T 1649/07 () of 6.8.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T164907.20090806
Datum der Entscheidung: 06 August 2009
Aktenzeichen: T 1649/07
Anmeldenummer: 99906137.7
IPC-Klasse: B66D 5/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bremseinrichtung und Verfahren zum Abbremsen von Rolltreppen bzw. Rollsteigen
Name des Anmelders: Kone Corporation
Name des Einsprechenden: INVENTIO AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 16. Januar 1999 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 2. Februar 1998 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 99906137.7 wurde das europäische Patent Nr. 1 053 206 mit 8 Ansprüchen erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

III. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung mit ihrer am 6. August 2007 zur Post gegebenen Entscheidung widerrufen.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem einzigen Antrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 25. September 2007 Beschwerde ein und bezahlte am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.

Mit ihrer am 7. Dezember 2007 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründung verfolgte sie ihren Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents mit einem Hauptantrag und 4 Hilfsanträgen weiter.

V. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2009 ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach Zweifel an die Zulässigkeit der von der Beschwerdeführerin noch weiterverfolgten Anträge bestünden. Die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung sei nicht zu beanstanden.

VI. Am 6. August 2009 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag einreichte. Folgende Entgegenhaltungen wurden diskutiert:

E1: DE-A-35 09 207

E2: Das Anhalten/Abbremsen von Fahrtreppen und die Gefahr eines Sturzes der Benutzer, Dr. Lufi Al-Sharif, Lift-Report, 22. Jg (1996), Heft 6, Seiten 34 bis 38

E5: Fahrtreppen Normenausschreibung 1996 des Magistrats der Stadt Wien

E7: Europäische Norm DIN EN 115, Juni 1995

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder des Hilfsantrags, beide eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 6. August 2009.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wurde durch Zusammenfassung der erteilten Ansprüche 1, 3 und 4 gebildet und lautet:

"Verfahren zum lastunabhängigen Abbremsen des Stufen- bzw. Palettenbandes einer Rolltreppe bzw. eines Rollsteiges, indem beim Ansprechen mindestens eines Sicherheitselementes über den Antriebsmotor die Geschwindigkeit des Stufen- bzw. Palettenbandes reduziert wird, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens ein mit dem Antriebsmotor(4) zusammenwirkender Frequenzumformer (6) so angesteuert wird, daß eine zeitabhängige Bremsrampe (3) aktiviert wird, über welche die Geschwindigkeit (v) des Stufen- bzw. Palettenbandes im wesentlichen mit gleichbleibender Vergrößerung bis auf den Wert 0 m/s gebracht wird, daß der Frequenzumformer (6) als Betriebsbremse und eine Stillstandsbremse (9) als Sicherheitseinrichtung bei Störungen im Bereich des Frequenzumformers (6) und/oder einer Steuerung (5) vorgesehen werden, und daß bei Abweichungen von der Sollkurve der Bremsrampe (3) die Stillstandsbremse (9) unter Einhaltung des maximalen Bremsweges (b) des Stufen- oder Palettenbandes unverzüglich aktiviert wird, wobei die Auswertung mittels eines im Bereich der Steuerung (5) der Rolltreppe bzw. des Rollsteiges vorgesehenen Mikroprozessor erfolgt."

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag umfasst den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, an den die Merkmale des erteilten Anspruchs 5 angefügt wurden:

"... und daß bei Fehlinformationen sowohl im Bereich des Frequenzumformers (6) als auch im Bereich der Steuerung (5) bei einer vorgebbaren Überwachungszeit die Stillstandsbremse (9) einfällt und der Frequenzumformer (6) vom Antriebsmotor (4) getrennt wird."

VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte, beim Verfahren nach E1 würden die elektrische und die mechanische Bremse parallel betrieben. Gegenüber einer aus E1 bekannten Thyristorschaltung weise die Erfindung den Vorteil auf, dass kein Umschalten von Wechselstrom auf Gleichstrom erforderlich sei und sie daher verzögerungsfrei arbeite. Die Druckschriften E2, E5 und E7 enthielten keinen Hinweis auf eine zeitabhängige Bremsrampe. Der in E2 beschriebene Sicherheitszeitgeber sei nicht vergleichbar mit der vorgebbaren Überwachungszeit bis zum Einfall der Stillstandsbremse bei Fehlinformationen sowohl im Bereich des Frequenzumformers als auch im Bereich der Steuerung.

VIII. Die Beschwerdegegnerin brachte vor, das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsantrag sei durch den Stand der Technik nahegelegt. Wie beispielsweise E2 und E7 zeigten, sei es zum Prioritätszeitpunkt fachüblich gewesen, mit frequenzgesteuerten Motoren als Bremsen zu arbeiten und die Steuerung mit Mikroprozessoren durchzuführen. Die Breite der Formulierung des Anspruchs umfasse nach dem Wortlaut auch das in E2 genannte Zeitsignal. Ausgehend von E1 gelange der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zu den beanspruchten Lösungen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1 Der jeweilige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag wurde durch die Zusammenfassung der erteilten Ansprüche 1, 3 und 4 bzw. 1, 3, 4 und 5 gebildet, wobei eine Anpassung im Teil aus dem erteilten Anspruch 3 erforderlich war.

2.2 Der erteilte Anspruch 1 enthält einen offensichtlichen Fehler, denn dort heißt es in der vorletzten und letzen Zeile "im wesentlichen mit gleichbleibender Vergrößerung", was keinen Sinn ergibt. Da es sich hier um einen Bremsvorgang handelt, muss es sinngemäß "im wesentlichen mit gleichbleibender Verzögerung" heißen. Soweit von Bedeutung für die Entscheidung, wird von diesem Sinngehalt im jeweiligen geänderten Anspruch 1 ausgegangen.

2.3 Da es sich vorliegend um einen offensichtlichen Fehler handelt, sind die Ansprüche zulässig und genügen insoweit den Erfordernissen des EPÜ.

3. Neuheit

Die Neuheit der Gegenstände des jeweiligen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag wurde in der Beschwerde nicht angegriffen. Der nächstliegende Stand der Technik nach E1 offenbart zumindest nicht die Merkmale, dass ein Frequenzumformer vorhanden ist und die Steuerung mit Hilfe eines Mikroprozessors erfolgt. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass das Neuheitserfordernis erfüllt ist.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Hauptantrag

4.1.1 Als nächstkommender Stand der Technik wurde unstreitig die Entgegenhaltung E1 angesehen. Diese Druckschrift beschreibt ein Verfahren zum lastunabhängigen Bremsen einer Rolltreppe, in dem beim Ansprechen mindestens eines Sicherheitselementes über den Antriebsmotor die Geschwindigkeit reduziert wird. Eine mit dem Antriebsmotor zusammenwirkende Thyristorschaltung wird so angesteuert, dass eine zeitabhängige Bremsrampe aktiviert wird, über welche die Geschwindigkeit bis auf den Wert 0 m/s gebracht wird. Dabei wirkt die Thyristorschaltung zusammen mit dem Antriebsmotor als Betriebsbremse (Ansprüche 1 und 2). Als Sicherheitseinrichtung ist eine weitere mechanische Bremse vorgesehen, die bei einer Störung in der elektrischen Bremssteuerung aktiviert wird (Seite 5, 2. Absatz). Bei Abweichungen von der Sollkurve der Bremsrampe wird die mechanische Bremse aktiviert, wobei die Auswertung mittels einer elektronischen Schaltung erfolgt (Seite 8, Absatz 2).

4.1.2 Die in der Patentschrift formulierte Aufgabe, zur Erhöhung der Sicherheit und zur Einhaltung der in den einschlägigen Normen geforderten Bremswege sowie zur Reduzierung des mechanischen Aufwandes ein lastunabhängiges Bremsverfahren bei weitgehender Verschleißfreiheit zu konzipieren ist durch das bekannte Verfahren im wesentlichen gelöst. Die objektive Aufgabe ist daher darin zu sehen, das bekannte derartige Verfahren mit den verfügbaren technischen Mitteln zu modernisieren, ein Problem, welches sich dem Fachmann in der täglichen Praxis stellt.

Eine Lösung dieses technischen Problems ist im Anspruch 1 angegeben.

4.1.3 E1 offenbart ein Bremsverfahren, bei dem die Verzögerung anhand einer definierten Bremsrampe gesteuert wird. Kommt es beim regulären Bremsbetrieb zu Störungen, z.B. weil der Bremsstrom nicht ausreicht, wird zusätzlich eine mechanische Bremse aktiviert (Seite 5, 2. Absatz). Diese am Prioritätszeitpunkt von E1 im Jahr 1984 aktuelle Thyristorschaltung ist technisch veraltet. Bei der Suche nach einer Verbesserung des aus E1 bekannten Verfahrens zum lastunabhängigen Bremsen zieht der Fachmann daher den zum Prioritätszeitpunkt des angegriffenenen Patents verfügbaren Stand der Technik zu Rate. So findet er im einschlägigen Fachgebiet die Anregung, die veraltete Technik der Thyristorschaltung durch Frequenzumformer zu ersetzen, mit denen die Drehzahlsteuerung des Antriebsmotors zum Abbremsen gut lösbar ist. Dass derartige Frequenzumformer am Prioritätstag des Patents in der Praxis eingesetzt werden, ergibt sich z.B. aus E2 (Seite 40, linke Spalte bis mittlere Spalte) oder E5 (Seite 27, Abschnitt 13.3).

4.1.4 Weiterhin weiß der Fachmann am Prioritätstag des Patents aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis, dass anstelle der veralteten Technik der aufwändigen Steuerschaltungen mit Transistoren und Vergleichern moderne Mikroprozessoren zum Einsatz kommen, wie z.B. in E5 (Seite 32, Abschnitt 14.1) beschrieben. Er ist daher angeregt, das aus E1 bekannte Bremsverfahren und die entsprechende Steuerung mit den modernen verfügbaren Mitteln wie Frequenzumrichter und Mikroprozessor durchzuführen.

4.1.5 Die Anordnung von E1 enthält möglicherweise eine dritte Bremse, der Schwerpunkt jener Erfindung liegt jedoch in der elektrodynamischen Bremswirkung ohne auf die weitere mechanische Bremswirkung näher einzugehen. Betrachtet der Fachmann die Lehre von E1 in Kenntnis des durch E2, E5 und E7 repräsentierten Standes der Technik, erkennt er ohne weiteres, dass bei diesen Anlagen immer zwei Bremsen vorhanden sein müssen, von denen eine jedenfalls mechanisch wirkt. E7 enthält den konkreten Hinweis, bei Verwendung einer nicht elektromechanischen Bremse eine Zusatzbremse vorzusehen (Abschnitt 12.4.1.2). Der Fachmann würde daher schon aus Kostengründen nicht noch eine dritte Bremse vorsehen, sondern die Zusatzbremse auch als Stillstandsbremse verwenden. Somit gelangt er, angeregt durch die Hinweise des Standes der Technik, allein durch fachliche Überlegungen mit den bekannten Maßnahmen ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1.

4.2 Hilfsantrag

4.2.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag enthält das weitere Merkmal des erteilten Anspruchs 5, dass bei Fehlinformationen sowohl im Bereich des Frequenzumformers (6) als auch im Bereich der Steuerung (5) bei einer vorgebbaren Überwachungszeit die Stillstandsbremse (9) einfällt und der Frequenzumformer (6) vom Antriebsmotor (4) getrennt wird.

4.2.2 Bereits in der Norm E7 (Abschnitt 1.4.1.2.3.1 und folgende) ist festgelegt, dass ein alleiniger Fehler noch nicht zum Feststellen eines gefährlichen Betriebszustandes führen muss. Tritt allerdings ein weiterer Fehler auf, so kann das zum Stillsetzen der Fahrtreppe oder des Fahrsteigs führen. Aus E2 (aaO) ergibt sich ebenfalls, dass ein Sicherheitskreis vorhanden sein muss, der einerseits bei Störung einen Bremsvorgang einleitet und andererseits nach einer Sicherheitszeit den Frequenzumformer abschaltet und die mechanische Bremse einfallen lässt.

4.2.3 Der Fachmann wird daher angeregt, diese bekannten Maßnahmen zur Sicherheitssteuerung einer Rolltreppe oder eines Rollsteigs anzuwenden, um die erforderliche Betriebssicherheit zu gewährleisten. Er erhält so die in Anspruch 1 angegebene Lösung, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden.

4.3. Da somit weder der Hauptantrag noch der Hilfsantrag gewährt werden kann, fehlt eine Grundlage für die beantragte Aufrechterhaltung des Patents.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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