European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T080907.20100415 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 April 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0809/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00920511.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09D 5/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Anstrichmittel- und Beschichtungsmittelsysteme | ||||||||
Name des Anmelders: | LANXESS Deutschland GmbH et al. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | BASF SE | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausführbarkeit (nein) - kein Hinweis im Patent, wie auch außerhalb der angegebenen Ausführungsbeispiele die in den Ansprüchen geforderte gute Dispergierbarkeit erreicht werden kann | ||||||||
Orientierungssatz: |
Wenn die Patentansprüche zwingend vorsehen, dass ein bestimmtes Ziel erreicht wird (im vorliegenden Fall, dass ein bestimmter Wert eines Parameters unterschritten wird), so ist die Ausführbarkeit gemäß Artikel 100(b) EPÜ nicht gewährleistet, wenn das Patent dem Fachmann keinen Hinweis darauf gibt, der es ihm erlaubt, auch außerhalb der Ausführungsbeispiele ohne unzumutbaren Forschungsaufwand dieses Ziel zu erreichen. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaber reichten gemeinsam Beschwerde ein gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 169 394 zu widerrufen.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent in vollem Umfang. Er war gestützt auf Gründe gemäß Artikel 100(a) (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und 100(b) EPÜ.
III. Die angefochtene Entscheidung basierte auf den Ansprüchen in der erteilten Fassung (Hauptantrag) und den mit dem Schreiben vom 11. April 2007 eingereichten Ansprüchen der Hilfsanträge 1 bis 6.
Der Hauptantrag umfasste neun Ansprüche, dessen erster wie folgt lautet:
"1. Anstrichmittel- und Beschichtungsmittelsystem, enthaltend
a) wenigstens eine Feststoffkomponente, enthaltend wenigstens ein anorganisches oder organisches Weiß-, Schwarz- oder Buntpigment, anorganische oder organische Füllstoffe oder Mischungen davon und
b) wenigstens eine Bindemittelkomponente,
dadurch gekennzeichnet, daß die Komponenten des Systems in Wasser mit einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3), bezogen auf die Summe der Volumina der Komponenten und Wasser, eine wäßrige Dispersion mit einer Körnigkeit von <60 mym ergeben (bestimmt nach ISO 1524: 1983)."
Jeder Anspruch 1 der Hilfsanträge enthielt ebenfalls das Merkmal
"daß die Komponenten des Systems in Wasser mit einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3), bezogen auf die Summe der Volumina der Komponenten und Wasser, eine wäßrige Dispersion mit einer Körnigkeit von <60 mym ergeben (bestimmt nach ISO 1524: 1983)".
IV. Die Einspruchsabteilung begründete den Widerruf des Patents damit, dass der ungewöhnliche Parameter des Energieeintrags im vorliegenden Patent nicht so ausreichend und eindeutig offenbart sei, dass der Fachmann die beanspruchte Erfindung reproduzierbar im gesamten beanspruchten Bereich ausführen könne.
V. Im Einspruchsverfahren wurden unter Anderem die folgenden Dokumente zitiert:
(D16) EP-A-0 084 645
(D17) Feinmahl- und Klassiertechnik, Preprints der GVC-
Dezembertagung 1993, Jörg Schwedes,
"Rührwerkmühlen", GVC VDI-Gesellschaft
Verfahrenstechnik und Chemieingenieurtechnik,
31 Seiten
(D18) Technical Information "Pigmosol® preparation",
datiert "November 1997" auf der ersten Seite,
BASF AG, 4 Seiten
VI. Der vorliegenden Entscheidung liegen die folgenden Ansprüche zu Grunde:
Die erteilten Ansprüche 1-9 (Hauptantrag).
Folgende der mit dem Schreiben mit Datum vom 15. März 2010 eingereichten Ansprüche:
Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 4,
Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 5,
Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 6;
Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 7,
Ansprüche 1-5 des Hilfsantrags 8.
Anspruch 1 des Hauptantrags ist oben unter Punkt III zitiert.
Jeder Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 bis 8 enthält ebenfalls das Merkmal
"daß die Komponenten des Systems in Wasser mit einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3), bezogen auf die Summe der Volumina der Komponenten und Wasser, eine wäßrige Dispersion mit einer Körnigkeit von <60 mym ergeben (bestimmt nach ISO 1524: 1983)".
VII. Die Beschwerdeführer beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, mit der Maßgabe, dass der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung keine Gründe gemäß Artikel 100(b) EPÜ entgegenstehen, hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 4-8 (siehe oben unter Punkt VI).
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Die Diskussion zu Einspruchsgründen gemäß Artikel 100(b) EPÜ beschränkte sich im schriftlichen Beschwerdeverfahren im Wesentlichen auf die Frage, ob der Parameter "Energieeintrag" im Vergleich zu Formel (2) aus Dokument (D17) ungewöhnlich sei und ob er sich eindeutig bestimmen ließe. In diesem Rahmen brachten die Beschwerdeführer u. a. vor, die von der Einsprechenden am 1. Februar 2007 eingereichten Vergleichsversuche belegten, dass der Gegenstand der Ansprüche ausführbar sei.
IX. Der Ladung zur mündlichen Verhandlung war ein Bescheid der Kammer beigefügt, in dem sie unter Punkt 10.2 ankündigte, auch der im Einspruchsschriftsatz vom 2. März 2005 erhobene Einwand gemäß Artikel 100(b) EPÜ könne in der mündlichen Verhandlung diskutiert werden.
Die Kammer fasste diesen Einwand in der mündlichen Verhandlung in der Frage zusammen, welche Anleitung das Patent dem Fachmann gebe, die es ihm erlaube, auch außerhalb der Ausführungsbeispiele ohne unzumutbaren Forschungsaufwand die Komponenten und deren Verarbeitung so auszuwählen, dass die durch den Parameter "Energieeintrag" im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 definierte leichte Dispergierbarkeit gewährleistet ist.
X. Die Beschwerdeführer äußerten sich wie folgt zu diesem Einwand:
Das Patent beschreibe im Absatz [0098] die Verfahrensschritte, durch die die gewünschte Feinverteilung der festen Komponenten erzielt werden könne. Generell seien alle Feststoffe, die die geforderte Körnigkeit von unter 60 µm aufweisen, unter einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3) in Wasser dispergierbar. Der Fachmann würde keine Pigmente mit einer höheren Körnigkeit einsetzen, da dies koloristisch nicht sinnvoll sei. In den Vergleichsbeispielen des Patents wurden hierfür höhere Energieeinträge benötigt, da dort noch Zerkleinerungsarbeit zu leisten war.
XI. Die Beschwerdegegnerin bemerkte, dass das Patent ausdrücklich keine Einschränkung der Art und Form und somit auch der Korngröße der Feststoffkomponente a) vornehme. Der Stoff sei daher nicht entscheidend zur Erzielung der gewünschten leichten Dispergierbarkeit; andere Einflussgrößen zur Erzielung dieses Ergebnisses offenbare das Patent nicht. Auch eine Einschränkung des Gegenstands der Patentansprüche könne den Mangel an Ausführbarkeit nicht beheben, da sich dadurch die Offenbarung des Patents nicht ändern darf. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin Vergleichsversuche vorlegen konnte, belege nicht, dass die Erfindung im vollem Umfang der Ansprüche ausführbar sei.
XII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Artikel 123 EPÜ
Die Ansprüche des Hauptantrags, d.h. die der erteilten Fassung sind identisch mit den ursprünglich eingereichten Ansprüchen.
3. Artikel 100(b) EPÜ
3.1 Der vorliegende Anspruch 1 beschreibt die Erfindung durch die Definition der beiden Komponenten a) und b) sowie durch die Bedingung "daß die Komponenten des Systems in Wasser mit einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3) bezogen auf die Summe der Volumina der Komponenten und Wasser, eine wäßrige Dispersion mit einer Körnigkeit von <60 mym ergeben (bestimmt nach ISO 1524: 1983)".
Diese Bedingung legt also Werte fest, die die Parameter "Energieeintrag" und "Körnigkeit" unterschreiten müssen. Um eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 zu erhalten, muss der Fachmann daher wissen, wie er ohne erfinderisches Zutun die Komponenten auswählen und gegebenenfalls bearbeiten muss, damit die Parameter diese Werte unterschreiten (siehe T 0516/99 vom 15. Oktober 2002, Punkt 3 der Entscheidungsgründe). Bei der Ausführung der beanspruchten Erfindung stehen ihm neben der Offenbarung des Patents sein allgemeines Fachwissen am Prioritätszeitpunkt des Patents zur Verfügung (siehe T 0219/85, ABl EPA 1986, 376, Punkt 2.3.2 der Entscheidungsgründe).
3.2 Die Beschwerdeführer vertraten die Ansicht, es genüge zur Einhaltung der im Anspruch 1 festgelegten Bereiche der Parameter "Energieeintrag" und "Körnigkeit", die Feststoffkomponenten in der gewünschten Feinverteilung von <60 mym vorzulegen. Der Absatz [0098] des Patents enthalte die Hinweise, die es dem Fachmann ermöglichten, die Feststoffkomponenten auf diese Feinverteilung zu vermahlen.
Zwar ist davon auszugehen, dass die Feinverteilung der Feststoffkomponenten einen Einfluss auf den bei der Dispergierung in Wasser zu einer Dispersion einer Körnigkeit von <60 mym nötigen Energieeintrag hat. Zum einen ist jedoch Anspruch 1 nicht bezüglich der Korngrößen der Komponenten beschränkt. Zum anderen ist selbst nach Vermahlung der Komponenten auf Korngrößen von <60 mym nicht gewährleistet, dass eine solche Zusammensetzung die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 aufgestellten Bedingungen erfüllt.
Die Beschwerdegegnerin hat zu Recht auf Absatz [0014] des Patents verwiesen:
"Die Feststoffkomponente a) besitzt in ihrer Form keine Einschränkung, insbesondere kommen jedoch Pulver, Granulate, Schülpen oder Pellets in Frage.".
Die letzten drei in diesem Absatz genannten Formen sind jedoch durch Granulieren, Verpressen bzw. Pelletieren hergestellt, also agglomeriert; sie haben daher, selbst wenn die Komponente vorher auf eine Korngröße von <60 mym vermahlen wurde, eine erheblich höhere Sekundärpartikelgrösse als 60 µm. Zudem erwähnt gerade der von den Beschwerdeführern zitierte Absatz [0098] des Patents, dass die Feststoffkomponenten zur Aggregation oder Agglomeration neigen, u. a. beim Trocknen nach der bevorzugten Nasszerkleinerung (siehe Seite 10, Zeilen 7 bis 13 und Anspruch 6 des Patents in der erteilten Fassung). Ob solche durch Agglomeration vergrößerte Sekundärpartikel während der Dispergierung unter Einhaltung des im Anspruch 1 geforderten Energieeintrags von weniger als 150 J/cm**(3) aufzubrechen sind, und wenn, auf welche Weise, kann der Fachmann weder dem Patent noch seinem Fachwissen entnehmen.
Dass die Einhaltung der im Anspruch 1 geforderten Werte für die Parameter "Körnigkeit" und "Energieeintrag" dem Fachmann Probleme bereitet, belegen die Vergleichsbeispiele 1 und 2 des Patents, in denen wesentlich höhere Energieeinträge zur Erzielung der gewünschten Körnigkeit benötigt wurden (497 J/cm**(3) im Vergleichsbeispiel 1 und mehr als 4000 J/cm**(3) im Vergleichsbeispiel 2; siehe Seite 11, Zeilen 37 und 55-56). Die Beispiele und Vergleichsbeispiele des Patents enthalten keine Informationen über die Korngrößenverteilungen der eingesetzten Ausgangsstoffe oder die Körnigkeiten der Komponenten vor deren Dispergierung in Wasser. Somit wird das Argument der Beschwerdeführer, in den Vergleichsbeispielen müsse zusätzliche Zerkleinerungsarbeit geleistet werden, nicht durch das Patent gestützt. Daher kann der Fachmann auch den Beispielen und Vergleichsbeispielen des Patents nicht entnehmen, wie er zu verfahren hat, um generell die in den Vergleichsbeispielen erforderlichen hohen Energieeinträge zu vermeiden.
Der Fachmann kann folglich nicht voraussehen, wie sich eine bestimmte Kombination der Komponenten a) und b) hinsichtlich der im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 genannten Parameter verhält. Will er den Gegenstand des Anspruchs 1 in dessen voller Breite ausführen, muss er vielmehr in umfangreichen Versuchen ermitteln, wie die Komponenten a) und b) auszuwählen und zu bearbeiten sind, damit die Zusammensetzungen die in diesem Anspruch geforderten Werte für diese Parameter erfüllen. Dieses ist ihm jedoch nicht zuzumuten (siehe T 516/99 vom 15. Oktober 2002, die letzten beiden Absätze unter Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe).
3.3 Die Beschwerdeführer haben im schriftlichen Verfahren darauf hingewiesen, die mit dem Schreiben vom 1. Februar 2007 eingereichten Vergleichsversuche zeigten, dass die Einsprechende ohne weiteres in der Lage war "... festzustellen, dass bestimmte Beispiele aus dem Stand der Technik einen Energieeintrag aufweisen, der im beanspruchten Bereich liegt." (siehe Punkt e) auf Seite 15 der Beschwerdebegründung vom 7. September 2007; siehe oben unter Punkt VIII).
Dies ändert jedoch nichts der Tatsache, dass der Fachmann in jedem Einzelfall nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum durch die Bestimmung des Energieeintrags bei und der Körnigkeit nach der Dispergierung in Wasser die Eignung der Komponenten für die erfindungsgemäßen Zusammensetzungen ermitteln muss. Daher steht dieses Argument den oben unter Punkt 3.2 gezogenen Schlussfolgerungen nicht entgegen.
3.4 Folglich stehen der Aufrechterhaltung des Patents gemäß dem Hauptantrag, also in der erteilten Fassung, Gründe gemäß Artikel 100(b) EPÜ entgegen.
Hilfsanträge
4. Alle vorliegenden Hilfsanträge enthalten ebenfalls im Anspruch 1 das Merkmal
"daß die Komponenten des Systems in Wasser mit einem Energieeintrag von weniger als 150 J/cm**(3), bezogen auf die Summe der Volumina der Komponenten und Wasser, eine wäßrige Dispersion mit einer Körnigkeit von <60 mym ergeben (bestimmt nach ISO 1524: 1983)".
Daher treffen die oben unter Punkt 3 genannten Gründe auch auf die Hilfsanträge zu.
Folglich stehen der Aufrechterhaltung des Patents gemäß den Hilfsanträgen ebenfalls Gründe gemäß Artikel 100(b) EPÜ entgegen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.