European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2006:T068003.20060613 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 Juni 2006 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0680/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98103677.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02H 7/085 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Steuerung des Schliessvorgangs von Schliessvorrichtungen mit mindestens einem elektromotorisch bewegten Teil | ||||||||
Name des Anmelders: | Conti Temic microelectronic GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Leopold Kostal GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (nein) - Hauptantrag Klarheit (ja) - Hilfsantrag Erfinderische Tätigkeit (ja) - Hilfsantrag |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 865 137 zu widerrufen.
II. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung u. a. fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf folgenden Stand der Technik beruhe (Artikel 56 EPÜ):
D3: DE - A - 43 16 898
D4: DE - C -195 14 257.
III. Am 13. Juni 2006 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag); hilfsweise, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 12, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
- Beschreibung Seite 2 und "Zusatzblatt" (2 Seiten), eingereicht in der mündlichen Verhandlung, Seiten 3 bis 7 der Patentschrift;
- Zeichnungen, Figuren 1a, 1b, 2.1 und 2.2 der Patentschrift.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin lautet wie folgt:
" Verfahren zur Steuerung des Schließvorgangs von Schließvorrichtungen mit mindestens einem elektromotorisch bewegten Teil, wobei zur Gewährleistung eines Einklemmschutzes
o die Meßwerte mindestens einer für die Belastung des Elektromotors charakteristischen Motorkenngröße kontinuierlich erfaßt und ausgewertet werden,
o ein ein Einklemmereignis definierender Auslöseschwellwert für die jeweilige Motorkenngröße vorgegeben wird,
o die Meßwerte der jeweiligen Motorkenngröße mit dem jeweiligen Auslöseschwellwert verglichen werden und beim Überschreiten des Auslöseschwellwerts durch mindestens einen Meßwert eine bestimmte Reaktion der Schließvorrichtungen initiiert wird,
dadurch gekennzeichnet, daß unmittelbar nach Beginn des Schließvorgangs das Anlaufverhalten der Schließvorrichtung in der Anlaufphase des Elektromotors hinsichtlich des Ausgleichs des Antriebsspiels und der Schwergängigkeit der Schließvorrichtung unter Heranziehung der schließwegabhängigen Meßwerte mindestens einer Motorkenngröße bestimmt wird, indem
o der Einklemmschutz in der Anlaufphase abhängig vom schließwegabhängigen Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße beim Erreichen eines schließwegabhängigen Aktivierungswerts aktiviert wird,
o nach der Aktivierung des Einklemmschutzes in der Anlaufphase der weitere schließwegabhängige Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße bis zum Erreichen einer gleichförmigen Bewegung des elektromotorisch bewegten Teils unter Berücksichtigung der Messwerte der mindestens einen Motorkenngröße/n des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs vorgegeben wird,
o der Auslöseschwellwert der mindestens einen Motorkenngröße in Abhängigkeit des vorgegebenen weiteren schließwegabhängigen Verlaufs der jeweiligen Motorkenngröße definiert wird."
Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag der Beschwerdeführerin lautet wie folgt:
" Verfahren zur Steuerung des Schließvorgangs von Schließvorrichtungen mit mindestens einem elektromotorisch bewegten Teil, wobei zur Gewährleistung eines Einklemmschutzes
o die Meßwerte mindestens einer für die Belastung des Elektromotors charakteristischen Motorkenngröße kontinuierlich erfaßt und ausgewertet werden,
o ein ein Einklemmereignis definierender Auslöseschwellwert für die jeweilige Motorkenngröße vorgegeben wird,
o die Meßwerte der jeweiligen Motorkenngröße mit dem jeweiligen Auslöseschwellwert verglichen werden und beim Überschreiten des Auslöseschwellwerts durch mindestens einen Meßwert eine bestimmte Reaktion der Schließvorrichtungen initiiert wird,
wobei unmittelbar nach Beginn des Schließvorgangs das Anlaufverhalten der Schließvorrichtung in der Anlaufphase des Elektromotors hinsichtlich des Ausgleichs des Antriebsspiels und der Schwergängigkeit der Schließvorrichtung unter Heranziehung der schließwegabhängigen Meßwerte mindestens einer Motorkenngröße bestimmt wird, indem
o der Einklemmschutz in der Anlaufphase abhängig vom schließwegabhängigen Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße beim Erreichen eines schließwegabhängigen Aktivierungswerts aktiviert wird,
o nach der Aktivierung des Einklemmschutzes in der Anlaufphase der weitere schließwegabhängige Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße bis zum Erreichen einer gleichförmigen Bewegung des elektromotorisch bewegten Teils unter Berücksichtigung der Messwerte der mindestens einen Motorkenngröße/n des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs vorgegeben wird,
wobei die schließwegabhängigen Vorgabewerte der jeweiligen Motorkenngröße fortlaufend bewertet werden, indem jeweils der Differenzwert zwischen schließwegabhängigem Vorgabewert und aktuellem Meßwert gebildet und mit einem Korrekturgrenzwert derart verglichen wird, daß beim Überschreiten des Korrekturgrenzwerts der vorgegebene weitere schließwegabhängige Verlauf der jeweiligen Motorkenngröße an den tatsächlichen Verlauf der Motorkenngröße angepasst wird,
o der Auslöseschwellwert der mindestens einen Motorkenngröße in Abhängigkeit des vorgegebenen weiteren schließwegabhängigen Verlaufs der jeweiligen Motorkenngröße definiert wird, indem der Auslöseschwellwert der jeweiligen Motorkenngröße mittels der durch Anpassung des vorgegebenen weiteren schließwegabhängigen Verlaufs der Motorkenngröße gewonnenen angepaßten Vorgabewerte der Motorkenngröße und eines die Auslösecharakteristik bestimmenden Offsetwerts definiert wird."
Die Ansprüche 1 bis 12 sind vom Anspruch 1 abhängig.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ein wesentlicher Aspekt des Verfahrens gemäß Anspruch 1 des Streitpatents sei die Möglichkeit, Einklemmereignisse bereits in der Anlaufphase von Schließvorgängen zu erkennen, indem der erwartete Verlauf der zur Feststellung eines Einklemmereignisses verwendeten Motorkenngröße unmittelbar nach der Aktivierung des Einklemmschutzes und bis zum Erreichen einer gleichförmigen Bewegung des elektromotorisch bewegten Teils vorgegeben und zur Bestimmung entsprechender Auslöseschwellwerte herangezogen werde. Da das beanspruchte Verfahren sowohl aktuelle Messwerte der Motorkenngröße als auch Messwerte des vorhergehenden Schließvorgangs berücksichtige, finde bei der Bestimmung des weiteren Verlaufs der Motorkenngröße eine adaptive Anpassung an die Umgebungsbedingungen statt.
Beim Verfahren nach Dokument D3 werde das Auftreten eines Einklemmereignisses in der Anlaufphase des Motors oder im eingeschwungenen Zustand durch den Vergleich der Messwerte der für den Einklemmschutz relevanten Motorkenngröße (dort der relativen Drehgeschwindigkeit des Motors) mit festen Bezugswerten erfasst. Eine adaptive Anpassung der Auslöseschwellwerte für den Einklemmschutz finde daher nicht statt.
Beim aus D4 bekannten Verfahren werde zwar der Messwert der letzten Motorperiode des vorhergehenden Schließvorgangs für die Berechnung des ersten Auslöseschwellwertes (d. h. des Perioden-Grenzwertes) nach Beginn eines Schließvorgangs verwendet, während die gemessenen Motorperioden (d. h. die Perioden-Werte) der ersten und der zweiten Motorperiode jeweils zur Bestimmung des zweiten und des dritten Periode-Grenzwertes dienten. Der Verlauf der Perioden-Grenzwerte werde daher nicht unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Perioden-Werte des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs vorgegeben. Es sei aber ausgerechnet die in der Beschreibung des Streitpatents offenbarte gleichzeitige Berücksichtigung von Messwerten des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs bei der Vorgabe des Verlaufs der Motorkenngröße, die eine adaptive Anpassung der Schließvorrichtung an die wechselnden Umgebungsbedingungen ermögliche und somit zur Bestimmung realistischer Auslöseschwellwerte für den Einklemmschutz beitrage. Im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik sei daher der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nur neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ. Er beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.
Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag umfasse weitere Merkmale, welche die adaptive Anpassung des vorgegebenen Verlaufs der Motorkenngröße und daher den Unterschied zum aus D4 bekannten Verfahren noch deutlicher ausdrückten. Da die Auswahl des Anpassungsvorgangs nach Feststellung einer Abweichung der aktuellen Messwerte von den entsprechenden Vorgabewerten nicht über das übliche fachmännische Können hinausgehe, sei für den Fachmann auch dieser Aspekt des erfindungsgemässen Verfahrens sowohl in der Beschreibung als auch im Anspruch 1 des Hilfsantrages ausreichend klar definiert.
VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Das Verfahren gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents enthalte zwar das Merkmal, dass der Verlauf der zur Bestimmung des Auslöseschwellwerts benötigten Vorgabewerte der Motorkenngröße unter Berücksichtigung der Messwerte des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs vorzugeben sei. Es setze aber nicht voraus, dass die Berücksichtigung solcher Messwerte gleichzeitig erfolgen solle. Eine einschränkende Auslegung des Anspruchswortlauts, die ein solches Merkmal impliziere, sei jedoch nicht gerechtfertigt. Da in D4 Perioden-Werte des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs zur Bestimmung der Perioden-Grenzwerte während der drei Motorperioden andauernden Anlaufphase nach Beginn eines Schließvorgangs berücksichtigt worden seien, sei das Verfahren gemäß dem Streitpatent von dem aus D4 bekannten Verfahren nicht zu unterscheiden.
Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag unterscheide sich vom Anspruch 1 des Streitpatents durch Merkmale, die grundsätzlich unklar seien. Es sei insbesondere weder dem Anspruchswortlaut noch der Beschreibung zu entnehmen, wie eine aktive Anpassung des vorgegebenen Verlaufs der Motorkenngröße an die aktuellen Messwerte tatsächlich erfolgen solle. Wegen der grundsätzlichen Unklarheit dieses Anspruchs sei aber nicht möglich, die von der vermeintlichen Erfindung zu lösende Aufgabe zu definieren und folglich zur erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag der Beschwerdeführerin
Neuheit
2.1 Dokument D4 bezieht sich u. a. auf ein Verfahren zur Steuerung des Schließvorgangs von Schließvorrichtungen mit einem elektromotorisch bewegten Teil, wobei Einklemmereignisse bereits in der Anlaufphase von Schließvorgängen erfasst werden (D4, Spalte 1, Absatz 1 bis Spalte 2, Absatz 1).
Die in Figur 1 von D4 abgebildete Vorrichtung zur Durchführung des o. g. Verfahrens weist u. a. einen Elektromotor 1 und einen dem Elektromotor zugeordneten Hall-Sensor auf, der während jeder Motorperiode ein von einem Mikrocomputer 3 auszuwertendes Signal abgibt, das zur Bestimmung des zurückgelegten Weges bzw. der Position des verstellbaren Gegenstandes (z. B. des Seitenfensters eines Kraftfahrzeuges) und für die Erfassung der der jeweils aktuellen Motorperiode zugehörigen Zeit ("Perioden-Wert") vorgesehen ist. Da der ermittelte Perioden-Wert u. a. von der aktuellen Belastung des Motors abhängt, kann der Vergleich des Perioden-Wertes mit einem "Perioden-Grenzwert" zur Überwachung der Motorbelastung herangezogen werden. Überschreitet der aktuelle Perioden-Wert einen vorgegebenen Perioden-Grenzwert, so kann das Auftreten einer unvorgesehenen Motorbelastung z.B. durch ein die Bewegung des Fensters beeinflussendes Hindernis festgestellt und die Abschaltung des Motors eingeleitet werden.
Das aus D4 bekannte Verfahren weist somit die im Oberbegriff des Anspruchs 1 des Hauptantrages aufgeführten Merkmale auf.
2.2 Das kennzeichnende Teil des Anspruch 1 des Streitspatents wird durch folgendes Merkmal eingeleitet:
(a) unmittelbar nach Beginn des Schließvorgangs wird das Anlaufverhalten der Schließvorrichtung in der Anlaufphase des Elektromotors hinsichtlich des Ausgleichs des Antriebsspiels und der Schwergängigkeit der Schließvorrichtung unter Heranziehung der schließwegabhängigen Messwerte mindestens einer Motorkenngröße bestimmt.
2.3 Nach dem Dokument D4 (Spalte 3, Zeilen 30 bis 40) ist u. a. das Zeitintervall zwischen dem Beginn der Motoransteuerung und dem Auftreten des ersten Perioden-Wertes für das Anlaufverhalten des Elektromotors von Bedeutung, und es wird zur Berechnung des ersten Auslöseschwellwertes verwendet. Da dieser Parameter notwendigerweise vom Ausgleich des Antriebsspiels durch den Motor und/oder der Schwergängigkeit abhängt, wird auch beim Verfahren nach D4 das Anlaufverhalten "hinsichtlich des Ausgleichs des Antriebsspiels und der Schwergängigkeit der Schließevorrichtung" bestimmt (siehe Merkmal (a)).
2.4 Wie die Bestimmung des Anlaufverhaltens "unter Heranziehung der schließwegabhängigen Messwerte mindestens einer Motorkenngröße" gemäß dem Anspruch 1 erfolgen soll, legen folgende Anspruchsmerkmale fest:
(b) der Einklemmschutz wird in der Anlaufphase abhängig vom schließwegabhängigen Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße beim Erreichen eines schließwegabhängigen Aktivierungswert aktiviert;
(c) nach der Aktivierung des Einklemmschutzes in der Anlaufphase wird der weitere schließwegabhängige Verlauf der mindestens einen Motorkenngröße bis zum Erreichen einer gleichförmigen Bewegung des elektromotorisch bewegten Teils unter Berücksichtigung der Messwerte der mindestens einen Motorkenngröße/n des vorhergehenden und des aktuellen Schließvorgangs vorgegeben;
(d) der Auslöseschwellwert der mindestens einen Motorkenngröße wird in Abhängigkeit des vorgegebenen weiteren schließwegabhängigen Verlaufs der jeweiligen Motorkenngröße definiert.
2.5 Beim Verfahren nach D4 ist im Zeitintervall zwischen dem Beginn der Motoransteuerung und dem Auftreten des ersten vom Hall-Sensor gelieferten aktuellen Perioden-Wertes kein Einklemmschutz möglich. Die Vollendung einer ersten für das Bereitstellen des ersten Perioden-Wertes benötigten Umdrehung der Motorwelle kommt daher dem Erreichen eines unbestimmten, schließwegabhängigen Aktivierungswertes im Sinne des o. g. Merkmals (b) gleich. In der Tat wird auch im Streitpatent auf die Möglichkeit hingewiesen (veröffentlichtes Patent: Seite 5, Zeilen 40 bis 47), dass der Einklemmschutz entweder nach Erkennung eines Minimums des Motorstroms oder nach einer vorgegebenen Anzahl von Ankerumdrehungen des Elektromotors aktiviert wird.
Beim Verfahren nach D4 wird als Motorkenngröße im Sinne des angefochtenen Patents die Drehgeschwindigkeit des Motors und als Messwert dieser Motorkenngröße der Perioden-Wert verwendet. In der Anlaufphase nach dem Beginn der Motoransteuerung bis zum Ende der dritten Motorperiode kann sich die Motorperiode stark verändern, und ein eingeschwungener Zustand, d. h. ein gleichmäßiger Motorlauf, liegt erst nach drei Motorperioden vor (D4, Spalte 3, Zeilen 46 bis 51). In dieser Anlaufphase wird ein erster vorläufiger Perioden-Grenzwert auf der Basis des letzten Perioden-Wertes des vorhergehenden Schließvorgangs nach einer vorgegebenen Formel (siehe D4, Anspruch 2) berechnet, die das Zeitintervall zwischen dem Beginn der Motoransteuerung und dem Auftreten des ersten vom Sensor gelieferten aktuellen Perioden-Wertes berücksichtigt. Als Perioden-Werte für die zweite und die dritte Motorperiode werden dann Werte angenommen, die proportional zum ersten gemessenen Perioden-Wert sind (D4, Spalte 3, Zeilen 50 bis 54). In der Anlaufphase wird daher der erwartete Verlauf der Perioden-Werte bis zum Erreichen einer gleichförmigen Bewegung nach der dritten Motorperiode unter Berücksichtigung des letzten gemessenen Perioden-Werts des vorhergehenden Schließvorgangs und des ersten Motorenwertes des aktuellen Schließvorgangs vorgegeben (siehe o. g. Merkmal (c)).
Beim Verfahren nach D4 wird dann ein Auslöseschwellwert (Perioden-Grenzwert) für jede Motorperiode in Abhängigkeit von dem angenommenen Verlauf der Perioden-Werte und ggf. einem Sicherheitsfaktor definiert (vgl. o. g. Merkmal (d) und D4, Spalte 3, Zeilen 64 bis 67).
Das Verfahren gemäß D4 umfasst somit auch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents aufgeführten Merkmale (a) bis (d).
2.6 Da das aus D4 bekannte Verfahren die Merkmalskombination des Anspruchs 1 des Streitpatents vorwegnimmt, ist dessen Gegenstand nicht neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
Hilfsantrag der Beschwerdeführerin
Zulässigkeit der Änderungen
3.1 Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag unterscheidet sich im wesentlichen vom Anspruch 1 des Hauptantrages durch folgende zusätzliche Merkmale:
(i) die schließwegabhängigen Vorgabewerte der jeweiligen Motorkenngröße werden fortlaufend bewertet, in dem jeweils der Differenzwert zwischen schließwegabhängigem Vorgabewert und aktuellem Vorgabewert gebildet und mit einem Korrekturwert derart verglichen wird, dass beim Überschreiten des Korrekturgrenzwerts der vorgegebene weitere schließwegabhängige Verlauf der jeweiligen Motorkenngröße an den tatsächlichen Verlauf der Motorkenngröße angepasst wird,
(ii) der Auslöseschwellwert der jeweiligen Motorkenngröße wird mittels der durch Anpassung des vorgegebenen weiteren schließwegabhängigen Verlaufs der Motorkenngröße gewonnenen angepassten Vorgabewerte der Motorkenngröße und eines die Auslösecharakteristik bestimmenden Offsetwerts definiert.
3.2 Die o. g. Merkmale entstammen dem Anspruch 2 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen und die im Anspruch 1 aufgeführte Merkmalskombination stellt keine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ dar.
Ferner beschränken sich die an der Beschreibung vorgenommenen Änderungen auf die Würdigung des relevanten Standes der Technik und auf die Anpassung der Beschreibungseinleitung an die einteilige Form des Anspruchs 1.
3.3 Die durch den Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen des angefochten Patents sind somit zulässig im Sinne des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
Klarheit
4.1 Die Beschwerdegegnerin hat vor allem die Klarheit des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag bemängelt (Artikel 84 EPÜ). Die Anpassung der Vorgabewerte an die aktuellen Messwerte sei im Anspruch 1 nicht ausreichend definiert. Es sei aber auch der Beschreibung nicht zu entnehmen, wie eine solche Anpassung tatsächlich erfolgen solle, und insbesondere wie sie bei gleichzeitiger Gewährleistung eines wirksamen Einklemmschutzes vorgenommen werden könne.
4.2 Die durch die hinzugefügten Merkmale (i) und (ii) definierte Anpassung der Vorgabewerte setzt einen fortlaufenden Vergleich der aktuellen Messwerte mit entsprechenden Vorgabewerten der Motorkenngröße voraus. Eine Anpassung des weiteren Verlaufs der Motorkenngröße, d. h. der weiteren Vorgabewerte der Motorkenngröße, an den tatsächlichen Verlauf der Messwerte wird dann vorgenommen, wenn die Differenz zwischen einem Messwert und dem entsprechenden Vorgabewert einen Korrekturgrenzwert übersteigt. Mit anderen Worten werden die weiteren Vorgabewerte an den festgestellten Verlauf der Messwerte der Motorkenngröße angepasst, so dass eine weitgehende Übereinstimmung des weiteren Verlaufs der Vorgabewerte mit den folgenden Messwerten erreicht werden kann. Wie die Beschwerdegegnerin geltend gemacht hat, wird die Art und Weise der Anpassung an die Messwerte in der Beschreibung nicht näher definiert. Es ist aber implizit, dass unter dem Begriff "Anpassung" eine adaptive Bestimmung der zu erwartenden Messwerte (Vorgabewerte) zu verstehen ist, die den wechselnden, die aktuellen Messwerte beeinflussenden Umgebungsbedingungen Rechnung tragen soll.
Nach dem Anspruchswortlaut wird der Auslöseschwellwert mittels der angepassten Vorgabewerte und eines Offsetwerts definiert. Durch die Anpassung der Vorgabewerte werden daher auch die Auslöseschwellwerte fortlaufend an wechselnde Umgebungsbedingungen angepasst. Für den Fachmann ist ferner implizit, dass beim Verfahren des Streitpatents der Anpassungsvorgang so ausgewählt werden muss, dass eine Beeinträchtigung des Einklemmschutzes ausgeschlossen bleibt.
Neuheit und erfinderische Tätigkeit
5.1 Nach dem Merkmal (i) des Anspruchs 1 (siehe vorstehenden Absatz 3.1) werden die Vorgabewerte und die aktuellen Messwerte der Motorkenngröße fortlaufend miteinander verglichen. Dieser ständige Vergleich setzt allerdings voraus, dass die Vorgabewerte entweder abgespeichert oder vorausberechnet werden. Beim Feststellen einer zu großen Abweichung eines aktuellen Messwertes vom entsprechenden Vorgabewert wird angenommen, dass der vorgegebene Verlauf der Motorkenngröße vom Verlauf der aktuellen Messwerte divergiert. Die Vorgabewerte werden daher so geändert, dass deren Verlauf dem tatsächlichen Verlauf der Messwerte entspricht.
Wie die Beschwerdeführerin geltend gemacht hat, kann eine adaptive Anpassung der Vorgabewerte, und folglich der Auslöseschwellwerte, an die die relevante Motorkenngröße beeinflussenden Umgebungsbedingungen die Zuverlässigkeit und Empfindlichkeit des Einklemmschutzes erhöhen.
5.2 Beim aus D4 bekannten Verfahren erfolgt die Berechnung eines Perioden-Grenzwertes nach der Anlaufphase des Elektromotors, d. h. ab der dritten Motorperiode, auf der Basis des aus der jeweils gerade vollendeten Motorperiode hervorgehenden Perioden-Wertes. Dieser ggf. mit einem Faktor von 1 bis 1,5 korrigierte Perioden-Grenzwert gilt dann als Auslöseschwellwert für die nachfolgende Motorperiode und wird mit dem für diese Motorperiode ermittelten Perioden-Wert verglichen (D4: Spalte 3, Zeilen 3 bis 7). Das Überschreiten des aktuellen Perioden-Grenzwertes durch den entsprechenden Perioden-Wert wird als Einklemmereignis erkannt. Mit anderen Worten sind die der Berechnung der Auslöseschwellwerte zugrunde liegenden Vorgabewerte mit den um eine Motorperiode zeitversetzten Messwerten identisch. Da in D4 der Verlauf der Auslöseschwellwerte dem Verlauf der Messwerte nachläuft, könnte angenommen werden, dass auch beim bekannten Verfahren eine adaptive "Anpassung" des Auslöseschwellwertes vorgenommen wird. Diese erfolgt aber nicht auf der Basis eines vorgegebenen und daher als bekannt anzunehmenden Verlaufs der Messwerte, da in D4 ein Vorgabewert (Perioden-Grenzwert) der Motorkenngröße (Motorperiode) im eingeschwungenen Zustand erst nach der Bestimmung des vorhergehenden Perioden-Wertes feststeht. Obwohl auch in D4 ein fortlaufender Vergleich zwischen dem aktuellen Messwert und dem entsprechenden Vorgabewert, d. h. dem Messwert der vorhergehenden Motorperiode, stattfindet, dient er lediglich zur Ermittlung eines Einklemmereignisses und nicht zur adaptiven Anpassung des Auslöseschwellwertes des Einklemmschutzes.
5.3 Dokument D3 bezieht sich auf ein mechanisch betätigtes Fenster eines Kraftfahrzeugs, das von einer Antriebsquelle, wie beispielsweise einem Elektromotor, geöffnet und geschlossen wird, und insbesondere auf ein Antriebsverfahren für ein solches Fenster, welches ein Einklemmereignis ermittelt, um eine Sicherheitsfunktion auszulösen (D3: Spalte 1, Absatz 1).
Das System, das zur Ermittlung einer Kollision mit einem Fremdkörper dient, umfasst einen Absolutdrehzahldetektor und einen Relativdrehzahldetektor. Wenn bei der Inbetriebsetzung des Motors ein Antriebsspiel auftritt, wird die Drehzahl des Motors momentan erhöht und fällt dann abrupt ab (siehe Figur 9 (a)). Ein Totgangdetektor ermittelt sowohl den Zeitpunkt, zu welchem die Absolutgeschwindigkeit einen vorbestimmten Wert übersteigt, als auch den Zeitpunkt, zu welchem sie wieder niedriger als der vorbestimmte Wert wird. Nach dem Ausgleich des Antriebsspiels wird dann angenommen, dass die Motordrehzahl im wesentlichen konstant bleibt.
Die in Figur 9 (b) dargestellte Relativgeschwindigkeit ist groß in positiver Richtung bei der Inbetriebnahme des Motors und nimmt während der Totgangzeit allmählich ab. Wenn die Totgangzeit vorüber ist, wird die Relativdrehzahl in negativer Richtung groß. Sie wird anschließend im wesentlichen Null wegen der Stabilisierung der Absolutdrehzahl.
D3 lehrt u. a. die Relativdrehzahl für die Ermittlung einer Kollision des Fensters mit einem Fremdkörper zu verwenden, indem die Relativdrehzahl mit einem Bezugswert verglichen wird, um eine Abnahme der Absolutdrehzahl aufgrund einer durch einen Fremdkörper hervorgerufenen Motorbelastung festzustellen. Um einen fehlerhaften Betrieb des Einklemmschutzes nach dem Auftreten von Totgang und Beginn des Kraftschlusses zu verhindern, wird für eine bestimmte Zeitdauer nach dem Ausgleich des Antriebsspiels (Ende des Totgangs) ein Bezugswert verwendet, der um 20% niedriger als der Standardbezugswert ist. Die Schließvorrichtung wird also lediglich an die unmittelbar nach dem Totgang herrschenden Betriebsbedingungen angepasst, indem der Bezugswert um einen festen Prozentsatz herabgesetzt wird. Eine fortlaufende Anpassung des Bezugswerts oder gar eine Änderung des Standardbezugswertes infolge geänderter Umgebungsbedingungen sieht D3 nicht vor.
5.4 In Hinblick auf das aus D4 oder D3 bekannte Verfahren wäre daher für den Fachmann nicht naheliegend gewesen zu einem Verfahren zur Steuerung des Schließvorgangs von Schließvorrichtungen zu gelangen, das alle im Anspruch 1 des Hilfsantrags der Beschwerdeführerin aufgeführten Schritte umfasst.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag weist somit eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ auf.
6. Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Ansprüche gemäß dem Hilfsantrag der Beschwerdeführerin die Erfordernisse des EPÜ erfüllen, und dass auf deren Basis das angefochtene Patent aufrechterhalten werden kann. Dem Hilfsantrag der Beschwerdeführerin wird somit stattgegeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 12, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
- Beschreibung Seite 2 und "Zusatzblatt" (2 Seiten), eingereicht in der mündlichen Verhandlung, Seiten 3 bis 7 der Patentschrift;
- Zeichnungen, Figuren 1a, 1b, 2.1 und 2.2 der Patentschrift.