European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T075707.20091117 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 November 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0757/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01120922.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16M 11/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Stativ | ||||||||
Name des Anmelders: | Carl Zeiss AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Leica Microsystems Schweiz AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 193 439 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) angegriffen worden.
II. Am 17. November 2009 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 193 439.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"1. Stativ (100, 300), insbesondere zur Aufnahme eines medizinischen Geräts, beispielsweise eines Operationsmikroskops (109, 309),
- mit einem ersten Trägerarm (104, 304), und
- mit einem zweiten Trägerarm (107, 307), der an dem ersten Trägerarm (104, 304) aufgenommen ist und relativ zu dem ersten Trägerarm (104, 304) um eine erste Achse (112, 313) und um eine von der ersten Achse verschiedenen zweiten Achse (111, 312) bewegt werden kann,
- bei dem zum Erzeugen einer Rückstellkraft für den zweiten Trägerarm (107, 307) um die erste Achse (112, 313) ein bewegbares Gewicht (113, 314) vorgesehen ist, und
- Mittel zum Koppeln (114, 315-319) vorgesehen sind, welche das Gewicht (113, 314) mit einer Bewegung des zweiten Trägerarms (107, 307) um die erste Achse (112, 313) koppeln,
dadurch gekennzeichnet, dass
- die Mittel zum Koppeln (114, 315-319) zum Unterdrücken einer Rückkopplung einer Bewegung des zweiten Trägerarms (107, 307) um die zweite Achse (111, 312) zu dem Gewicht ein als Drehentkopplung wirkendes Freilaufdrehgelenk (121, 322) aufweisen."
VI. Im Beschwerdeverfahren wurde insbesondere auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: US-A-4 548 373
D2: DE-A-198 20 710
D7: EP-A-0 628 290
D11: WO-A-81/03054
VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Dokument D11 offenbare in den Figuren 1 und 6 ein Stativ mit einem ersten Trägerarm 20 und mit einem zweiten Trägerarm 16, der an dem ersten Trägerarm aufgenommen sei und relativ zu dem ersten Trägerarm um eine erste Achse 174 und um eine von der ersten Achse verschiedenen zweiten Achse A bewegt werden könne, bei dem zum Erzeugen einer Rückstellkraft für den zweiten Trägerarm um die erste Achse eine Feder vorgesehen sei, und Mittel zum Koppeln 34 vorgesehen seien, die die Feder mit einer Bewegung des zweiten Trägerarms um die erste Achse koppelten. Werde nämlich der zweite Trägerarm nach unten bewegt ergebe sich über die Parallelogramm-Konstruktion 20, 26 eine Bewegung auch um die Achse B, die auf die Feder übertragen werde. Weiterhin sei bei den Mitteln zum Koppeln zum Unterdrücken einer Rückkopplung einer Bewegung des zweiten Trägerarms um die zweite Achse zu der Feder ein als Drehentkopplung wirkendes Freilaufdrehgelenk 136, 138 vorgesehen. Das Stativ gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich also davon nur dadurch, dass anstelle der Feder ein bewegbares Gewicht Verwendung finde. Federn und Gewichte zur Erzeugung einer Rückstellkraft bei Stativen seien jedoch beliebig austauschbare Äquivalente, wie insbesondere Dokument D2 zeige.
Dokument D7 offenbare in den Figuren 1 bis 3 ein Stativ mit einem ersten Trägerarm 26 und einem zweiten Trägerarm 30, der an dem ersten Trägerarm aufgenommen sei und relativ zu dem ersten Trägerarm um eine erste Achse beta5 und um eine von der ersten Achse verschiedenen zweiten Achse alpha2 bewegt werden könne, bei dem zum Erzeugen einer Rückstellkraft für den zweiten Trägerarm um die erste Achse ein bewegbares Gewicht W2 vorgesehen sei, und Mittel zum Koppeln 21 bis 27, 38, C3, C5 vorgesehen seien, die das Gewicht mit einer Bewegung des zweiten Trägerarms um die erste Achse koppelten, und bei dem die Mittel zum Koppeln zum Unterdrücken einer Rückkopplung einer Bewegung des zweiten Trägerarms um die zweite Achse zum Gewicht ein als Drehentkopplung wirkendes Freilaufdrehgelenk C3 aufwiesen. Beim Auf- und Abbewegen des Trägerarms 30 ergebe sich eine Bewegung dieses Arms um die Achse beta5 und über die Parallelogramm-Konstruktion des ersten Trägerarms 26 zwangsläufig eine Kopplung zum Gewicht W2. Mit der Magnetkupplung C3 könne die Bewegung des zweiten Trägerarms um die zweite Achse vom Gewicht W2 entkoppelt werden. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents unterscheide sich nicht von dem Stativ des Dokuments D7.
Sehe man den Ort der Anbringung des Freilaufdrehgelenks als Unterschied des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents gegenüber den Dokumenten D7 und D11, so ergebe sich folgende Überlegung. Bei den Dokumenten D7 und D11 seien die Trägerarme durch Parallelogramm-Konstruktionen miteinander verbunden. Wenn man diese Verbindung auflöse und die beiden Trägerarme durch einen Verbindungsarm verbinde, könne man das Freilaufdrehgelenk in diesem Verbindungsarm vorsehen. Dies stelle eine übliche fachmännische konstruktive Maßnahme dar. Die Anregung dazu ergebe sich aus Figur 1 des Dokuments D1, wo in zwei parallelen Ebenen angeordnete Arme 3 und 4 über die Übertragungsstange 30 verbunden seien. In dieser könne man den Freilauf vorsehen. Außerdem sei es naheliegend, das Ausgleichsgewicht bzw. die Feder in der Ständersäule anzubringen, siehe die Dokumente D2, D7 und D11. Freilaufdrehgelenke seien bekannt. Ein solches könne bei Dokument D1, verlege man das Ausgleichsgewicht in die Ständersäule, in der Achse 7b angebracht werden.
Somit beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das bewegbare Gewicht W2 bei Dokument D7 habe nicht die Funktion, eine Rückstellkraft um die Achse beta5 zu erzeugen. Die Kompensation der Kräfte erfolge um die Achse beta1. Ein in der Achse beta5 anfallendes Drehmoment habe nichts mit dem Ausgleichsgewicht zu tun. Auch bei Dokument D11 erzeuge die Feder keine Rückstellkraft um die Achse 174, sondern um die Achse B. Ein Moment um die Achse 174 habe nichts mit der Federkraft zu tun. Somit könne man den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht mit den Dokumenten D7 und D11 vergleichen.
Von den Dokumenten D7 oder D11 ausgehend, gelange man nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents. Es gebe nämlich keinen Anlass, die Mittel zum Koppeln des Gewichts bzw. der Feder mit der Last umzubauen. Man werde auch nicht die Achse A des Dokuments D11 oder die Magnetkupplung des Dokuments D7 woanders anordnen. Der nächstliegende Stand der Technik sei Dokument D1, das die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Streitpatents zeige, wobei O3 die erste und O2 die zweite Achse sei. Man müsse aber erst einmal auf den Gedanken kommen, das Gewicht woanders anzubringen. Es mag zwar noch naheliegend sein, wie bei Dokument D11, eine Feder statt des Gewichts zu verwenden, es sei jedoch nicht naheliegend, das Gewicht des Dokuments D1 woanders hin zu verlagern.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Den folgenden Ausführungen liegt die von der Beschwerdeführerin gewählte Zuordnung der Elemente der Stative der Dokumente D7 und D11 zu den Elementen des Stativs des Anspruchs 1 des Streitpatents zugrunde (vgl. Punkt VII oben).
2. Entsprechend der Definition im Anspruch 1 des Streitpatents wird eine Rückstellkraft über eine erste Achse auf einen zweiten Trägerarm erzeugt, wobei das die Rückstellkraft auf den zweiten Trägerarm erzeugende Gewicht mit der Bewegung des zweiten Trägerarms um die erste Achse gekoppelt ist.
Bei der Stativkonstruktion des Dokuments D7 wird die Rückstellkraft des Gewichts W2 über die Achse beta1 auf den Trägerarm 26 übertragen (vgl. Figuren 1 bis 3). Die Parallelogramm-Konstruktion 27, 38, 34 am Trägerarm 26 dient nicht der Übertragung der Rückstellkraft auf den Trägerarm 30, sondern dazu, diesen Trägerarm unabhängig von der Stellung des Trägerarms 26 stets senkrecht zu halten (vgl. die Figuren 1 bis 3, in denen drei verschiedene Stellungen des Trägerarms 26 gezeigt sind). Es ist zwar richtig, dass beim Verschwenken des Trägerarms 26 und der dadurch hervorgerufenen vertikalen Bewegung des Trägerarms 30 eine Relativbewegung zwischen den Trägerarmen 30 und 26 um die Achse beta5 entsteht und das Gewicht W2 bewegt wird. Aber die Achse beta5 überträgt nicht die Rückstellkraft dieses Gewichts. Das Drehmoment, das die Last (Operationsmikroskop und Trägerkonstruktion) an der Achse beta5 bewirkt, entspricht nicht dem Drehmoment, das diese Last an der Achse beta1 bewirkt. Wie aus den Figuren 1 bis 3 ersichtlich und in Absatz [0027] des Dokuments D7 erläutert, ist das L-förmige Element 34 starr. Das Moment, das durch das Gewicht kompensiert werden muss, entsteht also an der Achse beta1. Hinzu kommt, dass der Trägerarm 30 nicht aktiv um die Achse beta5 bewegt werden kann. Ein Verschwenken des Trägerarms 30 um die Achse beta5 wird durch die Parallelogrammelemente 27, 38, 34, 37 verhindert. Die Bewegung um die Achse beta5 ist eine Folge der Bewegung des Trägerarms 26.
Ähnliche Überlegungen gelten für Dokument D11. Dort wird die Rückstellkraft der Feder nicht über die Achse 174 sondern über die Achse B übertragen, und der Trägerarm 16 kann nicht aktiv um die Achse 174 bewegt werden, da der Arm 26 in der Achse 228 verankert ist (vgl. Figuren 1, 6, 10 und 11). Die Bewegung um die Achse 174 ist eine Folge der Bewegung des Trägerarms 20. Die Parallelogramm-Führung 26 dient dazu, den Trägerarm 16 stets horizontal zu halten, nicht aber der Übertragung der Rückstellkraft.
3. Gemäß der Definition des Anspruchs 1 des Streitpatents weisen die Mittel zum Koppeln des Gewichts mit einer Bewegung des zweiten Trägerarms zur Unterdrückung einer Rückkopplung einer Bewegung des zweiten Trägerarms um die zweite Achse zum Gewicht ein als Drehentkopplung wirkendes Freilaufdrehgelenk auf.
Die entsprechenden Mittel zum Koppeln sind bei Dokument D7 bei der gegebenen Zuordnung die Elemente 21, 22, 26, 27, 34, 37 und 38. Innerhalb der damit gebildeten beiden Parallelogramm-Konstruktionen gibt es kein Freilaufdrehgelenk. Die Magnetkupplung C3, die die Bewegung des Trägerarms 30 um die vertikale Achse alpha2 freigibt oder blockiert, liegt außerhalb der Mittel zum Koppeln.
Entsprechend verhält es sich auch bei Dokument D11. Die Mittel zum Koppeln sind bei der gegebenen Zuordnung die Elemente 20, 26 und 34. Das Drehgelenk 18, das eine von der Federkraft unabhängige Bewegung des Trägerarms 16 um die vertikale Achse ermöglicht, ist nicht Bestandteil dieser Mittel zum Koppeln.
4. Mit der von der Beschwerdeführerin gewählten Zuordnung der Elemente bei den Dokumenten D7 und D11 zu den Elementen des Anspruchs 1 des Streitpatents ergibt sich somit, dass das Merkmal dieses Anspruchs, dass zum Erzeugen einer Rückstellkraft für den zweiten Trägerarm um die erste Achse ein bewegbares Gewicht vorgesehen ist, bei diesen Dokumenten nicht gegeben ist. Es folgt weiterhin, dass bei diesen Dokumenten keine Mittel zum Koppeln im Sinne des Anspruchs 1 des Streitpatents vorhanden sind, welche das Gewicht mit einer Bewegung des zweiten Trägerarmes um die erste Achse koppeln und eine Drehentkopplung zum Unterdrücken einer Rückkopplung einer Bewegung des zweiten Tragarms um die zweite Achse aufweisen.
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neu gegenüber den Dokumenten D7 und D11.
5. Die Dokumente D7 und D11 geben keine Veranlassung, die Parallelogrammführungen aufzulösen und in die aufgelöste Verbindung ein Freilaufdrehgelenk zu legen. Eine derartige konstruktive Veränderung des diesen Dokumenten zugrundeliegenden Stativkonzepts ergäbe keinen Sinn und ist als eine rückschauende Betrachtungsweise in Kenntnis des Streitpatents zu werten.
6. Nächstliegender Stand der Technik für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist Dokument D1, das die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 zeigt. Dabei bezeichnet das Bezugszeichen 2 den ersten Trägerarm, 3 den zweiten Trägerarm, O3 die erste Achse, O2 die zweite Achse, 6 das bewegbare Gewicht und 34 die Mittel zum Koppeln (vgl. Figur 1).
Beim Stativ des Dokuments D1 gibt es keine Notwendigkeit, das Gewicht von einer Bewegung des zweiten Trägerarms 3 um die zweite Achse O2 zu entkoppeln. Eine solche Notwendigkeit könnte nur entstehen, wenn das Gewicht an anderer Stelle angebracht wäre, wo zwischen der Bewegung um die zweite Achse und dem Gewicht ein Konflikt entstünde. Es kann zwar prinzipiell als im Rahmen fachmännischen Handelns liegend angesehen werden, das Ausgleichsgewicht bei einem Stativ im Stativfuß anzubringen, wenn man Platz sparen oder Trägheitsmomente beim Verschwenken verringern möchte. Ausgehend von der Stativkonstruktion des Dokuments D1 aber, ergibt sich dieser Gedanke nicht ohne weiteres, da hierbei eine aufwändige Umleitung der Rückstellkraft des Gewichts erforderlich wäre. Wenn man überhaupt bei Dokument D1 eine andere Anbringung des Ausgleichsgewichts in Erwägung zöge, so findet sich ausgehend von der darin vorgeschlagenen Konstruktion im vorliegenden Stand der Technik keine Anregung für eine konstruktive Lösung, bei der das Gewicht im Stativfuß angeordnet ist. Somit kann es auch nicht als naheliegend angesehen werden, die Mittel zum Koppeln des Gewichts mit der Bewegung des zweiten Trägerarms so zu gestalten, dass die zweite Achse O2 darin einbezogen wird, was gegebenenfalls eine Entkopplung notwendig machen könnte.
Auch die Dokumente D2, D7 und D11 können keine Anregung für derartige Modifikationen der Stativkonstruktion des Dokuments D1 geben.
Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.