T 0545/03 () of 21.10.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T054503.20051021
Datum der Entscheidung: 21 October 2005
Aktenzeichen: T 0545/03
Anmeldenummer: 94116410.5
IPC-Klasse: D01H 13/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Spinnstellenstörmelder und -qualifizierer
Name des Anmelders: Rieter Ingolstadt Spinnereimaschinenbau AG
Name des Einsprechenden: Saurer GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 111
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Zurückverweisung an die 1. Instanz - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 18. Oktober 1994 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 10. Oktober 1993 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 94116410.5 wurde das europäische Patent Nr. 648 872 erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) und b) EPÜ ein Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer am 26. Februar 2003 zur Post gegebenen Entscheidung.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß alle Merkmale des Spinnstellenstörmelders nach Anspruch 1 aus dem Dokument D1 (EP A 0 365 901) bekannt seien, und bemerkte dazu, daß auch das Dokument D2 (Schlafhorst Handbuch COROLAB Version 6 und Version 2.6) dem beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich entgegenstehe, ohne im einzelnen auf die Merkmale einzugehen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 30. April 2003 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und mit der am 8. Juli eingereichten Beschwerdebegründung ihren Antrag auf Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 648 872 weiterverfolgt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Bescheid vom 22. Juli 2005 darauf hingewiesen, daß sie die Offenbarung der Erfindung für ausreichend ansehe, um von einem einschlägigen Fachmann ausgeführt werden zu können.

Die Neuheit in Bezug auf Dokument D1 scheine gegeben zu sein, jedoch dürfte die Offenbarung des Dokuments D2 den Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 vorwegnehmen.

VI. Am 21. Oktober 2005 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der insbesondere das Dokument D2 erneut diskutiert wurde.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 12.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 10 lauten:

"1. Spinnstellenstörmelder und -qualifizierer, mit einer Meßeinrichtung (20, 25) zur Messung mindestens eines Parameters eines bewegten Garnes in einer Spinnstelle;

a) mit einer Auswertestufe (21; 22; 22a, 22b, 22c ...), die ausgebildet ist, zumindest einen gemessenen Parameter des Garns fortlaufend unter Berücksichtigung vorgegebener Kriterien auszuwerten;

dadurch gekennzeichnet, daß

b) die Auswertestufe (21; 22) ausgebildet ist, um Stör-Meldesignale (L/T, M0, C, N/S, CV) für die individuellen Fehlerarten im Garn,

L/T- Fehler (22a),

Moiré-Fehler (22b),

N- oder S-Fehler (22d),

C-Fehler (22c) und

CV-Fehler (22e)

als Meldesignalarten zu erzeugen, und

c) eine Zuordnungssektion (23) vorgesehen ist, die ausgebildet ist zum veränderbaren qualifizierenden Zuordnen einer jeweiligen der Meldesignalarten in eine der vorgegebenen unterschiedlichen Störfallgruppen (A, B, C, D, ):

(1) Versuch des Automaten, den Garnfehler durch Fadenbruch und Neuanspinnen, ggf. Reinigung, zu beheben (A),

(2) Spinner/Spinnerin zur Fehlerbehebung herbeisignalisieren (B), insbesondere nachdem (1) erfolglos blieb,

(3) Fachpersonal oder Monteur benachrichtigen (C), insbesondere nachdem (2) erfolglos blieb,

(4) Maschinenhersteller oder Gruppenleiter informieren (D).

10. Verfahren zum Erfassen und Bewerten eingetretener Störfälle an einer Garn-Spinnstelle, mit dem der Spinnstellenstörmelder und -qualifizierer nach einem der vorigen Ansprüche arbeitet,

wobei zwei oder mehr Störfallgruppen (A, B, C, D) definiert werden, denen individuelle Störfälle im Betrieb der Garn-Spinnstelle, insbesondere Gruppen von Garnfehlern, Elektronik-Bauteilfehler, Mechanik-Funktionselementfehler zugewiesen werden, um abgestufte Störfall-Beseitigungsreaktionen selbsttätig zu veranlassen, und wobei die Zuweisung der Störfälle zu den zumindest zwei Störfallgruppen (A, B, C, D) veränderbar ist, und zwar maschinenspezifisch, anwenderspezifisch und/ oder betriebsspezifisch."

VII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, der Anspruch 1 sei in zulässiger Weise eingeschränkt worden. Die nunmehr beanspruchte Lösung sei jedenfalls neu gegenüber D2, weil aufgrund der verschiedenen Meldesignalarten die jeweilige Störung beliebigen Störfallgruppen innerhalb deren Hierarchie zugeordnet werden könne, wie dies auch aus Figur 1 hervorgehe. Gemäß Stand der Technik nach D2 führe ein bestimmtes Qualitäts-Fehlersignal immer zu einem Spinnstellenstop; erst wenn eine bestimmte Zahl von Stops erreicht sei, werde eine höhere Stufe in der Hierarchie der Störfallgruppen angezeigt. Deshalb sei ihr System wesentlich flexibler einsetzbar.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat die Zulässigkeit der Änderungen bezweifelt, weil das unterste der Fehlersignale (n*C/V) gemäß Figur 1 im Anspruch nicht enthalten sei. Sie war der Meinung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu, weil nach der nunmehr beanspruchten Lösung - wie auch in D2 - bei mehrmaligem erfolglosem Versuch einer einfachen Fehlerbehebung eine Störfallgruppe der nächsthöheren Hierarchiestufe angezeigt werde. Allerdings sei der Anspruch 1 gegenüber der bisher diskutierten Fassung im Lauf der Verhandlung derart umfangreich verändert worden, daß eine endgültige Stellungnahme zur Neuheit erst nach gründlicher Analyse des neuen Anspruchs abgegeben werden könne, was während der Verhandlung auch bei längerer Unterbrechung nicht möglich sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

Die Änderungen des Anspruchs 1 sind in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen (Seite 6, 5. Absatz und Seite 11, 3. Absatz) und in der Patentbeschreibung (Abschnitte 0018 und 0032) im jeweiligen Zusammenhang offenbart. Sie beziehen sich auf das konkrete Ausführungsbeispiel der Erfindung, wie es etwa in der Figur 1 dargestellt ist. Das dort gezeigte Fehlersignal n*C/V ist in der betreffenden Textstelle der Beschreibung (Abschnitt 0018) jedoch nicht enthalten, sondern erscheint erst im weiteren Verlauf der Beschreibung des Ausführungsbeispiels (Abschnitt 0030), so daß es als weitere Konkretisierung der Ausführungsform der Erfindung zu verstehen ist und keine unmittelbare Kombination mit den anderen Merkmalen darstellt.

Da diese Änderungen den Schutzbereich des Anspruchs gleichzeitig einschränken, sind sie im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ zulässig.

3. Neuheit

3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Garnüberwachungsanlage nach D2 durch das Merkmal c), nämlich daß eine der jeweiligen unterschiedlichen Meldesignalarten veränderbar qualifizierend in eine der vorgegebenen unterschiedlichen Störfallgruppen zugeordnet werden kann. Da dieser Wortlaut einen komplexen Zusammenhang beschreibt, muß näher darauf eingegangen werden.

3.2 Wie aus Seite 7.1.3 der D2 hervorgeht, arbeitet diese Spinnstellenüberwachungsanlage in der Weise, daß verschiedene Störmeldungen jeweils bestimmte Alarmsignale auslösen, welche in der Tabelle auf Seite 7.1.3 (2) dargestellt sind. Dabei ist jede Störungsart mit einem bestimmten Signal gekoppelt. Wenn ein bestimmtes Alarmsignal, z.B. der Qualitätsalarm einen einstellbaren Wert, bezogen auf eine bestimmte Garnlänge, überschreitet, kommt es zur Stillsetzung der Spinnstelle, in der sie nicht mehr vom Anspinnwagen bedient wird. Der Alarmstop entspricht dabei einer ersten Hierarchiestufe innerhalb der Störfallgruppen, während das Stillsetzen der nächsthöheren Hierarchiestufe zuzuordnen ist. Es muß also immer die erste Hierarchiestufe der Störfallgruppen durchlaufen werden, bis die nächsthöhere Hierarchiestufe erreicht wird.

3.3 Im Unterschied dazu können bei der beanspruchten Vorrichtung die jeweiligen Meldsignalarten veränderbar qualifizierend in eine der unterschiedlichen Störfallgruppen zugeordnet werden, wie es in den Abschnitten 0022 bis 0025 beschrieben und im Beispiel der Figur 1 durch die gestrichelten Linien dargestellt ist. Es kann zwar, muß aber nicht, die jeweils unterste Hierarchiestufe der Störfallgruppen durchlaufen werden, um zur nächsthöheren Hierarchiestufe zu gelangen. Dieser Sachverhalt ist durch den Wortlaut des Merkmals c) ausreichend charakterisiert, um den Unterschied zum bekannten Stand der Technik zu verdeutlichen.

3.4 Das Verfahren nach dem unabhängigen Anspruch 10, mit dem der Spinnstellenstörmelder und -qualifizierer nach einem der Ansprüche 1 bis 9 arbeitet ist ebenfalls neu, da es infolge des Rückbezugs implizit die Arbeitsweise der Einrichtung nach Anspruchs 1 enthält.

4. Zurückverweisung an die erste Instanz

4.1 Nachdem das Patent im Einspruchsverfahren wegen mangelnder Neuheit gegenüber D1 widerrufen worden war und in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer auch mangelnde Neuheit des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf D2 festgestellt wurde, ist die geltende Anspruchsfassung im Lauf der Verhandlung von der Beschwerdeführerin durch Aufnahme einer Reihe von Merkmalen aus der Beschreibung eingeschränkt worden. Mit diesen umfangreichen Änderungen ist eine neue Sachlage entstanden, aufgrund derer es der Beschwerdegegnerin nicht zumutbar war, sich innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne umfassend mit der Neuheit der nunmehr geltenden Ansprüche auseinanderzusetzen und dazu abschließend Stellung zu nehmen.

Um ein faires Verfahren zu garantieren und dieser Partei insbesondere auch das rechtliche Gehör zu allen wesentlichen Punkten zu gewähren, war die Sache deshalb an die erste Instanz zurückzuverweisen, um zunächst abschließend über das Neuheitserfordernis zu entscheiden. Dieses Vorgehen ist auch deshalb geboten, weil die Einspruchsabteilung, sollte sie die Neuheit als nunmehr gegeben erachten, ohnehin über die erfinderische Tätigkeit zu entscheiden haben wird, da dieses Patentierungserfordernis im bisherigen Verfahren noch nicht behandelt worden ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens zurückverwiesen.

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