T 1264/01 () of 18.5.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T126401.20050518
Datum der Entscheidung: 18 Mai 2005
Aktenzeichen: T 1264/01
Anmeldenummer: 95903813.4
IPC-Klasse: A23J 1/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 66 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung
Name des Anmelders: Milupa GmbH & Co. Kg
Name des Einsprechenden: Société des Produits Nestlé S.A.
Friesland Brands B.V.
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (Hauptantrag)
Zurückverweisung zur weiteren Prüfung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0313/07

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin und Inhaberin des Europäischen Patents mit der Veröffentlichungsnummer 0 741 522 hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Patents am 4. Dezember 2001 Beschwerde eingelegt.

II. Das Patent wurde mit einem Satz von 6 Ansprüchen erteilt, wobei die unabhängigen Ansprüche 1, 5 und 6 wie folgt lauten:

"1. Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung einschließlich Hydrolysatnahrung, dadurch erhältlich, daß als Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate, die in Form von Molkenpulver und/oder Molkenproteinkonzentrat üblicherweise zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrungen zugesetzt werden, solche eingesetzt werden, die aus

a) Sauermolke und/oder

b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden

und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden.

5. Verfahren zur Herstellung molkenprotein-dominanter Säuglingsmilchnahrung einschließlich Hydrolysatnahrung, bei dem Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate in Form von Molkenpulver und/oder Molkenproteinkonzentrat üblicherweise Säuglingsmilchnahrungen zugesetzt werden, dadurch gekennzeichnet, daß solche eingesetzt werden, die aus

a) Sauermolke und/oder

b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden

und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden.

6. Verwendung von Molkenproteinen und Molkenproteinkonzentrat, die in Form von Molkenpulver und/oder Molkenproteinkonzentrat üblicherweise zugesetzt werden, wobei solche eingesetzt werden, die aus

a) Sauermolke und/oder

b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden

und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden, zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrungen."

III. Gegen das Patent wurden, gestützt auf Artikel 100 a), b) und c) EPÜ, zwei Einsprüche eingelegt.

IV. Im Einspruchsverfahren hat die jetzige Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2001 neue Anspruchssätze als Grundlage für einen 1. bzw. 2. Hilfsantrag vorgelegt.

V. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent und den damaligen Hilfsanträgen 1 und 2 den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht genüge, weil das darin enthaltene Merkmal "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und auch keinen zulässigen Disclaimer darstelle.

VI. Mit der Beschwerdebegründung vom 27. März 2002 hat die Beschwerdeführerin 8 neue Anspruchssätze als Grundlage für Hilfsanträge 1 bis 8 eingereicht.

VII. Am 18. Mai 2005 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat die Entscheidung der Einspruchsabteilung im wesentlichen wie folgt angefochten:

- Das in der angefochtenen Entscheidung beanstandete Merkmal diene dazu, den beanspruchten Gegenstand klarzustellen und gegen den Stand der Technik abzugrenzen.

- Die Worte im Anspruch müssten im Hinblick auf den technischen Gehalt der Beschreibung interpretiert werden. Entsprechend könne der Fachmann das betreffende Merkmal nur dahingehend auslegen, dass beim Einsatz von Süßmolke diese nur dem einen Verfahrenschritt zur Entfernung von GMP unterworfen werde, während Sauermolke ohnehin als solche, ohne weitere Behandlung eingesetzt werde. Dies gehe eindeutig aus der Beschreibung hervor.

IX. Der Einwand unzulässiger Erweiterung der Ansprüche wurde von den Beschwerdegegnerinnen im wesentlichen wie folgt begründet:

- Bei dem Verfahrenschritt zur Entfernung von GMP werde die Proteinzusammensetzung der Molke nicht nur in Bezug auf den GMP Gehalt sondern auch "ansonsten" verändert.

- Durch die Umsetzung der Molke zum Molkenproteinhydrolysat werde ferner die Proteinzusammensetzung zusätzlich, d. h. "ansonsten" verändert.

- Aus den genannten Gründen gebe es keine Basis in den ursprünglichen Unterlagen für das betreffende Merkmal, demzufolge die Proteinzusammensetzung der einzusetzenden Molke durch Reduzierung nur des GMP Gehalts verändert worden sei.

X. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, als Hauptantrag, die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Als Hilfsanträge 1 - 8 beantragte die Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der mit Schreiben vom 27. März 2002 eingereichten Hilfsanträge, weiter hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin, hilfsweise, die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist eine Molkenprotein-dominante Säuglingsmilchnahrung, die ausgehend von üblichen Molkenproteinen bzw. Molkenproteinhydrolysaten erhalten wird. Dabei werden solche eingesetzt, die:

a) aus Sauermolke und/oder

b) aus Süßmolke gewonnen werden.

Für die Variante b) wird die Süßmolke vor ihrem Einsatz teilweise oder restlos von GMP (Glycomakropeptid) befreit (Anspruch 1: "als Molkenproteine bzw. Molkenproteinhydrolysate ..., solche eingesetzt werden, die aus ... b) GMP freier oder GMP reduzierter Süßmolke gewonnen werden")

2. Es ist unbestritten, dass die oben genannten Merkmale ursprünglich offenbart sind. Darüber hinaus enthält jedoch der erteilte Anspruch 1 die zusätzliche Einschränkung "und die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen werden" (Hervorhebung durch die Kammer), welche in den ursprünglichen Unterlagen nicht expressis verbis zu finden ist. Es stellt sich daher die Frage, ob das Hinzufügen dieses Merkmals in den Anspruch 1 im Zuge des Erteilungsverfahrens gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.

3. Für die Zulässigkeit nach Artikel 123 (2) EPÜ kommt es nach Auffassung der Kammer im wesentlichen auf die Interpretation des Wortes "ansonsten" für die Variante b) an. Demnach gibt es zwei Möglichkeiten, diese Variante b) auszulegen:

i) es wird eine Süßmolke eingesetzt, welche in ihrer Proteinzusammensetzung bis auf den Gehalt von GMP ansonsten der Molke nach der Fällung von Caseinen aus Milch entspricht,

oder

ii) es wird eine Süßmolke eingesetzt, welche nur durch den Verfahrensschritt der Entfernung von GMP in ihrer Proteinzusammensetzung verändert, ansonsten aber keiner weiteren die Proteinzusammensetzung ändernden Behandlung unterworfen wurde.

3.1 Eine bekannte Methode, GMP großtechnisch mit Hilfe von Ultrafiltration aus Süßmolke zu entfernen, ist in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung angegeben (Seite 3, Zeilen 3 bis 14, mit der dort zitierten US- Patentschrift 5,075,424). Nach Aussagen aller Parteien ist es technisch nicht möglich, mit diesem speziellen Verfahren oder mit anderen konventionellen Verfahren zur Entfernung von GMP aus Süßmolke nur GMP ohne andere Proteine aus der Süßmolke zu entfernen. Somit ist es bekannt, dass die Molke durch den Schritt der GMP Entfernung nicht nur im Hinblick auf den GMP Gehalt, sondern auch ansonsten in ihrer Proteinzusammensetzung nicht mehr der ursprünglichen Molke entsprechen kann. Nach Auffassung der Kammer folgt aus dieser Tatsache für den vorliegenden Fall, dass in Abwesenheit eines über die Reduzierung des GMP Gehalts hinausgehenden weiteren Verfahrensschritts die oben erstgenannte Möglichkeit i) jeglichen technischen Sinnes zur Auslegung der Variante b) entbehrt. Infolgedessen kann für den Fachmann diese Möglichkeit nicht vom Wortlaut des Anspruchs umfasst sein.

3.2 Außer dem Hinweis auf die GMP Entfernung aus der Süßmolke mit Hilfe der Ultrafiltration ist aber an keiner Stelle der Beschreibung die Rede von einer zusätzlichen Behandlung der Molke mit dem Zweck, deren Proteinzusammensetzung ansonsten zu verändern. In den Beispielen 1 und 2 wird angegeben, dass entmineralisiertes Molkenpulver aus Sauermolke oder aus Süßmolke, nach Entfernung des GMP, eingesetzt wird.

Somit steht die oben erwähnten Möglichkeit ii) - und nur diese - zur Auslegung der Variante b) im Anspruch 1 im Einklang mit dem gesamten Inhalt der ursprünglichen Offenbarung.

4. Nach Lage der Akte wurde vor der Einspruchabteilung kein Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf den Einsatz von Sauermolke (Variante a)) erhoben (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2001, Punkt 4 und angefochtene Entscheidung, Punkt 2).

Es ist in der Tat unstrittig, dass Sauermolke auf Grund ihrer Herstellung GMP-frei ist. Aus diesem Grunde geht auch aus den ursprünglichen Unterlagen eindeutig hervor, dass zur Herstellung von Säuglingsmilchnahrungen die Sauermolke keiner Vorbehandlung zur Entfernung von GMP bedarf, wie im Falle der Süßmolke (Seite 3, Zeilen 15 bis 23 und Beispiele 1 und 2 in Zusammenhang mit Seite 2, Zeilen 10 bis 31). Somit ist auch der anspruchsgemäße Einsatz von Sauermolke, die ansonsten hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung keiner Veränderung unterworfen wird, durch die ursprünglichen Unterlagen gestützt.

5. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde das zur Diskussion stehende Merkmal zum ersten Mal mit dem Argument angegriffen, dass auch die im Anspruch vorgesehene Umsetzung zum Molkenproteinhydrolysat zu einer Veränderung der Proteinzusammensetzung führe, die im Widerspruch dazu stehe, dass gemäß Anspruch 1 nur der GMP Gehalt verändert werden dürfe. Auch diesbezüglich liege eine Verletzung der Vorschrift des Artikels 123 (2) EPÜ vor.

Nach Ansicht der Kammer ist dieser Einwand unbegründet, weil Anspruch 1 vor dem Hintergrund der bekannten Verwendung von Molkenproteinhydrolysaten für Säuglingsmilchnahrung sachgerecht interpretiert werden muss (Seite 1, Zeilen 3 bis 7 der ursprünglichen Beschreibung). Demnach impliziert die beanspruchte Verwendung von Molkenproteinhydrolysaten Änderungen der Proteinzusammensetzung, wie sie aus der Umsetzung zum Hydrolysat rühren, und zwar unabhängig von dem Verfahrensschritt der GMP Reduzierung. Eine solche Änderung der Proteinzusammensetzung steht somit in keinem Zusammenhang zu dem letztgenannten Verfahrensschritt und hat daher keinen Einfluss auf die Interpretation des zur Diskussion stehenden Merkmals ("und ansonsten ...").

6. Die Ansprüche 5 und 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 7 bzw. 8 und enthalten jeweils das gleiche zusätzliche Merkmal bezüglich der Veränderung der Proteinzusammensetzung wie Anspruch 1. Diese Ansprüche sind daher aus den selben Gründen zulässig im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ.

7. Das Streitpatent wurde ausschließlich aufgrund des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 c) EPÜ widerrufen. Die seitens der Einsprechenden geltend gemachten Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und b) EPÜ wurden im Einspruchsverfahren noch nicht erörtert. Gemäß den Anträgen der Parteien verweist die Kammer daher im Rahmen ihrer Zuständigkeit gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurück.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur weiteren Prüfung des Patents, wie erteilt, an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

Quick Navigation