T 1202/03 () of 14.2.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T120203.20060214
Datum der Entscheidung: 14 Februar 2006
Aktenzeichen: T 1202/03
Anmeldenummer: 96100593.1
IPC-Klasse: E04D 1/36
E04D 13/17
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 77 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rollbarer Dichtungsstreifen für eine First- und/oder Gratabdeckung
Name des Anmelders: Gehring, Manfred, Dr.
Name des Einsprechenden: ALLFAST AG
MBE GmbH / ivt Blank
BWK Dachzubehör GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - Streichung eines Merkmals (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0201/83
T 0260/85
T 0331/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1852/13

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Erteilung des Patents Nr. 0 724 048 B1 hatten die Beschwerdegegnerin I (Allfast AG, Einsprechende I), die Beschwerdegegner II (MBE GmbH und IVT Blank GmbH, Einsprechende II) und die Beschwerdegegnerin III (BWK Dachzubehör GmbH, Einsprechende III) Einspruch eingelegt und das Patent wegen mangelnder Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit angegriffen. Die Beschwerdegegner II hatten außerdem geltend gemacht, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen eingereichten Fassung hinaus gehe (Artikel 100 (c) i.V.m. 123 (2) EPÜ).

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß einem Hauptantrag bzw. einem Hilfsantrag über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe und daher gegen Artikel 100 (c) und 123 (2) EPÜ verstoße; sie hat deshalb allein aus diesem Grund das Patent widerrufen.

Gegen die am 20. Oktober 2003 zur Post gegebene Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 4. Dezember 2003 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet und am 30. Januar 2004 ihre Beschwerde begründet.

III. Am 14. Februar 2006 hat die Kammer über die Beschwerde mündlich verhandelt.

IV. Ansprüche

a) Ursprünglich eingereichte Patentanmeldung

Der ursprüngliche Anspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:

"1. Rollbarer, einen Luftdurchtritt ermöglichender Dichtungsstreifen für eine First- und/oder Gratabdeckung mit einem zur Auflage auf einer First- und/oder Gratlatte bestimmten Mittelbereich und mit daran angrenzenden Seitenstreifen, insbesondere aus plastisch verformbarem Material, die wenigstens mit ihren äußeren Längsrändern an die Oberseite von Dacheindeckungsplatten anpassbar sind,

dadurch gekennzeichnet,

dass der Mittelbereich oder -streifen (2) des Dichtungsstreifens (1) in die Seitenstreifen (3,3',4,4') über zumindest zwei längs verlaufende, zwischen sich jeweils einen Abschnitt (5,5') vorgegebener Länge aufweisende Sicken (6,6',7,7') übergeht."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 27 betrafen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Dichtungsstreifens, von den die folgenden für diese Entscheidung eine Rolle spielen:

"2. Dichtungsstreifen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtungsstreifen (1) einstückig ausgebildet ist."

"9. Dichtungsstreifen nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet dass der Mittelbereich (2) und/oder die Seitenstreifen (3,3',4,4') gewellt ausgebildet sind."

"11. Dichtungsstreifen nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenstreifen (3,3',4,4') jeweils zur Ausbildung eines Randstreifens (4,4') mit einer längs verlaufenden Unterbrechung (8,8') versehen sind."

"16. Dichtungsstreifen nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der zwischen Mittel- und Randstreifen (2,4,4') angeordnete Abschnitt (3,3') der Seitenstreifen (3,3',4,4') mit Lüftungsöffnungen (9,15,15',17,17') versehen ist."

b) Hauptantrag

Der Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag wurde während des Einspruchsverfahrens eingereicht. Er lautet wie folgt:

"1. Rollbarer, einen Luftdurchtritt ermöglichender Dichtungsstreifen (1) für eine First- und/oder Gratabdeckung mit einem zur Auflage auf einer First- und/oder Gratlatte bestimmten Mittelbereich (2) und mit daran angrenzenden Seitenstreifen (3, 3´, 4, 4´) aus plastisch verformbarem Material, die wenigstens mit ihren äußeren Längsrändern an die Oberseite von Dacheindeckungsplatten anpassbar sind, wobei die Seitenstreifen (3, 3´, 4, 4´) einen seitlich an denn Mittelbereich (2) anschließenden Abschnitt (3, 3´), der einen Teil der Breite der Seitenstreifen (3, 3´, 4, 4´) einnimmt, und einen seitlich außen an diesen Abschnitt (3, 3´) anschließenden Randstreifen (4, 4´) aufweisen,

dadurch gekennzeichnet,

dass der Dichtungsstreifen (1) einstückig ausgebildet ist, und dass der zwischen dem Mittelbereich (2) und den Randstreifen (4, 4´) angeordnete Abschnitt (3, 3´) der Seitenstreifen (3, 3´, 4, 4´) mit Lüftungsöffnungen (9, 15, 15´, 17, 17´) versehen ist."

c) Hilfsantrag I

Anspruch 1 des Hilfsantrags I wurde ebenfalls während des Einspruchsverfahren eingereicht. Sein Oberbegriff hat denselben Wortlaut wie Anspruch 1 des Hauptantrags mit folgendem Kennzeichen:

"...dadurch gekennzeichnet,

dass der Dichtungsstreifen (1) einstückig ausgebildet ist, dass der zwischen dem Mittelbereich (2) und den Randstreifen (4,4') angeordnete Abschnitt (3,3') der Seitenstreifen (3,3',4,4') mit Lüftungsöffnungen (9,15,15',17,17') versehen ist, und dass der Mittelbereich (2) und/oder die Seitenstreifen (3,3',4,4') gewellt ausgebildet sind."

d) Hilfsantrag II

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II wurde mit Schreiben von 8. Dezember 2005 während des Beschwerdeverfahrens eingereicht. Der Oberbegriff bleibt unverändert, während das Kennzeichen nunmehr lautet:

"...dadurch gekennzeichnet,

dass der Dichtungsstreifen (1) einstückig ausgebildet ist, dass der zwischen dem Mittelbereich (2) und den Randstreifen (4,4') angeordnete Abschnitt (3,3') der Seitenstreifen (3,3',4,4') mit Lüftungsöffnungen (9,15,15',17,17') versehen ist, und dass der Mittelbereich (2) des Dichtungsstreifens (1) in die Seitenstreifen (3,3',4,4') über zumindest zwei längs verlaufende, zwischen sich jeweils einen Abschnitt (5,5') vorgegebener Länge aufweisende Sicken (6,6',7,7') übergeht."

V. Angefochtene Entscheidung

Relevant für die angefochtene Entscheidung sind die Merkmale d) und e) der Merkmalsgliederung der Einspruchsabteilung in Punkt 3.1 der angefochtenen Entscheidung:

d) "der zwischen dem Mittelbereich (2) und den Randstreifen (4,4´) angeordnete Abschnitt (3,3´) der Seitenstreifen (3,3´,4,4´) ist mit Lüftungsöffnungen (9,15,15´,17,17´) versehen";

und

e) "der Mittelbereich oder -streifen (2) des Dichtungsstreifen (1) geht in die Seitenstreifen (3,3´,4,4´) über zumindest zwei längs verlaufende, zwischen sich jeweils einen Abschnitt (5,5´) vorgegebener Länge aufweisende Sicken (6,6´,7,7´)über".

Das Merkmal d) ist der Gegenstand des ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruchs 16. Es wurde in Anspruch 1 des Haupt- und Hilfsantrags I hinzugefügt. Merkmal e) ist der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 in der ursprünglichen Anmeldung, fehlt jedoch im Hauptantrag und im Hilfsantrag I und fehlte bereits im erteilten Anspruch 1.

Die Einspruchsabteilung verwies auf die in der Beschreibung erwähnte Aufgabe (siehe Spalte 1, Zeilen 48 bis 54), einen Dichtungsstreifen zu schaffen, welcher Vorteile von Lüftungselementen nutzt, jedoch einfach und kostengünstig hergestellt sowie auf First- und/oder Gratlatten unterschiedlicher Breite festgelegt werden kann. Gemäß Spalte 1, Zeile 55 bis Spalte 2, Zeile 2 der Beschreibung werde diese Aufgabe durch die nach Merkmal e) definierten Sicken gelöst.

Da die Sicken das einzige strukturelle Merkmal des Kennzeichens des Anspruchs 1 der Patentanmeldung seien, und kein Ausführungsbeispiel die in Merkmal d) definierten Lüftungsöffnungen ohne Merkmal e) zeigten, seien die Sicken erfindungswesentlich. Die Einspruchsabteilung verwies hierzu auf die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (Teil C, Kapital III, Absatz 4.3 ii), wo es heißt, dass ein unabhängiger Anspruch alle wesentlichen Merkmale einer Erfindung angeben müsse. Da die ursprüngliche Anmeldung nicht offenbare, dass das Merkmal d) ohne Merkmal e) ausgeführt werden könne, sei der Gegenstand der Anmeldung unzulässig erweitert und verstoße daher gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

VI. Vorbringen der Beteiligten

Hauptantrag

Die Beschwerdeführerin trägt vor, in der Beschreibung (Spalte 2, Absatz 1 und Spalte 4, Zeilen 20 bis 53) und in den Zeichnungen der veröffentlichen Anmeldung seien Dichtungsstreifen mit Sicken und Lüftungsöffnungen offenbart. Die Sicken erleichterten das Abkanten des Dichtungsstreifens auf unterschiedlich breiten Firstlatten, während die Lüftungsöffnungen einer aktiven Entlüftung des Unterdachbereichs dienten. Es sei für den Fachmann eindeutig, dass die Sicken und die Lüftungsöffnungen jeweils unterschiedlichen Zwecken dienten und dass der Dichtungsstreifen mit entweder den Sicken oder den Lüftungsöffnungen oder auch mit beiden verwirklicht werden könne. Dass alle Ausführungsbeispiele einen Dichtungsstreifen offenbarten, der sowohl die Sicken als auch die Lüftungsöffnungen aufweise, bedeute nicht, dass beide Merkmale zwingend gemeinsam beansprucht werden müssten. Ferner könne der Fachmann aus Spalte 3, Zeilen 29 bis 32 der Anmeldung entnehmen, dass die Sicken nicht erforderlich seien.

Die Beschwerdeführerin wendet ein, Anspruch 1 führe zu eine Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ, weil er die in der ursprünglichen Beschreibung genannte Aufgabe nicht löse. Sie ist der Auffassung, es widerspreche dem Sinn und Zweck des EPÜ, wenn die Angabe der technischen Aufgabe in der ursprünglichen Beschreibung dazu führe, dass der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 wegen Artikel 123 (2) EPÜ nicht mehr erweitert werden könne. Die Begründung der Einspruchsabteilung bedeute in letzter Konsequenz, dass kein Merkmal aus dem Kennzeichen des ursprünglichen Anspruchs 1 im Erteilungsverfahren hätte gestrichen, bzw. durch die Merkmale eines abhängigen Anspruchs ersetzt werden dürfen; Artikel 123 (2) EPÜ verbiete aber keine Erweiterung des durch die ursprünglichen Patentansprüche definierten Schutzbereichs bis zur Patenterteilung. Da es eine Offenbarung des Gegenstandes des Anspruchs 1 in der ursprünglichen Anmeldung gebe, sei die Einspruchsabteilung zum falschen Ergebnis gekommen.

Die Beschwerdegegner haben im wesentlichen wie folgt argumentiert:

Artikel 123 (2) besage, dass eine europäische Patentanmeldung nicht in einer Weise geändert werden dürfe, dass ihr Gegenstand über die Gesamtoffenbarung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. In diesem Fall offenbarten weder die Beschreibung, die Ausführungsbeispiele, die Figuren noch die Ansprüche einen Dichtungsstreifen ohne Sicken.

Die in der Anmeldung dargestellte Aufgabe sei es (siehe Spalte 1, Zeilen 48 bis 54), einen Dichtungsstreifen zu schaffen, der auf First- und/oder Gratlatten unterschiedlicher Breite festgelegt werden könne. Diese Aufgabe werde durch die Sicken gelöst (Spalte 1, Zeile 55 bis Spalte 2, Zeile 9). Die Sicken seien der Kern der Erfindung und im Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung als die Erfindung gekennzeichnet. Die Beschwerdeführerin habe durch die Streichung dieses Merkmal einen vollkommen neuen, in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht offenbarten Dichtungsstreifen beansprucht.

Die Beschwerdegegner verwiesen auf die Entscheidungen T 260/85 (ABl. 1989, 105) und T 331/87 (ABl. 1991, 22). Nach T 260/85 sei es nicht zulässig, aus einem unabhängigen Anspruch ein Merkmal zu streichen, das in der ursprünglichen eingereichten Anmeldung durchweg als wesentliches Erfindungsmerkmal hingestellt worden sei, da dies gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen würde. Nach T 331/87 verletze das Ersetzen oder Streichen eines Merkmals aus einem Anspruch nicht Artikel 123 (2) EPÜ, sofern der Fachmann unmittelbar und eindeutig erkennen könne, dass 1) das Merkmal in der Offenbarung nicht als wesentlich hingestellt worden sei, 2) es als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen solle, nicht unerlässlich sei und 3) das Ersetzen oder Streichen keine wesentliche Angleichung anderer Merkmale erfordere. Da die Sicken beständig in der Anmeldung als ein wesentliches Merkmal dargestellt und auch zur Lösung der Aufgabe unerlässlich seien, sei das Streichen dieses Merkmals nach diesen Entscheidungen nicht als zulässig anzusehen. Die Textstelle in Spalte 3, Zeilen 29 bis 32 betreffe andere Sicken zwischen den Seitenstreifen und den Randsteifen und nicht die ursprünglich beanspruchten Sicken beiderseits des Mittelbereichs.

Hilfsantrag I

Da Merkmal e) im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I ebenfalls fehlt, gilt das Vorbringen der Beteiligten zum Hauptantrag auch für den Hilfsantrag I.

Hilfsantrag II

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Zurückweisungsgrund der unzulässigen Erweiterung hinsichtlich dieses Hilfsantrags gegenstandlos sei, da Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II beide Merkmale e) und d) aufweise und alle Merkmale des Anspruchs 1 der ursprünglichen Anmeldung und zusätzlich die Merkmale der ursprünglichen abhängigen Ansprüche 2 und 16 enthalte.

Die Beschwerdegegnerin III argumentiert dagegen, dass die Randstreifen und Seitenstreifen in der Beschreibung lediglich in Kombination mit einer Unterbrechung (8,8') offenbart seien (siehe Spalte 3, Zeilen 27 bis 29). Der Abschnitt ohne Unterbrechungen, der in Spalte 3, Zeilen 29 bis 32 erwähnt sei, betreffe einen Dichtungsstreifen ohne Lüftungsöffnungen. Da die ursprünglich eingereichte Anmeldung keinen Dichtungsstreifen mit Seitenstreifen und Lüftungsöffnungen, aber ohne eine Unterbrechung offenbare, liege ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

Schließlich entspreche der Anspruch auch nicht dem Erfordernis des Artikels 84 EPÜ, weil es nicht klar sei, ob zwei Sicken jeweils zwischen einem Seitenstreifen und dem Mittelbereich oder eine Sicke auf jeder Seite des Mittelbereichs vorhanden sein sollen.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hauptantrag, eingereicht am 22. April 2003; hilfsweise gemäß Hilfsantrag I, eingereicht am 22. April 2003; weiter hilfsweise gemäß Hilfsantrag II, eingereicht am 8. Dezember 2005. Ferner beantragt sie die Vorlage der Frage an die Große Beschwerdekammer, "ob ein erteilter Anspruch 1, der nicht die ursprüngliche Erfindungsaufgabe löst, weil im Prüfungsverfahren ein kennzeichnendes Merkmal gestrichen worden ist, gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt, oder ob nicht die Erfindungsaufgabe an das angepasst werden kann oder sogar angepasst werden muss, was der erteilte Anspruch 1 objektiv gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik löst."

Die Beschwerdegegner beantragen die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ

2.1 Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag basiert ebenso wie der erteilte Anspruch 1 auf dem Oberbegriff des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und den abhängigen Ansprüchen 2 und 16. Die Frage, die im Mittelpunkt steht, ist, ob der Fachmann der Patentanmeldung einen Dichtungsstreifen mit Merkmal d), aber ohne Merkmal e) entnehmen kann.

Artikel 123 (2) EPÜ bestimmt, dass Änderungen einer europäischen Patentanmeldung nur insoweit zulässig sind, als der Gegenstand der geänderten Patentanmeldung oder des geänderten Patents nicht über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der in Artikel 123 (2) EPÜ verwendete Begriff "Inhalt der Anmeldung" bezieht sich auf die Teile einer europäischen Patentanmeldung, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind, nämlich die Beschreibung, die Patentansprüche und die Figuren.

Es ist nicht bestritten, dass die Anmeldung einen Dichtungsstreifen mit Sicken und Lüftungsöffnungen offenbart. Solche Dichtungsstreifen sind in den Figuren dargestellt und im abhängigen Anspruch 16 definiert. Die Ausführungsbeispiele, die Figuren und die Ansprüche offenbaren jedoch selbst keinen Dichtungsstreifen ohne Sicken. Die Frage ist daher, ob der Fachmann einen derartigen Dichtungsstreifen unmittelbar und eindeutig aus der Beschreibung entnehmen kann.

Nach dem ersten Absatz der Beschreibung (Spalte 1, Zeilen 1 bis 10) betrifft die Erfindung einen einen Luftdurchtritt ermöglichenden Dichtungsstreifen für eine First- und/oder Gratabdeckung mit einem Mittelbereich und Seitenstreifen, die an die Oberseite von Dacheindeckungsplatten anpassbar sind. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde (siehe Spalte 1, Zeilen 48 bis 54), einen Dichtungsstreifen zu schaffen, der die Vorteile bekannter Lüftungselemente nutzt, jedoch einfach und kostengünstig hergestellt sowie auf First- und/oder Gratlatten unterschiedlicher Breite festgelegt werden kann. Erfindungsgemäß soll gemäß Spalte 1, Zeile 55, bis Spalte 2, Zeile 2 die genannte Aufgabe dadurch gelöst werden, dass der Mittelbereich oder -streifen des Dichtungsstreifens in die Seitenstreifen über zumindest zwei längs verlaufende, zwischen sich jeweils einen Abschnitt vorgegebener Länge aufweisende Sicken übergeht. Die Lüftungsöffnungen werden als Weiterbildungen derartiger Dichtungsstreifen ab Spalte 3, Zeile 56 beschrieben, wobei der Dichtungsstreifen "im übrigen" mit Lüftungsöffnungen versehen ist (Spalte 3, Zeilen 56 bis 59).

Der Fachmann erhält somit aus der Beschreibung die Information, dass die Anpassbarkeit des Dichtungsstreifens und die Sicken der Hauptpunkt der Anmeldung sind, den die Beschwerdegegnerin I als "roten Faden" zeichnet hat. In der gesamten Anmeldung stehen die Lüftungsöffnungen im Zusammenhang mit den Sicken und es gibt keine Offenbarung eines Dichtungsstreifens mit Lüftungsöffnungen, aber ohne Sicken. Die von der Beschwerdeführerin genannte Textstelle in Spalte 3, Zeilen 29 bis 32 betrifft eine andere Sicke mit einer anderen Funktion als die im ursprünglichen Anspruch 1 genannten Sicken, so dass hieraus kein Hinweis darauf abgeleitet werden kann, dass auch letztere weggelassen werden kann.

Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin insoweit, als der Fachmann erkennen würde, dass die Sicken und die Lüftungsöffnungen verschiedene Funktionen haben und ein Dichtungsstreifen mit Lüftungsöffnungen und ohne Sicken hergestellt werden könnte. Dies heißt jedoch nicht, dass ein solcher Dichtungsstreifen auch offenbart ist. Vielmehr ist der Anmeldung nicht entnehmbar, dass ein Dichtungsstreifen, der die den Lüftungsöffnungen zugeordnete Aufgabe lösen soll, nicht die den Sicken zugrunde liegende Aufgabe lösen muss. Die oben aufgezeigte Darstellung in der Beschreibung legt im Gegenteil den Schluss nahe, dass die erstgenannte Aufgabe nur in Verbindung mit der letztgenannten Aufgabe gelöst werden soll. Im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ kommt es darauf an, ob eine Änderung bzw. der durch die Änderung erhaltene Gegenstand unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung ableitbar ist. Deshalb wird in der Entscheidung T 201/83 (ABl. 1984, 481) ausgeführt, die Prüfung darauf, ob Artikel 123 (2) EPÜ eingehalten sei, sei im Grunde ein Neuheitstest (siehe auch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts 4. Auflage III.A.3.1). Im vorliegenden Fall ist die ursprünglichen Anmeldung für den geänderten Gegenstand, nämlich einen Dichtungsstreifen ohne Sicken, nicht neuheitsschädlich, weil die Änderung nicht den Neuheitstest bestehe. Dass der Fachmann die Änderung ausführen könnte, ist nicht ausreichend.

Aus den oben genannten Gründen ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) nicht erfüllt.

2.2 Die Beschwerdegegner argumentieren weiter, dass die Sicken ein wesentliches Merkmal seien, um die in der Anmeldung dargestellte Aufgabe zu lösen. Auch sei es gemäß den Entscheidungen T 260/85 (ABl. 1989, 105) und T 331/87 (ABl. 1991, 22) nicht möglich, ein solches Merkmal zu streichen. In Erwiderung dazu trägt die Beschwerdeführerin vor, dass die Angabe der technischen Aufgabe in der ursprünglichen Beschreibung zu einer über Artikel 123 (2) EPÜ hinausgehenden Einschränkung führe, da es dann grundsätzlich nicht möglich sei, ein Merkmal aus dem Kennzeichen eines ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 zu streichen oder durch ein Merkmal eines abhängigen Anspruchs zu ersetzen, ohne damit den Anspruch zu erweitern. Die Beschwerdeführerin hat deshalb beantragt, die Frage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, "ob ein erteilter Anspruch 1, der nicht die ursprüngliche Erfindungsaufgabe löst, weil im Prüfungsverfahren ein kennzeichnendes Merkmal gestrichen ist, gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt, oder ob nicht die Erfindungsaufgabe an das angepasst werden kann oder sogar angepasst werden muss, was der erteilte Anspruch 1 objektive gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik löst."

Die Kammer ist der Meinung, dass in diesem Fall die Zulässigkeit der Änderung lediglich die Frage betrifft, ob der geänderte Gegenstand in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart ist. Ein Merkmal kann in einem Anspruch gestrichen oder ersetzt werden, solange der Fachmann den geänderten Gegenstand unmittelbar und eindeutig der Anmeldung entnehmen kann. Nach Artikel 112 (1) EPÜ befasst eine Beschwerdekammer die Große Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Im vorliegenden Fall weichen die der Entscheidung zugrunde liegende Überlegungen nach Punkt 2.1, bei denen es auf die Aufgabenstellung allein nicht ankommt, nicht von der ständigen Rechtsprechung ab. Eine Vorlage kommt daher nicht in Betracht.

3. Hilfsantrag I

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I basiert auf dem Oberbegriff des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und den abhängigen Ansprüchen 2, 9 und 16. Da dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I auch das die Sicken betreffende Merkmal e) fehlt, liegt aus den gleichen Gründen wie für Anspruch 1 des Hauptantrags ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

4. Hilfsantrag II

4.1 Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II weist beide Merkmale d) und e), d.h. Lüftungsöffnungen und Sicken, auf. Er enthält alle Merkmale des Anspruchs 1 der ursprünglichen Anmeldung und zusätzlich die Merkmale der abhängigen Ansprüche 2 und 16; diese Kombination von Merkmalen ist somit in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 somit in Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ steht.

4.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass in der Beschreibung die in Anspruch 1 definierte Kombination der Merkmale nur in Verbindung mit dem Merkmal der Unterbrechung (8,8') offenbart seien. Dieses Argument ist aber nicht überzeugend. Erstens ergibt sich nämlich aus dem Text in Spalte 3, Zeilen 29 bis 32 der Beschreibung ("ein dem Mittelbereich jeweils Zugewandter Abschnitt der Seitenstreifen kann aber auch ohne Unterbrechungen in einen Randstreifen übergehen"), dass die genannten Unterbrechungen fakultativ sind. Die zwei relevanten Absätze (Spalte 3, Zeile 27 bis Spalte 4, Zeile 4) geben keinen Hinweis darauf, dass das Fehlen der Unterbrechungen nur auf einen Dichtungsstreifen ohne Lüftungsöffnungen beschränkt ist, wie die Beschwerdeführerin argumentiert; vielmehr besagt der zweite Absatz, dass es vorteilhaft ist, solche Dichtungsstreifen mit Lüftungsöffnungen zu versehen. Zweitens ist die Kombination der in Anspruch 1 definierten Merkmale im ursprünglich eingereichten Anspruchsatz explizit offenbart.

4.3 Da der Anspruch alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 enthält, liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ vor. Die Kammer ist auch der Meinung, dass die Definition der Sicken in Beziehung zu dem Mittelbereich, Seitenstreifen und Abschnitt zusammen mit Bezugszeichen im Sinne von Artikel 84 EPÜ klar ist. Das letzte Merkmal des Anspruchs 1, das von der Beschwerdegegnerin als unklar genügt wurde, drückt nämlich nichts anders aus, als was in den Figuren 1, 3, 4 und 5 gezeigt ist, wo zwischen dem Mittelbereich und den Seitenstreifen auf beiden Seiten des Mittelbereichs jeweils zwei beabstandete Längssicken vorhanden sind.

5. Da die Kammer zum Ergebnis kommt, dass der Anspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ erfüllt, wird die Sache zur weiteren Prüfung der übrigen Einspruchsgründe an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen zur Fortsetzung des Verfahrens auf der Grundlage des Patentanspruchs 1 des Hilfsantrags II.

Quick Navigation