T 0849/02 (Wässriges Desinfektionsmittel/FRESENIUS) of 20.12.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T084902.20051220
Datum der Entscheidung: 20 Dezember 2005
Aktenzeichen: T 0849/02
Anmeldenummer: 92103435.1
IPC-Klasse: A01N 37/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wässriges Desinfektionsmittel, seine Verwendung zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren, bakteriellen Sporen und Legionella pneumophila sowie Desinfektionsverfahren
Name des Anmelders: Fresenius AG
Name des Einsprechenden: SCHÜLKE & MAYR GmbH
B. Braun Melsungen Aktiengesellschaft
Henkel KGaA
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 88
Schlagwörter: Einfügen einer Tabelle in die Beschreibung, unzulässige Erweiterung (bejaht)
Hauptantrag: Neuheit (verneint), keine neue Verwendung eines bekannten Gegenstands
Hilfsantrag: erfinderische Tätigkeit (verneint), Verwendung zusätzlicher Wirkstoffe nahegelegt
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
G 0011/91
T 0006/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die Patentanmeldung Nr. 92 103 435.1 wurde das europäische Patent Nr. 0 505 763 mit 9 Ansprüchen erteilt.

II. Patentanspruch 1 des erteilten Patents hat folgenden Wortlaut:

"1. Verwendung eines gegebenenfalls in Konzentratform vorliegenden wäßrigen Desinfektionsmittels mit einem Gehalt an Zitronensäure als viruzidem Wirkstoff zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren und/oder bakteriellen Sporen bei der Desinfektion von thermolabilen medizinischen Instrumenten und Geräten sowie Teilen derselben, Dialysemaschinen und Flächen."

III. Die Einsprechenden (Beschwerdegegnerinnen) haben mit der Begründung Einspruch eingelegt, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht neu und er ergäbe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Artikel 100(a) EPÜ). Der Einspruch der Beschwerdegegnerin 02 stützt sich mit der Behauptung der unzulässigen Erweiterung des angemeldeten Gegenstands zusätzlich auf Artikel 100(c) EPÜ.

IV. Die folgenden Entgegenhaltungen wurden unter anderen im Einspruchsverfahren und im anschließenden Beschwerdeverfahren genannt:

(1) Handbuch "Grundlagen der Dialysetechnik", (1989), Conzema GmbH, Kuratorium für Heimdialyse e.V., S. 1,3,5 und 7 sowie Kap. 12, S. 9-21

(9) G. Poli et al, "Virucidal activity of organic acids", Food Chem. 4, 1979, S. 251-258

(10) GB-A-2 103 089

(11) Englischsprachige Übersetzung, Seiten 1-10 mit dem Titel "Comparison of virucidal action of disinfectants of aphthous fever virus" von J. Wisniewski, Medycina Weterynaryjna, Vol. 27(8), 1971, S. 480-481

V. Die Einspruchsabteilung hat das Streitpatent mit der am 19. Juni 2002 zur Post gegebenen Entscheidung nach Artikel 102(1) EPÜ widerrufen.

Die Einspruchsabteilung führte aus, dass der antragsgemäß unveränderte Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents nicht neu sei, weil er sich vom in Entgegenhaltung (1) beschriebenen Gegenstand nicht unterscheide.

Das gleiche gelte für den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, weil gemäß diesem Antrag lediglich ein geänderter Anspruch 7 vorliege.

Der zweite Hilfsantrag im Einspruchsverfahren sei nach Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar, weil er mit der Formulierung "bei einer Temperatur kleiner 85ºC" einen unzulässigen Disclaimer enthalte.

VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde erhoben und mit der Beschwerdebegründung vom 29. September 2002 drei Anspruchsfassungen als Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 vorgelegt.

Patentanspruch 1 des Hauptantrags hat den gleichen Wortlaut, wie der erteilte Patentanspruch 1. Patentanspruch 9 ist gegenüber der erteilten Anspruchsfassung gestrichen.

Die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von der des Hauptantrags im wesentlichen durch die Streichung der Passage "und/oder bakteriellen Sporen" im Anspruch 1 und durch einen neuen Anspruch 7, der nun für sich auf die Bekämpfung dieser Sporen gerichtet ist.

In der Fassung nach Hilfsantrag 2 ist dem gegenüber ein Disclaimer des Wortlauts "bei einer Temperatur kleiner 85ºC" an das Ende des Patentanspruchs 1 gestellt.

VII. Die Kammer hat in einem am 23. Juni 2005 zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Post gegebenen Bescheid auf mögliche Mängel der geltenden Anspruchsfassungen und der geltenden Beschreibung hinsichtlich Artikel 123(2) EPÜ hingewiesen. Insbesondere wurde angemerkt, dass es zweifelhaft erschiene, ob die Tabelle 4 in das erteilte Patent hätte eingefügt werden dürfen, obwohl sie in den am Anmeldetag eingereichten Anmeldungsunterlagen fehlte. Auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 11/91, ABl EPA 1993, 125 bezüglich der Voraussetzungen für eine Berichtigung nach Regel 88 EPÜ wurde hingewiesen.

VIII. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2005 wurden noch zwei weitere, geänderte Anspruchsfassungen (Hilfsanträge 3 und 4) eingereicht.

Darüber hinaus wurde ergänzend zu den nun insgesamt bestehenden Hilfsanträgen als zusätzlicher Hilfsantrag die Streichung der Tabelle 4 aus den Patentunterlagen erklärt.

Im Hilfsantrag 3 ist die Anspruchsfassung des Hilfsantrags 1 um den Anspruch 7 verkürzt; der Patentanspruch 1 ist unverändert.

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 hat folgenden Wortlaut (Unterschiede zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 in Fettdruck hervorgehoben):

"1. Verwendung eines gegebenenfalls in Konzentratform vorliegenden wäßrigen Desinfektionsmittels mit einem Gehalt an Zitronensäure und Milchsäure, Äpfelsäure und/oder Weinsäure als zusätzlichen Wirkstoff zur Zitronensäure als viruzidem Wirkstoff zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von thermolabilen medizinischen Instrumenten und Geräten sowie Teilen derselben, Dialysemaschinen und Flächen."

IX. Am 20. Dezember 2005 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) einen weiteren Hilfsantrag vorgelegt hat, welcher jedoch als verspätet nicht in das Verfahren aufgenommen wurde. Die Beschwerdeführerin hatte nach Erlass des Bescheids bereits weitere Hilfsanträge eingereicht. Danach waren keine Eingaben seitens der Einsprechenden oder Bescheide seitens der Kammer mehr zu verzeichnen gewesen.

Die Reihenfolge und die Bezeichnungsweise der vorliegenden Anträge wurde in der mündlichen Verhandlung insofern klargestellt, als dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 als Anträge gesehen wurden, die zwar verschiedene Fassungen der Patentansprüche betrafen, aber alle unter Beibehaltung der Beschreibung des erteilten Patents. Der mit Schreiben vom 7. Oktober 2005 eingereichte und auf die Streichung der Tabelle 4 in der Beschreibung gerichtete zusätzliche Hilfsantrag wurde so gewertet, dass zu den vorliegenden Anspruchsfassungen nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 jeweils ein weiterer Antrag mit gleicher Anspruchsfassung existierte, jedoch ergänzt durch die Streichung der Tabelle 4 aus der erteilten Beschreibung. Diese Anträge wurden als Anträge "Hauptantrag A und Hilfsantrag 1A bis Hilfsantrag 4A" bezeichnet.

X. Die Argumente der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Aufnahme der Tabelle 4 in die Beschreibung des erteilten Patents sei gerechtfertigt. Die im eingereichten Beschreibungstext bereits vorhandene Darstellung von Versuchsbedingungen mit einem Hinweis auf deren zusammenfassende Angabe in Tabelle 4 habe nämlich den Fachmann klar erkennen lassen, dass diese Tabelle in den eingereichten Beschreibungsunterlagen fehle. Unter Berücksichtigung der Prioritätsunterlagen sei auch klar gewesen, welche Daten mit dieser Tabelle verknüpft waren.

Zu den formalen Beanstandungen bezüglich der beantragten Anspruchsfassung des Hilfsantrags 2 sei zu bemerken, dass der Disclaimer in Patentanspruch 1 aus Sicht der Patentinhaberin jedenfalls berechtigt sei.

Die Beschwerdeführerin trägt weiterhin vor, die Einspruchsabteilung sei von einer unzutreffenden Bewertung der Merkmale von Verwendungsansprüchen im Licht der Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 2/88, ABl EPA 1990, 93 und G 6/88, ABl EPA 1990, 114 ausgegangen. Die Aussagen in der Einspruchsentscheidung zur mangelnden Neuheit der beanspruchten Gegenstände seien daher nicht haltbar. Insbesondere werde im Text von Entgegenhaltung (1) davon ausgegangen, dass Zitronensäure nur entkalkende Wirkung habe und keine desinfizierende, vor allem nicht gegenüber Hepatitis-B-Viren. Bei den Ausführungen unter dem Titel "Ausblick", am Ende von (1) handle es sich um eine reine Spekulation, welche die konkreten Angaben im davor stehenden Text nicht ins Gegenteil verkehren könne.

Entsprechendes gelte auch hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Bezüglich der anderen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen sei dazu zu bemerken, dass das Hepatitis-B-Virus dort im Zusammenhang mit Zitronensäure nicht genannt werde und ein Rückschluss von anderen Viren auf Hepatitis-B-Viren wegen der zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents unklaren Beurteilung ihrer Empfindlichkeit gegen Desinfektionsmittel nicht möglich sei. Insbesondere sei es zum Anmeldezeitpunkt unklar gewesen, ob die bekanntermaßen höhere Empfindlichkeit von behüllten Viren auch auf das von der Konstitution her behüllte Hepatitis-B-Virus zuträfe.

Im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 sei als zusätzliches Merkmal die additive Verwendung von Milchsäure, Äpfelsäure und/oder Weinsäure aufgenommen worden, um die Argumentation zu Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu stützen, weil solche Wirkstoffe in Entgegenhaltung (1) nicht genannt seien.

XI. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) haben den Argumenten der Beschwerdeführerin widersprochen (die Einsprechenden 01 und 03 nur schriftlich).

Neben den formalen Bedenken gegen die Aufnahme der Tabelle 4 in die Beschreibung des erteilten Patents und gegen den Disclaimer in den Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 und 2A (Artikel 123(2) EPÜ) sei zu bemerken, dass die Gegenstände des Hauptantrags und des Hauptantrags A sowie der Hilfsanträge 1, 1A, 3 und 3A weder neu noch erfinderisch und die Gegenstände der Hilfsanträge 4 und 4A zumindest nicht erfinderisch seien.

XII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der Ansprüche des Hauptantrags, Hauptantrags A oder eines der Hilfsanträge 1, 1A, 2, 2A, 3, 3A, 4 oder 4A

(Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 sind eingereicht mit Schreiben vom 29. September 2002, die übrigen Anträge wurden eingereicht mit Schreiben vom 7. Oktober 2005).

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 sind bereits mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden und sind insofern per se als Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu werten. Die Hilfsanträge 3 und 4 sowie die A-Formen dieser Anträge stellen bona fide Versuche dar, den Argumenten der Beschwerdegegnerinnen und der Kammer zu begegnen. Sie wurden daher zum Verfahren zugelassen.

Die zu Beginn der mündlichen Verhandlung neu vorgelegte Anspruchsfassung wurde nicht zugelassen, weil die Beschwerdeführerin bereits zusammen mit der Vorlage der Hilfsanträge 3 und 4 Gelegenheit gehabt hat, ihren Vortrag zu vervollständigen. Weitere Tatsachen und Argumente sind danach weder seitens der Kammer noch seitens der Beschwerdegegnerinnen vorgetragen worden, so dass nicht ersichtlich ist, inwieweit die Beschwerdeführerin mit der neuen Anspruchsfassung auf eine neue Situation hätte reagieren wollen.

3. Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 4; Artikel 123(2) EPÜ

Das erteilte Patent ist im Einspruchsschriftsatz der Einsprechenden 02 unter Artikel 100(c) EPÜ angegriffen worden. Damit ist die Prüfung des gesamten Patents nach Artikel 123(2) EPÜ jedenfalls auch Gegenstand des Einspruchsbeschwerdeverfahrens.

Die auf Seite 7 des erteilten Patents dargestellte Tabelle 4 war in den die Offenbarung betreffenden Teilen der europäischen Patentanmeldung am Anmeldetag nicht enthalten. Diesen Unterlagen entnehmbar war lediglich, dass bestimmte Versuche unter Einsatz von Zitronensäure als alleinigem Wirkstoff und andere Versuche unter Einsatz eines Gemisches von Zitronensäure, Milchsäure und Äpfelsäure durchgeführt wurden (vgl. Seite 9 der ursprünglich eingereichten Beschreibung, letzter Absatz). Darüber hinaus seien in einer Tabelle 4 "die Versuche bei 60ºC mit einer 0,4 Gew.-%igen Zitronensäurelösung bzw. mit einem Gemisch einer 06 Gew.-%igen Zitronensäure, 0,006 Gew.-% Äpfelsäure und 0,06 Gew.-% Milchsäure angegeben" (vgl. Seite 12 der ursprünglich eingereichten Beschreibung, letzter Absatz vor Beispiel 2).

Unmittelbar und eindeutig erkennbar war für den Fachmann dabei lediglich, dass die Tabelle 4 in diesen Unterlagen fehlte und auch, dass keinerlei Hinweis auf die mit den Versuchen festgestellten Ergebnisse vorlag.

Die später nachgereichte und mit einer Tabelle 4 aus den Prioritätsunterlagen inhalts- und namensgleiche Tabelle 4 enthält neben Einzelheiten zu den Versuchsparametern auch die Versuchsergebnisse (siehe Seite 16 der deutschen Prioritätsanmeldung mit dem Aktenzeichen P 41 10 078.6). Diese waren der am Anmeldetag eingereichten Beschreibung einschließlich der anhängenden Zeichnungen nicht expressis verbis zu entnehmen und für den Fachmann auch nicht herleitbar.

Ein Rückgriff auf die Prioritätsunterlagen ist jedenfalls nicht zulässig.

Die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Beschreibung nach Regel 88 EPÜ durch Einfügen der Tabelle 4 sind also nicht gegeben. Wegen der Aufnahme dieser Tabelle in die Beschreibung des erteilten Patents geht sein Gegenstand über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Dies stellt einen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ dar.

Die Gegenstände des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4, welche allesamt Anspruchsfassungen unter Beibehaltung der Beschreibung des erteilten Patents betreffen, sind daher nicht gewährbar.

4. Hauptantrag A sowie Hilfsanträge 1A und 3A

4.1 Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die Anspruchsfassungen zu den genannten Anträgen die formellen Anforderungen des EPÜ erfüllen.

4.2 Bezüglich der Frage der Neuheit ist festzustellen, dass jeder der Patentansprüche 1 der genannten Anträge in einer der alternativ vorgestellten Ausführungsformen folgende Merkmale aufweist:

- Die Verwendung eines wässrigen Desinfektionsmittels

- mit einem Gehalt an Zitronensäure

- als viruzidem Wirkstoff

- zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren

- bei der Desinfektion von Dialysemaschinen.

Die in dieser Frage relevante Entgegenhaltung (1) stellt unter der Überschrift "Gerätereinigung und Desinfektion" einen Auszug (Kapitel 12) aus dem Handbuch "Grundlagen der Dialysetechnik" dar. Auf Seite 12, wird dort in der linken Spalte beschrieben, welchen Gefährdungen bei Dialysegeräten durch Desinfektionsmaßnahmen zwingend begegnet werden muss; die Bekämpfung des Hepatitis-B-Virus ist in diesem Zusammenhang als zentrales Ziel herausgestellt (vgl. aaO, die vorletzten beiden Absätze).

Auf Seite 18 von Entgegenhaltung (1) wird im Unterkapitel 12.5 mit dem Titel "Ausblick" die Verwendung einer auf 85ºC aufgeheizten "Zitronensäure" für eine Desinfektionsreinigung von Dialysegeräten vorgestellt. Entsprechend der zugehörigen Abbildung 11 handelt es sich bei der aufgeheizten "Zitronensäure" um 50%ige Zitronensäure, die eingesaugt und im Dialysegerät nach den Ausführungen im ersten Absatz der linken Spalte auf Seite 17 von (1) im Verhältnis 1:34 verdünnt wird.

Die so erhaltene und zur Desinfektionsreinigung eingesetzte Lösung der Zitronensäure ist also ein wässriges Desinfektionsmittel mit einem Gehalt an Zitronensäure zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysemaschinen.

Durch den Gebrauch des Begriffs "Desinfektionsreinigung" stellt der Autor von (1) dabei die Zitronensäure in dieser Lösung auf die gleiche Stufe wie die chemischen Desinfektionsmittel Natriumhypochlorit und Peressigsäure. Er schreibt damit deren viruzide Wirkung auch der Zitronensäure zu. Während nämlich insbesondere im vorangehenden Unterkapitel 12.4.3.1 zur Acetatdialyse im Zusammenhang mit 85-95ºC heißem Wasser ohne enthaltene Zitronensäure immer nur von Heißreinigung und thermischer Desinfektion die Rede ist (vgl. (1), Seite 14, rechte Spalte, Absatz 2 und Unterschrift zu Abb. 4a) wird der Begriff "Desinfektionsreinigung" im Zusammenhang mit der chemischen Desinfektion gebraucht (vgl. Abb. 5a und 5b), bei der die Anwesenheit eines chemischen Viruzids neben dem Lösungsmittel Wasser vorausgesetzt wird (vgl. (1), Seite 15, linke Spalte, letzter Absatz bis zu den Abbildungen in der rechten Spalte).

Darüber hinaus ist nach den Darstellungen in diesem Unterkapitel eine Heißreinigung mit Wasser von 85-95ºC als einziges Reinigungs- und Desinfektionsverfahren nicht zu empfehlen, da sie den Einsatz chemischer Mittel nicht voll ersetzen kann (vgl. (1), Seite 14, rechte Spalte, Absatz 2 bis zu Seite 15, linke Spalte, Abb. 4a). Deshalb soll bei der Acetatdialyse jedenfalls auch eines der vorstehend schon genannten chemischen Desinfektionsmittel Natriumhypochlorit oder Peressigsäure eingesetzt werden (vgl. (1), den von Seite 15, linke Spalte auf Seite 15, rechte Spalte übergreifenden Absatz). Mit dem auf Seite 18 von (1) mit Abbildung 11 vorgeschlagenen Einsatz von heißer Zitronensäurelösung wird offensichtlich auch diese Funktion abgedeckt. Das bedeutet, dass der Autor von (1), für jeden Leser seines Artikels erkennbar, im "Ausblick" sein Verfahren auf die chemisch viruzide Wirkung der Zitronensäure in der heißen Lösung abgestellt hat.

Demzufolge ist für den Fachmann unmittelbar ersichtlich, dass die Zitronensäure in der eingesetzten Lösung viruzid zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren wirkt.

In Entgegenhaltung (1) wird also eine Lehre beschrieben, die alle Merkmale zumindest einer der im streitpatentgemäßen Patentanspruch 1 alternativ vorgestellten Ausführungsformen aufweist.

Dementsprechend sind die Gegenstände nach dem Hauptantrag A und nach den Hilfsanträgen 1A und 3A nicht mehr neu.

5. Hilfsantrag 2A; Artikel 123(2) EPÜ

5.1 Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 2A bezieht sich auf die Verwendung eines wässrigen Desinfektionsmittels mit einem Gehalt an Zitronensäure als viruzidem Wirkstoff zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysemaschinen bei einer Temperatur kleiner 85ºC.

5.2 Die im Vergleich zu Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 1 am Ende eingefügte Ergänzung "bei einer Temperatur kleiner 85ºC" nimmt Arbeitstemperaturen über 85ºC von der dort beanspruchten Lehre aus und stellt insofern einen Disclaimer dar.

5.3 Dieser Disclaimer hat keine Basis in der Offenbarung der ursprünglich eingereichten Unterlagen.

Eine Temperaturgrenze von 85ºC ist ausschließlich der vorveröffentlichten Entgegenhaltung (1) zu entnehmen.

5.4 Der beanspruchte Gegenstand bezieht sich auf das technische Gebiet der Desinfektion.

5.5 Entgegenhaltung (1) bezieht sich ebenfalls auf dieses technische Fachgebiet.

Daher kann es sich bei dem Disclaimer in Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 1 nicht um den Versuch einer Abgrenzung gegen eine zufällige Vorwegnahme des beanspruchten Gegenstands handeln. Dieser Antrag ist aus diesem Grund wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften von Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.

6. Hilfsantrag 4A

6.1 Neuheit; Artikel 54(2) EPÜ

Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4A unterscheidet sich vom Gegenstand nach Hauptantrag A durch den Einsatz von Milchsäure, Äpfelsäure und/oder Weinsäure als zusätzlichen Wirkstoff zur Zitronensäure. Solche zusätzlichen Wirkstoffe sind in Entgegenhaltung (1) nicht genannt.

Auch keiner anderen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltung sind die Merkmale des Patentanspruchs 1 des Hilfsantrags 4A komplett zu entnehmen.

6.2 Erfinderische Tätigkeit; Artikel 56 EPÜ

6.2.1 Die Lehre nach dem Hilfsantrag 4A betrifft als eine der alternativen Varianten die Verwendung eines wässrigen Desinfektionsmittels mit einem Gehalt an Zitronensäure und Milchsäure, Äpfelsäure und/oder Weinsäure als zusätzlichen Wirkstoff zur Zitronensäure als viruzidem Wirkstoff zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysemaschinen.

6.2.2 Nächstkommender Stand der Technik ist die Entgegenhaltung (1). Gemäß dieser Entgegenhaltung wird ein wässriges Desinfektionsmittel mit einem Gehalt an Zitronensäure zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysemaschinen verwendet.

6.2.3 Weder im Verfahren vor der Einspruchsabteilung noch vor der Beschwerdekammer wurde ein Vergleichsversuch gegenüber diesem Stand der Technik vorgelegt.

Die nachgereichten Ergebnisse in Tabelle 4 würden zwar grundsätzlich einen solchen Vergleichsversuch mit Bezug auf die Verwendung einer 0,4%igen Zitronensäurelösung betreffen. Jedoch ist für die anspruchsgemäße Lösung mit einem Gehalt an 0,06% Äpfelsäure und 0,06% Milchsäure ein gegenüber dem Vergleichswert von 0,4% Zitronensäure erhöhter Gehalt von 0,6% Zitronensäure zu verzeichnen. Die Ergebnisse aus diesem Versuch sind also im Sinne eines Vergleichsversuchs gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik nicht verwertbar, da sich die im Versuch festgestellten Effekte nicht eindeutig dem Zusatz an Äpfelsäure und Milchsäure zuordnen lassen.

Unter diesen Umständen ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe lediglich darin zu sehen, in der Verwendung zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysegeräten weitere Desinfektionsmittel aufzufinden.

6.2.4 Die Aufgabe soll durch die Verwendung von Milchsäure, Äpfelsäure und/oder Weinsäure zusätzlich zur Zitronensäure als viruzidem Wirkstoff gelöst werden.

Die Kammer ist mit Bezug auf die Ausführungen auf Seite 3, Zeilen 8-11 sowie Seite 3, Zeile 29 bis Seite 4, Zeile 56 und anhand von Plausibilitätsüberlegungen überzeugt, dass diese Aufgabe durch die anspruchsgemäße Verwendung tatsächlich gelöst wird.

6.2.5 Aus den Entgegenhaltungen (9), (10) und (11) ist dabei bekannt, dass Zitronensäure, Milchsäure und Äpfelsäure jeweils alleine oder in Mischung viruzid im allgemeinsten Sinne wirken, nämlich gegen verschiedene Virusarten. Bei den Virusarten handelt es sich sowohl um Vertreter der behüllten als auch der unbehüllten Viren. Damit sind mit Bezug auf die Empfindlichkeit gegen chemische Desinfektionsmittel alle beiden wichtigen Virusarten abgedeckt (vgl. Entgegenhaltung (9), insbesondere Seite 252, Absatz 4 in Verbindung mit Tabelle 1, Zeilen 1, 2 und 8; Entgegenhaltung (10), insbesondere Seite 2, Zeilen 24 bis 27 in Verbindung mit Tabellen I und II, Beispiele 1 bis 4, 8, 21 und 22; Entgegenhaltung (11), Übersetzung, Seite 1, Absatz 3 in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 9 bis 17).

Daher wird der Fachmann, der sich mit der Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe befasst, diese Literaturstellen berücksichtigen und die Verwendung von Milchsäure und Äpfelsäure auch im Gemisch mit Zitronensäure als viruzide Wirkstoffe vorsehen.

Dementsprechend beruht die Lösung der bestehenden Aufgabe nach dem Patentanspruch 4A des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

7. Die Beschwerdeführerin hat dem gegenüber weitere Argumente vorgebracht, denen die Kammer aber nicht zu folgen vermag:

7.1 So kann der Einwand nicht greifen, die Lehre von Unterkapitel 12.5 der Entgegenhaltung (1) sei nur spekulativ und insofern nicht als Offenbarung im Sinn von Artikel 54(2) EPÜ zu betrachten.

Zum einen ist die Verwendung von heißer Zitronensäurelösung als alleiniges Agens zur Desinfektionsreinigung von Dialysegeräten als komplette Lehre in Wort und Bild viel zu detailliert dargestellt um rein spekulativ zu sein.

Zum anderen heißt es zwar zunächst, das beschriebene Vorgehen sei "durchaus vorstellbar", aber gerade die folgende Bemerkung "noch nicht verfügbar" zeigt, dass der Autor eine Lehre vorstellen will, die schon über abgeschlossene theoretische Überlegungen hinausgeht und kurz vor der Verwirklichung steht.

7.2 Bei dieser Sachlage kann auch die Argumentation nicht greifen, andere Bemerkungen in Entgegenhaltung (1) würden den Fachmann davon abhalten, nach ihrer Lektüre im Ergebnis von einer viruziden Wirkung von Zitronensäure im Zusammenhang mit Hepatitis-B-Viren auszugehen.

Zwar werden im Unterkapitel 12.4.3.2 "Reinigungs- und Desinfektionsverfahren nach der Bicarbonatdialyse" die Aussagen "während Zitronensäure nur entkalkend und entfettend wirkt und anschließend also noch desinfiziert werden muss" und "sofern Zitronensäure zur Reinigung verwendet wurde, folgt nach dem Freispülen nun die Desinfektionsphase" getroffen (vgl. (1), Seite 16, rechte Spalte, vorletzter Absatz und Seite 17, linke Spalte, Absatz 2), aber diese Äußerungen sind angesichts der weiteren und klar entgegenstehenden Aussagen der Entgegenhaltung (1) und im Hinblick auf die Zäsur, die die Unterkapitelüberschrift "Ausblick" bedeutet, als im Ergebnis zurückstehend zu bewerten.

Selbst innerhalb des Unterkapitels zur Bicarbonatdialyse wird eindeutig zwischen Entkalkung/Entfettung als Reinigung einerseits und Desinfektionsreinigung andererseits unterschieden. So werden in (1), auf Seite 16, im vorletzten Absatz der rechten Spalte zunächst Zitronensäure und Peressigsäure als Entkalkungsmittel vorgestellt. Der Peressigsäure wird dann ausdrücklich Desinfektionswirkung zugeschrieben. Im folgenden Absatz wird dargestellt, dass "das Reinigungs- bzw. das Desinfektionsreinigungsmittel" in das Dialysegerät eingezogen wird. Mit dem letzteren Begriff "Desinfektionsreinigungsmittel" kann im gegebenen Zusammenhang nur auf die Peressigsäure Bezug genommen sein, wonach der Begriff "Desinfektionsreinigung" auch hier die Beteiligung eines chemischen Desinfektionsmittels voraussetzt.

Zieht man dann in Betracht, dass mit dem neuen Unterkapitel 12.5 und seinem Titel "Ausblick" nur gemeint sein kann, dass alle bisher getroffenen Aussagen bezüglich der Wirkungen von verwendeten Substanzen zu relativieren sind und dem Blick auf das zukünftig Machbare weichen sollen, dann ändert der Begriff "Desinfektionsreinigung" seine in Abschnitt 4.2 entwickelte und im voranstehenden Absatz bestätigte Bedeutung nicht und wird zweifellos bezüglich des chemischen Desinfektionsmittels statt auf die bekanntermaßen desinfizierend wirkende Peressigsäure nun auf die reine Zitronensäurelösung bezogen.

Im übrigen muss der Fachmann bereits am Erscheinungstag von Entgegenhaltung (1) sein allgemeines Fachwissen in deren Lektüre mit einbeziehen und kann daher alle Aussagen bezüglich einer angeblich mangelnden viruziden Wirkung von Zitronensäure ohnehin nur mit Vorbehalt zur Kenntnis nehmen. Als Belege für dieses Fachwissen können zum Beispiel bereits die hier im Verfahren zitierten Entgegenhaltungen (9), (10) und (11) dienen, die alle weit vor dem Erscheinungstag von Entgegenhaltung (1) bekannt waren und in breiter Weise das Fachwissen über die viruzide Wirkung von Zitronensäure darstellen.

7.3 Auch die Argumentation, dass in den neben Entgegenhaltung (1) im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen das Hepatitis-B-Virus im Zusammenhang mit Zitronensäure bzw. auch Milchsäure und Äpfelsäure nicht genannt werde und ein Rückschluss von anderen Viren auf Hepatitis-B-Viren nicht möglich sei, kann nicht zum Erfolg führen.

Angesichts der Aufgabenstellung, neben Zitronensäure lediglich weitere Desinfektionsmittel zur Inaktivierung von Hepatitis-B-Viren bei der Desinfektion von Dialysegeräten aufzufinden, reicht jeder Hinweis auf viruzide Wirksamkeit von chemischen Stoffen aus, um dem Fachmann Anregung zu geben, diese im Hinblick auf die Lösung dieser Aufgabe zu testen.

Dies gilt um so mehr, als in den Entgegenhaltungen (9), (10) und (11) die viruzide Wirksamkeit von Zitronensäure, Milchsäure und Äpfelsäure allein oder in Gemischen sowohl gegen behüllte als auch gegen unbehüllte Viren dargestellt ist.

Der (ergänzende) Einsatz von Milchsäure und/oder Äpfelsäure auch gegen Hepatitis-B-Viren war daher naheliegend; demnach konnte auch Hilfsantrag 4A nicht gewährt werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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