T 0492/03 (Glycerin Dehydrogenase/MAX-PLANCK) of 11.3.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T049203.20050311
Datum der Entscheidung: 11 März 2005
Aktenzeichen: T 0492/03
Anmeldenummer: 94927553.1
IPC-Klasse: C12N 15/53
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Glycerin-3-Phosphate-Dehydrogenase (GPDH)
Name des Anmelders: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Wesentlicher Verfahrensmangel (bejaht)
Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (verneint)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/92
G 0003/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die internationale Patentanmeldung PCT/EP94/02936 mit der Bezeichnung "Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase (GPDH)" (veröffentlicht unter der Nr. WO 95/06733) trat am 21. März 1996 mit Anmeldungsnummer EP 94 927 553.1 in die regionale Phase vor dem EPA ein. Bei Eintritt in diese Phase lagen der Anmeldung 12 Ansprüche zugrunde, wobei Ansprüche 1, 3 und 4 wie folgt lauteten:

"1. DNA-Sequenzen, die aus Pflanzen isoliert sind und für eine Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase kodieren, und die Allele sowie Derivate dieser DNA-Sequenzen."

"3. Genomische Klone, die aus genomischer Pflanzen-DNA isoliert sind und ein vollständiges Gen einer Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase und die Allele sowie Derivate dieses Gens enthalten."

"4. Genomische Klone nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß das vollständige Gen neben dem Strukturgen die Promotorsequenz und andere Regulatorelemente umfaßt."

II. Nach einem ersten Bescheid der Prüfungsabteilung vom 9. Juli 1998 legte die Anmelderin mit Schriftsatz vom 30. Oktober 1998 neue Patentansprüche 1 bis 11 vor, wobei die Ansprüche 1, 3 und 4 der Fassung vom 21. März 1996 entsprachen.

III. Mit Schreiben vom 30. Juni 1999 beantwortete die Anmelderin einen zweiten Bescheid der Prüfungsabteilung vom 25. Januar 1999, in dem Einwände unter Artikeln 56 und 84 EPÜ erhoben wurden. Es wurde jedoch kein neuer Anspruchssatz eingereicht.

IV. In dem weiteren Bescheid vom 15. November 1999 erhob die Prüfungsabteilung den Einwand mangelnder Klarheit des Ausdrucks "Allele und Derivate" der Ansprüche 1, 3 und 6 (Artikel 84 EPÜ).

V. Mit Schriftsatz vom 29. Februar 2000 legte die Anmelderin neue Ansprüche 1 bis 11 vor, in denen der Ausdruck "Allele und Derivate" in Ansprüchen 1, 3 und 6 gestrichen worden war. Ansprüche 1 und 3 dieses Anspruchssatzes lauteten wie folgt:

"1. DNA-Sequenzen, die aus Pflanzen isoliert sind und für eine Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase kodieren."

"3. Genomische Klone, die aus genomischer Pflanzen-DNA isoliert sind und ein vollständiges Gen einer Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase enthalten."

Anspruch 4 dieses Anspruchssatzes blieb im Vergleich zu der Fassung vom 21. März 1996 unverändert (cf. Punkt I supra).

VI. Nach einem weiteren Bescheid der Prüfungsabteilung vom 6. Oktober 2000, in dem die Breite des Anspruchs 1 unter Artikel 84 EPÜ beanstandet wurde, reichte die Anmelderin mit Schreiben vom 9. Februar 2001 einen Hilfsantrag ein. Die am 29. Februar 2000 eingereichten Ansprüche wurden als Hauptantrag aufrechterhalten (cf. Punkt V supra). Anspruch 3 dieses Hilfsantrags lautete wie Anspruch 4 des Hauptantrags.

VII. In der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung erhob die Prüfungsabteilung am 18. Oktober 2001 unter anderem einen Einwand unter Artikeln 84 und 83 EPÜ bezüglich der Ansprüche 1 bis 8 des Hauptantrags und der Ansprüche 1 bis 7 des Hilfsantrags. Der Anmelderin wurde auch mitgeteilt, daß dieser Einwand dadurch behoben werden könne, daß in die beanstandeten Ansprüche ein Verweis auf die spezifischen, mit SEQ ID No. beschriebenen Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase Sequenzen aus Cuphea lanceolata aufgenommen würde. Der Zeitpunkt für die Einreichung von Schriftsätzen und Unterlagen wurde nach Regel 71a EPÜ auf den 21. Januar 2002 festgesetzt.

VIII. Mit Schreiben vom 21. Januar 2002 nahm die Anmelderin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und stellte den Antrag, sich schriftlich bis zum 21. März 2002 zu den vorgebrachten Einwänden äußern zu können.

IX. Am 5. Februar 2002 wurde der Anmelderin telefonisch mitgeteilt, daß die angesetzte mündliche Verhandlung am 11. Februar 2002 stattfinden werde. Die Prüfungsabteilung setzte eine Frist bis 8. Februar 2002 für die Einreichung weiterer Unterlagen.

X. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2002 reichte die Anmelderin einen zweiten und dritten Hilfsantrag ein. Der zweite Hilfsantrag bestand aus drei Ansprüchen, die wie folgt lauteten:

"1. DNA-Sequenzen, die aus Cuphea lanceolata isoliert sind und für eine Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase kodieren, wobei die kodierende Sequenz der kodierenden Sequenz von SEQ ID No. 1-8 oder einem Allel oder Derivat von SEQ ID No. 1-8 entspricht."

"2. Genomische Klone, die aus Cuphea lanceolata isoliert sind und ein vollständiges Gen einer Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase enthalten, wobei das Gen die in SEQ ID No. 5-8 angegebene Sequenz hat."

"3. Promotoren und andere Regulatorelemente der Glycerin-3-Phosphat-Gene aus einem der genomischen Klone nach Anspruch 2."

Der dritte Hilfsantrag unterschied sich vom zweiten Hilfsantrag lediglich durch Streichung des Ausdrucks "oder einem Allel oder Derivat von SEQ ID No. 1-8" in Anspruch 1.

XI. Am 11. Februar 2002 fand die mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Anmelderin statt. In dieser Verhandlung wurde die Anmeldung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde am 9. April 2002 zur Post gegeben. Die Prüfungsabteilung entschied, daß der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag die Erfordernisse der Artikel 56, 83 und 84 EPÜ nicht erfüllten. Der zweite und dritte Hilfsantrag erfüllten die Anforderungen der Artikel 54 und 56 EPÜ. Jedoch wurden die Ausdrücke "Derivat" - in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags - und "andere Regulatorelemente" - in Anspruch 3 der zweiten und dritten Hilfsanträge - als unklar beurteilt (Artikel 84 und 83 EPÜ). Die Prüfungsabteilung vertrat auch die Auffassung, daß der dritte Hilfsantrag allen Erfordernissen des EPÜ genügen würde, wenn der Ausdruck "andere Regulatorelemente" gestrichen würde.

XII. Am 5. Juni 2002 legte die Anmelderin (nunmehr Beschwerdeführerin) Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein. Mit der mit Schriftsatz vom 3. Juli 2002 eingereichten Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin auch einen neuen Anspruchssatz als einzigen Anspruchssatz vor. Die früheren Haupt- bzw. Hilfsanträge wurden nicht weiterverfolgt. Der neue Anspruchssatz unterschied sich vom dritten Hilfsantrag lediglich durch Streichung des Ausdrucks "andere Regulatorelemente" in Anspruch 3. Die Beschwerdeführerin beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 67 EPÜ), unter Hinweis auf die Entscheidung G 4/92 (Amtsblatt EPA 1994, 149). Die Prüfungsabteilung habe gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (Artikel 113 EPÜ).

XIII. Am 6. August 2002 hob die Prüfungsabteilung ihre Zurückweisungsentscheidung auf (Artikel 109 (1), (Satz 1) EPÜ). Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde nicht stattgegeben. Es wurde dabei darauf hingewiesen, daß die Entscheidung G 4/92 nicht einschlägig sei, weil sie sich auf mehrseitige Verfahren beschränke. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde der Beschwerdekammer vorgelegt.

Entscheidungsgründe

Zuständigkeit der Kammer

1. In ihrer Entscheidung G 3/03 vom 28. Januar 2005 (cf. LS 2 und Punkt 5 der Entscheidungsgründe, wird im Amtsblatt veröffentlicht) hat die Grosse Beschwerdekammer entschieden, daß die Beschwerdekammer, die gemäß Artikel 21 EPÜ für die Sachprüfung der Beschwerde zuständig wäre, auch für die isolierte Entscheidung über die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 67 EPÜ) nach Abhilfe durch die Prüfungsabteilung zuständig ist.

2. Daher ist diese technische Beschwerdekammer zuständig, über den vorliegenden Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu entscheiden.

Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ

3. In der Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin aus, der Begriff "Derivate" sei nur in einem Prüfungsbescheid beanstandet und in den darauffolgenden Bescheiden nicht aufrechterhalten worden. Außerdem sei der Ausdruck "andere Regulatorelemente" erstmals in der mündlichen Verhandlung beanstandet worden. Folglich liege ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ vor. Nach der Rechtsprechung der Grossen Beschwerdekammer dürfe eine Entscheidung zu Ungunsten eines Beteiligten, der der mündlichen Verhandlung ferngeblieben sei, nicht auf erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Tatsachen gestützt werden (cf. G 4/92, supra).

Der Ausdruck "Derivate"

4. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Prüfungsabteilung im Hinblick auf die von ihr in der Entscheidung als unzulässig angesehene Verwendung des Ausdrucks "Derivate" in dem zweiten Hilfsantrag den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt hat, da die Rückzahlung der Beschwerdegebühr jedenfalls aus den nachfolgenden Gründen geboten ist.

Der Ausdruck "andere Regulatorelemente"

5. Der Ausdruck "andere Regulatorelemente" war sowohl in der ursprünglich eingereichten Fassung des Patentanspruchs 5 als auch in allen weiteren eingereichten Anträgen enthalten (cf. Punkt V, VI und X supra). In keinem ihrer Bescheide erhob die Prüfungsabteilung einen Einwand gegen diesen Ausdruck.

6. Vielmehr wurde dieser Einwand unter Artikel 84 EPÜ erstmals in der Begründung der in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung erhoben. Weder dieser Einwand noch die entsprechende Argumentation dagegen waren der der mündlichen Verhandlung ferngebliebenen Beschwerdeführerin bekannt und beide waren in diesem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens auch in keiner Weise mehr zu erwarten.

7. Mit Einreichung des dritten Hilfsantrags hatte die Beschwerdeführerin allen von der Prüfungsabteilung erhobenen Einwänden Rechnung getragen. Für den Fall, daß die vorangehenden Anträge (Haupt-, erster und zweiter Hilfsantrag) von der Prüfungsabteilung weiterhin beanstandet werden würden, konnte die Beschwerdeführerin also davon ausgehen, daß eine Erteilung auf der Grundlage des dritten Hilfsantrags erfolgen könnte. Der spätere Einwand gegen diesen Antrag in der Zurückweisungsentscheidung hat folglich die von der Beschwerdeführerin aufgrund der Bescheide der Prüfungsabteilung zu erwartende Beurteilung der Rechtslage durch die Prüfungsabteilung in ihr Gegenteil verkehrt. Artikel 113 (1) EPÜ kodifiziert ein wesentliches Verfahrensrecht, das sicherstellen soll, daß kein Beteiligter von einer gegen seinen Antrag gerichteten Entscheidung überrascht wird, die auf Gründe gestützt wird, zu denen er sich nicht äußern konnte. Das letztere ist hier im Hinblick auf den dritten Hilfsantrag der Beschwerdeführerin vor der Prüfungsabteilung der Fall.

8. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne vom Regel 67 EPÜ vorliegt. Wie das weitere Verfahren zeigt, ist auch eine Kausalität zwischen dem Verfahrensmangel und der Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, zu bejahen. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung die vorangehenden Anträge fallengelassen und den durch die Streichung des beanstandeten Merkmals bereinigten dritten Hilfsantrag zum Hauptantrag gemacht. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß die Beschwerdeführerin vor der Prüfungsabteilung in gleicher Weise vorgegangen wäre, wenn ihr die Einwände der Prüfungsabteilung bezüglich des Merkmals "andere Regulatorelemente" vor einer Entscheidung mitgeteilt worden wären. Damit hätten eine Zurückweisungsentscheidung und die Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, vermieden werden können. Unter diesen Umständen entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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