European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T093902.20030918 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 September 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0939/02 | ||||||||
Anmeldenummer: | 97110045.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 21/22 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Airbagvorrichtung | ||||||||
Name des Anmelders: | HS Technik und Design Technische Entwicklungen GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Takata-Petri AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (verneint), Hilfsantrag (bejaht), Erfinderische Tätigkeit, Hilfsantrag (bejaht) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der von der Einsprechenden gegen das europäische Patent Nr. 0 814 001 eingelegte, auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit) und 100 c) EPÜ (Erweiterung) gestützte Einspruch führte zum Widerruf des Patents mangels Neuheit des Gegenstandes seines Anspruchs 1 gegenüber der WO 96/26087 (D1) mit der am 27. August 2002 zur Post gegebenen Entscheidung.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 12. September 2002 Beschwerde eingelegt, die Beschwerdegebühr bezahlt und die Beschwerdebegründung vorgelegt.
III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den erteilten Unterlagen (Hauptantrag) bzw. die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis eines geänderten, mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anspruchs 1 (Hilfsantrag). Weiter hat sie hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt, für den Fall, daß weder dem Hauptantrag noch dem Hilfsantrag entsprochen werden kann.
Sie ist der Auffassung, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sowie des Anspruchs 1 nach dem Hilfsantrag gegenüber der D1 neu sei, da die D1 die letzten beiden, das Füllrohr und die Einschnürungen betreffenden Merkmalsgruppen aus dem Anspruch 1 nicht offenbare.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat nach Eingang des Beschwerdeschriftsatzes den Einspruch zurückgenommen.
IV. Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag (erteilte Fassung) hat folgenden Wortlaut:
"Airbagvorrichtung mit einer von wenigstens einem Gasgenerator (23, 24; 42) aufblasbaren Gaskissenanordnung (6), welche im Dachkantenbereich einer Fahrzeugkarosserie befestigbar ist und im aufgeblasenen Zustand einen seitlichen Aufprallschutz bildet, wobei die Gaskissenanordnung (6) zwischen einem vorderen und hinteren Verankerungspunkt (7, 8) entlang einem durch die Form der aufgeblasenen Gaskissenanordnung (6) sich zwangsläufig ergebenden Spannungsverlauf (9) gespannt ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Gaskissenanordnung (6) im aufgeblasenen Zustand sich im wesentlichen über die gesamte Länge einer Fahrzeugseite im Innenraum erstreckt und im Bereich der A-Säule (25) und der C-Säule (26) des Fahrzeugs verankert ist, daß zur Befüllung der Gaskissenanordnung (6) ein dem Dachkantenverlauf angepaßtes sich im wesentlichen über die gesamte Länge der Gaskissenanordnung (6) erstreckendes Füllrohr (38) mit Einblasöffnungen an der oberen Kante der Gaskissenanordnung vorgesehen ist und daß in dem Gaskissengewebe das Füllvolumen begrenzende Einschnürungen (1 bis 5) vorgesehen sind, die sich über einen Teil der vertikalen Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung (6) erstrecken."
Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag umfaßt den gesamten Wortlaut des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag, wobei in den letzten Zeilen des Anspruchs in die Wortfolge
a) "das Füllvolumen begrenzende Einschnürungen (1 bis 5)" das Wort "linienförmige" vor "Einschnürungen" eingefügt wurde und
b) der letzte Satzteil des Anspruchs "die sich über einen Teil der vertikalen Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung (6) erstrecken" geändert wurde in "die sich teilweise über die vertikale Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung (6) erstrecken".
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist zulässig.
2. Nach ständiger Rechtssprechung der Beschwerdekammern hat die Rücknahme eines Einspruchs auch dann keinen Einfluß auf das Beschwerdeverfahren, wenn der den Einspruch zurückziehende Einsprechende der einzige Beschwerdegegner ist (vgl. Rechtssprechung der Beschwerdekammern des europäische Patentamts, 2001 Seite 610). Die Beschwerdekammer kann in einem solchen Fall die angefochtene Entscheidung nur dann aufheben und das Patent aufrechterhalten, wenn es den Erfordernissen des EPÜ genügt.
3. Hauptantrag
3.1. Der Anspruch 1 (erteilte Fassung) läßt sich in folgende Teilmerkmale aufgliedern:
"Airbagvorrichtung mit
(1) einer von wenigstens einem Gasgenerator aufblasbaren Gaskissenanordnung,
(2) welche im Dachkantenbereich einer Fahrzeugkarosserie befestigbar ist, und
(3) im aufgeblasenen Zustand einen seitlichen Aufprallschutz bildet, wobei
(4) die Gaskissenanordnung zwischen einem vorderen und einem hinteren Verankerungspunkt entlang einem durch die Form der aufgeblasenen Gaskissenanordnung sich zwangsläufig ergebenden Spannungsverlauf gespannt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
(5) die Gaskissenanordnung im aufgeblasenen Zustand sich im wesentlichen über die gesamte Länge einer Fahrzeugseite im Innenraum erstreckt und
(6) im Bereich der A-Säule und der C-Säule des Fahrzeugs verankert ist,
(7) zur Befüllung der Gaskissenanordnung ein dem Dachkantenverlauf angepasstes sich im wesentlichen über die gesamte Länge der Gaskissenanordnung erstreckendes Füllrohr mit Einblasöffnungen an der oberen Kante der Gaskissenanordnung vorgesehen ist, und
(8) in dem Gaskissengewebe das Füllvolumen begrenzende Einschnürungen vorgesehen sind, die sich über einen Teil der vertikalen Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung erstrecken."
3.2. Die Teilmerkmale 1 bis 6 des Anspruchs 1 sind unbestritten aus der D1 bekannt, die in der angefochtenen Entscheidung als neuheitsschädlich angesehen wurde und zur angefochtenen Widerrufsentscheidung geführt hat.
3.3. Die Gaskissenanordnung nach dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 6 der D1 weist, wie auf Seite 11 der D1 in den letzten drei Zeilen ausdrücklich gesagt ist, ein Gaskissenelement der im Zusammenhang mit der Figur 1 beschriebenen Art auf, bei dem zur Befüllung ein Füllrohr 7 ("duct", siehe Seite 6, zweiter Absatz der D1) vorgesehen ist, das nach der Beschreibung einen Teil des aufblasbaren Gaskissenelements bildet und, wie die Figur 6 der D1 zeigt, sich über die gesamte Länge der Gaskissenanordnung erstreckt und an deren oberer Kante vorgesehen ist.
Die Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, daß in der D1 allein mit der Bezeichnung "duct 7" die geometrische Form der Fülleitung nicht vorgegeben sei und diese, als "Teil des aufblasbaren Elements" im Normalfall im gefalteten Zustand vorliegen müsse, im Gegensatz zu der im Anspruch 1 des Streitpatents geforderten "Rohrform". Daher sei das Teilmerkmal (7) des Anspruchs 1 aus der D1 nicht bekannt.
Die Beschwerdekammer kann sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Die Querschnittsdarstellungen nach den Figuren 5 (B), 6(B), 7(B) und 8(B) des Streitpatents zeigen, daß beim Streitpatent das Füllrohr bei allen Ausführungsbeispielen innerhalb von flexiblen, am Gaskissen befestigten Laschen angeordnet ist und somit in Übereinstimmung mit dem diesbezüglichen Inhalt der D1 als Teil des aufblasbaren Elements angesehen werden kann. Außerdem wird durch den Wortlaut des Teilmerkmals (7) des Anspruchs 1 in keiner Weise eine geometrische Form des Füllrohres vorgegeben. Das Teilmerkmal (7) enthält auch keine Aussage darüber, ob das Füllrohr faltbar ist oder nicht. Die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Teilmerkmal (7) betonten, den Gegenstand nach dem Anspruch 1 angeblich von der D1 unterscheidenden Merkmale sind daher im Anspruch 1 nicht vorhanden und müssen somit bei der Neuheitsprüfung auch nicht als aus der D1 bekannt nachgewiesen werden.
Das Teilmerkmal (7) des Anspruch 1 ist durch den Offenbarungsinhalt der D1 somit vorweggenommen.
3.4. Die in den Figuren 6, 7 der D1 gezeigte Airbag-Vorrichtung offenbart zusammen mit der in der Beschreibung zur Figur 1 erläuterten Gaskissenanordnung (vgl. auf Seite 11 der D1 die letzten drei Zeilen) Einschnürungen zwischen mehreren sich vertikal erstreckenden Luftkissenzellen. Diese Einschnürungen werden entweder durch punktförmige oder linienförmige Verbindungsstellen zwischen den einander gegenüberliegenden flexiblen Wänden des Gaskissens erzeugt (vgl. in der D1 die Seite 6, zweiter Absatz, Zeilen 15-17). Bei der Ausführung mit punktförmigen Verbindungsstellen treten im aufgeblasenen Gaskissen nur punktuelle Einschnürungen auf. Jede dieser Einschnürungen erstreckt sich in diesem Fall nur über einen eng begrenzten Teil der aufblasbaren Gaskissenanordnung und führt nicht, wie dies bei linienförmigen Verbindungsstellen der Fall sein kann, zu einer sich über die gesamte Vertikalausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung erstreckenden, durchgehenden Einschnürung.
Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag umfaßt offensichtlich neben den in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents gezeigten Lösungen mit linienförmigen, sich teilweise über die vertikale Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung erstreckenden Einschnürungen auch eine Lösung mit punktförmigen Einschnürungen wie sie aus der D1 bekannt sind. Die letztere, vom Anspruch 1 des Streitpatents mit umfaßte Ausführungsvariante ist jedoch, wie vorstehend erörtert, aus der D1 bekannt.
3.5. Aus den Absätzen 3.2 bis 3.4 folgt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag durch die D1 neuheitsschädlich vorweggenommen und somit nicht gewährbar ist.
4. Hilfsantrag
4.1. Durch die im letzten Teilmerkmal (8) des Anspruchs 1 nach dem Hilfsantrag gegenüber dem Anspruch 1 nach dem Hauptantrag vorgenommenen Änderungen a) und b) (siehe Absatz IV dieser Entscheidung) ist die Airbag-Vorrichtung auf Gaskissengewebe mit linienförmigen, sich teilweise über die vertikale Ausdehnung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung erstreckenden Einschnürungen beschränkt worden, wie dies in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents zumindest nach den Figuren 1 und 13 eindeutig offenbart ist.
Bei der D1 erstrecken sich die Einschnürungen, soweit sie linienförmig ausgebildet sind (wie dies in den Figuren 1, 6 und 9 der D1 gezeigt ist), über die gesamte vertikale Erstreckung der aufgeblasenen Gaskissenanordnung.
Dies gilt auch für den weiteren, im Einspruchsverfahren genannten Stand der Technik, bei dem im übrigen auch die weiteren Teilmerkmale (5) bis (7) aus dem Kennzeichen des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht als bekannt nachgewiesen sind.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem Hilfsantrag ist somit sowohl gegenüber der D1 als auch dem weiteren Stand der Technik neu.
4.2. Nachdem die D1 als Entgegenhaltung gemäß Artikel 54 (3), (4) EPÜ bei der Prüfung des beanspruchten Gegenstandes auf erfinderische Tätigkeit außer Betracht bleibt und der weitere Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ die Einzelmerkmale aus dem Kennzeichen des Anspruchs 1 weder für sich noch in Kombination offenbart, erhält der Fachmann aus diesem Stand der Technik weder eine Anregung noch einen Hinweis, einen durchgehenden Seitenaufprallschutz mit dem durch die speziellen Einschnürungen erreichten Spannungsverlauf der aufgeblasenen Gaskissenanordnungen im Sinne des Streitpatents zu verwirklichen.
Der Gegenstand nach dem Anspruch 1 (Hilfsantrag) beruht daher auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Das Patent hat somit auf der Basis des Hilfsantrages Bestand.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.
3. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Beschreibung gemäß Patenschrift,
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, eingegangen am 12. September 2002,
Patentansprüche 2 bis 31 gemäß Patentschrift,
Zeichnung gemäß Patentschrift.