T 0313/07 () of 15.4.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T031307.20100415
Datum der Entscheidung: 15 April 2010
Aktenzeichen: T 0313/07
Anmeldenummer: 95903813.4
IPC-Klasse: A23J 1/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung
Name des Anmelders: MILUPA GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Société des Produits Nestlé S.A.
Friesland Brands B.V.
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Ausführbarkeit (ja)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

"Product-by-process"-Merkmal im Zusammenhang mit Ausführbarkeit (siehe Punkt 4.1.2 - 4.1.3)

Angeführte Entscheidungen:
T 0256/87
T 1264/01
T 0252/02
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Erteilung des Europäischen Patents Nr. 0 741 522 auf die Europäische Patentanmeldung Nr. 95 903 813.4, die am 18. Dezember 1994 als Internationale Anmeldung PCT/EP94/04209 im Namen der Firma Milupa Aktiengesellschaft (jetzt Milupa GmbH & Co. KG) angemeldet worden war, wurde am 3. März 1999 im Patentblatt 1999/09 bekanntgemacht.

Das Patent mit dem Titel "Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung" war mit sechs Ansprüchen erteilt worden, von denen Anspruch 1 wie folgt lautete:

"1. Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung einschließlich Hydrolysatnahrung, dadurch erhältlich, daß als Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate, die in Form von Molkenpulver und/oder Molkenprotein konzentrat üblicherweise zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrung zugesetzt werden, solche eingesetzt werden, die aus

a) Sauermolke und/oder

b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden

und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammen setzung keiner Veränderung unterworfen werden."

Die Ansprüche 2 bis 4 waren vom Anspruch 1 abhängig. Die Ansprüche 5 und 6 betrafen ein Verfahren zur Herstellung einer molkenprotein-dominanten Säuglingsmilch nahrung (Anspruch 5) bzw. die Verwendung von Molken proteinen und Molkenproteinkonzentrat zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrung (Anspruch 6).

II. Gegen das Patent legten die Firmen

I Société des Produits Nestlé S.A.

und

II Friesland Brands B.V.

jeweils am 2. Dezember 1999 Einspruch ein und beantragen den vollständigen Widerruf des Patents. Die Einsprüche wurden gestützt auf die Einspruchgründe gemäß

- Artikel 100 a) EPÜ 1973, dass der Gegenstand des Patents nicht neu und erfinderisch sei;

- Artikel 100 b) EPÜ 1973, dass die Erfindung nicht ausreichend offenbart sei und

- 100 c) EPÜ 1973, dass der Patentgegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

In das Verfahren wurden unter anderem folgende Dokumente eingeführt:

D3 Food Research Quarterly, vol. 51, pages 86-91 (1991);

D4 US-A 4 485 040;

D8 US-A 5 039 532;

D11 Thomas A. Picone et al. "Growth, Serum Biochemistries, and Amino Acids of Term Infants Fed Formulas with Amino acid and Protein Concentrations similar to Human Milk" in Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition 9, 351-360 (1989);

D19 L. Glass and T.I. Hedrick "Nutritional Composition of Sweet- and Acid-Type Dry Wheys" in Journal of Dairy Science, vol. 60 No. 2, 185-189 (1976);

D20 US-A-5 075 424; und

D23 A. Priolisi et al. "Milk Protein Quality in low birth weight Infants: ..." in Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition 14, 450-455 (1992).

Bezüglich Artikel 100 c) EPÜ 1973 brachten die Einsprechenden insbesondere vor, dass das Merkmal der erteilten Ansprüche 1, 5 und 6: "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" nicht ursprünglich offenbart sei und daher gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße.

III. Mit ihrer am 8. November 2001 mündlich verkündeten Entscheidung, die am 27. November 2001 schriftlich begründet wurde, widerrief die Einspruchsabteilung das Patent. Einziger Widerrufsgrund war, dass das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammen setzung keiner Veränderung unterworfen werden" in den erteilten Ansprüchen 1, 5 und 6 gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße.

Diese Entscheidung wurde von der Patentinhaberin in der Beschwerdesache T 1264/01 angefochten.

In ihrer Entscheidung vom 18. Mai 2005 kam die Kammer zu dem Schluss, dass das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" in den ursprünglichen Unterlagen offenbart sei. Die Kammer hob die Entscheidung der Einspruchsabteilung auf und verwies die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurück.

IV. Mit ihrer am 5. Dezember 2006 mündlich verkündeten und am 16. Januar 2007 schriftlich begründeten Entscheidung hielt die Einspruchsabteilung das Patent im Umfang des ersten Hilfsantrags aufrecht.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 1 lauten wie folgt:

"1. Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung einschließlich Hydrolysatnahrung, dadurch erhältlich, daß als Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate, die in Form von Molkenpulver und/oder Molkenproteinkonzentrat üblicherweise zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrung zugesetzt werden, solche eingesetzt werden, die aus GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden."

"2. Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung, dadurch erhältlich, daß als Molkenproteine, die in Form von Molkenpulver und/oder Molkenproteinkonzentrat üblicherweise zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrung zugesetzt werden, solche eingesetzt werden, die aus Sauermolke gewonnen werden und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden."

Diese Ansprüche leiteten sich vom erteilten Anspruch 1 ab, wobei für die Ausführungsform a), d. h. Einsatz von Sauermolke, ein eigener Anspruch 2 aufgestellt und hierfür die Variante der Hydrolysatnahrung gestrichen wurde.

Diese vom erteilten Anspruch 1 (Hauptantrag) umfasste Variante der Hydrolysatnahrung bei Verwendung von Sauermolke war von der Einspruchsabteilung als nicht neu gegenüber Beispiel 1 von D8 erachtet worden. Der Hauptantrag wurde daher nicht gewährt.

Nachdem in der Entscheidung T 1264/01 das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" als in den Ursprungsunterlagen offenbart angesehen worden war, hatte die Einspruchsabteilung bezüglich des Hilfsantrags 1 keine Einwände mehr unter Artikel 123(2) EPÜ.

Im Hinblick auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) 1973 argumentierte die Einspruchsabteilung, dass das Verfahren der Ultrafiltration gemäß dem in der Patentschrift zitierten Dokument D20 zur Entfernung von GMP aus Süßmolke ein übliches Verfahren im Stand der Technik sei. Zwar enthalte D20 keine Angaben zur Aufbereitung des (von GMP befreiten - Anmerkung der Kammer) Retentats, es sei jedoch für den Fachmann selbstverständlich, das Retentat fachgerecht im Hinblick auf die Eignung für Säuglingsmilchnahrung weiterzuverar beiten. Die gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Erfindung wurde daher als ausführbar im Sinne von Artikel 83 EPÜ 1973 angesehen.

Da gemäß Hilfsantrag 1 die Variante der Hydrolysat nahrung auf Basis von Sauermolke nicht mehr beansprucht wird, wurde die Neuheit gegenüber D8 anerkannt.

Die Einspruchsabteilung sah D23 als nächstliegenden Stand der Technik zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an und definierte, ausgehend von diesem Stand der Technik, als Aufgabe die Senkung des Threoningehalts in Formelnahrungen. Nach ihrer Meinung war der überproportional um 37,6% reduzierte Threoninspiegel im Plasma von Säuglingen nach Absenkung des Threoningehalts in der Formelnahrung um 17,9% durch Entfernen des GMP - wie im Versuchsbericht vom 31. Juli 2000 gezeigt - nicht vorhersehbar und daher nicht nahegelegt. Der gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Gegenstand wurde daher auch als erfinderisch angesehen.

V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent im Umfang des Hilfsantrags 1 beschränkt aufrechtzuerhalten legten

die Einsprechende I - nachfolgend Beschwerdeführe rin/Einsprechende I - am 20. Februar 2007

und

die Pateninhaberin - nachfolgend Beschwerdeführe rin/Patentinhaberin - am 13. März 2007

unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründungen wurden am 16. Mai 2007 (Beschwerdeführerin/Einsprechende I) und am 26. Mai 2007 (Beschwerdeführerin/Patentinhaberin) eingereicht.

VI. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende I hielt ihre schon im Einspruchsverfahren vorgetragenen Einwände der mangelnden Ausführbarkeit, der mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit aufrecht und verwies zur Begründung der mangelnden Neuheit in der Beschwerdebegründung unter anderem auf die neuen Dokumente:

D26 Melchiar et al. "Rozdíly v koncentraci volných aminokyselin v plazm? nedonosených novorozenc? zivených Feminarem se syrovátkovými bílkovinami" in ?s. Pediat, 45, 1990, no. 8, S. 459-462;

D26a Melchiar et al. "Differences in the level of free amino acids in the plasma of premature infants fed with Feminar containing whey proteins" in ?s. Pediat, 45, 1990, no. 8, S. 459-462 als englische Übersetzung von D26; und

D27 US-A 4 042 576.

VII. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin reichte mit Schreiben vom 15. März 2010 mehrere Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 5 ein.

VIII. In der mündlichen Verhandlung, die am 15. April 2010 stattfand, stellte die Beschwerdeführerin/Patentin haberin unter Streichung des Anspruchssatzes gemäß Hauptantrag vom 15. März 2010 klar, dass die erteilten Ansprüche die Basis für den Hauptantrag bilden. Die Hilfsanträge 1 und 3 bis 5 wurden ebenfalls gestrichen. Der am 15. März 2010 als Hilfsantrag 2 eingereichte Anspruchssatz wurde der neue Hilfsantrag 1. Ferner wurde in der Verhandlung ein Anspruchssatz als neuer Hilfs antrag 2 vorgelegt.

Anspruch 1 gemäß neuem Hilfsantrag 1 entsprach dem erteilten Anspruch 1 mit der Änderung, dass am Ende des Anspruchs das Merkmal "..., wobei der Threoningehalt 4,0 bis 5,0 g/100 g Protein beträgt" angefügt wurde.

Anspruch 1 gemäß dem neuen Hilfsantrag 2 leitete sich ebenfalls vom erteilten Anspruch 1 ab, jedoch wurde die Ausführungsform, dass "als Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate ... solche eingesetzt werden, die aus a) Sauermolke ... gewonnen werden", komplett gestrichen.

IX. Die schriftlich und mündlich vorgetragenen wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin/Einsprechenden I, die in der mündlichen Verhandlung durch Ausführungen der Einsprechenden II ergänzt wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Formale Einwände unter Artikel 84 EPÜ 1973 und 123(2) EPÜ gegen die Änderungen in den Hilfsanträgen 1 und 2 wurden nicht erhoben.

b) Artikel 100 b)/Artikel 83 EPÜ 1973 - diese Einwände beziehen sich auf alle Anträge

Die Ansprüche 1 seien als product-by-process Ansprüche formuliert und charakterisierten das beanspruchte Produkt (die Säuglingsmilchnahrung) mittels des verwendeten Ausgangsmaterials - Sauermolke bzw. Süßmolke - sowie das Verfahrens merkmal der Entfernung/Reduzierung von GMP bei Süßmolke.

In der Patentschrift werde jedoch keinerlei Referenz hinsichtlich des Proteinprofils der verwendeten Molken angegeben. Tabelle 3 von D19 zeige jedoch eine beträchtliche Bandbreite des Proteinprofils von Süß- bzw. Sauermolke mit Schwankungen zwischen 50 und 80 %. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass bezüglich der Entfernung von GMP aus Süßmolke in der Patentschrift nur auf D20 verwiesen werde, das die Methode der Ultrafiltration beschreibe. Es gebe jedoch noch weitere in der Patentschrift nicht erwähnte Verfahren im Stand der Technik, wobei jedes für sich eine spezifische Änderung der Proteinzusammensetzung bewirke. Dies bedeute, dass das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werde" nicht ausreichend definiert sei.

Es sei daher festzustellen, dass der Fachmann nicht wisse von welcher Ausgangs-Süßmolke vor der Entfernung/Reduzierung von GMP, von welchem Verfahren zur Entfernung von GMP oder von welcher Süß/Sauer molke vor der Hydrolyse er ausgehen müsse, um zu einem erfindungsgemäßen Produkt zu gelangen, das das Merkmal aufweist, dass ansonsten hinsichtlich der Proteinzusammen setzung keine Veränderung vorgenommen wird. Der Fachmann, der das Endprodukt in Händen halte wisse also nicht, ob er sich im Rahmen der beanspruchten Erfindung bewege, das heißt, ob er das Patent verletze oder nicht. In diesem Zusammenhang verwies die Beschwerdeführerin/Einsprechende I auf T 256/87 und T 252/02.

c) Neuheit

i) Hydrolysatnahrung auf Basis von Sauermolke - Ausführungsform des Hauptantrags und Hilfsantrags 1

Beispiel 1 von D8 beschreibe in Verbindung mit den Ansprüchen 15 und 16 und der Passage in Spalte 3, Zeilen 53 bis 64 eine hypoallergene Babynahrung auf Basis hydrolysierter Sauermolke. Diesbezüglich sei der Auffassung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (Punkt 4.1 - Anmerkung der Kammer) zuzustimmen, dass die durch die thermische Denaturierung unterbrochene zweistufige Hydrolyse der Sauermolke vom anspruchsgemäßen Merkmal der Hydrolysatnahrung auf Basis von Sauermolke, die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen wird, umfasst werde.

ii) Säuglingsmilchnahrung auf Basis von GMP-freier Süßmolke - alle Anträge

Die in D26a beschriebene Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung "F-TD" auf Basis thermisch denaturierter Molkenproteine sei neuheitsschädlich, da aus D27 hervorgehe, dass ein bei ähnlichen Bedingungen wie in D26a durch thermische Denaturierung ausgeflocktes Molkenprotein GMP-frei sei. Das anspruchsgemäße Merkmal der GMP-freien Süßmolke, die keiner weiteren Veränderung der Proteinzusammensetzung unterworfen worden sei, sei in D26a daher implizit enthalten.

d) Erfinderische Tätigkeit

Die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit konzen trierte sich überwiegend auf D23 als nächstliegenden Stand der Technik, das insbesondere von der Einspre chenden II favorisiert wurde.

In D23 werde eine Korrelation zwischen dem Plasma-Threoningehalt bei Säuglingen und dem Proteinprofil der gefütterten Babymilchnahrung festgestellt. So zeige Tabelle 6, dass alle Formelnahrungen auf Basis Molke/Casein einen höheren Plasma-Threoningehalt bewirkten als Muttermilch. Für die Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung mit dem Molke/Casein-Verhältnis von 60:40 werde der höchste Threoningehalt beobachtet. In D23 werde zudem festgestellt, dass die Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung hinsichtlich der Aminosäurezusammensetzung der Muttermilch am ähnlichsten und damit die Formel nahrung der Wahl sei.

Daher bestehe, ausgehend von D23, das zu lösende Problem in der Bereitstellung einer der Muttermilch weiter angenäherten Molkenprotein-dominanten Formelnahrung mit einem reduzierten Threoningehalt.

i) Ausführungsform auf Basis von Sauermolke - Hauptantrag, Hilfsantrag 1

Die Tabelle 3 in D19 zeige, dass Sauermolke einen gegenüber Süßmolke deutlich verringerten Threoningehalt aufweise. Der angegebene Threoningehalt liege mit 4,8 bis 5,0 g/100 g Protein in dem im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beanspruchten Bereich. Der Fachmann erhalte daher aus D19 die Anregung, zur Verringerung des Threoningehalts ein Molkeprotein auf Basis von Sauermolke einzusetzen. Eine Formelnahrung auf Basis von Sauermolke gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 sei daher durch Kombination von D23 mit D19 nahegelegt.

ii) Ausführungsform GMP-freie/reduzierte Süßmolke - alle Anträge

Aus D3, insbesondere der linken Spalte auf Seite 86 und der Tabelle 1, gehe hervor, dass GMP als Bestandteil von Süßmolke threoninreich sei. Dies werde durch die Offenbarung in D4, Spalte 6, Zeilen 59 bis 61 bestätigt. Der Fachmann, in der Absicht eine Säuglingsmilch nahrung auf Basis von Süßmolke mit reduziertem Threoningehalt bereitzustellen, werde daher durch D3 oder D4 dazu angeregt, GMP aus der Süßmolke zu entfernen.

Obige Ausführungsform sei daher durch Kombi nation von D23 mit D3 und/oder D4 nahegelegt.

X. Die Gegenargumente der Beschwerdeführerin/Patent inhaberin können folgendermaßen zusammengefasst werden:

a) Artikel 100 b)/Artikel 83 EPÜ 1973

Der Einwand der Beschwerdeführerin/Einsprechenden I, dass der Fachmann nicht wisse, wann er das Patent verletze sei zum ersten mal in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden. Er sei auch nicht stichhaltig, da Patentverletzung im Sinne der Argumentation der Beschwerdeführerin/Einsprechenden I bedeuten würde, dass alle Molkevariationen, deren Proteinprofile von den Fütterungsbedingungen und der Rasse des Tieres abhängen, den Anspruchsgegenstand in Konflikt mit Artikel 83 EPÜ 1973 bringen würde. Der Fachmann wisse aber sehr wohl, dass das Proteinprofil verschiedener Molken nicht konstant sei.

Ferner könne der Fachmann dem Patent eindeutig die Lehre entnehmen, dass neben der Stufe der GMP-Entfernung/Reduzierung - die gemäß dem in der Patentschrift zitierten Dokument D20 oder nach weiteren bekannten Verfahren durchgeführt werden könne - und der optionalen Hydrolyse keine weiteren Veränderungen der Proteinzusammensetzung vorgenommen werden dürfen. Der Fachmann wisse auch, dass jedes dieser Verfahren in Abhängigkeit der für das Verfahren charakteristischen Verfahrensschritte das Proteinprofil der Molke unterschiedlich verändere. Eine fehlende Ausführbarkeit könne nicht angenommen werden.

b) Neuheit

In D8 finde sich keine eindeutige Offenbarung für Säuglingsmilchnahrung (Hervorhebung durch die Kammer). Lediglich der Begriff "Babynahrung" sei in Spalte 3, Zeilen 53 bis 57 offenbart. Auch gebe es keine eindeutige Verbindung zwischen der hydrolysierten Sauermolke gemäß Beispiel 1 und Babymilchnahrung. Ebenso sei in D8 nicht eindeutig offenbart, dass die Babynahrung gemäß Anspruch 16 Molkenprotein-dominant ist. Um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen, müsse daher eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten getroffen werden.

Es werde weiterhin bestritten, dass das gemäß D26a zur Herstellung der Säuglingsmilchnahrung "F-TD" verwendete dekantierte Molkekonzentrat GMP-frei, bzw. GMP-reduziert sei. Die in D26a angegebenen Bedingungen der thermischen Denaturierung der Molke seien unterschiedlich zu den in D27 angegebenen, auf die von der Beschwerdeführerin/Einsprechenden I Bezug genommen werde. Außerdem werde in D27 nicht von GMP sondern nur allgemein von Glycoproteinen gesprochen.

c) Erfinderische Tätigkeit

Gehe man von D23 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so werde darin zwar festgestellt dass der Plasma-Threoninspiegel von mit Molkeprotein-dominanter Formelnahrung gefütterten Säuglingen am höchsten von allen Formelnahrungen sei und denjenigen von mit Muttermilch gefütterten Säuglingen deutlich übertreffe (Tabelle 6). Jedoch werde an keiner Stelle von D23 das Bedürfnis geäußert, den Threoningehalt in der Formelnahrung zu senken um sie der Muttermilch anzunähern. Man könne nämlich keineswegs ohne weiteres davon ausgehen, dass bei Absenkung des Threoningehalts in der Nahrung auch der Threonin gehalt im Plasma sinke. So werde beispielsweise im "Summary" auf Seite 351 von D11 festgestellt, dass die Fütterung von Formelnahrungen mit einem Aminosäureprofil, das dem Profil der Muttermilch ähnlich ist, nicht zu einem Plasma-Aminosäureprofil führe, das mit dem von mit Muttermilch gefütterten Säuglingen identisch ist.

Auch D19, D3 oder D4 hätten den Fachmann nicht dazu anregen können, den Threoningehalt der Molkenprotein-dominanten Säuglingsmilchnahrung gemäß D23 durch Verwendung der an sich GMP-freien Sauermolke oder durch Entfernung von GMP aus Süßmolke zu reduzieren. Weder D3 noch D19 befassten sich mit Säuglingsmilch nahrung, und D4 betreffe ein anderes Problem, nämlich die Bereitstellung einer Formelnahrung für Säuglinge, die mit alpha-Lactalbumin angereichert ist.

Zwar hätte der Fachmann GMP aus der Formelnahrung gemäß D23 entfernen können, jedoch enthielten D3, D4 oder D19 keinerlei Informationen, die ihn gezielt dazu angeregt hätten. Die Kombination von D23 mit D3, D4 und/oder D19 führten daher nicht zum Anspruchs gegenstand des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 und 2.

XI. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder auf der Grundlage des am 15. März 2010 als zweiten Hilfsantrag eingereichten Antrags (neuer erster Hilfsantrag) oder auf der Grundlage des zweiten Hilfsantrags vom 15. April 2010.

XII. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" findet sich in den unabhängigen Ansprüchen aller Anträge. Über die Offenbarung dieses Merkmals in den ursprünglichen Unterlagen im Sinne von Artikel 123(2) EPÜ wurde bereits in der Entscheidung T 1264/01 vom 18. Mai 2005 entschieden. Daher wird bei den Ansprüchen der vorliegenden Anträge nicht mehr auf diesen Aspekt eingegangen.

3. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einen neuen Hilfsantrag 2 eingereicht.

3.1 Nach Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. 11/2007 537, 542) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

3.2 Der neue Hilfsantrag 2 wird zum Verfahren zugelassen, da darin lediglich eine Streichung der Variante a) "Sauermolke" der erteilten Ansprüche vorgenommen wurde, wodurch weder die Kammer noch die Gegenparteien mit einem neuen und überraschenden Sachverhalt konfrontiert worden sind. Auch die beiden anderen Parteien haben keine Einwände gegen die Zulassung erhoben.

4. Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)

4.1 Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973

4.1.1 Im schriftlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin/Einsprechende beanstandet, dass D20 nur ein Verfahren zur Gewinnung von GMP aus Süßmolke beschreibe, nicht aber ein Verfahren zur Herstellung einer Süßmolke mit reduziertem GMP-Gehalt. D20, das einzige im Streitpatent im Zusammenhang mit der GMP-Entfernung genannte Dokument, würde keinerlei Hinweis für einen Fachmann geben, wie es möglich sei, Süßmolke mit einem reduzierten GMP-Gehalt zu erhalten.

Diesen Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ 1973, der übrigens in der mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt worden ist, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Es ist für jeden Fachmann klar, dass bei der Entfernung von GMP aus Süßmolke mittels der Ultrafiltration ein Filtrat und ein Retentat erhalten wird. Nach der Filtration befindet sich das GMP im Filtrat, während die anderen Molkenproteine automatisch im Retentat (Konzentrat) verbleiben. Die Frage, wie groß der Anteil des abfiltrierten GMP ist, hängt von der Art der eingesetzten Membran ab. Dazu heißt es in D20 in Spalte 2, beginnend ab Zeile 55 wie folgt: "The fraction molecular weight of the membrane used in the ultrafiltration stage is 10,000 to 50,000. When a membrane having the fraction molecular weight below 10,000 is used, the molecules of kappa-casein glycomacropeptide [d. h. GMP] are difficult to pass through the membrane. When a membrane having the fraction molecular weight above 50,000 is used, the molecules of the kappa-casein glycomacropeptide can pass through the membrane and a part of the coexisting whey protein can also pass through the membrane ... .". Somit greift der Einwand der Beschwerdeführerin/Einsprechenden nicht.

4.1.2 Der andere Einwand der Beschwerdeführerin/Einsprechenden unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 basiert im Wesentlichen darauf, dass durch die Formulierung des Anspruchs 1 als "product-by-process"-Anspruch eine eindeutige Charakterisierung des Produkts nicht möglich sei. So unterliege das Ausgangsmaterial zum Teil beträchtlichen Schwankungen hinsichtlich des Proteinprofils. Auch das Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" sei nicht ausreichend definiert. Der Fachmann, der das Endprodukt in den Händen halte, wisse daher nicht, ob er sich im Rahmen der beanspruchten Erfindung bewege, d. h., ob er das Patent verletzte oder nicht.

Zunächst ist festzustellen, dass Artikel 100 b) bzw. Artikel 83 EPÜ 1973 nicht die Frage der Patentverletzung betreffen. Vielmehr betreffen diese Artikel die Offenbarung der Erfindung, d. h. ob das europäische Patent bzw. die europäische Patentanmeldung die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Die Ausführbarkeit der Erfindung ist bei dem vorliegenden "product-by-process"-Anspruch aber aus folgenden Gründen gegeben.

Gemäß erteiltem Anspruch 1 sollen Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate eingesetzt werden, die aus a) Sauermolke und/oder b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden. Der Fachmann, der die Erfindung nacharbeiten will, muss also im Falle von b) aus der Ausgangssüßmolke das GMP ganz oder teilweise entfernen. Ferner ist dem Streitpatent die eindeutige Lehre zu entnehmen, dass neben der Stufe der GMP-Entfernung/Reduzierung - die gemäß dem in der Patentschrift zitierten Dokument D20 oder nach weiteren bekannten Verfahren durchgeführt werden kann - und der optionalen Hydrolyse keine weiteren Veränderungen der Proteinzusammensetzung vorgenommen werden dürfen.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Fachmann diese Verfahrensmaßnahmen an den unterschiedlichsten Ausgangsprodukten durchführen kann und die Erfindung somit nacharbeiten kann. Gleichzeitig bedeutet dies, dass derjenige, der die Erfindung nacharbeitet, auch weiß, welche Verfahrensschritte er vorgenommen hat. Er weiß also immer, ob er sich innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Schutzbereichs bewegt.

Daher ist der vorliegende Fall auch nicht mit der in T 256/87 vom 26. Juli 1988 und T 252/02 vom 7. Dezember 2004 (beide Entscheidungen nicht im ABl. EPA veröffentlicht) angesprochenen Problematik vergleichbar. In diesen Fällen ging es um die Frage, inwieweit eine unvollständig definierte Messmethode der Nacharbeitbarkeit der Erfindung entgegensteht.

4.1.3 Der Einwand der Beschwerdeführerin/Einsprechenden unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 scheint vielmehr von der Überlegung geleitet zu sein, dass es Produkte geben könnte, die, obwohl sie nach einem anderen Verfahren hergestellt worden sind, mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 identisch sein könnten. So könnten aufgrund der unterschiedlichen Proteinprofile der Ausgangssüßmolken Molkenproteine, die ohne GMP-Reduzierung hergestellt worden sind, mit Molkenproteinen identisch sein, die aus einer anderen Süßmolke mit GMP-Reduzierung hergestellt worden sind. Solche Überlegungen können nach Ansicht der Kammer aber nicht unter Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ 1973 abgehandelt werden. Gäbe es tatsächlich bereits vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag des Streitpatents eine molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung, die solche (identischen) Molkenproteine enthält, die ohne eine GMP-Reduzierung/Entfernung erhalten worden sind, wäre dies unter Artikel 54 EPÜ zu berücksichtigen. Das "product-by-process"-Merkmal des Anspruchs wäre in diesem Fall kein neuheitsbegründendes Merkmal mehr. Würde eine molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung mit solchen (identischen) Molkenproteinen erst nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, könnte dies möglicherweise tatsächlich die Verletzung des Patents zur Folge haben, was aber nicht vom Europäischen Patentamt im Einspruchs-Beschwerdeverfahren zu entscheiden ist.

4.2 Neuheit

4.2.1 Der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag ist nach Auffassung der Kammer gegenüber den von den Parteien zitierten Dokumenten D8 und D26a neu.

4.2.2 D8 betrifft die Herstellung eines hypoallergenen Molkenproteinhydrolysats (Anspruch 1) und ein hypoallergenes Produkt (Anspruch 15). Das Produkt kann beispielsweise in Babynahrung Anwendung finden, wie aus Anspruch 16 ("A product according to claim 15 wherein the product is an infant formula." und Spalte 3, Zeilen 53-57 ("The hydrolyzate prepared by the process according to the invention may be incorporated in numerous food preparations for dietetic use, particularly in foods for infants or convalescents, or in readily resorbable foods for use by people suffering from allergies.") hervorgeht.

Beispiel 1 von D8 offenbart die Herstellung eines Hydrolysats aus entmineralisierter Sauermolke. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin zu, dass es sich bei diesem Hydrolysat um keine Säuglingsmilchnahrung handelt, wie im erteilten Anspruch 1 gefordert. Selbst aus der Zusammenschau mit dem in Anspruch 16 erwähnten Begriff "infant formula" oder dem in Spalte 3, Zeilen 55-56 verwendeten Begriff "foods for infants" ergibt sich keine eindeutige Offenbarung einer Babynahrung in Form von Milch, die molkenprotein-dominant ist. Somit offenbart D8, und insbesondere das Beispiel 1 der D8, nicht unmittelbar und eindeutig einen Gegenstand der unter den erteilten Anspruch 1 fällt.

Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Diskussion der unter den Parteien streitigen Frage, ob die im Beispiel 1 beschriebene zweistufige - von einer thermischen Denaturierung unterbrochene - Hydrolyse zu einer Sauermolke führt, die dem anspruchsgemäßen Merkmal, dass neben der Hydrolyse ansonsten keine Veränderung der Proteinzusammensetzung vorgenommen wird, genügt.

4.2.3 Bei D26a handelt es sich um eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die den Einfluss von molkenprotein-dominanter Säuglingsmilchnahrung (Feminar) auf den Aminosäuregehalt im Blutplasama von Frühgeborenen beschreibt. Dabei werden zwei verschiedene Feminarprodukte verwendet, nämlich "F-TD" auf der Basis von thermisch denaturierten Molkenproteinen und "F-U" auf der Basis von Molkenproteinen, die über Ultrafiltra tion erhalten werden. Die Beschwerdeführerin/Einspre chende machte geltend, dass das Produkt "F-TD" neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei, da "F-TD" ein GMP-freies Molkenprotein enthalte. Dies gehe aus D27 hervor, wo ein bei ähnlichen Bedingungen wie in D26a durch thermische Denaturierung ausgeflocktes Molkenprotein GMP-frei sei.

Die Kammer kann sich der Argumentation der Beschwerdeführerin/Einsprechenden nicht anschließen. Zum einen enthält D26a selbst keinen Hinweis darauf, dass es sich bei "F-TD" um ein GMP freies oder um ein GMP-reduziertes Produkt handelt. Auch die Offenbarung von D27 liefert diesbezüglich keinen eindeutigen Beweis. Wie die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin richtig bemerkt hat, unterscheiden sich die Bedingungen der thermischen Denaturierung der Molke in D26a von den in D27 genannten Bedingungen, so dass grundsätzlich keine Rückschlüsse von dem Verfahren in D27 auf das Verfahren in D26a gezogen werden können. Außerdem wird in D27 die Entfernung von GMP überhaupt nicht erwähnt. In Spalte 2, Zeilen 59-61 wird lediglich auf Protease-Peptone verwiesen, die Glykoproteine sind ("The albumines and globulines are precipitated and the protease peptones, which are glycoproteins, are retained in the supernatent."). Dies ist nicht gleichzusetzen mit der Entfernung von GMP, zumindest hat die Beschwerdeführerin/Einsprechende dies nicht bewiesen. Somit ist der der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auch gegenüber D26a neu..

4.3 Erfinderische Tätigkeit

4.3.1 Der Gegenstand des Streitpatents

Das Patent befasst sich mit molkenprotein-dominanten Säuglingsmilchnahrungen, d. h. Formelnahrungen mit einem Molke/Casein-Verhältnis größer 1. Hierzu wird im Abschnitt [0003] der Patentschrift festgestellt, dass aufgrund des höheren Threoningehalts dieser Formelnahrungen im Vergleich zu Humanmilch der Plasma-Threoninspiegel bei Säuglingen erhöht ist. Im nachfolgenden Abschnitt [0004] wird ausgeführt, dass Formelnahrungen möglichst hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe der Muttermilch angepasst sein sollen und demnach das Bedürfnis besteht, den Threoningehalt in Formelnahrungen zu senken.

4.3.2 Der nächstliegende Stand der Technik

In Übereinstimmung mit den Parteien wird D23 als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

D23 befasst sich mit Wachstumsraten und biochemischen Indizes des Protein-Metabolismus bei Säuglingen mit geringem Geburtsgewicht. Unter anderem wird das Plasma-Aminosäureprofil der Säuglinge nach ihrer Fütterung mit Formelnahrungen mit einem unterschiedlichen Molke/Ca sein-Verhältnis untersucht und mit dem Profil von mit Muttermilch gefütterten Säuglingen verglichen. Dabei wird festgestellt, dass der Plasma-Threoningehalt bei den mit Formelnahrung gefütterten Säuglingen signifikant höher ist, als bei den mit Muttermilch gefütterten und dass er bei Fütterung mit molkeprotein-dominanter Nahrung (Molke/Casein 60/40) am höchsten ist (D23, "Summary" und S. 452, rechte Spalte "Results"). Diese Feststellungen werden durch die Werte in der Tabelle 6 bestätigt. Auf Seite 453, linke Spalte wird im Abschnitt "Diskussion" darauf hingewiesen, dass molkeprotein-dominante Formelnahrungen hinsichtlich ihrer Aminosäure zusammensetzung der Muttermilch am ähnlichsten sind und daher die Formelnahrungen der Wahl darstellen.

Weiterhin wird in D23, Seite 454, linke Spalte, Zeilen 4-8 von unten, ausgeführt, dass "die hohe (Threonin)Konzentration in mit molkeprotein-dominanter Nahrung gefütterten Säuglingen in Übereinstimmung mit anderen Studien steht und teilweise durch die hohe Threoninkonzentration in Rindermolke erklärt werden kann" [Übersetzung durch die Kammer].

Aus D23 lässt sich daher folgendes ableiten:

- Es besteht ein Bedarf an Formelnahrungen, die hinsichtlich ihrer Aminosäurezusammensetzung der Muttermilch ähneln;

- molkenprotein-dominante Zusammensetzungen sind die Formelnahrungen der Wahl;

- molkenprotein-dominante Nahrungen bewirken den höchsten Threoningehalt im Plasma von Säuglingen im Vergleich zu Formelnahrungen mit geringerem Molke/Casein-Verhältnis und Muttermilch;

- die in den molkenprotein-dominante Nahrungen verwendete Rindermolke hat einen hohen Gehalt an Threonin, der möglicherweise auch den erhöhten Threoningehalt im Plasma erklärt.

4.3.3 Das zu lösende Problem

Die beanspruchte Säuglingsmilchnahrung unterscheidet sich von der Formelnahrung gemäß D23 darin, dass sie GMP-frei oder GMP-reduziert ist.

Im Lichte der Informationen aus D23 wird der Fachmann versuchen, den Threoningehalt in der Formelnahrung zu verringern, da er davon ausgehen konnte, dass diese Maßnahme für die Verringerung des Threoninspiegels im Plasma am aussichtsreichsten ist.

Die objektive Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik ist daher darin zu sehen, eine molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung bzw. Formelnahrung mit reduziertem Threoningehalt zur Verfügung zu stellen, mit dem Ziel dass bei Fütterung von Säuglingen mit dieser Nahrung auch der Plasma-Threoningehalt gesenkt wird. Diese Aufgabe ist auch mit der aus den Abschnitten [0003] bis [0006] des Streitpatents ableitbaren Aufgabe identisch.

Anspruchsgemäß wird dieses Ziel dadurch erreicht, dass man eine Säuglingsmilchnahrung bereitstellt, die in der einen Ausführungsform als Molkebasis Süßmolke verwendet, bei der durch geeignete Verfahren GMP entfernt oder der Gehalt an GMP zumindest reduziert wurde, oder die gemäß der zweiten Ausführungsform Sauermolke als Molkebasis verwendet, die - bedingt durch ihre Gewinnung unter sauren Bedingungen - bereits GMP-frei ist.

4.3.4 Naheliegen

Da der Fachmann weiß, dass Muttermilch den "goldenen Standard" für die Ernährung von Säuglingen darstellt, wird er - ausgehend von molkeprotein-dominanter Formelnahrung - Überlegungen anstellen wie der Plasma-Threoningehalt dem von mit Muttermilch gefütterten Säuglingen weiter angenähert werden kann. Als Ansatzpunkt wird er Veränderungen im Protein-Profil der Nahrung wählen, da in D23 (Seite 455, linke Spalte) festgestellt wird, dass "weitere ... Modifikationen der Proteinzusammensetzung von Formelnahrungen notwendig sind um ein Plasma-Aminosäureprofil zu erreichen, das dem der mit Muttermilch gefütterten Säuglinge ähnlich ist ". Der nachfolgende Satz, dass "Konzentrationen der Proteinfraktion in Rindermolke geänderten werden sollten um ein günstigeres Aminosäureprofil zur erreichen" [Übersetzungen aus dem Englischen durch die Kammer] wird in dazu anleiten, speziell beim Molkeprotein anzusetzen. Bestärkt wird der Fachmann in dieser Vorgehensweise auch noch durch die Ausführungen in D23 auf Seite 454, linke Spalte, Zeilen 4-8 von unten, die auf die hohe Threonin konzentration in Rindermolke hinweisen.

Zur Lösung des Problems wird der Fachmann daher versuchen, Molkeproteinfraktionen zu entfernen die viel Threonin als Aminosäurebaustein enthalten.

a) Naheliegen der Variante "Süßmolke"

Für diese Variante wird der Fachmann das Dokument D4 berücksichtigen, das sich mit der Gewinnung von Proteinfraktionen aus Molke befasst. Darin wird in Spalte 6, Zeilen 45 bis 61 unter anderem festgestellt, dass CMP (Caseinmakropeptid) - das, wie von den Parteien unbestritten, dem anspruchsgemäßen GMP entspricht - als Bestandteil von Süßmolke reich an Threonin, Prolin und Serin ist. Der Fachmann konnte somit erwarten, dass das durch Entfernung oder zumindest durch Reduzierung von GMP aus Süßmolke bewirkte Absenken des Threoningehalts in der Säuglingsmilchnahrung auch den Plasma-Threoninspiegel beim Säugling senken würde.

Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin machte unter Hinweis auf den Testbericht vom 31. Juli 2000 einen Bonuseffekt geltend und argumentierte, dass der Fachmann nicht erwartet hätte, dass durch Absenkung des Threoningehalts um 17,9% durch Weglassen des GMP eine überproportional hohe Absenkung des Plasma-Threoninspiegels um 37,6% erreicht werden konnte.

Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig, da dieser Testbericht - wie die Einsprechende II zutreffend argumentiert hat - nur die eine Variante der vollständigen Entfernung, jedoch nicht die zahlreichen vom Anspruch umfassten Möglichkeiten der teilweisen Entfernung von GMP betrifft. Zudem kommt es im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit entscheidend darauf an, ob für den Fachmann aus dem Stand der Technik eine Reduktion des Plasma-Threoninspiegels durch (Teil)Entfernung von GMP aus Süßmolke zumindest aussichtsreich war. Dies ist - wie oben dargelegt - eindeutig der Fall. Da die Beschwerdeführerin/Patent inhaberin in ihrem Schriftsatz vom 18. Februar 2008 selbst darauf hinweist (schräggedruckte Passage auf Seite 6, vorletzter Absatz), dass bei der Metabolisierung von Formelnahrung vielfältige Effekte auftreten, war das prozentuale Absinken des Plasma-Threoninspiegels in Relation zur prozentualen Reduktion des Threonins in der Nahrung ohnehin nicht vorhersagbar.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 in der Variante "GMP-freie oder GMP-reduzierte Süßmolke" durch Kombination von D23 mit D4 nahegelegt und daher nicht erfinderisch ist.

b) Naheliegen der Variante "Sauermolke"

Aber auch die Variante a) gemäß erteiltem Anspruch 1, d. h. der Einsatz von Molkenproteinen bzw. Molkenproteinhydrolysaten aus Sauermolke, beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. So zeigt die Tabelle 3 in D19, dass Sauermolke einen gegenüber Süßmolke deutlich verringerten Threoningehalt aufweist. Der angegebene Threoningehalt liegt bei 4,8 bis 5,0 g/100 g Protein. Der Fachmann, der sich mit der Bereitstellung einer molkenprotein-dominanten Säuglingsmilchnahrung bzw Formelnahrung mit reduziertem Threoningehalt befasst (siehe Punkt 4.3.3), weiß somit aus D19, dass die Verwendung von Molkeproteinen auf Basis von Sauermolke eine weitere Möglichkeit zur Lösung der Aufgabe darstellt. Eine Formelnahrung auf Basis von Sauermolke gemäß erteiltem Anspruch 1 (Hauptantrag) wird daher durch Kombination von D23 mit D19 nahegelegt.

5. Hilfsantrag 1

Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilen Anspruch 1 lediglich dadurch, dass am Ende das Merkmal "..., wobei der Threoningehalt 4,0 bis 5,0 g/100 g Protein beträgt" angefügt worden ist.

Wie aber in Punkt 4.3.4. b) bereits erwähnt, offenbart D19 einen Threoningehalt von 4,8 bis 5,0 g/100 g Protein. Somit ist das zusätzliche Merkmal in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 nicht geeignet, den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit zu beheben, zumindest im Hinblick auf die Variante a), die den Einsatz von Molkenproteinen bzw. Molkenproteinhydrolysaten aus Sauermolke betrifft.

6. Hilfsantrag 2

In Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ist die Variante a) gestrichen worden. Die verbliebene Ausführungsform, d. h. der Einsatz von Molkenproteinen bzw. Molkenproteinhydro lysaten aus GMP-freier oder GMP-reduzierter Süßmolke, war aber bereits in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag enthalten und wurde von der Kammer für nicht erfinderisch erachtet (Punkt 4.3.1 bis 4.3.4). Somit ist auch der Hilfsantrag 2 nicht gewährbar.

7. Auf der Grundlage der vorliegenden Anträge kann das Patent daher nicht aufrecht erhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird widerrufen.

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