T 1081/02 (Fernsteuerbares Schloss/BMW) of 13.1.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T108102.20040113
Datum der Entscheidung: 13 Januar 2004
Aktenzeichen: T 1081/02
Anmeldenummer: 93110812.0
IPC-Klasse: E05B 49/00
E05B 65/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fernsteuerbares Schloss, insbesondere für Kraftfahrzeugtüren
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Robert Bosch GmbH
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 109
European Patent Convention 1973 Art 112(1)(a)
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 Art 125
European Patent Convention 1973 R 9(3)
European Patent Convention 1973 R 65(1)
European Patent Convention 1973 R 89
Schlagwörter: Zurücknahme einer beschwerdefähigen Zwischenentscheidung durch die Einspruchsabteilung (nicht möglich)
Vertrauensschutz im Hinblick auf die Mitteilung einer Formalsachbearbeiterin, diese Entscheidung als gegenstandslos zu betrachten
Zweite Entscheidung in derselben Sache - Verstoß gegen Grundsatz der Selbstbindung
Orientierungssatz:

1) Mit der Zustellung einer Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung im schriftlichen Verfahren, mit der die gesonderte Beschwerde gemäß Artikel 106 (3) EPÜ zugelassen wird, ist das Verfahren erster Instanz abgeschlossen und die Einspruchsabteilung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht mehr befugt, ihre abschließende Entscheidung selbst aufzuheben oder abzuändern, sei es aus eigener besserer Einsicht, sei es auf Grund der Eingabe einer Partei. Vielmehr ist dies nur noch im Wege der Beschwerde durch die gesetzlich eingerichtete zweite Instanz der Beschwerdekammern des EPA möglich.

2) Die in der laufenden Beschwerdefrist ergangene Mitteilung der Formalsachbearbeiterin der Einspruchsabteilung, die Entscheidung sei aufgrund eines formalen Fehlers versandt worden und deshalb als gegenstandslos zu betrachten, ist nicht geeignet, einen rechtlich beachtlichen Vertrauenstatbestand zu schaffen, der die Rechtswirkung der Entscheidung dahingehend in Frage stellen könnte, daß diese als nichtig anzusehen wäre. Der zu gewährende Vertrauensschutz verbietet es allerdings, den Parteien die Rechtsmittelfrist des Artikel 108 EPÜ entgegenzuhalten.

3) Eine in derselben Sache ergangene zweite Entscheidung verstößt gegen das auch dem EPÜ zugrundeliegende elementare prozessrechtliche Prinzip der Selbstbindung der Entscheidungsinstanzen und ist schon deshalb aufzuheben.

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/91
G 0004/91
G 0012/91
G 0008/93
T 0124/93
T 1176/00
T 0042/02
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0466/03
T 0830/03
T 1093/05
T 0993/06
T 0105/11
T 2475/17
T 0443/18
T 0466/20

Sachverhalt und Anträge

I. Das am 28. Januar 1998 im Europäischen Patentblatt bekannt gemachte europäische Patent Nr. 0 589 158 ist mit form- und fristgerechtem Einspruch zunächst wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a), 52 bis 57. EPÜ angegriffen worden. In der von beiden Parteien hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 vor der Einspruchsabteilung hat die Patentinhaberin neben dem Hauptantrag auf Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang drei Hilfsanträge gestellt, während die Einsprechende den Widerruf des Patents nur noch wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit begehrt hat.

II. Unter Ziffer 6 und 11 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die das Datum des 12. April 2002 trägt, sind die - dort so bezeichneten - "Entscheidungen" der Einspruchsabteilung festgehalten, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 entsprechend dem Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ beruhe und die Ansprüche 1 und 13 des 1. Hilfsantrags nicht dem Erfordernis der Einheitlichkeit nach Artikel 82 EPÜ genügten.

In Ziffer 17 der Niederschrift heißt es schließlich, den Parteien werde mitgeteilt, daß die Abteilung beabsichtige, das Patent gemäß Artikel 102 (3) EPÜ in der Fassung des 2. Hilfsantrags aufrechtzuerhalten, und deshalb den Patentinhaber auffordere, innerhalb von 2 Monaten Reinschriften der Ansprüche 1 bis 8 entsprechend dem 2. Hilfsantrag einzureichen sowie eine an diese Ansprüche angepaßte Beschreibungseinleitung bei gleichzeitiger Streichung aller nicht von den Ansprüchen des 2. Hilfsantrags gedeckten Ausführungsbeispiele. Dieselbe Mitteilung findet sich auf dem der Niederschrift beigefügten Formblatt (EPA Form 2339.4 11.93. CSX), auf dem im Aktenexemplar - nicht jedoch auf den den Parteien zugestellten Exemplaren - die Formel "verkündete die/der Vorsitzende folgende Entscheidung:" gestrichen war.

III. In der Folgezeit wurde den Parteien eine Zwischenentscheidung mit Datum vom 10. Mai 2002 zugestellt, deren Aktenexemplar von allen drei Mitgliedern der Einspruchsabteilung in der Besetzung vom 23. Oktober 2001 unterschrieben ist, jedoch kein Datum trägt. Nach der Feststellung der Gewährbarkeit von Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags heißt es auf Seite 12 f. der Entscheidung wie folgt:

"Die Einspruchsabteilung beabsichtigt, das europäische Patent gemäß Artikel 102 (3) EPÜ in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 8 entsprechend dem 2. Hilfsantrag. Der Patentinhaber soll innerhalb einer Frist von 2 Monaten Reinschriften der oben genannten Ansprüche 1 bis 8 sowie eine an diese Ansprüche angepaßte Beschreibungseinleitung gemäß Regel 27 (1) c) EPÜ einreichen. Jegliche Hinweise auf Ausführungsbeispiele, die nicht durch die Ansprüche 1 bis 8 gedeckt sind, sind zu streichen. Diese Entscheidung ist eine vorläufige Entscheidung, da innerhalb der gesetzten Frist noch die Erfordernisse der Artikel 102 (3) b) und 102 (5) EPÜ im Hinblick auf die Druckkostengebühr und die Übersetzungen der geänderten Patentansprüche erfüllt werden müssen, damit die Entscheidung endgültig wird."

Auf dem Deckblatt dieser Zwischenentscheidung (EPA Form 2327 11.99CSX) wird festgestellt, daß die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 entschieden habe, unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen genügten das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand habe, den Erfordernissen des Übereinkommens. Als Unterlagen für die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang werden u. a. die unveränderte Beschreibung der Patentschrift sowie die unveränderten, in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 8 (= ursprüngliche Ansprüche 14 bis 21) angeführt. Gemäß der angefügten Rechtsmittelbelehrung ist gegen diese Entscheidung die Beschwerde statthaft.

IV. Am 21. Juni 2002 legte die Patentinhaberin in Reinschrift die Patentansprüche 1 bis 8 gemäß ihres 2. Hilfsantrags sowie eine an diese Ansprüche angepaßte Beschreibungseinleitung vor und erklärte, sie tue dies lediglich vorsichtshalber zur Fristwahrung, um einem vollständigen Rechtsverlust vorzubeugen und obwohl sie beabsichtige, die etwa ein Monat nach Absendung der Verhandlungsniederschrift zugestellte Zwischenentscheidung in jedem Falle anzufechten. Sie bitte deshalb das Verfahren über die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang ihres 2. Hilfsantrags abzubrechen. Im übrigen sei die mit Datum vom 10. Mai 2002 versehene Zwischenentscheidung nicht rechtmäßig zugestellt worden, da bei ihrer Versendung die in der Niederschrift gewährte zweimonatige Äußerungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei.

V. Mit formlosem Schreiben vom 4. Juli 2002 teilte die Formalsachbearbeiterin der Einspruchsabteilung den Parteien mit, die Entscheidung vom 10. Mai 2002 sei auf Grund eines formalen Fehlers versandt worden und deshalb als gegenstandslos zu betrachten. Zu gegebener Zeit werde eine Entscheidung mit Beschwerdefrist zugestellt werden.

VI. Die Einsprechende rügte mit Schriftsatz vom 23. Juli 2002 ebenfalls die Vorgehensweise der Einspruchsabteilung. Eine zugestellte Entscheidung könne nicht einfach als gegenstandslos bezeichnet werden, sondern müsse, da sie nicht offensichtlich unrichtig sei, mit der Beschwerde angefochten werden. Zumindest entspreche sie dem, was in der mündlichen Verhandlung als Entscheidung verkündet worden sei. Die dort verkündete Entscheidung decke sich nämlich nicht mit der Aufforderung, eine geänderte Beschreibung einzureichen. Gehe man nur von der in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung aus, so sei diese deckungsgleich mit der Zwischenentscheidung vom 10. Mai 2002. Abgesehen davon habe die Patentinhaberin nicht alle in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung genannten Auflagen erfüllt. Es fehle weiterhin die Anpassung der Ausführungsbeispiele an die Ansprüche des 2. Hilfsantrags. Somit lägen ohnehin keine Unterlagen vor, die eine Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang des 2. Hilfsantrags rechtfertigten.

VII. Am 30. August 2002 erging die angekündigte zweite Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung auf der Grundlage der von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 21. Juni 2002 eingereichten Patentansprüche 1 bis 8 und Beschreibungsseiten 1, 2 sowie den erteilten Beschreibungsspalten 2 (ab Zeile 55), 3 bis 9 "mit folgenden Änderungen der oben genannten Unterlagen durch die Abteilung". Bei den Änderungen handelt es sich um die - gemäß der Mitteilung in der mündlichen Verhandlung - als notwendig erachtete Anpassung der Ausführungsbeispiele an die Ansprüche des 2. Hilfsantrags und um eine Änderung des eingereichten Anspruchs 8. In der Einspruchsakte sind die geltenden Unterlagen nicht der Entscheidung angefügt. Eine der Entscheidung entsprechende Fassung findet sich lediglich in der Tasche für das Druckexemplar.

Die Begründung der Entscheidung, die im übrigen der ersten Entscheidung entspricht, endet wie folgt: "Die Einspruchsabteilung beabsichtigt, das europäische Patent gemäß Artikel 102 (3) EPÜ in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 8 entsprechend dem 2. Hilfsantrag." Gemäß der Rechtsmittelbelehrung wird erneut die gesonderte Beschwerde zugelassen.

VIII. Hiergegen richten sich die am 24. bzw. 29. Oktober 2002 jeweils unter Einzahlung der Beschwerdegebühr eingelegten und am 20. Dezember 2002 von beiden Parteien begründeten Beschwerden.

Die beschwerdeführende Patentinhaberin trägt vor, wegen des fehlerhaften Verfahrensablaufs vor der Einspruchsabteilung sei sie zur Vorlage geänderter Unterlagen gezwungen gewesen, um einen vollständigen Verlust ihrer Rechte zu vermeiden. Die Zustellung der Entscheidung vom 10. Mai 2002 noch bevor die in der Niederschrift gesetzte Zweimonatsfrist zur Vorlage neuer Unterlagen abgelaufen sei, habe ihr überdies das rechtliche Gehör beschnitten. Sie verfolge die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung weiter, hilfsweise gemäß der Hilfsanträge 1 bis 3, und rüge im Hinblick auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/91 die Anwendung von Artikel 82 EPÜ im Einspruchsverfahren. Wegen der schwerwiegenden Verfahrensfehler in erster Instanz sei ihr außerdem die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Die beschwerdeführende Einsprechende hält die erste Entscheidung nicht für derart fehlerhaft, daß sie als nichtig und deshalb als gegenstandslos anzusehen sei. Sie könne folglich nur mit der Beschwerde aus der Welt geschafft werden. Das sei aber nicht geschehen. Die formlose Mitteilung der Geschäftsstelle, die Entscheidung solle als gegenstandslos betrachtet werden, sei unbeachtlich, denn das EPÜ kenne eine derartige Rechtsfolge nicht. Folglich könne diese Mitteilung auch keinen Vertrauensschutz hinsichtlich der Unwirksamkeit dieser Entscheidung begründen, zumal die Patentinhaberin von einem beim EPA zugelassenen Vertreter, der mit dem geltenden Recht vertraut sei, vertreten werde. Im übrigen nehme sie ihrerseits Schutz ihres Vertrauens in die Rechtskraft der ersten Entscheidung in Anspruch. Wegen des Grundsatzes "ne bis in idem" sei die zweite Entscheidung aufzuheben. Die Einsprechende beantragt, die Rechtskraft der Entscheidung vom 10. Mai 2002 festzustellen sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen der vorliegenden Verfahrensmängel anzuordnen, hilfsweise das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen, die sie in allen eingereichten Anspruchssätzen auch weiterhin für nicht gegeben erachte, sowie die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer.

IX. Die Kammer hat - dem Antrag der Parteien entsprechend - verbunden mit einer vorläufigen Einschätzung der Rechtslage zur mündlichen Verhandlung am 19. September 2003 geladen, in der der Sach- und Streitstand hinsichtlich des Verfahrens in erster Instanz erörtert und die zugestellten und in den Akten befindlichen Schriftstücke verglichen wurden.

Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte am Ende der mündlichen Verhandlung,

die Unwirksamkeit der ersten Zwischenentscheidung vom 10. Mai 2002 festzustellen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur weiteren Prüfung an eine andere Einspruchsabteilung unter Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückzuverweisen;

hilfsweise:

die Unwirksamkeit der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 10. Mai 2002 festzustellen und das Patent im erteilten Umfang aufrechtzuerhalten bzw. im Umfang der im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3;

weiter hilfsweise:

der Großen Beschwerdekammer die in der mündlichen Verhandlung eingereichte Frage zur Beantwortung vorzulegen.

Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragte,

1. die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Rechtskraft der ersten zugestellten Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 10. Mai 2002 festzustellen und die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen;

hilfsweise:

die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fragen der Großen Beschwerdekammer zur Beantwortung vorzulegen;

weiter hilfsweise:

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen;

weiter hilfsweise:

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen;

2. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Die der Großen Beschwerdekammer vorzulegenden Fragen lauten:

Frage der Patentinhaberin:

Entfaltet eine Zwischenentscheidung, die innerhalb einer laufenden Frist von der Formalsachbearbeiterin mit dem handschriftlichen Hinweis auf eine spätere erneute Zustellung zurückgenommen wurde, eine Rechtskraft, wenn zuvor telephonisch der Patentinhaberin mitgeteilt wurde, daß die Zwischenentscheidung nicht rechtmäßig zugestellt wurde?

Fragen der Einsprechenden:

Kann eine Entscheidung der Einspruchsabteilung, die vollständig abgefaßt, mit Gründen versehen und mit Rechtsmittelbelehrung versehen durch Zustellung existent geworden ist, nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes unwirksam werden, wenn seitens der Einspruchsabteilung anschließend eine Mitteilung zugestellt wird, die Entscheidung als gegenstandslos zu betrachten? Verneinendenfalls, gilt dies auch dann nicht, wenn für die durch die Entscheidung beschwerte Beteiligte bei Zustellung der Entscheidung noch eine zuvor von der Einspruchsabteilung gesetzte Äußerungsfrist läuft? Bejahendenfalls, gilt dies auch dann, wenn die Mitteilung von einer Formalsachbearbeiterin erfolgt, die mit einer Änderung nach Regel 89 nicht befaßt sein darf?

X. Vor Schließung der mündlichen Verhandlung erklärte der Vorsitzende die sachliche Debatte für beendet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden entsprechen den in Regel 65 (1) EPÜ genannten Erfordernissen. Sie sind somit zulässig.

1.1. Entgegen ihren Angaben in den Beschwerdeschriften richten sich die Beschwerden der Parteien nicht gegen die zweite Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 30. August 2002, sondern ihrem objektiven Willen entsprechend gegen die erste Zwischenentscheidung vom 10. Mai 2002.

1.1.1. Denn bereits letztere erfüllt die Voraussetzungen einer förmlich rechtsgültigen Entscheidung, die nachträglich abzuändern die Einspruchsabteilung nicht mehr befugt war. Sie ist - wie in der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2003 festgestellt - in der förmlich zugestellten Fassung mit einem Datum versehen, enthält einen Tenor mit Begründung, trägt die Unterschrift aller drei Mitglieder des Spruchkörpers und läßt in der Rechtsmittelbelehrung die gesonderte Beschwerde zu.

1.1.2. Nach Auffassung der Kammer kann es sich bei dieser ersten Zwischenentscheidung auch nicht lediglich um die Zustellung der Begründung einer Entscheidung handeln, die bereits in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 von der Einspruchsabteilung getroffen und verkündet worden ist, selbst wenn die Parteien dies aufgrund der Vorgehensweise der Einspruchsabteilung bei dieser Verhandlung so verstanden haben mögen. Aus der Verhandlungsniederschrift vom 12. April 2002 ergibt sich nämlich zweifelsfrei, daß den Parteien die Absicht einer Aufrechterhaltung auf der Grundlage des zweiten Hilfsantrags "mitgeteilt" und der Patentinhaberin unter Fristsetzung eine noch erforderliche Anpassung der Patentunterlagen aufgegeben wurde. Bei den gemäß den Ziffern 6 und 11 der Niederschrift verlesenen "Entscheidungen" kann es sich somit nur um Entscheidungen über einzelne Streitpunkte handeln, die jedoch das Verfahren gegenüber den Beteiligten nicht zu einem beschwerdefähigen Abschluß bringen. Unabhängig davon, ob die Verkündung derartiger die Einspruchsabteilung bindender "Zwischenentscheidungen" im Laufe der mündlichen Verhandlung sinnvoll ist, was angesichts der möglichen verfahrensrechtlichen Komplikationen bezweifelt werden muß (siehe in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung T 42/02, nicht im ABl. EPA veröffentlicht), sind sie nach Artikel 106 (3) EPÜ nur zusammen mit der Endentscheidung anfechtbar, sofern nicht die gesonderte Beschwerde zugelassen wird. Eine Zwischenentscheidung, die entsprechend der Titelseite (EPA Form 2327 11.99CSX) und der Rechtsmittelbelehrung unter Bezugnahme auf Artikel 102 (3) und 106 (3) EPÜ die gesonderte Beschwerde zuläßt, ist jedoch erst die zugestellte Zwischenentscheidung vom 10. Mai 2002. Diese Beurteilung kann im übrigen nicht durch Unstimmigkeiten im Entscheidungstext in Zweifel gezogen werden, wo auf der Titelseite der Zwischenentscheidung fälschlicherweise auf eine "Entscheidung" der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 Bezug genommen wird und die für die Aufrechterhaltung vorgesehenen Patentunterlagen falsch spezifiziert sind, noch durch die Tatsache, daß diese Zwischenentscheidung vor Fristablauf ergangen ist (siehe unten Punkt 5.1 ff.).

1.1.3. Daher ist mit der Zustellung der Zwischenentscheidung vom 10. Mai 2002 das Verfahren erster Instanz abgeschlossen und die Einspruchsabteilung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht mehr befugt, ihre abschließende Entscheidung selbst aufzuheben oder abzuändern, sei es aus eigener besserer Einsicht, sei es auf Grund der Eingabe einer Partei. Vielmehr ist dies nur noch im Wege der Beschwerde durch die gesetzlich eingerichtete zweite Instanz der Beschwerdekammern des EPA möglich. Dies entspricht der ständigen Spruchpraxis der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer (G 4/91 ABl. EPA 1993, 707 Leitsatz 2; G 8/93 ABl. EPA 1994, 887 Gründe Nr. 2, Satz 1; G 12/91 ABl. EPA 1994, 285 Gründe Nr. 9.3; T 1176/00, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Gründe Nr. 1.2; T 124/93, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Gründe 1.1). Nur ausnahmsweise läßt das EPÜ unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen der Regel 89 EPÜ Berichtigungen zu, und auch nur im einseitigen Verfahren vor der Prüfungsabteilung ist der zur Entscheidung berufene Spruchkörper befugt, seiner eigenen Entscheidung abzuhelfen, und zwar unter der engen Voraussetzung, daß die Entscheidung angefochten worden ist und Abhilfe innerhalb von drei Monaten erfolgt (Artikel 109 EPÜ).

1.1.4. An dieser rechtlichen Einschätzung vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß die Sachbearbeiterin der Einspruchsabteilung den Parteien mit Schreiben vom 4. Juli 2002 mitgeteilt hat, die Entscheidung sei auf Grund eines formalen Fehlers am 10. Mai 2002 versandt worden und deshalb als gegenstandslos zu betrachten. Denn zur Abgabe einer derartigen Erklärung, die die Rücknahme einer bereits ergangenen Entscheidung bedeuten würde, erteilt das EPÜ keine Ermächtigung. Dies gilt sowohl für die Einspruchsabteilung als Kollegialorgan selbst als auch für den im Namen der Einspruchabteilung handelnden Formalsachbearbeiter, dessen Befugnis zur Wahrnehmung bestimmter der Einspruchsabteilung obliegender Aufgaben im Einklang mit Regel 9 (3) EPÜ sich abschließend aus der Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 des EPA vom 28. April 1999 über die Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter (ABl. EPA 1999, 506) ergibt.

1.2. Die Mitteilung der Sachbearbeiterin vom 4. Juli 2002 ist auch nicht geeignet, einen rechtlich beachtlichen Vertrauenstatbestand zu schaffen, der die Rechtswirkung der Entscheidung vom 10. Mai 2002 dahingehend in Frage stellen könnte, daß diese als nichtig anzusehen wäre.

1.2.1. Zwar spielt im Verhältnis des EPA zu denjenigen, die seine Leistungen in Anspruch nehmen, der Vertrauensgrundsatz eine tragende Rolle. Danach sind auf der Grundlage von Artikel 125 EPÜ die Auswirkungen falscher Auskünfte des Amtes so zu korrigieren, daß negative Folgen für den Betroffenen als nicht eingetreten angesehen werden (siehe Singer/Stauder, EPÜ, 2. Auflage 2000, Artikel 125 Rdnr. 34 unter Verweis auf die Entscheidungen J 2/87 ABl. EPA 1988, 330; J xx/87, ABl. EPA 1988, 323; J 6/79 ABl. EPA 1980, 225, Nr. 8). Nach Auffassung der Kammer darf der Vertrauensgrundsatz allerdings nicht derart weitreichend angewendet werden, daß eine sachlich und funktionell unzuständige Sachbearbeiterin befugt sein könnte, die förmliche Entscheidung einer Einspruchsabteilung aus der Welt zu schaffen. Dies ist mit rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen, namentlich mit dem hohen Gut der Rechtssicherheit, nicht vereinbar.

1.3. Dennoch ist das in das Schreiben vom 4. Juli 2002 gesetzte Vertrauen der Parteien nicht unbeachtlich. Vielmehr kommt ihm eine wesentliche Bedeutung bei der Auslegung ihrer Beschwerden und ihrer Anträge sowie bei der Frage von deren Zulässigkeit zu.

1.3.1. Ihrem Wortlaut nach richten sich beide Beschwerdeschriften gegen die zweite Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 30. August 2002, die nahezu inhaltsgleich mit der ersten Entscheidung vom 10. Mai 2002 ist. Damit freilich entfaltet letztere weiterhin die materiellen Rechtswirkungen, die die Parteien jeweils aus ihrer Sicht gerade anzugreifen beabsichtigen. Denn fragt man nach dem den Beschwerden zugrunde liegenden tatsächlichen Willen der Parteien, so steht für die Kammer außer Zweifel, daß beide Parteien die Aufhebung derjenigen Entscheidung der Einspruchabteilung anstreben, die das Patent in eingeschränktem Umfang aufrechtzuerhalten beabsichtigt. Dies ist, wie ausgeführt, die Entscheidung vom 10. Mai 2002. Wenn sie dabei ihre Beschwerde irrtümlich gegen die zweite rechtsfehlerhafte Entscheidung gerichtet haben, so hat dies seinen Grund in dem Vertrauen begründenden Schreiben der Sachbearbeiterin der Einspruchsabteilung vom 4. Juli 2002.

1.3.2. Dies gilt auch für die beschwerdeführende Einsprechende, deren Vortrag die Kammer für widersprüchlich hält. Zum einen hat sie sich auf die der Anfechtbarkeit der ersten Entscheidung nach Ablauf der Beschwerdefrist entgegenstehende Rechtskraft berufen und gegen die zweite Entscheidung den - im Strafrecht geltenden - Grundsatz ne bis in idem bemüht, zum anderen ihre Beschwerde gegen die zweite Zwischenentscheidung jedoch auch mit Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit der dem Streitpatent zugrundeliegenden Erfindung begründet. Dieser auf den Widerruf des Patents gerichtete Vortrag steht in Widerspruch zu ihrer Berufung auf die Rechtskraft der ersten Entscheidung. Der Vortrag der beschwerdeführenden Einsprechenden macht jedoch nach Auffassung der Kammer deutlich, daß sie sich tatsächlich nicht lediglich mit der Aufrechterhaltung des Patents in beschränktem Umfang zufrieden geben will, sondern den vollständigen Widerruf des Patents anstrebt. Andernfalls hätte es ihrer Beschwerde nicht bedurft.

1.3.3. Die von beiden Parteien gestellten Anträge sind deshalb im Lichte ihres schützenswerten Vertrauens, welches sie in das Schreiben der Sachbearbeiterin vom 4. Juli 2002 gesetzt haben, dahingehend auszulegen, daß sie sich gegen diejenige Entscheidung richten, die rechtlich die angefochtenen Feststellungen zur Schutzfähigkeit der streitgegenständlichen Erfindung trifft. Dies ist die Entscheidung vom 10. Mai 2002.

1.3.4. Der zu gewährende Vertrauensschutz verbietet es nach Auffassung der Kammer, den Parteien die Rechtsmittelfrist des Artikel 108 EPÜ entgegenzuhalten. Denn sie hätten zweifellos bereits die Entscheidung vom 10. Mai 2002 fristgerecht angefochten, wenn die Einspruchsabteilung nicht das Schreiben vom 4. Juli 2002 in der noch laufenden Beschwerdefrist versandt hätte. So aber haben sie die angekündigte Entscheidung vom 30. August 2002 abgewartet und - insoweit durchaus konsequent - erst gegen diese Beschwerde eingelegt. Im Hinblick auf das in das Schreiben vom 4. Juli 2002 gesetzte Vertrauen sind beide Parteien deshalb so zu stellen, daß die Frist zur Anfechtung der wirksamen ersten Entscheidung nicht enden konnte, solange die nach der zweiten Entscheidung berechnete Frist noch lief. Auf diese Weise können Rechtsverluste für die Beteiligten vermieden werden, ohne daß sich an der Rechtswirkung der ersten Zwischenentscheidung etwas ändert (siehe auch T 124/93, Gründe Nr. 1.1).

1.3.5. Eine andere Beurteilung ist nicht etwa dadurch veranlaßt, daß beide Parteien anwaltlich vertreten werden, bei ihnen also ausreichende Kenntnisse darüber vorausgesetzt werden können, welches Organ zur Aufhebung einer erstinstanzlichen Entscheidung im europäischen Einspruchsverfahren befugt ist. Derartige Kenntnisse müssen nämlich erst recht bei der Einspruchsabteilung und ihrer Sachbearbeiterin unterstellt werden, da sie gerade nicht das Handeln der Beteiligten, sondern das Handeln der Organe des EPA betreffen. Es entspräche deshalb nicht dem von der Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannten Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenn die Parteien durch die rechtsfehlerhafte Mitteilung des Amtes Schaden nehmen würden. Die Beschwerden der Parteien sind deshalb als form- und fristgerecht im Sinne des Artikel 108 EPÜ und gerichtet gegen die Entscheidung vom 10. Mai 2002 anzusehen.

2. Zwangläufig folgt aus einer dem Willen der Parteien entsprechenden Auslegung ihrer Anträge auch, daß sie neben der Überprüfung der Sachentscheidung über die Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents auch die Aufhebung der offensichtlich rechtswidrigen zweiten Entscheidung vom 30. August 2002 anstreben.

3. Den Beschwerden ist zunächst insoweit stattzugeben, als sie nach der vorgenommenen Auslegung ihrer Anträge die Aufhebung der Entscheidung vom 30. August 2002 zum Ziel haben. Denn diese entscheidet über denselben Gegenstand wie bereits die Entscheidung vom 10. Mai 2002 und verstößt somit gegen das auch dem EPÜ zugrundeliegende elementare prozessrechtliche Prinzip der Selbstbindung der Entscheidungsinstanzen (siehe G 4/91 Leitsatz 2; G 8/93 Gründe Nr. 2 Satz 1; G 12/91 Gründe Nr. 9.3). Sie ist deshalb bereits ungeachtet des Umstandes aufzuheben, daß sie über Unterlagen urteilt, die nicht die Patentinhaberin eingereicht, sondern die Einspruchsabteilung nach ihrer Einschätzung des Falles selbst angefertigt hat. In der amtsseitigen Streichung der Hinweise auf Ausführungsbeispiele in der Beschreibung, die nicht die Patentansprüche 1 bis 8 des 2. Hilfsantrags betreffen, sowie in der vorgenommenen Änderung des Anspruchs 8 liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ, der verlangt, dass die Patentinhaberin zweifelsfrei mit einer geänderten Fassung des Patents einverstanden ist und die Beteiligten sich zu den Entscheidungsgründen äußern konnten.

4. Die Entscheidung vom 10. Mai 2002 ist dem Antrag beider Parteien folgend ebenfalls aufzuheben. Denn sie verstößt gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ und weist im übrigen mehrere formale Verfahrensfehler auf, die es der Kammer geboten erscheinen lassen, nicht in der Sache selbst zu entscheiden. Vielmehr ist sie zur Gewährleistung eines rechtsfehlerfreien Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr beiden Parteien zurückzuerstatten.

4.1. Zunächst verletzt die Entscheidung das Recht der beschwerdeführenden Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ. Die am 12. April 2002 zur Post gegebene Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2001 endet mit der an die Patentinhaberin gerichteten Aufforderung, innerhalb von 2 Monaten die im Tatbestand dieser Entscheidung im einzelnen erwähnten, für die Aufrechterhaltung des Patents gemäß dem 2. Hilfsantrag erforderlich gehaltenen Unterlagen einzureichen. Die Einspruchsabteilung hat jedoch den Ablauf der Zweimonatsfrist nicht abgewartet, sondern bereits am 10. Mai 2002 die angefochtene Zwischenentscheidung zugestellt.

4.1.1. Darin liegt ein Verstoß gegen den elementaren Verfahrensgrundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn der Patentinhaberin steht der Anspruch auf Äußerung bzw. auf Einreichung der angepaßten Unterlagen bis zum Ende der ihr gewährten Frist zu. Der Wortlaut des Artikel 113 (1) EPÜ betrifft zwar nicht unmittelbar den vorliegenden Sachverhalt, weil er lediglich besagt, daß eine Entscheidung nur auf Gründe gestützt werden kann, zu denen die Beteiligten sich haben äußern können. Artikel 113 (1) EPÜ muß jedoch seiner ratio entsprechend auch dann gelten, wenn - wie hier - einem Beteiligten gleichsam das Wort abgeschnitten wird, weil bei Erlaß einer Entscheidung eine ihm zugebilligte Äußerungsmöglichkeit nicht abgewartet worden ist.

4.1.2. Zwar verweist die angegriffene Entscheidung vom 10. Mai 2002 abschließend auf die gewährte Zweimonatsfrist. Dies ändert jedoch nichts an dem der Entscheidung vom 10. Mai 2002 anhaftenden schweren Verfahrensfehler des Erlasses einer beschwerdefähigen Entscheidung in einer laufenden Äußerungsfrist. Im übrigen ist dieser Hinweis insofern nicht sinnvoll, als für die beabsichtigte Aufrechterhaltung vollständige Unterlagen vorliegen müssen, damit eine spätere beschwerdefähige Zwischenentscheidung ergehen kann, wie es im Tenor auf der Titelseite dieser Entscheidung ausdrücklich, wenn auch mit fehlerhaftem Bezug auf die Patentschrift, festgestellt ist. Abgesehen davon hat das Schreiben der Sachbearbeiterin vom 4. Juli 2002 das Vertrauen in die Gültigkeit dieser Fristgewährung zerstört, so daß eine Wahrung dieser Frist nicht erwartet werden konnte.

4.2. Schließlich bedürfen Mängel des Verfahrens in erster Instanz und der Aktenführung der Beanstandung. So ist das Aktenexemplar der Entscheidung vom 10. Mai 2002, anders als die zugestellten Fassungen, nicht mit einem Datum versehen und im Gegensatz zu diesen ist im Aktenexemplar der Niederschrift der mündlichen Verhandlung (Blatt 112 der Akte) der Satz "verkündete der Vorsitzende folgende Entscheidung:" gestrichen, ohne daß eine Berichtigung des Protokolls erfolgt wäre. Identität von Aktenexemplaren und zugestellten Fassungen ist aber eine unverzichtbares Erfordernis eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Überdies finden sich in der Akte keinerlei Hinweise auf die von der Patentinhaberin behaupteten mehrfachen Telefonate mit Mitgliedern der Einspruchsabteilung und deren Formalsachbearbeitern.

5. Angesichts des der angefochtenen Entscheidung vom 10. Mai 2002 zugrunde liegenden Verfahrensmangels der Verletzung rechtlichen Gehörs und der aufgeführten das Verfahren wesentlich beeinträchtigenden formalen Mängel dieser Entscheidung entspricht es der Billigkeit, die Rückzahlung der Beschwerdegebühren an die Parteien nach Regel 67 EPÜ anzuordnen und die Sache zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

6. Für die beantragte Anordnung einer geänderten Besetzung der erneut zur Entscheidung berufenen Einspruchsabteilung sieht die Kammer keine Rechtsgrundlage. Gleichwohl mag die erste Instanz erwägen, ob sie nicht wegen der aufgezeigten zahlreichen Verfahrensmängel dem Wunsch der Patentinhaberin auf eine Änderung der Zusammensetzung der Einspruchsabteilung entsprechen will.

7. Außerdem hat die Einspruchsabteilung zu beachten, daß, wie die Patentinhaberin zurecht beanstandet, die Anwendung des Artikel 82 EPÜ im Einspruchsverfahren unzulässig ist. Mangelnde Einheitlichkeit ist kein Einspruchsgrund und kann auch dann nicht einem Patentanspruch entgegengehalten werden, wenn dieser hilfsweise im Einspruchsverfahren eingereicht worden ist (G 1/91 ABl. EPA 1992, 253).

8. Die von den Parteien zur Vorlage nach Artikel 112 (1) a) EPÜ eingereichten Fragen geben keinen Anlaß zur Befassung der Großen Beschwerdekammer. Denn sie betreffen rechtliche Problemstellungen wie die Rechtskraft der ersten Entscheidung, die rechtliche Befugnis der Sachbearbeiterin zur Abgabe einer Erklärung über die Wirksamkeit einer Entscheidung und die Abgabe einer derartigen Erklärung während einer Äußerungsfrist, die ausnahmslos von der entscheidenden Beschwerdekammer in der vorliegenden Entscheidung zu beantworten waren. Die Vorlage der Fragen erscheint der Kammer weder zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung geboten, weil sie ihre Rechtfertigung im wesentlichen aus der individuellen Gestaltung des vorliegenden Sachverhalts beziehen und sich im übrigen unter Verweis auf eine gefestigte Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer beantworten lassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidungen der Einspruchsabteilung vom 10. Mai und 30. August 2002 werden aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Der Antrag auf Anordnung einer bei der weiteren Entscheidung veränderten Zusammensetzung der Einspruchsabteilung wird zurückgewiesen.

4. Die Anträge auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer werden zurückgewiesen.

5. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wird angeordnet.

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