European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2004:T078803.20041206 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 Dezember 2004 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0788/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99117271.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | C04B 28/26 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Baustoffmischung | ||||||||
Name des Anmelders: | Heidelberger Bauchemie GmbH Marke Deitermann | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Akzo Nobel N.V. | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausführbarkeit (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja, nach Änderung) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 081 114 in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren wurden drei Entgegenhaltungen genannt:
D1: JP-A-60-96562 (bzw. dessen Übersetzung ins Englische),
D2: DE-A-1 571 485, und
D3: EP-A-0 921 106.
Die Einspruchsabteilung gelangte zu dem Schluß, daß die vorgenommenen Änderungen nicht nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ zu beanstanden seien, daß das Patent in der geänderten Fassung die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ erfülle, und daß der beanspruchte Gegenstand im Hinblick auf D1 neu und erfinderisch sei.
III. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) das neue Dokument
D4: JP-A-58-140356 (in englischer Übersetzung)
eingereicht. Sie hat erneut Offenbarungsmängel geltend gemacht und die Auffassung vertreten, daß der in der aufrechterhaltenen Fassung beanspruchte Gegenstand im Hinblick auf D4 nicht neu beziehungsweise nicht erfinderisch sei. Bezüglich der abhängigen Ansprüche hat sie sich auch auf D1 und D3 bezogen.
IV. Mit ihrem Antwortschreiben hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen geänderten Anspruchssatz als Grundlage für das weitere Verfahren eingereicht. Mit einem weiteren Schreiben hat sie als Hilfsantrag einen zusätzlichen Satz geänderter Ansprüche eingereicht, sowie angepaßte Beschreibungen zu den beiden geltenden Anträgen. In den Schriftsätzen hat sie zum Stand der Technik Stellung genommen und sämtliche Einwände der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
V. Am 6. Dezember 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an der beide Parteien teilnahmen und in deren Verlauf die Beschwerdegegnerin jeweils einen geänderten Anspruchssatz als neuen Haupt- beziehungsweise Hilfsantrag vorgelegt hat, sowie eine an die Ansprüche gemäß Hilfsantrag angepaßte Beschreibung.
Anspruch 1 gemäß dem zuletzt eingereichten Hauptantrag hat folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung wurden durch die Kammer hervorgehoben):
"1. Baustoffmischung für die Herstellung von chemikalienbeständigen Mörteln,
wobei die Baustoffmischung 2 bis 7 Gew.-% Wasserglaspulver und zumindest einen Wasserglashärter enthält,
wobei fernerhin über 10 Gew.-% Hüttensand als latent hydraulisches Bindemittel enthalten sind und insgesamt 25. bis 45 Gew.-% an latent hydraulischem Bindemittel enthalten sind und
wobei die Baustoffmischung zumindest einen anorganischen Füllstoff aufweist."
Anspruch 1 gemäß dem zuletzt eingereichten Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung wurden durch die Kammer hervorgehoben):
"1. Baustoffmischung für die Herstellung von chemikalienbeständigen Mörteln,
wobei die Baustoffmischung 2 bis 7 Gew.-% Wasserglaspulver und zumindest einen Wasserglashärter enthält,
wobei fernerhin über 10 Gew.-% Hüttensand und neben Hüttensand Mikrosilika als latent hydraulisches Bindemittel enthalten ist,
wobei insgesamt 25 bis 45 Gew.-% an latent hydraulischem Bindemittel enthalten sind und
wobei die Baustoffmischung zumindest einen anorganischen Füllstoff aufweist."
Weitere Änderungen betreffen lediglich die abhängigen Ansprüche.
VI. Die schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Parteien können, soweit sie für die Entscheidungsfindung bezüglich der zuletzt vorgelegten Anspruchssätze von Belang sind, wie folgt zusammengefaßt werden: Bis auf das Vorbringen gewisser Bedenken bezüglich einer möglicherweise vorliegenden Schutzbereichserweiterung in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat die Beschwerdeführerin die in den Ansprüchen und der Beschreibung vorgenommenen Änderungen nicht unter Artikel 123 EPÜ beanstandet.
Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, daß die beanspruchte Erfindung nicht ausreichend offenbart sei, da die Patentschrift keine Beschreibung eines Wegs zur Ausführung der Erfindung gemäß Regel 27 e) EPÜ, geschweige denn ein konkretes Beispiel für die beanspruchte Baustoffmischung enthalte. In der Patentschrift seien lediglich Listen möglicher Komponenten und bevorzugte Mengenbereiche enthalten, ohne Angabe der Überlegungen, welche bei der Auswahl der Komponenten und ihrer relativen Mengen anzustellen seien. Auch gäbe es in der Patentschrift trotz der Vielzahl an möglichen Reaktionen der Komponenten untereinander beziehungsweise mit Wasser keine Angaben zu den bei der Anwendung der beanspruchten Mischung einzuhaltenden Bedingungen oder zu der dabei benötigten Wassermenge. Der Fachmann könne demnach nicht ohne unzumutbaren Aufwand feststellen, wie eine konkrete Mischung zusammengesetzt sein müsse, um zu einem Mörtel mit der gewünschten, aber nicht näher definierten Chemikalien- Beständigkeit zu führen. In diesem Zusammenhang machte sie einen Widerspruch zwischen dem Erfordernis der Chemikalien-Beständigkeit und der in der Beschreibung angesprochenen bevorzugten Zugabe eines Zements geltend, da diese Zugabe ebenfalls laut Beschreibung zu einer geringeren Säureresistenz führe.
Angesichts der speziellen Prozentangaben in den geänderten Ansprüchen hat die Beschwerdeführerin nicht länger fehlende Neuheit gegenüber D4 geltend gemacht. Allerdings seien im Streitpatent im Zusammenhang mit den Bereichsangaben keine Verbesserungen oder besonderen Effekte angesprochen oder nachgewiesen worden. In D4 sei ein Zusammenhang zwischen dem Hüttensandgehalt und der erzielbaren Temperaturfestigkeit und Chemikalien- Beständigkeit ausdrücklich erwähnt. Auf der Suche nach neuen Baustoffmischungen hätte der Fachmann, ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik, Mengenverhältnissen gemäß den geänderten Ansprüchen durchaus in Betracht gezogen. Auch im Zusammenhang mit der Zugabe von Mikrosilika als zusätzlicher, latent hydraulischer Komponente sei im Streitpatent kein konkreter Effekt oder Vorteil erwähnt. Mikrosilika sei ein allgemein bekanntes und übliches Bindemittel. Zudem sei in D4 von einer Komponente "silica-sand powder" die Rede, welche aufgrund ihrer anzunehmenden, impliziten Teilchengrößen-Verteilung zumindest zum Teil als Mikrosilika im Sinne des Streitpatents angesehen werden könne. Außerdem sei es nicht ungewöhnlich, mit unterschiedlichen, latent hydraulischen Bindemitteln und deren Mischungen zu experimentieren, was zum Beispiel durch die D1 belegt werde. Hüttensand, Flugasche und Mikrosilika seien bekannte "Standard-Alternativen" zueinander. Der Fachmann würde daher ein teilweises Ersetzen von Hüttensand durch Mikrosilika als eine naheliegende Möglichkeit ansehen, zu einer alternativen Baustoffmischung zu gelangen.
Die Beschwerdegegnerin wies darauf hin, daß ein Trockenmörtel beansprucht sei und daß ein detailliertes Beispiel nicht zwingend notwendig sei, zumal das Streitpatent zahlreiche Angaben zu konkreten und bevorzugten Komponenten und zu bevorzugten engen Mengenbereichen enthalte. Der Fachmann sei aufgrund seines Fachwissens und der besagten Angaben durchaus in der Lage, die Erfindung auszuführen, also ohne unzumutbaren Aufwand für die Baustoffmischung geeignete Komponenten und Mengenverhältnisse derart auszuwählen, daß nach Zugabe der erforderlichen Wassermenge ein Chemikalien-beständiger Mörtel erhalten werde, wobei ohne weiteres eine geringe, der Säurebeständigkeit nicht über die Maßen abträgliche Menge an Zement in der Baustoffmischung enthalten sein könne.
In der allgemeinen Beschreibung von D4 seien bezüglich der Wasserglas- und Hüttensandanteile der Baustoffmischungen lediglich extrem weite Angaben offenbart. Die in den Beispielen der D4 beschriebenen Mischungen enthielten einerseits eine wesentlich geringere Gesamtmenge an latent hydraulischem Bindemittel als laut Anspruch 1 erforderlich sind, und enthielten andererseits zu viel Wasserglas (Tabelle 1) beziehungsweise zu wenig Hüttensand (Tabelle 2). D4 könne daher ein Arbeiten in den engeren Bereichen gemäß den geänderten Ansprüchen, welche zu besonders guten Eigenschaften führten, nicht nahe legen.
Die Verwendung eines zusätzlichen, latent hydraulischen Bindemittels werde in D4 weder erwähnt noch angeregt, ganz zu schweigen von der Mitverwendung von Mikrosilika. Die Komponente "silica-sand powder" sei im Gegensatz zu Mikrosilika kristallin und werde laut D4 als "aggregate", also als Füllstoff, und nicht als latent hydraulische Komponente, eingesetzt. Es sei daher nicht ersichtlich, wieso der von D4 ausgehende Fachmann ein Zumischen eines weiteren latent hydraulischen Bindemittels überhaupt in Erwägung hätte ziehen sollen. Eine Kombination der Komponenten Wasserglas, Hüttensand und Mikrosilika in den Mengenverhältnissen gemäß Anspruch 1 werde durch kein Dokument beschrieben oder angeregt. Da die Kombination von Hüttensand und Mikrosilika in der Patentschrift als bevorzugt präsentiert wird, sei davon auszugehen, daß sie bezüglich der Eigenschaften der daraus herstellbaren Mörtel besonders vorteilhaft sei.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochten Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der Ansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag, oder der Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag, beide eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Änderungen
1.1 In den Anspruchssätzen gemäß Haupt- und Hilfsantrag ist jeweils ein abhängiger Anspruch gestrichen worden, was entsprechende Änderungen in den Rückbezügen weiterer abhängiger Ansprüche erforderlich machte. Diese Änderungen sind nicht zu beanstanden.
1.2 Der jeweilige Anspruch 1 beider Anträge ist gegenüber seiner erteilten Fassung durch Aufnahme zusätzlicher Merkmale geändert worden.
1.2.1 Diese Änderungen sind auf die Beschreibung und die Ansprüche der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung gestützt: Bezüglich der Wasserglasmenge siehe z. B. Anspruch 2; bezüglich der Gesamtmenge an latent hydraulischem Bindemittel siehe Seite 5, Zeilen 24 bis 26; bezüglich der zusätzlichen latent hydraulischen Komponente Mikrosilika siehe z. B. Seite 5, Zeilen 14 bis 17; und zur Gesamtheit der Änderungen siehe auch Seite 10 Zeilen 22 bis 26 sowie Seite 10, Zeile 30 bis Seite 11, Zeile 5.
1.2.2 Die Kammer ist der Auffassung, daß sich die Angabe "über 10%" auch in der geänderten Fassung von Anspruch 1 des Hilfsantrags nur auf den Anteil an Hüttensand, und nicht auf die Summe der Anteile an Hüttensand und Mikrosilika, bezieht. Die diesbezüglichen, in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Bedenken der Beschwerdeführerin unter Artikel 123 EPÜ sind nicht nachvollziehbar, unter anderem da Anspruch 1 gesondert eine Ober- und eine Untergrenze für die Summe der Anteile der vorhandenen latent hydraulischen Bindemittel angibt.
1.3 Abgesehen von den besagten Bedenken wurden keine Einwände gegen die gemäß den geltenden Anträgen vorgenommenen Änderungen in den Ansprüchen und der Beschreibung vorgebracht. Auch die Kammer ist der Auffassung, daß die im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Änderungen des Streitpatents unter Artikel 123 EPÜ nicht zu beanstanden sind.
2. Offenbarung der Erfindung
2.1 Das Streitpatent enthält eine Fülle von Angaben bezüglich der Natur und relativen Mengen der zu verwendenden, in Anspruch 1 erwähnten Komponenten, siehe Spalte 2, Zeile 8 bis Spalte 5, Zeile 16 und Abschnitt [0017], wo ein Weg zur Ausführung der Erfindung beschrieben ist. Allein aus der Tatsache, daß gemäß diesem Ausführungsweg Bereiche - und nicht spezifische Werte - für die relativen Mengen der diversen Komponenten angegeben sind, kann nicht gefolgert werden, daß die erfindungsgemäße technische Lehre nicht ausgeführt werden kann. Obwohl ihr die Beweislast oblag, hat die Beschwerdeführerin nicht mittels geeigneter Beweismittel (wie zum Beispiel Versuchsergebnisse) schlüssig nachgewiesen, daß entsprechend ihrer Behauptung gewisse Mischungen, welche bezüglich der Art und der Mengen der enthaltenen Komponenten unter die Definition gemäß Anspruch 1 fallen und unter Beachtung des allgemeinen Fachwissens und aller Angaben und Hinweise im Streitpatent hergestellt wurden, sich nicht für eine Weiterverarbeitung zu einem Mörtel eignen würden, den man im weitesten Sinn als Chemikalien- beständig (insbesondere als Säure- und Laugen-beständig) ansehen könnte.
2.2 Ausgehend von der beanspruchten Baustoffmischung beinhaltet die Herstellung des Chemikalien-beständigen Mörtels noch das Anmachen mit Wasser, siehe Spalte 1, Zeile 6, Spalte 2, Zeilen 15 bis 19; und Spalte 5, Zeilen 29 bis 31. Auch für ihre bestrittene Behauptung, wonach der Fachmann nur mit unzumutbarem Aufwand die erforderliche Wassermenge eruieren könne, hat die Beschwerdeführerin trotz der ihr obliegenden Beweislast keine Beweismittel vorgelegt. Der Kammer erscheint es vielmehr plausibel, daß ein Fachmann, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde, ohne besondere Schwierigkeiten die für das Anmachen einer konkreten Mischung erforderliche Wassermenge feststellen kann, zum Beispiel in dem er von den üblicherweise zum Anmachen verwendeten Wassermengen ausgeht. Diese Ansicht wird beispielsweise durch das besonders relevante Dokument D4 bestätigt, welches sich in diesem Zusammenhang mit dem an den Fachmann gerichteten Hinweis auf eine "adäquate" Wassermenge begnügt (siehe Seite 4, letzter vollständiger Absatz).
2.3 Bezüglich der möglichen Zugabe von Zement zu einer Baustoffmischung gemäß Streitpatent sieht die Kammer innerhalb der geltenden Fassung der Beschreibung keinen Widerspruch. Dem Streitpatent kann der Fachmann vielmehr klar entnehmen, daß gegebenenfalls geringe Mengen an Zement hinzugefügt werden können, ohne die Chemikalien- Beständigkeit (Säure-Beständigkeit) übermäßig zu beeinträchtigen, siehe Abschnitte [0004] und [0011], sowie Spalte 6, Zeile 54 bis Spalte 7, Zeile 1. Der in Spalte 1, Zeilen 36 bis 42 erwähnte Nachteil der mangelnden Säure-Stabilität betrifft ausdrücklich bekannte Baustoffmischungen, die Zement als wesentlichen Bestandteil enthalten.
2.4 Die beweispflichtige Beschwerdeführerin hat die Kammer demnach nicht davon überzeugen können, daß der Fachmann aufgrund des Fehlens eines konkreten und detaillierten Beispiels einer Mischung, und trotz seines Fachwissens, nicht in der Lage gewesen wäre, anhand der Angaben im Streitpatent Mischungen wie beansprucht ohne unzumutbaren Aufwand bereitzustellen. Demnach offenbart das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann.
3. Neuheit
Die Gegenstände der geänderten jeweiligen Ansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag sind neu, was von der Beschwerdeführerin auch nicht länger bestritten wurde. Die Unterschiede gegenüber dem Stand der Technik sind aus den folgenden Abschnitten der Entscheidung ersichtlich.
4. Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
4.1 Im Einvernehmen mit den Parteien sieht die Kammer die Offenbarung von D4 als nächstliegenden Stand der Technik an.
4.1.1 Es ist unstrittig, daß D4 eine Baustoffmischung für die Herstellung von Temperatur- und Chemikalien-beständigen Mörteln offenbart, wobei die Mischung Wasserglaspulver, einen Wasserglashärter, Hüttensand und einen anorganischen Füllstoff enthält. Siehe hierzu Seite 1, Anspruch, und Seite 2, vorletzter Absatz bis Seite 4, letzter Absatz. Bezüglich der relativen Mengen der Komponenten finden sich in D4 zum einen Bereichsangaben (Seite 3, Textzeilen 3 bis 6 und 22 bis 24, Seite 4, Textzeilen 5 bis 7 und 19 bis 22) und zum anderen die in den beiden Ausführungsbeispielen angegebenen Werte (siehe die Tabellen auf den Seiten 7 und 9).
4.1.2 Bezogen auf 100 Gewichtsteile des anorganischen Füllstoffs, enthalten die in D4 offenbarten Mischungen vorzugsweise 5 bis 500 Gewichtsteile Wasserglas und 5 bis 500 Gewichtsteile Hüttensand. Erst beim Unterschreiten der Minimalmengen an Wasserglas oder Hüttensand hat der erhaltene Mörtel eine weniger ausgeprägte Festigkeit (Seite 3, Zeilen 6 bis 8; Seite 4, Zeilen 8 bis 9). Die Mischungen enthalten ferner noch gewisse Mengen an Wasserglashärter (10 bis 150 Teile pro 100 Teile Wasserglas) und an einem alkalischen Anregungsmittel (3 bis 10 Teile pro 100 Teile Hüttensand). Aus diesen Angaben kann man theoretisch ableiten, daß sowohl Wasserglas und Hüttensand jeweils in einer minimalen Menge von weniger als 0,83 Gew.-% vorliegen können (5 / (5 + 500 + 100 + Menge Wasserglashärter + Menge Anregungsmittel) < 5/605 bzw. < 0,83%). Ferner kann man aus diesen Werten ableiten, daß der maximale Anteil an Hüttensand ca. 81 Gew-% betragen kann (500 / (5 + 500 + 100 + 10x5/100 minimale Menge Wasserglashärter + 3x5 minimale Menge Anregungsmittel) ~ 0,81) und der maximale Wert an Wasserglas ca. 76 Gew.-% (500 / (500 + 5 + 100 + 5x10 minimale Menge Wasserglashärter + 3x5/100 minimale Menge Anregungsmittel ~ 0,76). Die in D4 für den Anteil an Wasserglas, den Anteil an Hüttensand und den Gesamtanteil an latent hydraulischem Bindemittel (in D4 nur Hüttensand) implizit aufgespannten Bereiche sind also wesentlich breiter als die in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag angegebenen. Mischungen, deren Zusammensetzung die drei im vorliegenden Anspruch 1 in Form relativ enger Bereiche angegebenen Bedingungen in Kombination erfüllen, sind in D4 nicht in klarer und eindeutiger Weise offenbart.
4.1.3 Beispiel 1 von D4, offenbart eine Mischung, worin, bezogen auf ihr Gesamtgewicht (169 Gewichtsteile in Summe), der Anteil an Wasserglas etwa 10,1 Gewichts-% (17/169) beträgt, und der Anteil an Hüttensand etwa 14,8 Gewichts-% (25/169). Gemäß Beispiel 2 der D4 liegt der Wert für den Wasserglasanteil bei etwa 4,2 Gewichts-% (7/167), und der Wert für den Hüttensandanteil bei etwa 8,4 Gewichts-% (14/167). In Beispiel 1 liegt demnach mehr Wasserglas vor als von Anspruch 1 gefordert, in Beispiel 2 weniger Hüttensand als von Anspruch 1 gefordert, und in beiden Fällen ist der Wert für den Gesamtanteil an latent hydraulischem Bindemittel (in D4 nur Hüttensand) geringer als von Anspruch 1 gefordert.
4.1.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der D4 also lediglich durch die in D4 nicht klar und eindeutig offenbarten Mengenverhältnisse der Komponenten.
4.2 Laut Streitpatent besteht die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung einer Baustoffmischung für die Herstellung von Chemikalien-beständigen Mörteln, die nach dem Anmachen mit Wasser und nach dem Erhärten eine hohe Festigkeit aufweist und beständig ist gegenüber Säuren, Alkalien, Wasser und Lösemitteln sowie eine gute Beständigkeit gegen hohe Temperaturen aufweist. Siehe diesbezüglich Abschnitte [0001] und [0004].
4.2.1 Der Patentschrift selbst kann nicht ausdrücklich entnommen werden, daß bei Einhaltung der engeren Mengenverhältnisse gemäß dem geänderten Anspruch 1 die Aufgabe in einem besonders weitgehenden Ausmaß gelöst wird, daß dabei also besonders gute Eigenschaften des Mörtels (Festigkeit, Beständigkeit) erhalten werden. Auch eine Formulierung wie "es liegt im Rahmen der Erfindung" (siehe zum Beispiel Spalte 3, Zeilen 41 bis 44) ist nicht geeignet, einen zwingenden Zusammenhang zwischen diesen engeren Mengenangaben und besonders guten Eigenschaften des herstellbaren Mörtels auszudrücken, geschweige denn eine Verbesserung gegenüber den gemäß D4 erzielbaren Mörteleigenschaften. Der Kammer liegt auch keinerlei Beweismaterial vor, welches eine wie auch immer geartete Vorteilhaftigkeit der beanspruchten Mischungen im Vergleich zu den von D4 vorgeschlagenen Mischungen belegen könnte. Unter diesen Umständen kann ausgehend von D4 die technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung weiterer Baustoffmischungen gesehen werden, welche geeignet sind, durch Abmischen mit Wasser Temperatur-beständige und Chemikalien-beständige Mörtel mit hoher Festigkeit zu ergeben.
4.2.2 Im Hinblick auf die Ausführungen im Absatz [0014] des Streitpatents und in Abwesenheit gegenteiliger Beweise ist es auch plausibel, daß eine Baustoffmischung mit den Merkmalen von Anspruch 1 diese Aufgabe tatsächlich löst. Folglich bleibt lediglich zu beurteilen, ob die Bereitstellung von Mischungen mit der speziellen Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 ausgehend von D4 nahegelegen hat oder nicht.
4.3 Der mit dieser Aufgabe konfrontierte Fachmann wird den Versuch, im Rahmen der sehr allgemeinen Lehre der D4 (sehr breite Angaben zu den relativen Mengenverhältnissen) spezielle Baustoffmischungen bereitzustellen, zweifellos als eine erfolgversprechende Lösungsmöglichkeit ansehen. Da die beiden Ausführungsbeispiele der D4 Informationen zu wirksamen, bewährten Zusammensetzungen enthalten, liegt es für den Fachmann auf der Hand, sie als Ausgangspunkt heranzuziehen.
4.3.1 In D4 wird ausdrücklich erwähnt, daß die Komponente Hüttensand notwendig ist, um die bei der Anwendung der Baustoffmischung erforderliche Chemikalien-Beständigkeit, insbesondere Säure- und Alkali-Beständigkeit, sowie die erforderliche Hitze-Beständigkeit zu erhalten, siehe Seite 3, vorletzter Satz. Ferner entnimmt der Fachmann der D4, daß die erzielbare Chemikalien-Beständigkeit erst ab besonders hohen Hüttensandgehalten (mehr als 500 Gewichtsteile Hüttensand bezogen auf 100 Gewichtsteile Füllstoff) tendenziell abnimmt, und daß die erzielbare Festigkeit erst ab besonders kleinen Wasserglasgehalten (weniger als 5 Gewichtsteile Wasserglas bezogen auf 100 Gewichtsteile Füllstoff) unbefriedigend ist, siehe Seite 3, zweiter Absatz, zweiter Satz, sowie Seite 4, erster Absatz, letzter Satz.
4.3.2 Um zu weiteren Baustoffmischungen zu gelangen, wird der Fachmann also zunächst das Variieren der in den Beispielen der D4 offenbarten Zusammensetzungen in Erwägung ziehen. Die unter Punkt 4.3.1 zitierten Passagen bestärken den Fachmann in Überlegungen, welche dahingehen, insbesondere die Wasserglas- und Hüttensandgehalte der Mischungen im Rahmen der in D4 aufgespannten Bereiche zu variieren, bei gleichzeitiger Anpassung der Anteile der restlichen Komponenten. Im Hinblick auf besagte Passagen kann der Fachmann davon ausgehen, daß sich sowohl Mischungen mit einem im Vergleich zu den in den Beispielen der D4 offenbarten Werten (14,8% und 8,4%) deutlich erhöhten Gehalt an Hüttensand, als auch Mischungen mit einem gegenüber dem in Beispiel 1 angegeben Wert (10,1%) verringerten Wasserglasgehalt zur Herstellung von Mörtel mit den erwünschten Eigenschaften eignen. Ein derartiges Experimentieren innerhalb der in D4 offenbarten breiten Bereiche ist als eine reine Routine-Aktivität anzusehen, welche ohne erfinderisches Zutun unter anderem zu solchen Baustoffgemischen führt, bei denen die Mengen der Komponenten in den Bereichen laut Anspruch 1 liegen.
4.3.3 Ausgehend von den konkreten Mischungen gemäß den Beispielen, und unter Berücksichtigung der zusätzlichen, in D4 verfügbaren Information, wäre der Fachmann also in naheliegender Weise auch zu Baustoffmischungen gemäß Anspruch 1 des Streitpatents gelangt. Die Tatsache, daß die Bereichsangaben in Anspruch 1 wesentlich enger sind als die in D4 implizit aufgespannten, kann für sich genommen nicht das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen.
4.3.4 Sowohl der Hüttensand- als auch der Wasserglasanteil sind in Beispiel 2 der D4 deutlich kleiner als in Beispiel 1. In Abwesenheit entsprechender Angaben in der allgemeinen Beschreibung von D4, kann die Kammer jedoch dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach dadurch eine Tendenz zu vorzugsweise eher geringeren Gehalten der beiden Komponenten ausgedrückt werde, nicht folgen. In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin außerdem erstmals argumentiert, daß der Fachmann im Hinblick auf ein zu erwartendes Abplatzen des Mörtels Bedenken gehabt hätte, die Menge an latent hydraulischem Bindemittel auf Werte gemäß Anspruch 1 zu steigern. Da die Gefahr des Abplatzens jedoch weder im Streitpatent noch in D4 Erwähnung findet, und derartige Bedenken dem Vertreter der Beschwerdeführerin nicht bekannt waren, und auch nicht durch entsprechendes Beweismaterial belegt wurden, kann dieses Argument bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden.
4.4 Da der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, konnte dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden.
5. Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag
5.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags insofern weitergehend eingeschränkt worden, als die Baustoffmischung Mikrosilika als zusätzliches latent hydraulisches Bindemittel enthalten soll.
5.2 Die Kammer hat keine Veranlassung, bei der Beurteilung der Ansprüche gemäß Hilfsantrag von einem anderen nächstliegenden Stand der Technik auszugehen.
5.3 Laut Streitpatent sind Kombinationen von Hüttensand mit einem weiteren latenten hydraulischen Bindemittel bevorzugt (siehe Spalte 3, Zeilen 13 bis 20). Zu der konkreten Kombination von Hüttensand und Mikrosilika sagt die Patentschrift, daß ihr Einsatz im "Rahmen der Erfindung" liege und daß sie sich "bewährt" habe (siehe Spalte 3, Zeilen 30 bis 37 und Spalte 6, Zeilen 39 bis 40). Diese Formulierungen sind feststellender, und nicht vergleichender Natur. Daher läßt sich aus der Patentschrift nicht, wie von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht wurde, ableiten, daß aus derartigen Mischungen hergestellte Mörtel notwendigerweise bessere Eigenschaften (Festigkeit, Chemikalien- und Temperaturbeständigkeit) besitzen als die gemäß D4 erhältlichen. Ein konkreter, auf die Kombination von Hüttensand und Mikrosilika zurückzuführender vorteilhafter und/oder unerwarteter Effekt ist in der Patentschrift nicht erwähnt. Demnach bleibt auch die Formulierung der technischen Aufgabe im Rahmen der Beurteilung der Ansprüche gemäß Hilfsantrag unverändert.
5.4 Die Verwendung zusätzlicher latent hydraulischer Komponenten wird in D4 nicht angesprochen. Daher findet insbesondere die Verwendung von Mikrosilika in D4 keinerlei Erwähnung. Unter dem in D4 (Seite 2, letzter Absatz) erwähnten "silica-sand"-Pulver würde ein Fachmann, insbesondere in Unkenntnis des Streitpatents, mit Sicherheit nicht Mikrosilika verstehen, da besagtes Pulver als mögliches "aggregate", also als inerter Füllstoff, präsentiert wird, und nicht als latent hydraulische, reaktivere Komponente. D4 vermag für sich genommen daher nicht, die Bereitstellung von Baustoffmischungen gemäß Anspruch 1 anzuregen.
5.5 Es mag durchaus sein, daß die Mikrosilika auf dem betroffenen Gebiet als Bindemittelkomponente wohlbekannt ist. Auch kann man D1 entnehmen, daß Flugasche und Hüttensand in der dort offenbarten, Wasserglas-haltigen Baustoffmischung für die Herstellung von Temperatur- beständigen und Chemikalien-beständigen Mörteln offenbar als gleichwertig und daher in gewissem Sinn als austauschbar anzusehen sind, siehe Seite 1, letzter Absatz, und Seite 2, erster Absatz). In D1 ist jedoch Mikrosilika überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn als Alternative zu Flugasche oder Hüttensand in einem Wasserglas-haltigen Baustoffgemisch. Ferner ist bezüglich D1 auch anzumerken, daß in den dort offenbarten Mischungen lediglich 8 bis 15 Gewichts-% Flugasche oder Hüttensand verwendet werden, und zwar als "Härtungsbeschleuniger". Diese eher spezielle Offenbarung der D1 vermag aber nicht, die allgemeine Behauptung des Beschwerdeführers zu stützen, wonach der Fachmann, auf der Suche nach einer neuen und gleich wirkenden Alternative zu den in D4 beschriebenen Mischungen, das Experimentieren mit allgemein bekannten zur Verfügung stehenden alternativen "Standard"- Bindemitteln wie Flugasche oder Mikrosilika ganz generell als eine naheliegende Vorgangsweise angesehen hätte. Auch auf Nachfrage durch die Kammer hat die Beschwerdeführerin kein anderes Dokument zur Untermauerung ihres Einwands beziehungsweise des geltend gemachten allgemeinen Fachwissens aufgegriffen. Unter diesen Umständen ist die Kammer nicht davon überzeugt, daß sich die beanspruchte Baustoffmischung für den Fachmann ohne ex-post facto Überlegungen in naheliegender Weise aus dem nächstliegenden Stand der Technik ergibt.
5.6 Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß auch die übrigen im Verlauf des Einspruchs- und des Beschwerdeverfahrens angezogenen Entgegenhaltungen weder für sich genommen, noch in Kombination mit D4 oder untereinander, die Baustoffmischung gemäß Anspruch 1 nahezulegen vermögen.
5.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag, und folglich auch die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 gemäß diesem Antrag, beruhen demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag, eingereicht während der mündlichen Verhandlung
- Beschreibung Seiten 2 bis 5, ebenfalls eingereicht während der mündlichen Verhandlung