T 0413/03 () of 20.9.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T041303.20070920
Datum der Entscheidung: 20 September 2007
Aktenzeichen: T 0413/03
Anmeldenummer: 96109918.1
IPC-Klasse: D06P 1/41
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Reduzieren der Toxizität von Restflotten und neue kationische Farbstoffe
Name des Anmelders: LANXESS Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Neuheit - neue Verwendung im Sinne von G 0002/88 - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
T 0279/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die als EP-A-0 752 494 mit dreizehn Ansprüchen veröffentlichte europäische Patentanmeldung 96 109 918.1 zurückgewiesen wurde.

II. Der Entscheidung lagen die mit der Eingabe vom 7. November 2000 eingereichten Ansprüche 1 und 2 als einziger Antrag zu Grunde. Die ursprünglich eingereichten Ansprüche 3 bis 13 wurden während der Prüfungsphase gestrichen. Die Ansprüche 1 und 2 haben folgenden Wortlaut:

"1. Verwendung eines kationischen Farbstoffes zur Reduzierung der Toxizität von Restflotten aus dem Färben mit kationischen Farbstoffen oder Mischungen davon, wobei der kationische Farbstoff eine für die konformationsoptimierte Molekülstruktur, berechnet nach dem AM1-Verfahren mit dem MOPAC Programm nach "J.P. Stewart, Quant. Chem. Prog. Exch, 10:86, 1990", elektrostatische Abschirmungsenergie von gößer (sic) gleich 55 kcal/mol, berechnet nach Verfahren von "Klamt, Schüürmann, J. Chem Soc. Perkin II 1993, 799", besitzt."

"2. Verwendung gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man als kationische Farbstoffe solche einsetzt, die mindestens zwei hydrophile Reste ausgewählt aus der Gruppe Perfluor-C1-C4-alkyl, C1-C3-alkoxy, Cyano, Nitro, SO2, C=O, Hydroxy, NH und -O- tragen."

III. Zur Begründung wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt:

a) Die Ansprüche 1 und 2 genügten den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ.

b) Die Anmeldung sei einheitlich und ausführbar im Sinne von Artikeln 82 und 83 EPÜ.

c) Die Anmeldung erfülle aber nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ. Da der Wortlaut von Anspruch 1 nicht den beabsichtigen Schutzumfang definiere, welcher nicht die Reduzierung der Toxizität sondern ein Auswahlverfahren für kationische Farbstoffe betreffe, bestehe ein offensichtlicher Widerspruch zwischen dem Wortlaut von Anspruch 1 und dem Anmeldungsgegenstand.

d) Selbst wenn der Einwand unter Artikel 84 EPÜ behoben werde, wäre der Gegenstand von Anspruch 1 nicht patentfähig, weil er keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (2) a) bzw. c) EPÜ darstelle, sondern lediglich eine reine gedankliche Tätigkeit beinhalte.

e) Da Gegenstand einer zweiten Verwendung von bekannten Substanzen immer nur das Erzielen einer neuen (d.h. bisher nicht erkannten) Wirkung sein könne, und da in diesem Falle aber gerade keine Wirkung (Schädigung von Lebewesen) eintreten soll, handele es sich bei dem beanspruchten Gegenstand auch nicht um eine zweite nichtmedizinische Verwendung, sondern immer noch um die erste Verwendung von bekannten Substanzen, nämlich zum Färben.

f) Somit sei die Anmeldung zurückzuweisen.

IV. Am 14. Januar 2003 legte die Patentinhaberin gegen die Entscheidung Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am gleichen Tag entrichtet. In ihrer am 1. April 2003 eingegangenen Beschwerdebegründung wurde im wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Bei Weglassung der die Bestimmungsmethode für die Hydratationsenergie betreffenden Passagen könne der Anspruch 1 wie folgt vereinfacht werden : "Verwendung eines kationischen Farbstoffes zur Reduzierung der Toxizität von Restflotten aus dem Färben mit kationischen Farbstoffen oder Mischungen davon, wobei der kationische Farbstoff eine elektrostatische Abschirmungsenergie von größer gleich 55 kcal/mol besitzt.".

b) Dem Anspruch 1 liege weder ein rechnerisches Verfahren zur Auswahl von nicht-toxischen Farbstoffen zugrunde, noch die Verwendung eines Rechenprogramms zur Unterscheidung von toxischen und nicht-toxischen Farbstoffen. Nicht das Programm entscheide über die Toxizität der verwendeten Farbstoffe, sondern der anspruchsgemäße Schwellenwert der Hydrationsenergie, also ein Parameter, dessen Bestimmungsmethode nicht zur Debatte stehe. Darüber hinaus basiere die Definition im Anspruch 1 auf der Korrelation, dass die definierten Verbindungen die gewünschten Wirkungen hätten, wobei diese Struktur-Wirkung-Beziehung für einen Anspruch mit der Formulierung "Verwendung von Verbindungen X zum Zweck Y" nicht entgegenstehe. Daher stehe dem Anspruch 1 kein Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) EPÜ entgegen.

c) Der Wortlaut von Anspruch 1 sei nicht auf ein Verfahren zum Auswählen oder Identifizieren von Farbstoffen gerichtet, sondern auf die Verwendung von Farbstoffen zur Reduzierung der Toxizität von Restflotten. Daher ergebe sich kein Widerspruch zwischen dem Wortlaut von Anspruch 1 und dem Anmeldungsgegenstand (Artikel 84 EPÜ).

d) Obwohl der Anspruch 1 im Sinne einer zweiten nicht-medizinischen Indikation zu verstehen sei, verneinte die Prüfungsabteilung dies mit dem Hinweis darauf, dass das Nicht-Eintreten einer Wirkung nicht Grundlage einer neuen Verwendung sein könne. Es sei aber nicht auf die "Wirkung" im mechanistischen Sinne abzustellen, sondern auf das Erreichen eines Zieles, welches sowohl in positiver als auch in negativer Form definiert werden könne. Das anspruchsgemäß definierte Ziel, die Toxizität von Restflotten zu verringern, sei im Stand der Technik weder explizit offenbart noch aus diesem nahe gelegt.

e) Daher seien die vorliegenden Ansprüche als patentfähig anzusehen.

V. Auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung erwiderte die Beschwerdeführerin, dass sie an der vorgesehenen mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und bat nach Aktenlage zu entscheiden.

VI. In einer am 6. Juni 2007 zur Post gegebene Mitteilung teilte die Kammer mit, dass die vorgesehene Verhandlung auch in Abwesenheit der Beschwerdeführerin stattfinden würde.

In ihrer Mitteilung erhob die Kammer eine Reihe von Einwendungen unter Artikel 123 (2), 84, 83, 52 (2), 54 und 56 EPÜ. Darüber hinaus gehe Anspruch 1 davon aus, dass Restflotten aus dem Färben mit kationischen Farbstoffen toxisch seien. Weder die Art der Toxizität, noch die Zusammensetzung der erhaltenen Restflotte sei aber im Anspruch 1 definiert. Aus Anspruch 1 gehe auch nicht hervor, gegenüber welchen Restflotten eine "Reduzierung" der Toxizität stattfinden soll. Der Begriff Reduzierung setze aber voraus, dass die Toxizität gegenüber einem Ausgangszustand vermindert sei, so dass die Vergleichsbasis im Anspruch 1 fehle und die "technische Wirkung" (Reduzierung der Toxizität) unbestimmt sei. Es sei damit nicht klar, ob und wie sich die "Verwendung eines kationischen Farbstoffes zur Reduzierung der Toxizität von Restflotten aus dem Färben mit kationischen Farbstoffen" von der "Verwendung des gleichen kationischen Farbstoffes zum Färben" überhaupt unterscheide. Im Anspruch 1 handle es sich eher um die Formulierung einer Aufgabe, nämlich Farbstoffe zum Färben bereitzustellen, oder zu verwenden, deren Restflotten eine geringere Toxizität verursachen, als um die Lösung, nämlich kationische Farbstoffe mit den berechneten Eigenschaften bereitzustellen oder zu verwenden. Nur die Lösung, nicht aber die Aufgabe, solle im Anspruch 1 definiert werden. Dabei könne es kritisch darauf ankommen, ob die Farbstoffe an sich oder deren Verwendung zum Färben neu seien. Ein weiterer Grund, nämlich geringe Toxizität der Restflotte, könne die Verwendung bekannter Farbstoffe, die in einer bekannten Weise zum Färben verwendet werden, nicht neu machen (siehe auch T 0279/93, nicht veröffentlicht im Abl., insbesondere die Entscheidungsgründe 5.3 bis 5.5 zur Frage der Anerkennung einer neuen Verwendung).

Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Dokumente D1 und D2 kationische Farbstoffe für die Färbung von synthetischen Fasern veranschaulichten, welche auch in der Streitanmeldung erwähnt seien, und zwar als Verbindungen, die die in Anspruch 1 definierte Abschirmungsenergie aufwiesen. Schließlich sei auch die verminderte Toxizität erwähnt. Daher sei nicht erkennbar, worin der Unterschied zwischen der beanspruchten Verwendung gegenüber D1 und D2 liege.

VII. Die Beschwerdeführerin hat auf die Mitteilung der Kammer keine Erwiderung eingereicht.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand in der angekündigten Abwesenheit der Beschwerdeführerin am 20. September 2007 gemäß Regel 71(2) EPÜ statt.

IX. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hatte schriftlich beantragt, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Ansprüche zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1 Der vorliegende Anspruch 1 bezieht sich auf die Verwendung von kationischen Farbstoffen mit einer bestimmten im Anspruch 1 definierten Abschirmungsenergie. Der Anspruch 2 betrifft die obige Verwendung, wobei die Farbstoffe zwei hydrophile Reste aus definierten Gruppen aufweisen.

2.2 D2 (EP-A-0 624 628) offenbart kationische Diazacyaninfarbstoffe der Formel (i)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

in der

R**(1) für gegebenenfalls substituiertes Alkyl oder

gegebenenfalls substituiertes Aryl,

R**(2) für Wasserstoff, gegebenenfalls substituiertes Alkyl oder gegebenenfalls substituiertes Aryl,

R**(3) für gegebenenfalls substituiertes Alkoxycarbonyl,

gegebenenfalls substituiertes Aminocarbonyl oder

Cyano,

R**(4) für Wasserstoff oder gegebenenfalls substituiertes

Alkyl,

R**(5) für gegebenenfalls substituiertes Alkyl oder

gegebenenfalls substituiertes Aryl,

R**(6) für Wasserstoff, gegebenenfalls substituiertes Alkyl,

Halogen, gegebenenfalls durch Alkyl oder Aryl, die

ihrerseits gegebenenfalls substituiert sein können,

substituiertes Amino, Cyano, Nitro, gegebenenfalls

substituiertes Alkoxycarbonyl, gegebenenfalls

substituiertes Alkylcarbonyl, gegebenenfalls

substituiertes Aralkylcarbonyl, gegebenenfalls

substituiertes Alkylsulfonyl, gegebenenfalls

substituiertes Alalkylsulfonyl, gegebenenfalls

substituiertes Arylsulfonyl oder gegebenenfalls

durch Alkyl oder Aryl, die ihrerseits gegebenenfalls

substituiert sein können, substituiertes

Aminosulfonyl und

X(-)für ein Äquivalent eines in der Farbstoffchemie

üblichen Anions stehen (Anspruch 1).

Aus den Beispielen der Tabelle 1 von D2 ist ersichtlich, dass Diazacyaninfarbstoffe der Formel (i) Reste R**(3) aufweisen, die polare Gruppen mit Heteroatomen wie Sauerstoff und Stickstoff enthalten, also einen hydrophilen Rest im Sinne der Streitanmeldung. Folglich fallen diese Diazacyaninfarbstoffe unter die verwendbaren kationischen Farbstoffe der Streitanmeldung.

Die Verbindungen 16 und 17 nach D2 sind mit den erfindungsmäßigen Verbindungen der Beispiele 7 und 8 der Streitanmeldung identisch, wobei die Verbindung nach Beispiel 8 der Streitanmeldung bereits eine COSMO-Hydratationsenergie von 55 kcal/mol aufweist. Somit erfüllt die Verbindung 16 nach D2 die beanspruchte Abschirmungsenergie.

Darüber hinaus können einige der veranschaulichten kationischen Farbstoffe nach D2 sogar zwei hydrophile Reste enthalten, wie etwa in den Beispielen 19, 34 bis 37 und 56 bis 59 erläutert ist. Die Verbindungen enthalten CN, OCH3-Ph, CH2CN Gruppen, die unter der Definition der in geltendem Anspruch 2 aufgeführten hydrophilen Gruppen fallen. Hierbei ist zu beachten, dass auch nach den Anmeldungsunterlagen die hydrophilen (polaren) Reste über Abstandsgruppen wie Alkylen- oder Arylenreste gebunden sein können, wie in zahlreichen Beispielen auch erläutert ist (siehe Seite 3 der Streitanmeldung, Zeilen 17 und 18, sowie Beispiele 32, 35, 38, 41, 44 und 47).

Insbesondere offenbart die Streitanmeldung, dass bei kationischen Farbstoffen mit mindestens zwei hydrophilen Reste im Molekül in der Regel COSMO-Werte oberhalb der angegebenen Grenzen größer/gleich 55 kcal/mol erreicht werden (Seite 3, Zeilen 8 bis 10). Daher sollten die bekannten kationischen Farbstoffe nach D2, die mindesten zwei hydrophile Reste wie beansprucht enthalten, auch die beanspruchte Abschirmungsenergie aufweisen.

Der Anspruch 1 erwähnt auch, dass die Verwendung von kationischen Farbstoffen, welche die definierte Abschirmungsenergie aufweisen, zur Reduzierung der Toxizität von Restflotten beiträgt. Unter Reduzierung der Toxizität von Restflotten, welche Wirkung per se unbestimmt ist (siehe Punkt VI, supra), kann gemäß der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung verstanden werden, irgendeine Reduzierung der Toxizität gegenüber Fischen, Daphnien und Algen (Seite 2, Zeilen 34 bis 42).

Die nach D2 bekannten Farbstoffe, die als Substituent R**(3) anstelle von Wasserstoff oder Methyl einen Alkoxycarbonyl, Aminocarbonyl oder Cyanorest aufweisen, zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie, falls sie in unbeabsichtigter Weise in die Umwelt geraten, dort eine verminderte Daphnien-, Fisch- und Algentoxizität aufweisen (Seite 5, Zeilen 25 bis 27).

Daher werden in den Restflotten aus dem Färben mit den bekannten kationischen Farbstoffen nach D2, etwa Beispiel 16, auch eine unmittelbare Reduzierung der Daphnien-, Fisch- und Algentoxizität im Wasser erzielt, so dass ein Unterschied der beanspruchten Verwendung gemäß den Ansprüchen 1 und 2 gegenüber der bekannten Verwendung nach D2 nicht vorliegt.

3. Aus dem vorstehenden ergibt sich, dass sämtliche Merkmale von Anspruch 1 unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik ableitbar sind, so dass es auch nicht mehr darauf ankommen kann, ob die Beschwerdeführerin einen möglichen Zusammenhang zwischen Abschirmungsenergie und Toxizität entdeckt hat.

Die Angabe einer Entdeckung, dass zur Erzielung einer geringeren Toxizität der Restflotte bekannte Farbstoffe gegenüber anderen bekannten Farbstoffen bevorzugt seien, nämlich aufgrund einer definierten Abschirmungsenergie, kann noch nicht zu einer neuen Verwendung führen (T 0279/93, supra).

4. Für eine neue Verwendung im Sinne von Entscheidung G 0002/88 (ABl. EPA 1990, 099) genügt nicht eine bloße Erkenntnis, dass eine kalkulierbare Eigenschaft eines bekannten Stoffs im Zusammenhang mit einer für diesen Stoff bekannten Wirkung steht, um bei einer bekannten Verwendung des Stoffs einen bekannten Zweck zu erzielen. Um die Neuheit anzuerkennen, müsste die Verwendung aller für diesen Zweck bekannten Stoffe vom Verwendungsanspruch ausgeschlossen sein, selbst wenn der Zusammenhang zwischen kalkulierbarer Eigenschaft und Wirkung dieser Stoffe im Stand der Technik nicht bekannt war.

5. Daher ist die in den vorliegenden Ansprüchen 1 und 2 definierte Verwendung nicht neu.

6. Folglich kann die Beschwerde keinen Erfolg haben.

7. Es erübrigt sich deshalb eine Entscheidung über die erhobenen Einwände unter Artikel 84 und 52(2) EPÜ zu treffen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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