschlags beim fertigen Produkt, was selbstverständlich zum fachmännischen Grundwissen gehöre. Wenn ein Farbumschlag festgestellt werde, sei die nächstliegende Möglichkeit die Variation der Grundfarbe des Ausgangsmaterials, also des Garns.
Durch D1 sei ein Verfahren bekannt, das sämtliche Schritte des Oberbegriffs des Anspruchs 1 enthalte. Stelle man nun bei einem nach diesem Verfahren hergestellten Produkt einen Farbumschlag fest, so würden durch D5, D6 oder D7 entsprechende Verfahren angeboten, um die Grundfarbe des Kunststoffmasse zu beeinflussen, aus der das spinngefärbte Garn erzeugt werde.
Aus diesen Gründen erschöpfe sich die beanspruchte Lösung in fachüblichen Maßnahmen, die der Textilfachmann als selbstverständlich ansehe und ohne erkennbare erfinderische Leistung anwende.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat schriftlich vorgetragen, bis zum Prioritätstag des Patents seien mehrere aufwändige und kostenintensive Verfahrensschleifen erforderlich gewesen, um aufgrund individueller Abschätzungen durch den Einsatz unterschiedlich gefärbter Garne eine Annäherung an die Farbe des Endprodukts zu erreichen. Zwar sei es möglich gewesen, Abweichungen des gelieferten Produkts von der Färbung des Urmusters festzustellen, jedoch habe der Startwert für die Spinnfärbung während der Farbentwicklung nicht gemeinsam mit dem letztendlich gelieferten Muster zur Verfügung gestanden. Durch die Erfindung sei ein neuer Weg beschritten worden, wonach der Farbumschlag nur am Ende der Verfahrenskette ermittelt werde und in Kenntnis des Ausgangswertes am Anfang der Verfahrenskette kompensiert wird.
Da weder aus einer einzelnen der Entgegenhaltungen noch durch deren Kombination die erfindungsgemäße Lehre bekannt oder nahegelegt sei, sei das Verfahren nach Anspruch 1 neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ 1973)
2.1 In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung dargelegt, dass die Erfindung mit den Angaben aus der Patentschrift durch einen Fachmann ausführbar ist. Die Kammer schließt sich diesen logisch nachvollziehbaren Ausführungen vollinhaltlich an. Die Beschwerdeführerinnen haben im Beschwerdeverfahren nichts Ergänzendes vorgebracht, was hätte zu einer anderen Schlussfolgerung führen können.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
Mangelnde Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag wurde in der mündlichen Verhandlung seitens der Beschwerdeführerinnen nicht mehr geltend gemacht. Die Kammer sieht keinen Anlass, den zutreffenden Ausführungen der Einspruchsabteilung etwas hinzuzufügen.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
4.1 Ein Verfahren mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 ist aus D1 bekannt. Das mit diesem Verfahren hergestellte textile Flächengebilde ist gewirkt oder gestrickt (Seite 4, Zeilen 52 bis 55). Die verarbeiteten Garne können spinngefärbt sein und werden zur Erzielung dekorativer Effekte in verschiedenen Färbungen verarbeitet (Seite 6, Zeilen 4 bis 6). Hiervon unterscheidet sich das Verfahren nach Anspruch 1 durch die kennzeichnenden Merkmale.
4.2 Als Aufgabe ist in der Patentschrift angegeben, ein Verfahren zur Herstellung eines Verkleidungsmaterials für Kraftfahrzeuge, insbesondere zum Verkleiden des Himmels, der Säulen oder der Hutablage eines Kraftfahrzeugs, zu schaffen, das bei einem vergleichsweise leichten Gewicht eine gute Strukturoptik bzw. -haptik aufweist und relativ kostengünstig herstellbar ist (Spalte 2, Abschnitt [0007]). Diese weitreichende Aufgabe ist durch die kennzeichnenden Merkmale allerdings nicht gelöst. Nach Auffassung der Kammer geht es vielmehr darum, das oben angesprochene Verkleidungsmaterial mit gleichbleibender Farbqualität herzustellen. Gemäß Abschnitt [0009] soll mit dem Verfahren der Erfindung der bei der Herstellung entstehende Farbumschlag ermittelt und durch Variieren der Farbgebung bei der Garnherstellung kompensiert werden, damit das Endprodukt den gewünschten Farbton aufweist.
4.3 In dem Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren nach D1 ist zwar gesagt, dass spinngefärbte Garne in verschiedenen Färbungen verarbeitet werden, ein Anhaltspunkt für einen bei der Verarbeitung entstehenden Farbumschlag ist diesem Dokument jedoch nicht entnehmbar. Daher kann dieser Stand der Technik den Fachmann nicht zur beanspruchten Lösung anregen.
4.4 Die Beschwerdeführerinnen verwiesen auf den Stand der Technik nach D5 bis D7, wonach es für den Fachmann auf der Hand liege, die Farbe des spinngefärbten Garns bereits beim Spinnprozess zu überwachen und einzustellen. Diese Lehre geht im Prinzip nicht über die Offenbarung von D1 hinaus, denn auch dort wird das Garn in verschiedenen gewünschten Färbungen verarbeitet, was eine Farbeinstellung voraussetzt. Jedoch enthalten weder D1 noch D5 bis D7 einen Hinweis oder eine Anregung, aufgrund eines am Endprodukt ermittelten Farbumschlags die Garnfärbung zunächst so einzustellen, dass ein Garn in einer auf den ersten Blick "falschen" Garnfärbung erzeugt wird, das sich erst im Lauf der Verarbeitung in die "richtige" Farbe verändert.
4.5 Die Beschwerdeführerinnen wendeten ein, in der Fachwelt sei es allgemein bekannt, dass sich die ursprüngliche Garnfarbe bei der Herstellung von Verkleidungsmaterial für Kraftfahrzeuge durch die verschiedenen Verarbeitungsstufen zwangläufig ändere, wie durch die Farbe des Untergrunds, z.B. des Klebers oder des Schaums oder durch die Verarbeitungstemperatur. Deshalb würde der Fachmann den Farbumschlag zwangläufig am Endprodukt ermitteln, da das neben der unvollständigen Ermittlung zwischen den Verfahrenschritten die nächstliegende Möglichkeit sei. Außerdem sei in den abhängigen Ansprüchen des Patents auch die Möglichkeit vorhanden, eine Farbumschlag bereits in verschiedenen Verfahrensstufen und nicht erst am Endprodukt festzustellen. Die Ansprüche 6, 8 und 11 besagen jedoch, dass der Farbumschlag an den verschiedenen Bauteilen jeweils nur nach dem letzten Verfahrensschritt 5', 50' oder 400' ermittelt wird.
4.6 Einen Nachweis dafür, dass es dem Fachmann geläufig war, vor dem Prioritätstag den Farbumschlag immer am Endprodukt festzustellen und diesen dann durch Farbänderungen am Garn auszugleichen, konnten die Beschwerdeführerinnen nicht erbringen. Vielmehr wäre es ebenso naheliegend, die jeweilige Farbabweichung nach der jeweiligen Produktionsstufe zu ermitteln und zum Beispiel auch dort auszugleichen, zumal nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen die verschiedenen Verfahrensschritte bei der Produktion der Verkleidungsmaterialien in der Praxis in der Regel bei verschiedenen Herstellern durchgeführt werden.
4.7 Da somit nicht nachgewiesen worden ist, dass das Verfahren nach Anspruch 1 durch den Stand der Technik in Verbindung mit dem Wissen und Können des einschlägigen Fachmanns vor dem Prioritätstag nahegelegt war, ist die Entscheidung der Einspruchabteilung zu bestätigen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.