T 0066/04 () of 8.6.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T006604.20060608
Datum der Entscheidung: 08 Juni 2006
Aktenzeichen: T 0066/04
Anmeldenummer: 97930458.1
IPC-Klasse: B23C 3/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hochgeschwindigkeitsfräsen
Name des Anmelders: BOEHRINGER WERKZEUGMASCHINEN GmbH
Name des Einsprechenden: Gebr. Heller
Hegenscheidt-MFD GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (verneint) - Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 4
Änderungen (unzulässig) - Hilfsanträge 5 und 6
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1002/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die am 7. November 2003 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 912 283 am 8. Januar 2004 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 17. März 2004 eingereicht.

Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"Verfahren zur spanenden Bearbeitung von Kurbelwellen aus Stahlwerkstoffen, nämlich aus Guss oder Stahl, mittels bestimmter Schneiden, dadurch gekennzeichnet, dass

- die Schnittgeschwindigkeit mindestens 180 m/min, insbesondere mindestens 300 m/min beim Schruppen und mindestens 200 m/min, insbesondere mindestens 500 m/min beim Schlichten beträgt,

- die spanende Bearbeitung eine Fräsbearbeitung mittels eines Außenfräsers (5) ist,

- die Schneiden (s) des Außenfräsers (5) eine positive Schneidengeometrie, insbesondere einen positiven Werkzeug-Normalspanwinkel (gamman), aufweisen,

- bei der Bearbeitung der Hublager (H1,H2) und/oder der Wangen (4) die Kurbelwelle (1) um die Symmetrieachse der Mittellager (ML) rotiert und der Außenfräser (5) mit der Rotation des Hublagers (H1,H2) wenigstens in X-Richtung so nachgeführt wird, dass die Schneiden des rotierenden Außenfräsers (5) die Mantelfläche des exzentrisch rotierenden Hublagers (H1,H2) bearbeiten."

II. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 zwar neu, jedoch im Hinblick auf die folgenden Entgegenhaltungen nicht erfinderisch sei:

D2a: Seiten X-134 und X-135, und

D2b: Seiten X-156 und X-157, des Buchs "Modern Metal Cutting", veröffentlicht von Sandvik Coromant, 1994, nachstehend als

D2

bezeichnet, woraus im Einspruchsverfahren Kopien der folgenden Seiten:

42; 43; II-62,63; III-2,3,8,9,36,37,46,47; VI-30-33; X-18,19,74,75,80,81,134-137,152,153,156-159; XII-10,11,

überreicht worden waren.

III. Am 11. Mai 2006 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder hilfsweise mit einem der in der mündlichen Verhandlung als Hilfsanträge 1 bis 6 überreichten Anspruchssätze.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende I und II) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Die Fassung des Anspruchs 1 nach den Hilfsanträgen enthält gegenüber Anspruch 1 nach dem Hauptantrag zusätzlich folgende Merkmale:

Hilfsantrag 1:

"der Aussenfräser (5) ist scheibenförmig mit Schneiden (s) im Umfangsbereich ausgebildet, und

die Rotationsachsen des Aussenfräsers und der Kurbelwelle liegen parallel zueinander".

Hilfsantrag 2:

"der Aussenfräser (5) ist scheibenförmig mit Schneiden (s) im Umfangsbereich ausgebildet, und

bei der spanenden Bearbeitung werden auch die Wangenflächen (3) der Kurbelwelle (1) bearbeitet".

Hilfsantrag 3:

die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 und das Merkmal, dass "die Wangenflächen (3) und die angrenzende Mantelfläche eines Mittellagers (ML) bzw. eines Hublagers (H1, H2, …) in einem Arbeitsgang bearbeitet werden".

Hilfsantrag 4:

die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 und die Merkmale, dass die Kurbelwellen aus Guss oder Stahl "im ungehärteten Zustand" bestehen, und "die Spandicke zwischen 0.05 und 0.5 mm beträgt".

Hilfsantrag 5:

"der Hub der Kurbelwelle 120 mm beträgt und der Durchmesser des Fräsers mindestens 700 mm beträgt".

Hilfsantrag 6:

das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 5 und das Merkmal, dass "die Drehzahl des Werkzeuges 50-300 U/min beträgt".

V. Im Beschwerdeverfahren wurden ferner die Seiten X-48 und X-120 von D2 und während der mündlichen Verhandlung die Seiten X-154 und X-155 von D2 eingereicht.

VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin Folgendes vorgetragen:

Das Fachbuch D2 könne insgesamt nicht als ein Dokument gesehen werden. Zumindest die einzelnen Unterkapitel hieraus seien als separate Dokumente, wie D2a, D2b, zu betrachten. D2 offenbare das sogenannte "turnmilling" Verfahren, bei dem ein rotierendes Werkstück mit einem Fräser bearbeitet werde. Zwar sei auf den Seiten X-152 und X-156 als Beispiel von "turnmilling" die Außenfräsbearbeitung von Kurbelwellen offenbart. Dort sei jedoch nicht spezifiziert, ob es sich dabei um Kurbelwellen aus Stahlwerkstoffen oder aus anderen Materialien, z.B. Leichtmetalllegierungen, handele. Ferner sei der im Anspruch 1 des Streitpatents geforderte Bereich der Schnittgeschwindigkeit auf Seite X-157 offenbart, jedoch bei Bearbeitungsbeispielen, die gerade nicht die Herstellung von Kurbelwellen, sondern von stangenförmigen Elementen und Nockenwellen beträfen. Die Bearbeitung solcher Werkstücke sei keinesfalls mit der Bearbeitung einer Kurbelwelle vergleichbar, da diese ein wesentlich labileres Werkstück sei. Aus diesem Grund würde der Fachmann nicht auf die Idee kommen, die offenbarten Schnittgeschwindigkeiten bei der Bearbeitung von Kurbelwellen zu verwenden. Die Nachführung des Außenfräsers in X-Richtung bei der Bearbeitung von Kurbelwellen sei zwar in D2 offenbart, jedoch nur bei einer Bearbeitung mit einem Stirnfräser, mit einem Fräser also, dessen Achse quer zur Achse des Werkstücks angeordnet sei ("facemilling" nach D2). Durch die Angabe "wenigstens in X-Richtung", welche impliziere, dass die Nachführung in einer einzigen Richtung für die Bearbeitung bereits ausreichend sei, sei Anspruch 1 auf eine Bearbeitung eingeschränkt, bei der die Achse des Fräsers parallel zur Achse des Werkstücks angeordnet sei ("peripheral milling" nach D2). Im Gegensatz hierzu erfordere das "facemilling" von Kurbelwellen eine Nachführung in mindestens zwei Richtungen. D2 offenbare auf Seiten X-134 und X-135 allgemein die Vorteile einer positiven Schneidgeometrie beim Fräsen; es fehle jedoch eine spezifische Offenbarung der Anwendung der positiven Schneidgeometrie für den gesamten Bereich des "turnmilling".

Durch die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 sei der beanspruchte Gegenstand explizit auf das Umfangsfräsen ("peripheral milling" nach D2) eingeschränkt und somit noch deutlicher vom Stand der Technik nach D2 abgehoben.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei zusätzlich durch das Merkmal eingeschränkt, dass auch die Wangenflächen der Kurbelwellen bearbeitet werden. Da der Fachmann der Ansicht sei, das bei der Bearbeitung der Hublager verwendete Werkzeug und die dort eingesetzte Schnittgeschwindigkeit sei für die Bearbeitung der Wangenflächen nicht geeignet und sogar problematisch, würde er davon absehen, bei diesen Bearbeitungen das gleiche Werkzeug zu verwenden und die gleiche Schnittgeschwindigkeit einzusetzen. Dieses zusätzliche Merkmal könne somit durch den Stand der Technik nicht nahegelegt sein. Dies gelte erst recht für die Durchführung der Bearbeitung von Wangenflächen und Hublagern in einem Arbeitsgang nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 3.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 enthalte zusätzlich die Angabe des geeigneten Bereichs für die Spandicke. Für das in Frage stehende Verfahren könnten die in konventionellen Fräsverfahren angewandten Spandicken nicht einfach übernommen werden. Darüber hinaus wäre es nicht naheliegend, für die Bearbeitung der Hublager und der Wangenflächen die gleiche Spandicke zu verwenden.

Ferner seien die Änderungen im Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 5 und 6 durch die Offenbarung in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gestützt.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen trugen im Wesentlichen Folgendes vor:

Bei D2 handele es sich um eine einzige Literaturstelle, die sich ausschließlich mit der spanenden Metallbearbeitung befasse. Sie könne daher nicht gedanklich in mehrere einzelne Veröffentlichungen aufgeteilt werden. Insbesondere sei das Fräsen als einheitlicher Fachbereich anzusehen. Da D2 alle Merkmale des Anspruchs 1 in Verbindung mit dem Fräsen offenbare, sei deren Kombination für den Fachmann unmittelbar entnehmbar. Jedenfalls sei der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die D2 nahegelegt. Ausgehend von der auf Seite X-152 offenbarten Bearbeitung einer Kurbelwelle, bei der der Außenfräser wenigstens, d.h. mindestens, in X-Richtung bewegt werde, sei es für den Fachmann naheliegend, um kurze Bearbeitungszeiten, hohe Bearbeitungsqualität und Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, auf die Merkmale zurückzugreifen, die hierfür in D2 offenbart sind, insbesondere auf die positive Schneidgeometrie und auf die auf Seite X-157 offenbarten Schnittgeschwindigkeiten.

Angenommen, die Nachführung des Fräswerkzeug sei in D2 nur in Verbindung mit dem "facemilling" offenbart, so wäre es für den Fachmann naheliegend, das in der D2 für die Bearbeitung einer Nockenwelle offenbarte "peripheral milling" auch für die Bearbeitung einer Kurbelwelle zu verwenden. Somit sei auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 durch D2 nahegelegt.

Da bei Kurbelwellen nicht nur die Hublager, sondern auch die Wangenflächen zu bearbeiten seien, wäre es für den Fachmann naheliegend, sowohl die Hublager als auch die Wangenflächen mit demselben Werkzeug und konsequenterweise auch mit den gleichen Schnittgeschwindigkeiten zu bearbeiten. Dabei würde der Fachmann unmittelbar erkennen, dass beide Bearbeitungen in einem Arbeitsgang durchgeführt werden könnten. Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 3 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Da Spandicken in dem Bereich von 0,05 bis 0,5 beim Fräsen üblich seien, was durch die Offenbarung auf Seite X-19 von D2 belegt sei, sei auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 durch D2 nahegelegt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag (Patent wie erteilt)

2.1 Neuheit

2.1.1 D2 offenbart unstrittig ein Verfahren zur spanenden Bearbeitung von Kurbelwellen mittels bestimmter Schneiden (siehe Seite X-156, 1. Absatz: "crankshafts"; siehe Seite X-152, Bild oben links), welches die folgende Merkmalskombination umfasst:

(i) die spanende Bearbeitung ist eine Fräsbearbeitung mittels eines Außenfräsers;

(ii) bei der Bearbeitung der Hublager rotiert die Kurbelwelle um die Symmetrieachse der Mittellager;

(iii) der Außenfräser wird mit der Rotation des Hublagers so nachgeführt, dass die Schneiden des rotierenden Außenfräsers die Mantelfläche des exzentrisch rotierenden Hublagers bearbeiten.

Merkmal (iii) ist unmittelbar dem Bild links oben auf Seite X-152 zu entnehmen, wie von der Beschwerdeführerin selbst während der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Tatsächlich wird in diesem Bild die Bearbeitung des Hublagers der Kurbelwelle mittels eines Stirnfräsers gezeigt. Da die Achse des Fräswerkzeuges quer zur Achse der Kurbelwelle angeordnet ist, ist die Nachführung des Werkzeuges in mindestens einer, parallel zur Werkzeugsachse laufenden Richtung (d.h. in X-Richtung) erforderlich, um die gesamte Hublagerfläche zu bearbeiten.

Die Beschwerdeführerin führte dazu aus, im Gegensatz zum beanspruchten Verfahren, bei dem allein die Nachführung in X-Richtung für die Bearbeitung des Hublagers genüge, sei bei dem aus D2 bekannten Verfahren eine Nachführung in mehreren Richtungen erforderlich. Dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eine Nachführung in mehreren Richtungen umfassen kann, sei von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Eine solche Nachführung sei sogar Gegenstand des abhängigen Anspruchs 5 (Nachführung in X- und Z-Richtung). Nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 ("wenigstens in X-Richtung") müsse in der Tat die Nachführung nicht ausschließlich in X-Richtung erfolgen.

Nach Ansicht der Kammer ist jedoch im Anspruch 1 kein Anhaltspunkt zu finden, um im Fall einer Nachführung in X-Richtung und zusätzlich in einer anderen Richtung zwischen beiden zu differenzieren, wobei der einen Richtung eine geringere Bedeutung für die Bearbeitung beizumessen wäre als der anderen. Der Anspruch 1 kann folglich auch nicht so ausgelegt werden, dass er ausschließlich eine solche Bearbeitung betrifft, bei der die Achse des Fräsers parallel zur Achse des Werkstücks angeordnet sei (d.h. bei der eine Nachführung in X-Richtung für die Bearbeitung bereits ausreichend ist, im Gegensatz zu dem auf Seite X-152 gezeigten Verfahren, welches eine Nachführung auch in einer anderen Richtung erfordert).

2.1.2 D2 offenbart jedoch nicht, aus welchem Material die in Frage kommenden Kurbelwellen bestehen. Da bekanntlich Kurbelwellen nicht nur aus Stahlwerkstoffen sondern auch aus anderen Materialien hergestellt werden können (z.B. Aluminium), unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents von dem aus D2 bekannten Verfahren zum einen dadurch, dass die Kurbelwellen aus Stahlwerkstoffen bestehen.

Ferner offenbart D2, dass beim "turnmilling" Schnittgeschwindigkeiten eingesetzt werden können, die in den beanspruchten Bereichen von mindestens 180 m/min beim Schruppen und 200 m/min beim Schlichten fallen (Seite X-157, vor- und letzter Absatz). Dabei handelt es sich jedoch um Beispiele betreffend die Bearbeitung von spezifischen Werkstücken, nämlich von einem eine komplexe Form aufweisendem Werkstück und von einer Nockenwelle. Die eindeutige Lehre, diese Schnittgeschwindigkeiten auch bei der Bearbeitung von Kurbelwellen einzusetzen, fehlt in der D2.

Schließlich ist auf mehreren Stellen der D2 offenbart (siehe Seiten X-81, X-134 und X-135), dass beim Fräsen eine positive Schneidgeometrie statt einer negativen Schneidgeometrie vorteilhaft angewendet werden kann. Dort wird jedoch allgemein auf das Fräsen Bezug genommen; eine unzweideutige Lehre, die positive Schneidgeometrie speziell für das "turnmilling" anzuwenden, ist in der D2 nicht zu finden.

2.1.3 Folgende Merkmale des Anspruchs 1 sind daher aus D2 in Kombination mit den obengenannten Merkmalen eines Verfahrens zur spanenden Bearbeitung von Kurbelwellen nicht bekannt:

(iv) die Kurbelwellen bestehen aus Stahlwerkstoffen, nämlich aus Guss oder Stahl;

(v) die Schnittgeschwindigkeit beträgt mindestens 180 m/min, insbesondere mindestens 300 m/min beim Schruppen und mindestens 200 m/min, insbesondere mindestens 500 m/min beim Schlichten;

(vi) die Schneiden des Außenfräsers weisen eine positive Schneidengeometrie, insbesondere einen positiven Werkzeug-Normalspanwinkel, auf.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist somit neu gegenüber D2.

2.2 Erfinderische Tätigkeit

2.3 Die oben unter 2.1.3 genannten Unterschiedsmerkmale betreffen eine Auswahl von für Kurbelwellen geeignetem Material und die an diesem Material angepassten Bearbeitungsparametern für die Herstellung einer Kurbelwelle.

Ausgehend von dem Verfahren gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik D2 besteht daher die objektiv gelöste Aufgabe darin, bei ausgewählten Werkstoffen für Kurbelwellen eine kurze Bearbeitungszeit und eine hohe Bearbeitungsqualität zu gewährleisten (siehe Abs. [0014] des Streitpatents).

2.4 Die Anwendung von Stahlwerkstoffen bei der Herstellung von Kurbelwellen ist so verbreitet, dass der Fachmann ohne weiteres Stahlwerkstoffen als geeignete Werkstoffe auswählen wird.

Da D2 offenbart (Seite X-152, 3. Absatz), dass "turnmilling" hohe Produktivität und somit kurze Bearbeitungszeiten erlaubt, zieht der Fachmann die Anwendung der auf Seite X-157 der D2 offenbarten Schnittgeschwindigkeiten in Betracht, um kurze Bearbeitungszeiten zu gewährleisten. Zwar werden diese Schnittgeschwindigkeiten nicht für die Bearbeitungen von Kurbelwellen, sondern von anderen Werkstücken offenbart. Der Fachmann wird jedoch ohne weiteres auf die für die Bearbeitung von einer Nockenwelle offenbarte Schnittgeschwindigkeit (200 m/min beim Schruppen und 300 m/min beim Schlichten) zurückgreifen, da eine Nockenwelle in ihrer Form der Kurbelwelle ähnlich ist und aus dem gleichen Werkstoff (Stahl) besteht.

Ferner wird in D2 die positive Schneidgeometrie als erste Wahl empfohlen, weil sie geringe Schnittkräfte und bessere Leistungseffizienz mit sich bringt (siehe Seite X-81, X-134 und X-135). Da Kurbelwellen aufgrund ihre Form relativ labile Werkstücke sind, erkennt der Fachmann, dass es wichtig ist, bei der Bearbeitung von Kurbelwellen die Schnittkräfte gering zu halten, um eine hohe Bearbeitungsgenauigkeit und folglich eine hohe Bearbeitungsqualität zu erreichen. Es ist für den Fachmann daher naheliegend, für die Bearbeitung der Kurbelwelle ein Fräswerkzeug mit positiver Schneidgeometrie auszuwählen.

2.5 Die Beschwerdeführerin führte zwar aus, dass die Bearbeitung von Nockenwellen mit der Bearbeitung von Kurbelwelle nicht vergleichbar sei, weil Kurbelwellen viel labilere Werkstücke seien, weswegen der Fachmann die in der D2 für die Bearbeitung von Nockenwellen offenbarten Schnittgeschwindigkeiten bei der Bearbeitung von Kurbelwellen nicht einsetzen würde.

Dem kann nicht gefolgt werden. Der Fachmann würde erkennen, dass es bei den in Frage stehenden Schnittgeschwindigkeiten von mehr als 200 m/min sich um relativ hohe Schnittgeschwindigkeiten handelt (vgl. Abs. [0004] des Streitpatents, wonach Schnittgeschwindigkeiten von 100 bis 160 m/min beim Fräsen üblich sind), welche relativ kurze Bearbeitungszeiten auch mit geringen Vorschubsraten, und folglich geringe Schnittkräften, erlauben. Darüber hinaus erkennt der Fachmann, dass auch die in der D2 empfohlene positive Schneidgeometrie zur Verringerung der Schnittkräfte beiträgt. Aufgrund der zu erwartenden geringen Schnittkräfte, hatte der Fachmann keinen Grund zur Annahme gehabt, dass die offenbarten Schnittgeschwindigkeiten für die Bearbeitung von relativ labilen Werkstücken wie Kurbelwellen nicht geeignet seien.

2.6 Daher wäre der Fachmann in naheliegender Weise zu einem Verfahren gemäß dem Anspruch 1 gelangt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Form beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3. Hilfsantrag 1

3.1 Änderungen

Zusätzlich zu den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1, enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 das Merkmal des erteilten Anspruchs 2, nach dem "der Außenfräser scheibenförmig mit Schneiden im Umfangsbereich ausgebildet ist", und das Merkmal, dass "die Rotationsachsen des Außenfräsers und der Kurbelwelle parallel zueinander liegen". Die Basis für diese Änderungen findet sich im ursprünglichen Anspruch 4 und den Figuren 11 und 12. Gegen die Änderungen bestehen daher keine Einwände nach Artikel 123 EPÜ.

3.2 Erfinderische Tätigkeit

3.2.1 Diese zusätzlichen Merkmale kennzeichnen die in der D2 als "peripheral milling" (Umfangsfräsen) genannte Variante des "turnmilling" (siehe Seite X-153, Bild D). Da sie jedoch in Kombination mit den anderen Merkmalen des aus D2 bekannten Verfahrens zur Bearbeitung von Kurbelwellen (siehe Punkt 2.1.1 oben) nicht offenbart sind, sind diese Merkmale als weitere unterscheidende Merkmale anzusehen, zusätzlich zu den Merkmalen vi, v und vi (siehe Punkt 2.1.3 oben). Tatsächlich ist die Achse des Fräswerkzeugs beim Verfahren gemäß Bild links oben auf Seite X-152 von D2 quer zur Achse der Kurbelwelle angeordnet ("facemilling" = Stirnfräsen). Diese zusätzlichen unterscheidenden Merkmale stellen daher eine alternative relative Anordnung von Werkzeug und Werkstück dar.

Durch diese unterscheidenden Merkmale wird somit ausgehend von D2 die zusätzliche Aufgabe gelöst, eine alternative relative Anordnung von Werkzeug und Werkstück zu finden.

3.2.2 D2 offenbart zwei Varianten des allgemeinen, als "turmilling" bezeichneten Verfahrens, nämlich das "facemilling" und das "peripheral milling". Um die genannte zusätzliche Aufgabe zu lösen, ist es für den Fachmann naheliegend, auf die Alternative des "peripheral milling" zurückzugreifen. Dies umso mehr als der Fachmann feststellen würde, dass im Bild rechts oben auf Seite X-152 die Bearbeitung einer Kurbelwelle gezeigt ist, bei der ein scheibenförmige Außenfräser verwendet wird, dessen Rotationsachse parallel zur Rotationsachse der Kurbelwelle liegt. Zwar ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass auf diesem Bild nicht zu erkennen ist, ob die gezeigte Bearbeitung überhaupt dem "turnmilling" zuzuordnen ist. Tatsächlich bleibt offen, ob dort das Fräswerkzeugs nachgeführt ist oder nicht. Die Anordnung dieses Bildes unmittelbar neben dem Bild, in welchem das "turnmilling" einer Kurbelwelle mittels eines Stirnfräsers dargestellt ist, zeigt jedoch, dass die Lehre von D2 Umfangsfräser für die Bearbeitung von Kurbelwellen einschließt.

3.2.3 Somit gelangt der Fachmann in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand. Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4. Hilfsantrag 2

4.1 Änderungen

Zusätzlich zu den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 die Merkmale der erteilten Ansprüche 2 und 3 (Ansprüche 4 und 5 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen), dass "der Außenfräser scheibenförmig mit Schneiden im Umfangsbereich ausgebildet ist" und "bei der spanenden Bearbeitung auch die Wangenflächen der Kurbelwelle bearbeitet werden". Gegen die Änderungen bestehen daher keine Einwände nach Artikel 123 EPÜ.

4.2 Erfinderische Tätigkeit

4.2.1 Es ist unbestritten, dass D2 nicht zu entnehmen ist, ob außer den Hublagern auch die Wangenflächen der Kurbelwelle bearbeitet werden. Daher ist dieses Merkmal als weiteres unterscheidende Merkmale anzusehen. Dies gilt ebenfalls, wie oben ausgeführt, für das Merkmal, dass der Außenfräser scheibenförmig mit Schneiden im Umfangsbereich ausgebildet ist. Allerdings trägt diese Merkmal nicht zur erfinderischen Tätigkeit bei (siehe Punkt 3.2 oben).

4.2.2 Durch das weitere unterscheidende Merkmal wird die zusätzliche Aufgabe gelöst, die Wangenflächen der Kurbelwelle zu bearbeiten.

4.2.3 Es ist dem Fachmann allgemein bekannt, dass es bei Kurbelwellen, insbesondere bei Pkw-Kurbelwellen, üblich ist, auch die Wangenflächen der Kurbelwelle zu bearbeiten (siehe hierzu Absatz [0004] des Streitpatents). Die obengenannte Aufgabenstellung ist somit für den Fachmann naheliegend. Naheliegend ist es dann auch, die Bearbeitung der Wangenfläche in der gleichen Weise wie die Bearbeitung der Hublager durchzuführen. In der Tat erkennt der Fachmann sofort, dass diese Maßnahme für die Gesamtbearbeitung der Kurbelwelle vorteilhaft ist, weil sie die Verwendung einer einzigen Werkstückseinspannung und eines einzigen Fräswerkzeugs ermöglicht.

Die Beschwerdeführerin führte aus, der Fachmann würde für die Bearbeitung der Wangenfläche nicht das gleiche Werkzeug und die gleiche Schnittgeschwindigkeiten anwenden, die er für die Bearbeitung der Hublager eingesetzt habe, weil er damit Probleme während der Bearbeitung erwarten würde. Auch hierin kann die Kammer der Beschwerdeführerin nicht folgen: Wie bereits oben ausgeführt, ermöglichen die hohe Schnittgeschwindigkeiten und die positive Schneidgeometrie relativ geringe Schnittkräfte, so dass der Fachmann keinen Grund hätte, irgendwelche Probleme während der Bearbeitung zu erwarten.

4.2.4 Somit würde der Fachmann in naheliegender Weise zum beanspruchten Verfahren gelangen. Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

5. Hilfsantrag 3

Zusätzlich zu den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 2, enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 das zusätzliche Merkmal des erteilten Anspruch 4 (entspricht Anspruch 6 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen), dass die Wangenflächen und die angrenzende Mantelfläche eines Mittellagers bzw. eines Hublagers in einem Arbeitsgang bearbeitet werden. Obwohl die Hinzufügung dieses Merkmals hinsichtlich Artikel 123 EPÜ nicht zu beanstanden ist, vermag sie keinen erfinderischen Beitrag zu leisten:

Der Fachmann, der in naheliegender Weise zum Schluss kommt (siehe Punkt 4.2 oben), die Bearbeitung der Wangenfläche in der gleichen Weise wie die Bearbeitung der Hublager durchzuführen, würde dann unmittelbar erkennen, dass beide Bearbeitungen in einem Arbeitsgang durchgeführt werden könnten. Es wäre in der Tat technisch sinnlos, einen separaten Arbeitsgang für jede Bearbeitung vorzusehen, weil dies kein Vorteil mit sich bringen würde, sondern sich nur nachteilig auf die Bearbeitungszeit auswirken würde.

Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 3 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

6. Hilfsantrag 4

6.1 Änderungen

Zusätzlich zu den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 3, enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 die zusätzlichen Merkmale, dass die Stahlwerkstoffe in ungehärteten Zustand sind und dass die Spandicke zwischen 0.05 und 0.5 mm beträgt. Diese weiteren Änderungen sind durch den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinreichend gestützt (siehe Seite 9) so dass sie nach Artikel 123 EPÜ zulässig sind.

6.2 Erfinderische Tätigkeit

6.2.1 Die gemäß dem Hilfsantrag 4 an Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen bedeuten sachlich lediglich die Festlegung des Werkstoffzustandes und der geeigneten Spandicke.

Die Festlegung von Werkstoffzustand und Spandicke ist eine für den Fachmann geläufige Aufgabe. Da es allgemein bekannt ist, spanende Metallbearbeitungen (wie Fräsen oder Drehen) von Stahlwerkstoffen vor dem Härteprozess durchzuführen (weil das Härten die Bearbeitung erheblich erschweren würde), würde der Fachmann es als naheliegend ansehen, die Fräsbearbeitung der Kurbelwelle durchzuführen, solange diese noch in ungehärtetem Zustand ist. Bezüglich der Spandicke offenbart D2 (Seite X-19, 2. Absatz), das es üblich ist, Spandicken in dem Bereich von 0.04-0.2 mm beim Umfangsfräsen anzuwenden, d.h. in einem Bereich, der zum größten Teil mit dem im Anspruch 1 angegeben, breiten Bereich von 0.05 bis 0.5 mm überlappt. D2 würde daher den Fachmann dazu anregen, eine in dem beanspruchten Bereich fallende Spandicke auszuwählen.

6.2.2 Die Beschwerdeführerin führte aus, für den Fachmann liege es nicht auf der Hand, die in konventionellen Fräsverfahren angewandten Spandicken zu übernehmen. Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann wohl auf die Idee kommen, zumindest anfänglich die Bearbeitung mit den für das Umfangsfräsen üblichen Spandicken durchzuführen, da es sich beim beanspruchten Verfahren immerhin um ein Umfangsfräsen handelt.

Die Beschwerdeführerin führte ferner aus, es sei nicht naheliegend, für die Bearbeitung der Hublager und der Wangenflächen die gleiche Spandicke zu verwenden. Es ist allerdings für die Kammer nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Fachmann das Verfahren durch die Auswahl von unterschiedlichen Bearbeitungsparameter für die Hublager und für die Wangenflächen komplizieren sollte.

6.2.3 Es ergibt sich somit, dass auch dem Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 die erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ fehlt.

7. Hilfsanträge 5 und 6

Während der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin von der Kammer darauf hingewiesen, dass die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 5 und 6, wonach der Hub der Kurbelwelle 120 mm beträgt und der Durchmesser des Fräsers mindestens 700 mm beträgt, zwar in einem Beispiel in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart sind (Seite 7, Zeilen 11-22 - entspricht Absatz [0033] des erteilten Patents), jedoch nur in einer bestimmten Merkmalskombination, zu der auch das Merkmal gehöre, dass die Eintauchtiefe ca. 200-250 mm beträgt.

Da die Beschwerdeführerin auf diesen Einwand nichts vorgebracht hat als einen bloßen Verweis auf die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, hält die Kammer den Einwand aufrecht. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA entspricht eine Änderung durch Aufnahme isolierter Merkmale aus einem Beispiel in einen Anspruch den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ, wenn der Fachmann erkennen kann, dass diese Merkmale in keinem Wirksamkeitszusammenhang mit den übrigen Merkmalen des Beispiels stehen (siehe z.B. T 1002/00, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Dies ist hier nicht der Fall, weil die Eintauchtiefe bei der Bearbeitung eine wesentliche Rolle spielt: Sie bestimmt, zusammen mit mindestens dem Hub der Kurbelwelle, das Ausmaß der benötigten Nachführung.

Da Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 5 und 6 dieses Merkmal nicht enthält, genügen die Änderungen gemäß diesen Hilfsanträgen nicht dem Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ.

8. Bei dieser Sachlage muss die angefochtene Entscheidung im Ergebnis bestätigt und die Beschwerde zurückgewiesen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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