European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T166007.20090917 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 September 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1660/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00126252.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B22D 11/12 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Formatdickenänderung des Gussstranges unterhalb der Kokille einer Stranggiessanlage | ||||||||
Name des Anmelders: | SMS Siemag AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens VAI Metals Technologies GmbH & Co | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (bejaht) Erfinderische Tätigkeit (bejaht) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-B1-1 108 484 betrifft ein Verfahren zur Formatdickenänderung des Gußstranges einer Stranggießanlage im kontinuierlichen Gießbetrieb. Gegen das erteilte Patent hatte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent zu widerrufen, weil sein Gegenstand nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei (Artikel 100 a) i.V.m. 52(1), 54(1) und 56 EPÜ).
II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das Patent auf Grund von mangelnder erfinderische Tätigkeit zu widerrufen. Die Entscheidung ist am 10. September 2007 zur Post gegeben worden.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 25. September 2007 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet und am 10. Januar 2008 ihre Beschwerde begründet.
IV. In einer Mitteilung vom 8. Mai 2009 hat die Kammer eine vorläufige Stellungnahme abgegeben. Als Antwort hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17. Juli 2009 geänderte Ansprüche als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht und die Beschwerdegegnerin hat mit Schreiben vom 9. Juli 2009 neue Dokumente D6 und D7 eingereicht.
Eine mündliche Verhandlung fand am 17. September 2009 statt.
V. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und die Aufechterhaltung des Patents entweder wie erteilt (Hauptantrag) oder auf Basis ihrer Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht am 17. Juli 2009.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Ansprüche
Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Formatdickenänderung des Gußstranges einer Stranggießanlage im kontinuierlichen Gießbetrieb, wobei der Gußstrang (9) unterhalb einer Kokille (10) zu beiden Seiten mit einander gegenüberliegenden Rollenträgern (8,8´) in Wirkverbindung steht, die in einer Folge von rollentragenden Segmenten (n=1 bis i) aufgeteilt sind und jedes Segment für sich in einen Winkel zum Gußstrang (9) einstellbar ist, und wobei in einer Ausgangsposition die gesamte zu ändernde Strangführung auf eine Produktionsformatdicke eingestellt ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass bei konstanter Gießgeschwindigkeit die Formatänderung in einer geregelten Folge Verstellschritten der Segmente (n=1 bis i)
- bei einer Formatdickenreduzierung durch in Gießrichtung sequentielles Zufahren der einander in Reihe folgenden Segmente (n=1 bis i) und
- bei einer Formatdickenerhöhung durch sequentielles Erweitern in Gießrichtung der einander in Reihe folgenden Segmente (n=1 bis i) vorgenommen wird, und
- dass bei der Formatdickenänderung jeweils eine Übergangslänge der Dickenänderung erzeugt wird, die wenigstens 50%, bevorzugt 80 bis 90% einer Brammenlänge beträgt."
Die abhängigen Anspruche 2 bis 9 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Verfahrens.
VII. Stand der Technik
Die Einspruchsabteilung hat u.a. die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen:
D1: H. Streubel, "Liquid Core Reduction beim
Dünnbrammengießen - Konzepte und Betriebsergebnisse", Stahl und Eisen, 119, Nr. 6/7, Seiten 123 bis 126, 7. Juni 1999.
D2: EP-A-1 070 559
(Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ)
Mit Schreiben vom 9. Juli 2009 nannte die Beschwerdegegnerin weiter:
D6: G.E. Kuebler und W.D. Huskonen, "First Report:
SDI Starts Up Second Generation Thin-Slab Mill", 33 Metalproducing, Seiten 27 bis 64, April 1996.
D7: W. Henning und F. Hofmann, "CSP technology: The
most efficient way to produce high quality hot strip - latest developments and results", Proceedings of Fifth German Technology Symposium & Exhibition, Seiten 8 bis 9, Bangkok, Thailand, 5. bis 9. November 1996.
VIII. Vorbringen der Parteien
Neuheit
a) Dokument D2
- Vorbringen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass in D2 eine Übergangslänge nicht erwähnt sei und deshalb das in Anspruch 1 definierte Merkmal, dass die Übergangslänge wenigstens 50% einer Brammenlänge beträgt, nicht der D2 zu entnehmen sei.
- Vorbringen der Beschwerdegegnerin:
Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass Anspruch 1 und D2 das gleiche Verfahren beträfen. Obwohl eine Übergangslänge der Dickenänderung von wenigstens 50% einer Brammenlänge in D2 nicht explizit erwähnt sei, müsse die Übergangslängen in beiden Verfahren dieselbe sein. Sie verwies auf die gleiche Formel in Absatz [0021] der D2 und Absatz [0028] des Streitpatents und folgerte, dass in beiden Fälle die Übergangslänge der Segmentlänge entspreche. Da die Übergangslängen gleich seien, müsse die Übergangslänge nach D2 zwangsweise auch wenigstens 50% der Brammenlänge sein.
Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, dass der Begriff "Brammenlänge" unbestimmt und im Streitpatent nicht vorgegeben sei. Dieses Merkmal sei deshalb inhaltsleer und als irrelevant anzusehen.
Da D2 alle restlichen Merkmale offenbare, sei das Verfahren des Anspruchs 1 nicht neu.
b) Dokument D1
- Vorbringen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin führte aus, dass eine Brammenlänge nicht beliebig, sondern im Wesentlichen vorgegeben sei durch ein gewünschtes Coilgewicht für das später aus der Bramme resultierende Metallband; bei Dünnbrammengießanlagen könne die Brammenlänge 48 m betragen. Der Begriff "Brammenlänge" sei daher für den Fachmann klar.
D1 enthalte die Information, zur Reduzierung der Strangdicke zunächst Segment 1 soweit zuzufahren, dass die beiden Strangschalen miteinander verschweißt werden. Die dabei erzeugte Abquetschdicke sei kleiner als die Zieldicke und, erst nachdem auch Segment II auf die gewünschte Zieldicke zugefahren worden sei, werde Segment I auf die Zieldicke wieder aufgefahren. Gegenüber dem in Anspruch 1 definierten Verfahren in D1 erfolge daher kein sequentielles Zufahren der einander nachgeordneten Segmente.
Gemäß der D1 werden kurze Übergangslänge angestrebt, um Schopfverluste zu minimieren. Die dort erzeugten Übergangslänge seien im Vergleich zur Brammenlänge sehr kurz und weisen relativ große und stark schwankende Dickengradienten auf. Das beanspruchten Verfahren habe ein anderes Ziel, nämlich eine große Übergangslänge zu erreichen, die einen im Wesentlichen konstanten und geringen Dickengradienten aufweise.
- Vorbringen der Beschwerdegegnerin:
Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass die Formatdickenreduzierung gemäß Anspruch 1 so interpretiert werde, dass sie ein geregeltes Zufahren der in Gießrichtung aufeinander folgenden Segmente 1, 2 bis i umfasse. Dieses Merkmal bedeute nicht unbedingt, dass die Segmente bei der Formatdickenreduzierung mittels einer geregelten Folge von Verstellschritten von einer Ausgangsdicke auf eine Zieldicke zugefahren werden. Obwohl nach D1 Segment 1 zuerst zugefahren und danach auf die Zieldicke aufgefahren werde, sei diese Bewegung vom Wortlaut des beanspruchten Verfahrens nicht ausgeschlossen. D1 offenbare trotzdem ein Verfahren, bei dem Segment 1, Segment 2, bis Segment i zugefahren werden.
Nach D1 (Seite 124, rechte Spalte) werden Übergangsbrammen mit definierten Längen erzeugt. Die Übergangslänge entspreche daher einer "Brammenlänge", und deshalb wenigstens 50% einer Brammenlänge, auch wenn die Längserstreckung einer Bramme unklar sei.
Alle in Anspruch 1 definierten Merkmale seien daher der D1 zu entnehmen.
Erfinderische Tätigkeit
- Vorbringen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass das beanspruchte Verfahren den Vorteil habe, dass nachgeschaltete Walzgerüste solche Brammen regelungstechnisch problemlos bearbeiten können, sodass es nicht erforderlich sei, die Übergangsstücke zu verwerfen. Die Aufgaben gemäß D1 und gemäß dem Streitpatent stünden sich zumindest teilweise diametral entgegen; während in der D1 die Aufgabe darin bestehe, die Übergangslänge zu minimieren, ziele die Lehre gemäß Anspruch 1 darauf ab, möglichst große Übergangslängen zu realisieren. Ausgehend von D1 lasse sich daher das in Anspruch 1 definierte Verfahren nicht in naheliegender Weise ableiten.
- Vorbringen der Beschwerdegegnerin:
Wenn das Unterschiedsmerkmal des Verfahrens gemäß Anspruch 1 gegenüber D1 darin gesehen würde, dass bei der Formatdickenreduzierung die in Gießrichtung in Reihe folgenden Segmente sequentiell zugefahren werden, bestehe die objektive Aufgabe darin, ein Verfahren zur Formatdickenreduzierung anzugeben, bei dem die Länge des Übergangsstücks reduziert werden könne.
D6 offenbare (Seite 29 unteres Bild) eine Lösung, nämlich bei einer Dickenreduzierung eines Gußstranges die einander in Gießrichtung in Reihe folgenden Segmente sequentiell auf die Zieldicke zuzufahren. Der Fachmann würde die Vorteile dieser Lehre erkennen und sie ohne Schwierigkeiten auf das Verfahren gemäß D1 anwenden. Diese Verfahrensschritte zur Dickenreduzierung seien auch aus dem Dokument D7 (Seiten 8 bis 9) bekannt, mit dem Hinweis, dass hiermit die Länge des Übergangsstücks reduziert werden könne.
Folglich mangele es dem Gegenstand des Anspruchs 1 in Anbetracht von entweder D1 und D6 oder D1 und D7 an erfinderischer Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Stand der Technik
2. Dokument D2
D2 gilt als Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ und daher ist nur für die Beurteilung der Neuheit in Betracht zu ziehen.
3. Dokumente D6 und D7
Die Druckschriften D6 und D7 wurden mit Schreiben vom 9. Juli 2009, d.h. nach Einreichung der Erwiderung der Beschwerdegegnerin, eingereicht. Gemäß Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, derartige Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten zuzulassen und zu berücksichtigen.
D6 betrifft ein Stranggießverfahren und offenbart eine Formatdickenreduzierung eines Gußstranges durch in Gießrichtung sequentielles Zufahren der einander in Reihe folgenden Segmente auf die Zieldicke. Da die D6 prima facie als sehr relevant anzusehen ist, wird sie gemäß Artikel 13(1) VOBK berücksichtigt.
Bei der D7 handelt sich um eine Zusammenfassung eines Vortrags bei einer Konferenz. Die Umstände der Veröffentlichung der D7 sind nicht bekannt und es ist nicht feststellbar, ob die technische Lehre der D7 der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich war. Ferner scheint D7 nicht mehr relevant als D6 zu sein, da sie ein ähnliches Verfahren offenbart. Daher übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK so aus, dass sie dieses Dokument nicht berücksichtigt.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4. Dokument D2
4.1 D2 offenbart ein Verfahren zur Formatdickenänderung des Gußstranges, welches alle Merkmale des Anspruchs 1 mit der Ausnahme, dass die Übergangslänge als wenigstens 50% der Brammenlänge definiert ist, aufweist.
4.2 Die D2 sowie das Streitpatent benutzen die gleiche Formel (Absatz [0021] der D2 und Absatz [0028] des Streitpatents) zur Berechnung der Verstellgeschwindigkeit (v) in Abhängigkeit der gewünschten Formatdickenänderung (Ds), der Segmentlänge (Ls) und der aktuellen Gießgeschwindigkeit (Vgiess):
V = Ds/Ls * Vgiess (1)
Die Kammer folgt den Ausführungen der Beschwerdegegnerin dahingehend, dass
V = Ds/t (2) und
Vgiess = Ul/t (3)
wobei "t" die Zeit für die Dickenänderung und "Ul" die Übergangslänge bedeutet.
Formel (1) kann deshalb unter Berücksichtigung der Gleichungen (2) und (3) geschrieben werden:
Ds/t = Ds/Ls * Ul/t (4)
Deshalb gilt die Schlussfolgerung, dass die Segmentlänge (Ls) und die Übergangslänge (Ul) gleich sind.
D2 offenbart daher eine Übergangslänge, die einer Segmentlänge entspricht, und das Streitpatent enthält auch ein Ausführungsbeispiel, nach dem die Übergangslänge gleich der Segmentlänge ist.
4.3 Jedoch definiert Anspruch 1 das zusätzliche Merkmal, dass die Übergangslänge wenigstens 50% einer Brammenlänge betragen muss. Im Streitpatent muss daher diese Bedingung erfüllt werden. Um Neuheit zu verneinen, müsste sich dieses Merkmal eindeutig und unmittelbar aus D2 ergeben.
In D2 sind aber weder die Segmentlänge, die Übergangslänge noch die Brammenlänge diskutiert. Die Brammenlänge liegt bei einem konventionellen Stranggießverfahren typischerweise im Bereich 5 bis 12m und kann beim Stranggießen von Dünnplatten bis zu 50m betragen. Keine der genannten Druckschriften gibt einen Hinweis auf Segmentlängen. Es ist daher nicht mit absoluter Sicherheit möglich zu sagen, dass die Segmentlänge in D2 größer als 50% der Brammenlänge ist.
4.4 Es ist zwar wahrscheinlich, dass im Verfahren nach D2 die Bedingung des Anspruchs 1 erfüllt ist. Jedoch beruht das Kriterium für Neuheit nicht auf Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Es muss vielmehr sicher sein, dass die technische Information des Dokuments und des Anspruchs identisch ist (siehe z.B. T 464/07 Punkt 16 und T 231/01 Punkt 5.6). In diesem Fall enthält D2 weder ein Beispiel, nach dem die Bedingung des Anspruchs 1 erfüllt ist, noch einen Hinweis, dass die Übergangslänge auf die Brammenlänge ausgerichtet sein soll. Aufgrund dieser Zweifel kann das Patent nicht wegen fehlender Neuheit widerrufen werden.
5. Dokument D1
Nach dem in D1 beschriebenen Verfahren (siehe D1, Seite 124 "Reduzierung der Strangdicke") wird zunächst das erste Segment I zugefahren, um beiden Strangschalen zusammenzudrücken und miteinander zu verschweißen. Die Dicke des dabei geschweißten Strangs ist kleiner als die gewünschte Strangdicke. Nach dem Zufahren der folgenden Segmente (II und III) auf die gewünschte Strangdicke muss deshalb das erste Segment I auf die gewünschte Strangdicke nicht zugefahren, sondern wieder aufgefahren werden.
Anspruch 1 des Streitpatents definiert eine geregelte Folge der Verstellschritte der Segmente, sodass bei einer Dickenreduzierung ein in Gießrichtung sequentielles Zufahren der Segmente vorgenommen wird. Es ist deshalb die Frage, ob trotz des Auffahrens des Segments I im Verfahren der D1 dieses Merkmal offenbart ist.
Der Maßstab für den Offenbarungsgehalt der D1 und des Streitpatents ist, was der Fachmann verstehen würde. Das Streitpatent sowie D1 betreffen die Reduzierung eines Gußstranges ohne die Unterbrechung des Gießbetriebs. Nach D1 werden die Strangschalen zusammengeschweißt, sodass kein flüssiger Kern vorhanden ist; ohne ferrostatischen Druck können die weiteren Segmente (I und II) kraftfrei auf die gewünschte Strangdicke zugefahren werden. Da das Material der Übergangslänge bei Dickeänderungen der Brammen in der weiteren Walzstrasse nicht benutzt werden kann, wird durch dieses Verfahren eine kurze Übergangslänge erzeugt und damit der Verlust des Stahls minimiert.
Im Gegensatz dazu hat das Verfahren nach Anspruch 1 nicht den Zweck, die Übergangslänge zu reduzieren, sondern sie so auszubilden, dass es möglich ist, das Material der Übergangslänge zu walzen. Wie in Anspruch 1 definiert ist, erfolgt dies durch ein in Gießrichtung sequentielles Zufahren der einander in Reihe folgenden Segmente, sodass die Dickenänderung über eine Übergangslänge erzeugt wird, die wenigstens 50% einer Brammenlänge beträgt. Der Strang nach diesem Verfahren hat eine allmähliche Dickenänderung, die verwalzt werden kann, während der Strang nach D1 einen starken Dickengradient aufweist.
Das Streitpatent und D1 betreffen daher ganz unterschiedliche Verfahren. Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass die in Anspruch 1 gegebene Definition ein Auffahren von Segment 1, wie in D1 beschrieben ist, nicht ausschließt. Der Fachmann würde jedoch erkennen, dass das Auffahren des Segmentes I nach dem Zusammenschweißen der Strangschalen inkompatibel mit dem Zweck des in Anspruch 1 definierten Verfahren und deshalb ausgeschlossen ist.
Das Verfahren nach Anspruch 1 unterscheidet sich daher von dem in D1 beschriebenen Verfahren dadurch, dass die Formatdickenreduzierung durch in Gießrichtung sequentielles Zufahren der einander in Reihe folgenden Segmente erfolgt. Da Neuheit gegeben ist, wenn nur ein Unterschiedsmerkmal vorliegt, erfüllt das Verfahren des Anspruchs 1 die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6. Das Streitpatent sowie D1 betreffen die Formatdickenänderung des Gußstranges einer Stranggießanlage im kontinuierlichen Gießbetrieb; deshalb wird D1 als ein geeigneter Ausgangspunkt zur Beurteilung erfinderischer Tätigkeit angesehen.
7. Ausgehend von D1 liegt dem Streitpatent die objektive Aufgabe zugrunde, den Verlust des Materials der Übergangslänge bei einer Formatdickenreduzierung noch weiter zu reduzieren.
8. Die beanspruchte Lösung ist ein in Gießrichtung sequentielles Zufahren der einander in einer Reihe folgenden Segmente, sodass die Übergangslänge der Dickenänderung wenigstens 50% einer Brammenlänge beträgt. Das Material der Übergangslänge kann dann ohne Verlust weiter in der Walzstrasse gewalzt werden.
9. Diese Lösung lässt sich aus der D1 nicht ableiten, weil die D1 ein ganz anderes Verfahren zur Formatreduzierung offenbart (siehe Absatz 5 oben). Insbesondere ist die Lösung nach D1 darauf gerichtet, die Übergangslänge zu reduzieren und damit den Verlust zu minimieren (siehe D1, Seite 124, rechte Spalte). Das Merkmal, dass die Strangschalen miteinander verschweißt werden, ist wesentlich bei diesem Verfahren und schließt eine allmähliche Dickenänderung über eine relative lange Übergangslänge aus.
Im Gegensatz zu D1 wird nach dem beanspruchten Verfahren die Übergangslänge nicht minimiert. Vielmehr wird sie auf eine Mindestlänge (wenigstens 50% einer Brammenlänge) ausgedehnt, so dass der Grad der Dickenänderung klein ist und die Übergangslänge ohne Verlust gewalzt werden kann.
10. Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass sich diese Lösung aus der D6 ergebe. D6 (Seite 29) offenbart die Formatdickenreduzierung eines Gußstranges durch das sequentielle Zufahren der in Gießrichtung in Reihe folgenden Segmente auf die Zieldicke. Jedoch betrifft die Darstellung auf Seite 29 lediglich den Start des Gießverfahrens, bei dem ein Anfahrstrang benutzt wird, und danach werden die Segmente sequentiell auf die Zieldicke zugefahren. Eine Formatdickenreduzierung oder Formatdickenerhöhung des Gußstranges während eines kontinuierlichen Gießbetriebs, wobei sich eine Übergangslänge ergibt, ist nicht beschrieben. Es ist nicht der D6 zu entnehmen, wie Verluste des Materials der Übergangslänge minimiert bzw. eliminiert werden könnten. Das Verfahren nach Anspruch 1 ergibt sich damit nicht in naheliegender Weise aus diesem Stand der Technik.
11. Nach Absatz [0011] der Beschreibung liegt dem Streitpatent u.a. die Teilaufgabe zugrunde, die Übergangslänge des Stranges während der Formatdickenänderung zu verkürzen, um Produktionsverluste zu reduzieren. Anspruch 1 definiert aber eine Mindestübergangslänge und daher war die Einspruchsabteilung der Meinung, dass die Teilaufgabe nicht gelöst und deshalb das beanspruchte Verfahren nicht erfinderisch sei.
Nach ständiger Rechtsprechung kann die Patentinhaberin eine in der Beschreibung genannte spezifische Aufgabe hinsichtlich neu eingeführter Stand der Technik abändern. Wenn insbesondere die im Patent formulierte Aufgabe nicht im Sinne der Erfindungsmerkmale gelöst wurde, muss sie an den Stand der Technik und tatsächlichen technischen Erfolg angepasst werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 5. Auflage, I.D.4.3.2). In diesem Fall muss die Aufgabe ausgehend von D1 angepasst werden, mit dem Schluss, dass die Lösung nicht offensichtlich und daher erfinderisch ist.
Hilfsantrag
12. Da dem Hauptantrag stattgeben werden kann, ist es nicht nötig, die Hilfsanträge in Betracht zu ziehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der
Anordnung zurückverwiesen das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.