European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2006:T083904.20060706 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 Juli 2006 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0839/04 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98101330.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01J 19/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Auswertung von Reaktionsverläufen | ||||||||
Name des Anmelders: | Dade Behring Marburg GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) richtet ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 3. März 2004, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 98101330.3 (Veröffentlichungsnummer 861687) zurückgewiesen worden ist. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die Patentanmeldung nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt. Gegen den ursprünglich eingereichten Anspruchssatz hatte die Abteilung im Prüfungsverfahren zudem einen Einwand unter Artikel 52 (2) EPÜ erhoben.
II. Am 29. April 2004 legte die Anmelderin bei gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. Juni 2004 eingereicht. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erteilung eines Patents auf Basis ihres Hauptantrags (die ursprünglich eingereichten Ansprüche umfassend) oder mit den Ansprüchen gemäß einer der Hilfsanträge 1 bis 4. Außerdem beantragte sie hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
III. In einer Mitteilung der Technischen Beschwerdekammer gemäß Artikel 11 Absatz 2 VerfOBK vom 19. Januar 2006 erhob die Kammer Einwände unter Artikel 52 (2) EPÜ gegen den unabhängigen Verfahrensanspruch 1 gemäß sämtlicher Anträge. Außerdem wurden Einwände unter Artikel 84 EPÜ erhoben. In der Mitteilung äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass die Offenbarung der vorliegenden Patentanmeldung ausreichend sein dürfte, so dass die Bedingungen des Artikel 83 EPÜ erfüllt erschienen.
IV. Mit Schreiben vom 24. März 2006 und einer weiteren Eingabe vom 18. April 2006 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruchssatz und angepasste Beschreibungsseiten ein und beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage dieser Unterlagen zu erteilen.
V. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Instrument zur Auswertung von Reaktionskinetiken, wobei die Reaktion dem Nachweis oder der Bestimmung eines biologischen Parameters oder Analyten dient,
dadurch gekennzeichnet, daß
ein Verfahren zur störungsfreien Auswertung von Reaktionskinetiken nach der Schwellenwertmethode, bei der eine Reaktionskinetik dadurch ausgewertet wird, daß die Veränderung einer reaktionsabhängigen Meßgröße (s) gemessen und die Zeit (t) bis zur erstmaligen Überschreitung eines Grenzwertes gemessen wird, hard- oder softwaremäßig installiert ist und wobei folgende Schritte durchgeführt werden:
a) es werden für die Reaktion spezifische Werte für einen initialen Wert d0, für einen maximalen Wert dmax (>d0), sowie eine Schrittzahl n und dadurch eine Schrittweite ds= (dmax-d0)/n sowie ein Grenzwert Q0 festgelegt,
b) für den Bereich von d=d0 bis dmax wird jeweils für dn=(d0+(ds)×n) der Wert Tn bestimmt,
c) aus der geordneten Reihe der Werte T0 bis Tmax werden die Differenzen Di = Ti-Ti-1 für i = 1 ,...,n gebildet und aus der Menge D1,..., Dn der größte Wert Dmax und der kleinste Wert Dmin bestimmt, sowie der Quotient Q=Dmax/Dmin gebildet,
d) nur Messungen, für die Q<=Q0 gilt, werden zur weiteren Auswertung verwendet, Messungen, für die Q>Q0 gilt, werden als zu wellig verworfen".
Anspruch 5 lautet wie folgt:
"Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern, in dem eine Probe eines biologischen Materials mit einem Reaktionspartner versetzt wird, der zu einer parameterabhängigen Veränderung einer Meßgröße (s) führt
dadurch gekennzeichnet, daß
die Reaktionskinetik nach einem Verfahren zur störungsfreien Auswertung von Reaktionskinetiken nach der Schwellenwertmethode ausgewertet wird, bei der eine Reaktionskinetik dadurch ausgewertet wird, daß die Veränderung einer reaktionsabhängigen Meßgröße (s) gemessen und die Zeit (t) bis zur erstmaligen Überschreitung eines Grenzwertes gemessen wird, und wobei folgende Schritte durchgeführt werden:
a) es werden für die Reaktion spezifische Werte für einen initialen Wert d0, für einen maximalen Wert dmax (>d0), sowie eine Schrittzahl n und dadurch eine Schrittweite ds= (dmax-d0)/n sowie ein Grenzwert Q0 festgelegt,
b) für den Bereich von d=d0 bis dmax wird jeweils für dn=(d0+(ds)×n) der Wert Tn bestimmt,
c) aus der geordneten Reihe der Werte T0 bis Tmax werden die Differenzen Di = Ti-Ti-1 für i = 1 ,...,n gebildet und aus der Menge D1,..., Dn der größte Wert Dmax und der kleinste Wert Dmin bestimmt, sowie der Quotient Q=Dmax/Dmin gebildet,
d) nur Messungen, für die Q<=Q0 gilt, werden zur weiteren Auswertung verwendet, Messungen, für die Q>Q0 gilt, werden als zu wellig verworfen".
Die Ansprüche 2 bis 4 und Anspruch 6 sind abhängige Ansprüche.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die jetzt vorgelegten Ansprüche betreffen ein Instrument (Ansprüche 1 bis 4) bzw. ein Verfahren (Ansprüche 5 und 6) zur Bestimmung von Gerinnungsparametern, bei dem eine Probe mit einem Reaktionspartner versetzt wird. Beide weisen also technischen Charakter auf. Da sie nicht unter die Kriterien zum Ausschluss von der Patentierbarkeit nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ fallen, sind die beanspruchten Gegenstände als patentfähige Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ zu behandeln. Der neue Anspruch 1 findet seine Offenbarung in den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4, im die Seiten 1 und 2 überspannenden Abschnitt und der letzten Zeile auf Seite 3. Dies gilt sinngemäß für den neuen Anspruch 5, der auf den ursprünglichen Anspruch 9 zurückgeht. Die Änderungen im Beschreibungsteil betreffen die Korrektur offensichtlicher Fehler und eine Anpassung der Beschreibung an die neuen Ansprüche.
In der Entscheidung wurde bemängelt, dass die Patentanmeldung die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt. Dies ist nach Auffassung der Beschwerdeführerin nicht richtig, da der Fachmann sehr wohl anhand der Angaben in der Anmeldung und seinem allgemeinem Fachwissen das erfindungsgemäße Verfahren ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun durchführen kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Fachmann auf dem Gebiet diagnostischer Tests, insbesondere auf dem Gebiet der Gerinnungsdiagnostik. Diesem Fachmann ist die Schwellenwertmethode, auf der das erfindungsgemäße Verfahren basiert, gut bekannt, zum Beispiel aus der Veröffentlichung von H.-J. Kolde in Behring Inst. Mitt. No. 78, Seiten 176 bis 187 (1985) (nachfolgend D1 genannt). Bei der Schwellenwertmethode wird der Zeitpunkt T bestimmt, bei dem erstmalig ein Grenzwert überschritten wird (siehe Seite 1, ersten Absatz bis Seite 2, ersten Absatz der Patentanmeldung). Dieser Grenzwert setzt sich üblicherweise aus einem gemessenen Basiswert und einem testspezifischen, vorher anhand von Vorversuchen festgelegten Wert zusammen. Der von der Prüfungsabteilung bemängelte Begriff "initialer Wert" (d0) soll dem Zeitpunkt T0, d.h. dem Zeitpunkt, an dem eine initiale Schwelle d0 erstmalig überschritten wird, zugeordnet werden. Weiter ist der Einwand der Prüfungsabteilung, dass gleichen Werten von dn mehrere Zeiten Tn zugeordnet werden könnten, nicht richtig, da der Wert dn nur einem einzigen Zeitpunkt Tn zuzuordnen ist, nämlich der Zeitpunkt bei dem der Grenzwert dn erstmalig überschritten (bzw. bei fallender Reaktionskinetik: unterschritten) wird.
Diese Druckschrift D1 bezeichnet den nächstliegenden Stand der Technik. Dl offenbart ein Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungszeiten, wobei die absorptionsphotometrisch aufgezeichneten Reaktionskinetiken mit Hilfe der konventionellen Schwellenwertmethode ausgewertet werden (Seite 177, rechte Spalte, Absatz "Materials and Methods"). Die konventionelle Schwellenwertmethode wird in D1 so angewendet, dass die Zeitspanne bestimmt wird, die benötigt wird, um ausgehend von einem Basisabsorptionswert eine Absorptionsänderung (deltaA) von 0.1 bzw. von 40 mA zu erreichen. Mit anderen Worten: es wird ein reaktionsspezifischer Schwellenwert definiert (Basisabsorptionswert +0.1 A bzw. Basisabsorptionswert +40 mA) und die Zeit bis zur erstmaligen Überschreitung dieses Grenzwertes gemessen (siehe auch die Figur 2). Weiterhin beschreibt Dl ein Instrument, bestehend aus einer Einheit zur Inkubation der Reaktionsansätze und einer photometrischen Einheit, das mit einem externen Computer verbunden ist, der zur Verarbeitung des Meßdaten verwendet wird (Seite 178, rechte Spalte, Absatz "Instrument").
Die Erfindung, wie sie in den Ansprüchen 1-4 definiert ist, betrifft ein Instrument, das sich dadurch auszeichnet, dass ein Verfahren zur Auswertung von Reaktionskinetiken installiert ist, wobei das Verfahren eine Abwandlung der Schwellenwertmethode ist, die die Verfahrensschritte a) bis d) umfasst. Die Erfindung, wie sie in den Ansprüchen 5 und 6 definiert ist, betrifft ein Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern, bei dem die Auswertung der Reaktionskinetik ebenfalls durch die abgewandelte Schwellenwertmethode erfolgt, die die Verfahrensschritte a) bis d) umfasst. Die technische Wirkung, die durch die Installation der erfindungsgemäß abgewandelten Schwellenwertmethode auf einem Instrument bzw. durch die Verwendung der erfindungsgemäß abgewandelten Schwellenwertmethode in einem Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern erzielt wird, besteht darin, dass Reaktionskinetiken, die zu wellig verlaufen, als solche identifiziert und nicht mit der konventionellen Schwellenwertmethode ausgewertet, sondern verworfen werden (Ansprüche 1 und 5). Der Vorteil gegenüber dem Auswerteverfahren gemäß D1 besteht darin, dass mit Hilfe des erfindungsgemäßen Verfahrens eine erhöhte Sicherheit in Bezug auf die Richtigkeit der gemessenen Zeit (t) gewährt wird, da für Reaktionskinetiken, deren Kurvenverlauf zu wellig ist, erst gar kein Messergebnis mit der Schwellenwertmethode bestimmt wird und so Fehlbestimmungen ausgeschlossen werden.
Die objektive technische Aufgabe besteht also darin, ein Instrument bzw. ein Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern bereitzustellen, das es erlaubt, Fehlbestimmungen, die durch Anwendung des Verfahrens gemäß D1 auftreten können, zu vermeiden und so eine erhöhte Sicherheit in Bezug auf die Richtigkeit der gemessenen Zeit (t) zu gewähren. Die Aufgabe wird erfindungsgemäß durch die Merkmale der unabhängigen Ansprüche 1 bzw. 5 gelöst.
Dokument D1 enthält keinerlei Hinweise auf die Problematik der Welligkeit von Reaktionskinetiken oder das damit verbundene Risiko von Fehlbestimmungen bei Verwendung der Schwellenwertmethode. Dl legt weder die der vorliegenden Erfindung zugrunde liegende technische Aufgabe nahe noch eines der in den Ansprüchen definierten Merkmale, die die vorliegende Erfindung vom Stand der Technik unterscheiden.
Die Drucksschrift D2 (US-A-4,492,462) beschreibt ein photometrisches Verfahren zur Bestimmung einer Gerinnungszeit, wobei die Reaktion anhand von zwei optischen Eigenschaften gemessen wird, nämlich der Transmission und der Streulichtintensität, und die beiden Signale zu einem kombinierten Signal vereinigt werden. Die beiden Primärsignale können vor der Vereinigung zum kombinierten Signal differenziert werden, besonders dann, wenn die Vereinigung durch Subtraktion erfolgen soll (D2: Spalte 3, Absatz 2). Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass auch für Proben, deren optische Eigenschaften die photometrische Messung beeinträchtigen, Gerinnungszeiten zuverlässig analysiert werden können (D2: Spalte 5, Zeilen 38-42). D2 weist weiterhin auf den störenden Einfluss vorübergehender Oszillationen ("transient oscillations") hin, die z. B. unmittelbar nach Zugabe eines Reagenzes zur Probe auftreten und mit der Zeit abklingen (D2: Spalte 6, Zeile 52 bis Spalte 7, Zeile 15). Gelöst wird das Problem der vorübergehenden Schwingungen zu Beginn der Messung, indem ein "evaluation cut-out", eine Auswertesperre also, eingerichtet wird (siehe Fig. 4), mit der der Bereich der Kinetik, der die starke Schwankung enthalt, einfach von der nachfolgenden Auswertung ausgeschlossen wird. Um zusätzlich zu verhindern, dass Ausläufer dieser starken Anfangsschwingung, verursacht durch die Reagenzzugabe, die weitere Messung beeinflussen, ist eine festgelegte, mit der Zeit abnehmende Schwelle vorgesehen sowie eine verzögerte Signalschwelle, die erst vom differenzierten Primärsignal abgeleitet wird. Der Zweck dieser Schwellen besteht darin, die Messung störende und nicht die eigentliche Messung betreffende Signalteile zu eliminieren. D2 offenbart weder die Festlegung der erfindungsgemäß festzulegenden reaktionsspezifischen Werte dmax oder Q0 (Verfahrensschritt a) noch die Bildung der Differenzen der Zeitwerte aus der geordneten Reihe T0 bis Tmax und die nachfolgende Bildung des Quotienten Q aus der größten und der kleinsten Differenz (Verfahrensschritt c). Während in D2 die Primarsignale über den gesamten Verlauf der Reaktionskinetik differenziert werden (siehe Fig. 2b und 3b), werden im vorliegenden erfindungsgemäßen Verfahren nur für einen definierten Teil der Reaktionskinetik, nämlich für die Zeitwerte T0 bis Tmax, die durch den Bereich d0 bis dmax bestimmt sind, die Differenzen Di gebildet. Auch hat das Verfahren gemäß D2 nicht zum Ergebnis, dass eine Reaktionskinetik entweder verworfen oder weiter ausgewertet wird (Verfahrensschritt d). Das Verfahren gemäß D2 hat durch die Aussonderung störender Signale vielmehr eine geglättete Reaktionskinetik zum Ergebnis, die eine zuverlässige Bestimmung einer Gerinnungszeit ermöglicht. Da wesentliche Merkmale der vorliegenden Erfindung weder in D1 noch in D2 offenbart sind, hatte der Fachmann - selbst wenn er die Lehren dieser Dokumente verbunden hätte - nicht zu dem erfindungsgemäßen Instrument, wie in den Ansprüchen 1 bis 4 definiert, oder zu dem Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern, wie in den Ansprüchen 5 und 6 definiert, gelangen können, ohne erfinderisch tätig zu werden. Die Gegenstände der Ansprüche 1 bis 6 erfüllen damit das Erfordernis des Art. 56 EPU.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit
Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Die Angaben der Beschwerdeführerin zur Offenbarung der Merkmale der Ansprüche in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen (vgl. Punkt V) sind nach Auffassung der Kammer korrekt. Die Änderungen erfüllen daher die Bedingung des Artikels 123 (2) EPÜ. Auch im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ sind sie nicht zu beanstanden.
3. Artikel 83 EPÜ.
3.1 In Bezug auf den Zurückweisungsgrund des Art. 83 EPÜ hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, das Auswertungsverfahren aus Anspruch 1 basiere auf der Schwellenwertmethode, bei dem ein Zeitpunkt T bestimmt werde, an dem erstmalig ein Grenzwert überschritten werde. Der von der Prüfungsabteilung bemängelte Begriff "initialer Wert" (d0) solle zu dem Zeitpunkt T0, d.h. der Zeitpunkt, an dem eine initiale Schwelle erstmalig überschritten werde, zugeordnet werden. Weiter sei der Einwand der Prüfungsabteilung, dass gleichen Werten von dn mehrere Zeiten Tn zugeordnet werden könnten, nicht richtig, da der Wert dn nur einem einzigen Zeitpunkt Tn zuzuordnen sei, nämlich der Zeitpunkt bei dem der Grenzwert dn erstmalig überschritten (bzw. bei fallender Reaktionskinetik: unterschritten) werde.
3.2 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die Offenbarung der vorliegenden Anmeldung ausreichend ist: z.B. zeigt die Figur 4a in Kombination mit der dazugehörenden Beschreibung auf Seite 4, vierter Absatz, ein Beispiel, bei dem eine konventionelle Schwelle 60 gewählt wird: diese entspricht in Figur 4a dem Extinktionswert 2930 (60 Einheiten über 2870): dieser Wert 2930 ist daher der Wert für d0. Nach der Beziehung dmax = 2.d0 (Seite 4, zweite Zeile) wird für dmax der Wert 2870 + 2x60 = 2990 berechnet, welcher tatsächlich in der Figur 4a eingetragen ist. Auf Seite 5, vierter Absatz, wird erläutert, dass die linke gestrichelte vertikale Linie den Rohwert darstellt, welcher mit der konventionellen Schwellenwertmethode errechnet werden kann (z.B. in Figur 2 der Druckschrift D1). Dieser Wert (in Figur 4a bei etwa eine Zeit "32") gehört zu dem Extinktionswert oder initialen Wert d0. Die rechte gestrichelte vertikale Linie zeigt den korrekten Rohwert, welcher zu dem Wert dmax gehört. Nachdem in der Beschreibung auf Seite 4 zudem die Werte für die Schrittzahl n (nämlich: 10) und den Grenzwert des Quotienten Q0 (20) angegeben werden, ist dieses Beispiel für den Fachmann nachvollziehbar.
4. Patentierbarkeit
Die Zurückweisung war ausschließlich mit mangelnder Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ begründet worden. Nach Änderung der ursprünglichen Ansprüche war der weitere ursprünglich erhobene Einwand unter Artikel 52 (2) EPÜ von der Prüfungsabteilung fallengelassen worden. Nachdem die Kammer den Einwand unter Artikel 83 EPÜ für nicht begründet hält, macht sie von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ zur weiteren Prüfung der Patentierbarkeit Gebrauch.
4.1 Neuheit
4.1.1 Die Druckschrift D1 offenbart ein Instrument ("ChromoTimeSytem") und ein Verfahren zur Auswertung von Reaktionskinetiken (z.B. Gerinnungszeiten) nach der Schwellenwertmethode (siehe den letzten Absatz auf Seite 177 und ersten Absatz auf Seite 178 und die Figur 2 nebst der dazugehörenden Beschreibung auf Seite 180). Wie in der Beschreibung bei der Würdigung der Druckschrift D1 auf Seite 1 erörtert ist, wird hierbei durch Aktivierung eines Meßobjektes (z.B. chromogenisches Prothrombin mit Chromoquick, siehe die Figur 2) ein Prozess in Gang gesetzt, wobei die Absorption bei einer Wellenlänge von 405 nm gemessen und der "Endpunkt" als der Zeitpunkt bestimmt wird, wobei die Extinktion um einen Betrag 0.1 zugenommen hat. Daher offenbart diese Druckschrift D1 keinen der Schritte a) bis d) aus Anspruch 1 beziehungsweise Anspruch 5.
4.1.2 Die Druckschrift D2 beschreibt ein photometrisches Verfahren und Vorrichtung zur Bestimmung von Reaktionsabläufen, zum Beispiel zur Bestimmung der Blutgerinnungszeit. Dazu werden die Intensitäten des durch eine Probe transmittierten und an dieser Probe diffus gestreuten Lichtes gleichzeitig gemessen und diese Signale elektronisch ausgewertet. Laut D2 kann während der Reaktionszeit eine stetige Transmissions- und Streulichtänderung auftreten, weshalb aus den Absolutwerten der Signale nicht auf den Gerinnungsknick ("coagulation point", Spalte 5, Zeile 54) geschlossen werden kann. Für eine eindeutige Bestimmung der Zeitpunkte A und B werden nach der Lehre dieser Druckschrift die Signale deshalb differenziert (Differentiator 11, bzw. 12, Figuren 2b und 3b) und es wird zur weiteren Reduzierung von Störeinflüssen das Differenzsignal der differenzierten Signale gebildet (Subtrahierer 13). Die Druckschrift D2 diskutiert auch das Problem der Welligkeit der Messkurve verursacht durch Einschwingvorgänge ("transient oscillations", siehe Spalte 6, Zeilen 52 bis 63) und schlägt als Lösung vor, solche Schwingungen mittels eines Filters zu unterdrücken ("evaluation cut-out", siehe auch die Figur 4). Die Schritte a) bis d) aus dem Anspruch 1 (und ebenso diese Schritte aus Anspruch 5) sind der Druckschrift D2 nicht zu entnehmen.
4.1.3 Die weiteren im Europäischen Recherchenbericht zitierten Druckschriften stellen einen weniger relevanten Stand der Technik dar. Daher ist der im Anspruch 1 definierte Gegenstand neu. Dies gilt ebenso für das in Anspruch 5 definierte Verfahren (Art. 54 EPÜ).
4.2 Erfinderische Tätigkeit
4.2.1 Nächstliegender Stand der Technik
Die Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Auswertung von Reaktionskinetiken nach der Schwellenwertmethode. Wie in Punkt 4.1.1 erwähnt, basiert diese Methode auf die Messung der Zeit, zu welcher die Absorption eine vorbestimmte festgelegte Schwelle überschreitet. Die Signalauswertung in der Vorrichtung aus der Druckschrift D1 findet gemäß dieser Schwellenwertmethode statt (Figur 2). Dahingegen wird, wie in Punkt 4.1.2 erörtert, beim Auswerteverfahren zur Bestimmung der Gerinnungszeit aus der Druckschrift D2 nicht der Absolutwert des Signals, sondern der Signalanstieg bzw. das differenzierte Messsignal ausgewertet. Deshalb ist die Druckschrift D1 als nächster Stand der Technik anzusehen.
4.2.2 Die Vorrichtung aus Anspruch 1 unterscheidet sich vom Messsystem gemäß der Druckschrift D1 durch die im Kennzeichen des Anspruchs definierten Verfahrensschritte der im Instrument implementierten Schwellenwertmethode. Wie von der Patentanmelderin ausgeführt, ermöglichen diese Schritte a) bis d) eine Feststellung, ob der Reaktionskinetik zu wellig verläuft, was bei Anwendung der klassischen Schwellenwertmethode zu einer Fehlbestimmung der Reaktionszeit führen würde. Die objektive Aufgabe soll darin bestehen, die bekannte Vorrichtung bzw. das bekannte Verfahren zur Bestimmung von Gerinnungsparametern so abzuwandeln, dass diese Nachteile eliminiert werden und Fehlbestimmungen ausgeschlossen werden können.
4.2.3 Die Druckschrift D1 diskutiert nicht dieses Problem, das zum Beispiel durch die Welligkeit der Meßkurve (siehe Figur 1) verursacht werden kann und bietet demzufolge auch keine Lösung an.
4.2.4 Zwar werden, wie im Abschnitt 4.1.2 erwähnt, in der Druckschrift D2 das Problem der Welligkeit der Meßkurve und das weitere Problem eines stetigen Anstiegs der Meßsignale erkannt. Die zur Lösung dieser Aufgaben vorgeschlagenen Maßnahmen (Unterdrückung der Schwingungen mittels eines Filters und Unterdrückung der Gleichstromkomponente der Meßsignale durch deren Differenzierung) gehen jedoch in eine andere Richtung als die im Kennzeichen des Anspruch 1 beziehungsweise Anspruch 5 vorgeschlagenen Schritte.
4.2.5 Da daher weder die Druckschrift D1 noch die D2 die in den unabhängigen Ansprüche 1 und 5 definierten Vorrichtung und Verfahren offenbaren oder nahelegen, sind diese Gegenstände neu und beinhalten eine erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
4.2.6 Die weiteren Ansprüche 2 bis 4 und 6 sind abhängige Ansprüche und erfüllen somit ebenfalls diese Bedingungen des EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 6, eingegangen am 18. April 2006 mit Schreiben vom 18. April 2006;
Beschreibung: Seiten 1 und 3 der ursprünglichen Anmeldung;
Seiten 2, 4 und 5, eingegangen am 18. April 2006 mit Schreiben vom 18. April 2006;
Zeichnung: Blatt 1/10 bis 10/10 der ursprünglichen Anmeldung.