T 0355/03 (Piperazine/MERCK) of 30.10.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T035503.20031030
Datum der Entscheidung: 30 October 2003
Aktenzeichen: T 0355/03
Anmeldenummer: 00949288.5
IPC-Klasse: C07D 209/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: N-(Indolcarbonyl-) Piperazinderivate als 5-HT2A-Rezeptor Liganden
Name des Anmelders: MERCK PATENT GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 R 51(4)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Änderungsantrag (unberücksichtigt) - Eingang nach Abgabe des Erteilungsbeschlusses an Poststelle
Einverständnis zur erteilten Fassung (nein) - widersprüchliche Verfahrenserklärungen - Aufklärungspflicht
Rückzahlung Beschwerdegebühr (ja) - Aufklärung unterblieben - wesentlicher Verfahrensmangel
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0012/91
J 0011/94
J 0029/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0206/10
T 2573/11

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 7. März 2003 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die am 21. Februar 2003 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Erteilung eines europäischen Patents auf die Anmeldung Nr. 00 949 288.5 mit der europäischen Veröffentlichungsnummer 1 198 453 und der internationalen Veröffentlichungsnummer WO 01/07435.

II. Dem vom Europäischen Patentamt ausgestellten Internationalen Vorläufigen Prüfungsbericht lagen ein neuer Anspruchssatz mit acht Ansprüchen zugrunde, von denen die Ansprüche 1, 2 und 3 eingeschränkt waren. Diese Einschränkung der Ansprüche war laut Prüfungsbericht notwendig, um die Neuheit des Anspruchsgegenstandes gegenüber dem Stand der Technik herzustellen.

III. Beim Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA als ausgewähltem Amt bestimmte der Beschwerdeführer (Anmelder) in seinem Prüfungsantrag vom 8. Januar 2001, daß der dem Internationalen Vorläufigen Prüfungsbericht zugrunde gelegte Anspruchssatz ebenfalls dem Verfahren vor dem EPA zugrunde zu legen sei. In einer Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ vom 17. Oktober 2002 unterrichtete die Prüfungsabteilung den Beschwerdeführer, daß sie die Erteilung eines europäischen Patents auf Grundlage des Anspruchssatzes vom 8. Januar 2001 beabsichtige.

IV. In seiner Antwort auf diese Mitteilung vom 21. November 2002 teilte der Beschwerdeführer mit, daß er Änderungen an den Ansprüchen vorgenommen habe und führte hierzu detailliert aus:

"Im Folgenden werden die Änderungen und die entsprechenden Offenbarungen in der Beschreibung im Einzelnen aufgeführt:

Es wurde ein neuer Anspruch 2 aufgestellt, der explizit auf die beiden in der Beschreibung auf Seite 19 Zeilen 22. und 24 offenbarten Wirkstoffe [...] gerichtet ist. Dementsprechend beziehen sich die Ansprüche mit den Nummern 3, 4, 5 und 8, die zuvor lediglich auf Anspruch 1 rückbezogen waren, nun zurück auf die Ansprüche 1 und 2.

In die Ansprüche mit den neuen Nummern 6 und 9 wurden zusätzlich die beiden Indikationen 'Panikattacken' und 'Prophylaxe und Bekämpfung der Folgen cerebraler Infarktgeschehen wie Schlaganfall und cerebrale Ischämie' aufgenommen, die auf Seite 3 der Beschreibung, Zeilen 14-16 und Zeile 27 offenbart sind.

Die Anmelderin geht davon aus, daß auch die geänderten Ansprüche die Bedingungen für die Erteilung erfüllen und der Erteilungsbeschluß somit gefaßt werden kann."

Seinem Schriftsatz vom 21. November 2002 fügte der Beschwerdeführer einen neuen Anspruchssatz mit neun Ansprüchen bei, in welchem die neu numerierten Ansprüche 1, 3 und 4 die ursprünglich eingereichte Fassung und nicht die eingeschränkte Fassung vom 8. Januar 2001 hatten.

Die Prüfungsabteilung stimmte den beantragten Änderungen nach Regel 86 (3) EPÜ zu und erließ mit Datum vom 27. Februar 2003 den Erteilungsbeschluß auf Basis des neuen Anspruchssatzes vom 21. November 2002 mit der nicht eingeschränkten Fassung der Ansprüche 1, 3 und 4.

V. Am 21. Februar 2003 um 15 Uhr 50 übersandte der Anmelder eine Eingabe per Fax, in der er auf einen Fehler im Anspruchssatz vom 21. November 2002 hinwies. Es sei dort leider nicht auf die bereits im internationalen Verfahren eingeschränkte Fassung der Ansprüche, sondern fälschlicherweise auf eine überholte Version zurückgegriffen worden. Die Einschränkungen sollten wieder in die Ansprüche 1, 3. und 4 aufgenommen werden.

VI. Die Prüfungsabteilung lehnte in der Mitteilung vom 4. März 2003 den Berichtigungsantrag des Beschwerdeführers ab, da seine Eingabe erst nach Abgabe des Erteilungsbeschlusses an die interne Poststelle des EPA eingegangen sei. Der Anmelder wurde auf die Möglichkeit des Rechtsmittels der Beschwerde hingewiesen.

VII. In der zusammen mit der Beschwerde eingegangenen Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer gerügt, daß die am 21. Februar 2003 beantragte Korrektur der Ansprüche unterblieben sei. Er habe bei der Erstellung des am 21. November 2002 eingereichten Anspruchssatzes versehentlich auf eine überholte Anspruchsversion und nicht auf die eingeschränkten Ansprüche, welche bereits im internationalen Verfahren eingereicht und dort als patentfähig angesehenen wurden, zurückgegriffen. Da die dem Erteilungsbeschluß zugrunde liegenden Ansprüche 1, 3 und 4 durch den Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen seien, sei das erteilte Patent nicht rechtsbeständig und nicht durchsetzbar, weswegen der Beschwerdeführer auch beschwert sei.

VIII. Der Beschwerdeführer hat beantragt, den angefochtenen Erteilungsbeschluß vom 27. Februar 2003 aufzuheben und ein Patent auf Grundlage der mit Eingabe vom 21. Februar 2003 eingereichten Ansprüche zu erteilen. Weiterhin hat er die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht worden. Nachdem der angefochtene Erteilungsbeschluß nicht eindeutig dem Beantragten entspricht (siehe Punkt 3 unten), ist der Beschwerdeführer durch diesen Beschluß auch beschwert.

Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. Der Beschwerdeführer hat gerügt, daß sein Berichtigungsantrag vom 21. Februar 2003 unberücksichtigt geblieben sei.

Nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer ist das Verfahren für den Erlaß einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren mit dem Tag der Abgabe der Entscheidung durch die Formalprüfungsstelle der Prüfungsabteilung an die interne Poststelle des EPA zum Zwecke der Zustellung abgeschlossen, da ab diesem Zeitpunkt die Entscheidung dem Einwirkungsbereich der Prüfungsabteilung entzogen ist (siehe G 12/91, ABl. EPA 1994, 285). Im vorliegenden Fall ist der Erteilungsbeschluß laut maschinellem Ausdruck in der Fußzeile am 21. Februar 2003 zur internen Poststelle abgegeben worden. Die Eingabe des Beschwerdeführers ging ausweislich des Aufdrucks des amtlichen Faxgerätes am gleichen Tag um 15 Uhr 50 und somit nach dem am Freitag, dem 21. Februar 2003, geltenden Geschäftsschluß um 15 Uhr 30 ein. Bei Eingang der Eingabe des Beschwerdeführers war der Erteilungsbeschluß folglich dem Einwirkungsbereich der Prüfungsabteilung bereits entzogen. Sie konnte daher von der Prüfungsabteilung nicht mehr berücksichtigt werden. Auch wenn die Kammer in diesem Punkt der Rechtsansicht der Prüfungsabteilung folgt, war im Rahmen des Artikels 111 (1) EPÜ gleichwohl zu prüfen, ob der Beschwerde aus anderen rechtlichen Gründen stattzugeben ist.

3. Auf die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ hat der Beschwerdeführer mit seiner Eingabe vom 21. November 2002 eine wesentliche Verfahrenserklärung für die Patenterteilung, nämlich einen Antrag auf Änderung der Patentansprüche, abgegeben.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern müssen aus Gründen der Rechtssicherheit Verfahrenserklärungen und wegen ihrer Tragweite insbesondere das Verfahren beendende Erklärungen eindeutig sein; mehrdeutige Verfahrenserklärungen sind unwirksam. So sind Erklärungen des Einverständnisses mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung nur rechtswirksam, wenn eindeutig feststeht, welche Fassung der Anmelder gebilligt hat (siehe Entscheidungen J 11/94, ABl. EPA 1995, 596, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe; J 29/95, ABl. EPA 1996, 489, Punkt 6. der Entscheidungsgründe). Dies stellt einen allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz dar, dessen Gültigkeit auch von der Neufassung der Regel 51 EPÜ unberührt bleibt.

Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob der beschwerdeführende Anmelder eine gültige Einverständniserklärung für die erteilte Fassung des Patents abgegeben hat. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn eindeutig feststeht, welche Fassung der Anmelder tatsächlich gebilligt hat. Im Schriftsatz vom 21. November 2002 sind die an den geltenden Patentansprüchen vom 8. Januar 2001 vorgenommenen Änderungen explizit, detailliert und abschließend aufgeführt, nämlich die Aufstellung eines neuen Anspruchs 2, die dementsprechende Änderung der Rückbezüge in den folgenden Ansprüchen 3, 4, 5 und 8 und die Aufnahme weiterer Indikationen in die Ansprüche 6 und 9. Ausweislich seines Schriftsatzes hat der beschwerdeführende Anmelder somit keine weiteren Änderungen, insbesondere auch keine inhaltlichen Änderungen, in den bis dahin geltenden Ansprüchen vom 8. Januar 2001 vorgenommen. Dem Schriftsatz vom 21. November 2002 ist indessen ein Anspruchssatz beigefügt, der in Anspruch 1 und den neu numerierten Ansprüchen 3 und 4 gegenüber den bis dahin geltenden Patentansprüchen weitergehende inhaltliche Änderungen enthält. Diese Anspruchsänderungen bestehen in der Wiederaufnahme von in der ursprünglichen Anmeldung enthaltenen Bedeutungen für den Substituenten R5 in der Formel I und dem Weglassen eines Disclaimers, wodurch die vom Anmelder zur Erzielung der Neuheit im Anspruchssatz vom 8. Januar 2001 vorgenommenen Einschränkungen wieder entfallen.

Somit besteht keine Übereinstimmung zwischen den Erklärungen des beschwerdeführenden Anmelders im Schriftsatz vom 21. November 2002 und dem beigefügten Anspruchssatz. Es blieb folglich unklar, welche Fassung der Anmelder der Patenterteilung tatsächlich zugrunde legen wollte, einen Anspruchssatz allein mit den Änderungen laut Schriftsatz oder den beigefügten Anspruchssatz mit weiteren Änderungen. Seine Verfahrenserklärungen sind daher mehrdeutig und es wäre deshalb Aufgabe der Prüfungsabteilung gewesen, diesen Widerspruch in seinen Erklärungen aufzuklären, um den wahren Willen des Anmelders festzustellen. Ohne diese Aufklärung stand nicht eindeutig fest, welche Fassung der Anmelder gebilligt hat und das notwendige Einverständnis des Anmelders mit der tatsächlich erteilten Fassung konnte nicht unterstellt werden. Somit liegt im Ergebnis keine wirksame Zustimmung des beschwerdeführenden Anmelders zu der angefochtenen Patenterteilung vor. Sie ist daher wegen Verstoßes gegen Artikel 113 (2) EPÜ aufzuheben.

Die Patenterteilung durch die Prüfungsabteilung ohne wirksame Zustimmung des beschwerdeführenden Anmelders stellt auch einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, welcher die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ aus Billigkeitsgründen rechtfertigt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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