T 0408/03 () of 24.10.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T040803.20051024
Datum der Entscheidung: 24 October 2005
Aktenzeichen: T 0408/03
Anmeldenummer: 95108429.2
IPC-Klasse: C09C 1/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Silylierung von anorganischen Oxiden und derart silylierte Kieselsäure
Name des Anmelders: Wacker-Chemie GmbH
Name des Einsprechenden: Degussa AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 5. Februar 2003 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs. Der Entscheidung lagen die Patentansprüche 1 - 12 in der erteilten Fassung zugrunde.

II. Die unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 12 des Streitpatents lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Silylierung von feinstteiligen anorganischen Oxiden, dadurch gekennzeichnet, daß die feinstteiligen anorganischen Oxide mit mindestens einem im Temperaturbereich des gesamten Verfahrens schwer flüchtigen Silylierungsmittel behandelt werden, mit der Maßgabe, daß das schwer flüchtige Silylierungsmittel den feinstteiligen anorganischen Oxiden flüssig in Form eines feinstzerstäubten Aerosols mit einer mittleren Tropfengröße von < 500 µm zugemischt wird."

"10. Hochunpolare pyrogene Kieselsäure herstellbar nach einem oder mehreren der Ansprüche 1-9 dadurch gekennzeichnet, daß sie eine mittlere Primärteilchen-Partikelgröße kleiner als 100 nm, insbesondere mit einer spezifischen Oberfläche größer als 25 m**(2)/g (gemessen nach der BET Methode nach DIN 66131 und 66132), einen Kohlenstoffgehalt von mindestens 1 Gew.-% pro 100 m**(2)/g spezifischer Oberfläche (gemessen nach der BET Methode nach DIN 66131 und 66132), eine Methanolzahl von gleich oder größer als 50, eine relative Sorptionskapazität an Hydroxylionen von kleiner als 25 %, keinen von der Kieselsäure extrahierbaren oder löslichen Anteil an Silylierungsmittel aufweist und daß auf der hochunpolaren pyrogenen Kieselsäure mittels Infrarot-Spektroskopie keine isolierten Silanolgruppen bei einer Wellenzahl von 3750 cm**(-1)nachweisbar sind."

"12. Verwendung der hochunpolaren pyrogenen Kieselsäure nach Anspruch 9 oder 10 oder hergestellt nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8 als Verdickungsmittel in polaren Systemen, als Absorbtionsmittel für Öle, zur Verbesserung der Rieselfähigkeit von Tonern sowie in Antischaummitteln."

III. Die Einspruchsabteilung anerkannte die Neuheit und erfinderische Tätigkeit, weil aus keinem Dokument die erfindungsgemäße Tröpfchengröße von < 500 µm hervorgehe oder nahegelegt werde. Genausowenig seien die Produktparameter entsprechend den Merkmalen der in Anspruch 10 definierten Produkte im Stand der Technik bekannt oder durch diesen nahegelegt.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) mit Schreiben vom 4. April 2003 Beschwerde ein. Mit der Beschwerdebegründung legte sie folgende neue Dokumente vor:

D8: Prospekt der Fa. Lechler "Ultraschall-Zerstäuber", undatiert

D9: Prospekt der Fa. Schlick "Schlick-Düsen", 5 Seiten, undatiert

Mit der Eingabe vom 22. Mai 2003 reichte sie ein Schriftstück der Fa. Schlick vom 15.5.2003, betreffend D9, ein (nachfolgend als D9a bezeichnet).

V. Die Beschwerdeführerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Der Gegenstand des Streitpatents sei in dem Dokument D5: EP-A-0 466 958 (siehe Seite 9, Beispiel) vorbeschrieben. In diesem Beispiel werde in einem Lödige - Mischer pyrogene Kieselsäure (Aerosil 200) vorgelegt und mittels einer Zerstäuberdüse ein Silan auf die Kieselsäure aufgesprüht. Es sei z. B. aus dem Prospekt der Firma Lechler (D8) bekannt, dass Zerstäuberdüsen eine mittlere Tröpfchengröße von 10 - 30 µm erzeugten. Auch die Schlick - Düsen (Prospekt D9) lieferten stets eine Tröpfchengröße von unter 500 µm. Der Fachmann erhalte daher beim Nacharbeiten von D5 mit solchen Zerstäuberdüsen ein Produkt gemäß Herstellverfahren des Streitpatents.

In einem weiteren Schriftsatz vom 8. September 2004 zitierte die Beschwerdeführerin die Dokumente

D6: DE A 39 38 373 und

D7: US A 5 153 030 (entsprechendes US - Äquivalent zu D6)

In dem Verfahren nach Dokument D6 werde pyrogene Kieselsäure in einem Reaktor fluidisiert und mit Polydimethylsiloxan mittels eines Einspritzmittels (in D7: "injection means") besprüht. Dabei soll die pyrogene Kieselsäure gleichmäßig und gründlich mit dem Silanöl in Kontakt gebracht werden. Wegen der geringen Schüttdichte des fluidisierten SiO2 von 0,16 g/cm**(3) sei dem Fachmann klar, dass eine gleichförmige Benetzung nur mit einer feinstzerteilenden Zerstäuberdüse erreichbar sei. Der Fachmann hätte daher aus dem Angebot an Düsen ohne erfinderische Tätigkeit die geeigneten ausgewählt.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass in Dokument D5 nur von einer Zerstäuberdüse gesprochen werde. Daraus sei kein Hinweis auf die Tröpfchengröße oder überhaupt eine Verbindung zu den Prospekten D8 und D9 zu entnehmen. Diese Prospekte seien daher als verspätet und nicht relevant anzusehen und ihr Einbringen in das Verfahren unzulässig.

VII. Die Kammer sah in einer vorläufigen Mitteilung die Neuheit als gegeben an, da die erfindungswesentliche Tröpfchengröße nicht eindeutig und zwangsläufig aus den Entgegenhaltungen hervorgehe. Sie ging von D5 oder D6 als nächstem Stand der Technik aus und stellte die Frage, welches technische Problem davon ausgehend gelöst worden sei.

VIII. Mit Schreiben vom 6. September 2005 legte die Beschwerdeführerin weitere Dokumente in Hinblick auf die Neuheit des Produktanspruchs 10 vor:

D10: US A 4 554 147

D11: GB A 932 753

Sie argumentierte, Dokument D10 und Dokument D11, Beispiel 10, beschrieben jeweils vollständig oberflächlich silylierte pyrogene Kieselsäure ohne freie Silanolgruppen und seien damit neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 10 des Streitpatents. Zudem kritisierte die Beschwerdeführerin, dass das Streitpatent keine konkreten Angaben über die Bestimmungsmethode für die Tröpfchengröße mache.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2005 trug die Beschwerdeführerin weitere Angaben zur den in D5 verwendeten Zerstäuberdüsen nach (Anlagen 3 und 4). Anlagen 1 und 2 wurden als Beweismittel vorgelegt, um die Vorveröffentlichung des Prospektmaterials D8 und D9 nachzuweisen.

IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter im schriftlichen Verfahren im wesentlichen, dass die Dokumente D8 and D9 willkürlich ausgewählt seien. Eine Tröpfchengröße von kleiner 500 µm sei dadurch nicht nahegelegt. Zu Vergleichsbeispiel 7 des Streitpatents erklärte sie, dass die Angabe irrtümlich sei, dass kein extrahierbares Silyliermittel nachzuweisen war. Als Anlage 1 zum Schreiben vom 16. September 2005 wurden Versuche aus D5 dem Beispiel 3 des Streitpatents gegenübergestellt und eine vollständigere Silylierung der Kieselsäure geltend gemacht.

X. Am 24. Oktober 2005 fand eine mündliche Verhandlung statt, bei der im wesentlichen die folgenden zusätzlichen Argumente vorgebracht wurden.

Bezüglich des Verfahrensanspruchs 1 argumentierte die Beschwerdeführerin ausgehend von D5, dass es aufgrund der in dem Beispiel auf Seite 9 angegebenen Mengenverhältnisse von Kieselsäure und Silylierungsmittel für den Fachmann auf der Hand gelegen habe, das Silylierungsmittel in feinst verteilter Form aufzusprühen, um eine gleichmäßige und vollständige Behandlung zu erreichen. Sie trug dazu überschlagsmäßige Berechnungen der Volumskonzentrationen von Silan und Kieselsäure im Reaktionsraum vor. Da geeignete feinstverteilende Düsen im Handel erhältlich gewesen seien, habe es auf der Hand gelegen, diese auch einzusetzen.

Zu D10 sagte die Beschwerdeführerin, dass die Nacharbeitung des Beispiels 1 unmittelbar zum beanspruchten Produkt nach Anspruch 10 führe, da dieser Anspruch nicht auf das Herstellverfahren nach Anspruch 1 beschränkt sei. Entscheidend sei, dass durch die Silylierung alle Silanolgruppen belegt seien (vollständige Hydrophobierung), woraus sich die anderen Produktparameter implizit ergäben.

In dem kontinuierlichen Fliessbettverfahren nach D6 würde der Fachmann zwangsläufig ein Einspritzmittel wählen, das Tröpfchen von kleiner als 500 µm liefere, um die gewünschte gleichmäßige Verteilung zu erzielen. D6 werde von der Beschwerdeführerin daher ebenfalls als neuheitsschädlich für Anspruch 1 und 10 angesehen.

Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Tröpfchengröße einer Zerstäubungsdüse nicht nur von der Düsenbauart, sondern auch von der Viskosität der versprühten Flüssigkeit abhinge. Die erfindungsgemäß versprühten Silane und Polysiloxane hätten im allgemeinen eine viel höhere Viskosität als Wasser. Die mit Wasser ermittelten Angaben aus den Datenblättern der Düsenhersteller seien daher nicht aussagekräftig; oft würden mit Silanen keine feinstverteilten Tröpfchen erhalten, sondern die viskose Flüssigkeit trete aus der Düse als Strahl aus. Die Eigenschaft "vollständig hydrophob" in D11 bedeute, dass das Produkt von Wasser nicht benetzt werde, was jedoch nicht ausschließe, dass Silanolgruppen noch vorhanden seien.

Im Übrigen gehe weder aus D5 noch aus D6 eine Lehre hervor, das Silylierungsmittel in Form eines feinstverteilten Aerosols aufzusprühen.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 6. September 2005, Seiten 2 und 3, vorgebrachte Einwand, wonach das Streitpatent keine Angaben zur Bestimmungsmethode der Tröpfchengröße mache, stellt nach Aussage der Beschwerdeführerin selbst und auch nach Auffassung der Kammer einen Einwand unter Artikel 84 EPÜ dar. Ein solcher ist aber kein Einspruchsgrund (Artikel 100 EPÜ) und daher bei ungeänderten Ansprüchen nicht zu beachten.

3. Neuheit

3.1 Verfahrensanspruch 1

Die Kammer ist der Ansicht, dass der behauptete Neuheitsmangel in Hinblick auf D5 und D6 von der Beschwerdeführerin nicht bewiesen wurde, und zwar aus folgenden Gründen. Zwar könnte es theoretisch der Fall sein, dass Tröpfchengrößen von < 500 µm erzielt werden, wenn man sich beim Nacharbeiten der D5, insbesondere des Beispiels auf Seiten 7 - 9, einer Zerstäuberdüse aus dem Sortiment der Firmenprospekte D8 oder D9 bedient. Die Einstoffdüsen der Fa. Schlick (D9) liefern beispielsweise mit Wasser als Sprühmedium mittlere Tropfendurchmesser von deutlich unter 200 µm, abhängig vom Prüfdruck; Düsen besonderer Bauart (Ultraschallzerstäuber aus D8) dagegen liefern sogar mittlere Tropfendurchmesser von nur rund 10 - 30 µm.

Derart feine Tröpfchen sind aber nicht mit allen am Markt befindlichen Düsen und auch nicht mit allen Sprühmedien erzielbar, da der mittlere Tröpfchendurchmesser von der Viskosität der zu versprühenden Flüssigkeit abhängt. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgebracht oder gar nachgewiesen, dass praktisch alle erhältlichen Düsen bei der Zerstäubung des Silans gemäß D5 eine Tröpfchengröße im beanspruchten Bereich lieferten. So betrifft der Prospekt D8 sogenannte Ultraschall-Zerstäuber, die im Gegensatz zu normalen Düsen ein feineres Tröpfchenbild erzeugen. D5 erwähnt aber weder Ultraschallzerstäuber noch einen anderen Typ von Zerstäuberdüsen.

Die Beschwerdeführerin hat in Zusammenhang mit D5 in Anlage 3 zum Schreiben vom 12. Oktober 2005 eine Information des Miterfinders der D5 vorgelegt, derzufolge die zur Zerstäubung des Hydrophobierungsmittels verwendete Düse eine Zweistoffdüse der Firma Spraying Systems mit der Bezeichnung "SU J2" war. Nach Auskunft von Spraying Systems (Anlage 4 zum erwähnten Schreiben der Beschwerdeführerin) scheinen die erzielten mittleren Tröpfchengrößen (MVD) (gemessen mit Wasser als zu zerstäubende Flüssigkeit) bei verschiedenen Prüfdrucken unterhalb von 500 µm zu liegen. Diese Informationen sind aber nicht in D5 selbst enthalten und gehören damit nicht zum Stand der Technik, auf den die Beschwerdeführerin ihren Neuheitseinwand stützen könnte.

Die in D9 angegebenen Tröpfchengrößen sind ebenfalls mit Wasser als zu zerstäubende Flüssigkeit ermittelt; in D8 ist das Sprühmedium nicht angegeben. Die Beschwerdegegnerin machte in diesem Zusammenhang plausibel geltend, dass die erfindungsgemäß versprühten Silanöle wegen ihrer vergleichsweise hohen Viskosität bei sonst gleichen Sprühbedingungen ein wesentlich gröberes Tröpfchenbild ergäben oder möglicherweise sogar als Strahl austreten würden. Die Angaben aus den Prospekten D8 und D9 sind daher nicht unmittelbar auf die Verhältnisse des beanspruchten Verfahrens übertragbar.

Gemäß D5, Beispiel (Seite 7, Zeile 40 bis Seite 9, Zeile 50) wird Aerosil (pyrogene Kieselsäure) in einem Lödige - Mischer (einem Intensivmischer; vgl. Seite 6, Zeile 53) vorgelegt und bei laufendem Mischer ein Silan aus einer Zerstäuberdüse auf das Aerosil aufgesprüht. Anschließend wird noch 15 min nachgemischt. D5 enthält keine Information darüber, ob die Verteilung des Silans auf den laufenden Mischer bzw. auf die Zerstäuberdüse oder auf beide zurückzuführen ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich also nicht zwangsläufig aus D5 die Lehre, die feinverteilten anorganischen Oxide mit einem Behandlungsmittel mit einer mittleren Tröpfchengröße von < 500 µm zu besprühen. Es ist auch in D5 nicht explizit von einer Feinstverteilung des Silans die Rede.

Dokument D6 offenbart ein Verfahren zur kontinuierlichen Behandlung von einem Material geringer Schüttdichte, beispielsweise pyrogener Kieselsäure. In einem Ausführungsbeispiel wird Kieselsäure mit einem flüssigen Silanöl (Polydimethylsiloxan) aus einem Einspritzmittel so besprüht, dass die Kieselsäure gleichförmig mit dem Behandlungsmittel in Kontakt tritt, um sie hydrophob zu machen (Spalte 3, Zeilen 19 bis 24; sowie Spalte 3, Zeile 65 bis Spalte 4, Zeile 67; Figur 1). Es ist in D6 jedoch weder das Einspritzmittel genauer angegeben noch die angewendete Tröpfchengröße, sodass alles, was zu D5 über die mit verschiedenen Düsen und verschiedenen Sprühmedien erzielbare Tröpfchengröße gesagt wurde, auch für D6 gilt. Die Offenbarung von D6 ist daher ebenfalls nicht neuheitsschädlich für das beanspruchte Verfahren.

Andere Dokumente wurden gegen die Neuheit des Verfahrensanspruchs von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht angeführt. Sie hat sich insbesondere nicht mehr auf die im Einspruchsverfahren gegen die Neuheit des Anspruchs 1 zitierten Dokumente D1: EP A 0 672 731 (Stand der Technik nach Art. 54(3) (4) EPÜ), D2: DE A 42 02 695, D3: DE 1 42 02 694 und D4: EP A 0 442 143 gestützt. Die Kammer sieht von sich aus keine Veranlassung, diese Dokumente anders zu beurteilen als in der angefochtenen Entscheidung.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 genügt daher den Erfordernissen der Art. 52 (1) und 54 EPÜ.

3.2 Produktanspruch 10

Die Beschwerdeführerin hat gegen die Neuheit des Produktanspruchs im wesentlichen vorgebracht, dass sie das beanspruchte Produkt als zwangsläufiges Ergebnis eines aus D5 oder D6 bekannten Verfahrens auffasse, dem folglich ebenfalls die Neuheit fehle.

Diese Argumentation schlägt jedoch bereits aus dem Grund fehl, da wie unter 3.1. diskutiert, aus D5 und D6 keine Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bekannt sind. Es wird durch die Versuche und Vergleichsversuche im Streitpatent plausibel gemacht, dass das unterschiedliche Verfahrensmerkmal der mittleren Tröpfchengröße < 500 µm zu einer hochunpolaren pyrogenen Kieselsäure mit anderen physikalischen Eigenschaften führt, die nicht im beanspruchten Bereich liegen. So weist die im Vergleichsbeispiel 7 mit flüssigen Siloxantröpfchen von > 500 µm mittlerem Durchmesser besprühte und hydrophobierte Kieselsäure im Vergleich zum erfindungsgemäß hergestellten Produkt (Beispiel 6) einen niedrigeren Silylierungsgrad auf (ausgedrückt durch die Methanolzahl; vgl. Streitpatent Seite 3, Zeilen 21 - 25). Die relative Sorptionskapazität an OH- , die den relativen Gehalt an sauren Silanolgruppen angibt und der Kohlenstoffgehalt, der nach der Beschwerdegegnerin die Belegung mit Silyliermittel ausdrückt, liegen außerhalb des beanspruchten Bereichs. Außerdem weist die behandelte Kieselsäure eine schlechtere Verdickungswirkung in UP - Harz und in Methanol auf. Es wurde von der Beschwerdeführerin nicht gezeigt, dass sich nach D5 oder D6 auch Produkte mit allen in Anspruch 10 angeführten Parametern herstellen ließen. Die Kammer kann zwar akzeptieren, dass die mittlere Primärteilchen-Partikelgröße von unter 100 nm und die BET - Oberfläche von > 25 m**(2)/g typischerweise auf pyrogene Kieselsäuren zutreffen mögen. Andere Parameter, wie z. B. die Methanolzahl von >= 50 und die relative Sorptionskapazität an OH- - Ionen von kleiner 25 % sind jedoch charakteristisch für das beanspruchte Produkt. Die Beschwerdeführerin hat jeden Nachweis fehlen lassen, dass die Nacharbeitung der Entgegenhaltungen D5 oder D6 zu Produkten mit diesen chemisch - physikalischen Kenndaten führt.

Ebensowenig wurde gezeigt, dass eine hochunpolare pyrogene Kieselsäure aus dem Stand der Technik derart silyliert ist, dass sie keinen extrahierbaren oder löslichen Anteil an Silylierungsmittel und keine mittels Infrarot-Spektroskopie mehr nachweisbaren isolierten Silanolgruppen aufweist.

Nach Dokument D10 wird pyrogene Kieselsäure in einem Wirbelschichtreaktor kontinuierlich mit einer Mischung aus einem Silan, Salzsäure und einer oberflächenaktiven Substanz behandelt, um den Gehalt der Silanolgruppen der Kieselsäure herabzusetzen. In einem Vergleichsversuch wurde pyrogene Kieselsäure diskontinuierlich mit Octamethylcyclotetrasiloxan sechs Stunden lang behandelt; anhand der vollständigen Elimination der isolierten Silanolgruppen wurde auf eine vollständige Reaktion der isolierten Silanolgruppen geschlossen (siehe Abstract, Anspruch 1; Spalte 1, Zeilen 26 - 35; Spalten 3 und 4, Beispiel 1; Tabelle 1). Die Beschwerdeführerin sah dadurch den Gegenstand des Produktanspruchs 10 des Streitpatents neuheitsschädlich vorweggenommen.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass in Beispiel 1 der D10 das Behandlungsmittel nicht mit Düsen, sondern mit Spritzen ("syringes") eingebracht wurde. Bezüglich des Vergleichsversuches ist ebenfalls nicht offenbart, dass eine Zerstäuberdüse verwendet wurde. Die Beschwerdeführerin trägt für ihren Neuheitseinwand die Beweislast, zu zeigen, dass trotz einer unterschiedlichen Verfahrensweise das in Anspruch 10 definierte Produkt erhalten wird. Dieser ist sie nicht nachgekommen, da wesentliche Charakteristika des beanspruchten Produkts, nämlich die Methanolzahl, der Kohlenstoffgehalt, die relative Sorptionskapazität an OH- - Ionen, und der Gehalt an extrahierbarem Siloxan aus D10 nicht hervorgehen.

D11 zeigt eine vollständige Hydrophobierung von pyrogener Kieselsäure mittels eines Siloxans und einer Säure, die in flüssiger oder Dampfform zugesetzt werden können (siehe insbesondere Seite 2, Zeilen 72 - 87; Seite 3, rechte Spalte, Beispiel 10). In D11 ist weder eine Feinstzerstäubung des Siloxans beschrieben noch sind weitere Angaben über die physikalisch - chemischen Eigenschaften des Endprodukts zu finden. Im Beispiel 10 ist nicht offenbart, wie die Hydrophobizität bestimmt wurde. Sie wurde jedoch in Beispiel 1, das ebenfalls die Hydrophobierung von pyrogener Kieselsäure betrifft, durch Schütteln ("shaking") des Produktes mit Wasser und Feststellen, ob es durch Wasser benetzt wurde, bestimmt. Die Aussage der Beschwerdegegnerin blieb unwidersprochen, dass dieser Test einen Restgehalt an freien Silanolgruppen nicht erfassen kann.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass auch die Dokumente D10 und D11 die Neuheit des Produkts gemäß Anspruch 10 des Streitpatents nicht in Frage stellen.

Der Gegenstand des Anspruchs 10 genügt daher den Erfordernissen der Art. 52 (1) und 54 EPÜ. Dasselbe gilt für den Anspruch 12, der die Verwendung der Kieselsäure nach Anspruch 10 bzw. der nach Anspruch 1 hergestellten Kieselsäure betrifft.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Anspruch 1

Die Kammer sieht in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin Dokument D6 als nächstliegenden Stand der Technik an. Dieses Dokument beschäftigt sich mit der Behandlung von Material mit geringer Schüttdichte, wie zum Beispiel pyrogener Kieselsäure, mit organischen Silikonverbindungen, um es hydrophob zu machen. Das Material wird durch gleichmäßiges Aufsprühen eines flüssigen Silanöls, beispielsweise Polydimethylsiloxan, in einem kontinuierlichen Verfahren hydrophobiert (siehe Spalte 2, Zeilen 32 - 38; 53 - 64; Spalte 3, Zeilen 19 - 24; Spalte 4, Zeilen 44 - 53; Ansprüche 1, 8, 9, 10 und 14).

Die Aufgabe des Streitpatents besteht ausgehend davon in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von hochunpolaren Kieselsäuren und anderen anorganischen Oxiden mit verbesserten Eigenschaften insbesondere hinsichtlich des Einsatzes als Verdickungsmittel in polaren Systemen.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird das Verfahren gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen, das sich vom bekannten Verfahren nach D6 durch die Aufbringung des flüssigen Silylierungsmittels in Form eines feinzerstäubten Aerosols mit einer mittleren Tröpfchengröße von < 500 µm unterscheidet. Die Kammer anerkennt anhand der Beispiele und Vergleichsbeispiele des Streitpatents, dass das beanspruchte Verfahren tatsächlich die gestellte Aufgabe löst, was im übrigen von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurde.

Es bleibt zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war.

Die Beschwerdeführerin hat dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt: Der Fachmann würde in Anbetracht des niedrigen Schüttgewichts der zu behandelnden pyrogenen Kieselsäure von ca. 0,08 g/cm**(3) (D6, Spalte 3, Zeile 43; an anderen Stellen 0,16 g/cm**(3)) ein Einspritzmittel mit einem möglichst feinen Tröpfchenbild wählen, um die in D6 geforderte gleichmäßige Verteilung des Hydrophobiermittels (Spalte 4, Zeilen 18 - 23) sicherzustellen. Gemäß Ausführungsbeispiel des Dokuments D5 (Seite 9) würden 2 kg Aerosil mit einer Stampfdichte von 50 g/l, also dementsprechend 40 l Volumen, mit 200 g Silan (Dichte ca. 1 g/ml) behandelt. Daraus errechne sich als Verhältnis von Silan zu Kieselsäure der niedrige Wert von 5.10**(-3 )g Silan pro Milliliter Volumseinheit im Reaktionsvolumen. Es folge unmittelbar die Notwendigkeit, das Silan in entsprechend kleine Tröpfchen zu zerstäuben, um alle Kieselsäurepartikel benetzen zu können. Derartige feinzerstäubende Düsen waren vor dem Prioritätstag bekannt, und es wäre nahe liegend gewesen, sie auch einzusetzen. Analoge Überlegungen stelle der Fachmann bei der D6 an, wo noch zu berücksichtigen sei, dass wegen des kontinuierlichen Verfahrens keine Möglichkeit einer nachträglichen Homogenisierung bestünde.

Diese Argumente können die Kammer aber nicht überzeugen. Zunächst ist festzustellen, dass in D6 an keiner Stelle von der Notwendigkeit einer Feinstzerstäubung die Rede ist. Das Einspritzmittel (26) selbst wird überhaupt nicht näher gekennzeichnet. Aufgabe der D6 ist die gleichmäßige und gründliche Behandlung mit einem Behandlungsmittel, ohne Klumpenbildung und bei verringerter Brandgefahr (siehe Spalte 2, Zeilen 53 - 64). Die Aufgabe wird dadurch gelöst, dass man die Kieselsäure während der Überführung vom Behälter (10) zum Gefäß (30) kontinuierlich mit dem Behandlungsmittel in Kontakt bringt, beispielsweise durch Verwendung des Einspritzmittels (26) zur gleichförmigen Verteilung des Behandlungsmittels über das ganze Rohr (14) (siehe Spalte 4, Zeilen 18 - 23; Anspruch 1). Dabei kommt der Wahl des Einspritzmittels offenbar untergeordnete Bedeutung zu. Das Behandlungsmittel kann nach D6 dabei fest, flüssig oder gasförmig eingebracht werden (Spalte 3, Zeilen 18 - 24). Eine Lehre, ein flüssiges Aerosol von Tröpfchen mit einem mittleren Durchmesser von < 500 µm einzuspritzen, findet sich in D6 nicht. Diese Feinstzerstäubung kann auch aus D5 nicht entnommen werden (siehe Punkt 3.1). Daher können weder D5 noch D6 den Fachmann anregen, das Silylierungsmittel den Oxiden flüssig in Form eines Aerosols mit einer mittleren Tropfengröße von kleiner als 500 µm zuzumischen, um hochunpolare anorganische Oxide bzw. Kieselsäuren mit verbesserten Eigenschaften zu erhalten.

Die anderen zitierten Dokumente enthalten nichts, was dem Fachmann das beanspruchte Verfahren nahelegen könnte. Zwar zeigen D8 und insbesondere D9, dass Düsen existierten, die ein Aerosol aus feinsten Tröpfchen erzeugen können, doch betreffen diese Dokumente nicht die Behandlung von anorganischen Oxyden mit Silanen oder Siloxanen oder die Probleme, die bei dieser Behandlung oder den daraus resultierenden Produkten auftreten.

4.2 Anspruch 10

Die Beschwerdeführerin hat das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Produktanspruches 10 nicht bestritten. Die Kammer sieht keinen Grund, von sich aus die von der Einspruchsabteilung getroffene Entscheidung zu revidieren. Die neuen, während des Beschwerdeverfahrens zitierten Dokumente D6 bis D11 enthalten keine zusätzlichen Informationen, welche das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit hinsichtlich des beanspruchten Produktes erneut in Frage stellen könnten.

4.3 Dasselbe trifft auf den Anspruch 12 zu, der die Verwendung der Kieselsäure nach Anspruch 10 bzw. der nach Anspruch 1 hergestellten Kieselsäure betrifft.

Die abhängigen Ansprüche definieren bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung und haben mit den unabhängigen Ansprüchen, auf die sie sich beziehen, Bestand.

5. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe stehen daher der Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang nicht entgegen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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