T 0701/02 () of 9.12.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T070102.20041209
Datum der Entscheidung: 09 Dezember 2004
Aktenzeichen: T 0701/02
Anmeldenummer: 93101273.6
IPC-Klasse: C08J 11/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von Polyamid 6 aus Polyamid-Abfällen
Name des Anmelders: Wiltzer, Karl-Heinz, et al
Name des Einsprechenden: Honeywell International, Inc.
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Hauptantrag: unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs
Zulässigkeit des Rückgriffs auf die erteilte Fassung (nein) - Reformatio in peius
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 608 454 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 93 101 273.6 der POLYMER ENGINEERING GmbH (Patentinhaber jetzt Karl Heinz Wiltzer und Peter Lausmann) angemeldet am 28. Januar 1993, wurde am 13. August 1997 bekanntgemacht. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 11 lauteten wie folgt:

"1. Verfahren zur Depolymerisation und Wiederaufbereitung von Material, das aus Polyamid 6- Abfällen und/oder oligomerenhaltigen Polyamid 6-Abfällen und/oder oligomerenhaltigen Lactamrückständen und/oder oligomerenhaltigem Lactam besteht, durch Hydrolyse in einem Druckreaktor unter Beifügung von Wasser, dadurch gekennzeichnet, daß das Material geschmolzen wird und die Schmelze kontinuierlich bei vorgegebener Temperatur von 230 Grad Celsius bis 290 Grad Celsius auf einen gleichmäßig niedrigen Polymerisationsgrad mit einer Lösungsviskosität von mehr als 1,5 gebracht wird und die Schmelze durch den Druckreaktor hindurchgeleitet wird, dessen Innendruck durch dosiertes Zuführen von Wasser oder Wasserdampf geregelt wird".

"11. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit einem Druckreaktor zur Verarbeitung des Materials im geschmolzenen Zustand, dadurch gekennzeichnet, daß das zu verarbeitende Material dem Kopf des Druckreaktors (1) über einen Aufschmelzextruder (2) und eine Dosierpumpe (5) kontinuierlich zugeführt wird, so daß im Druckreaktor ein konstantes Schmelzeniveau aufrechterhalten wird, und daß oberhalb dieses Schmelzeniveaus Wasser und/oder Wasserdampf über eine weitere Dosierpumpe (9) derart dosiert zugeführt wird, daß in dem Druckreaktor (1) ein konstanter Druck aufrechterhalten wird."

II. Gegen das Patent wurde aufgrund von Artikel 100 a) EPÜ von der AlliedSignal Inc. (später Honeywell International Inc.) Einspruch erhoben und der Widerruf des Patents im gesamten Umfang beantragt.

Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D6 Ludewig, H. et al; Faserforschung und Textiltechnik (1954), Heft 7, Seiten 277 - 284,

D7 Smith, S., Journal of Polymer Science (1958), Seiten 459 - 478 und

D10 US - A - 4 605 762.

III. In der am 20. März 2002 mündlich verkündeten und am 6. Juni 2002 schriftlich begründeten Zwischenentscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, daß das Patent unter Berücksichtigung der im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des EPÜ genüge.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 11 dieser geänderten Fassung lauten wie folgt (Hinzufügungen fettgedruckt; Streichungen durchgestrichen):

"1. Verfahren zur Depolymerisation und Wiederaufbereitung von Material, das aus Polyamid 6- Abfällen und/oder oligomerenhaltigen Polyamid 6-Abfällen und/oder oligomerenhaltigen Lactamrückständen und/oder oligomerenhaltigem Lactam besteht, durch Hydrolyse in einem Druckreaktor unter Beifügung von Wasser, dadurch gekennzeichnet, daß das Material geschmolzen wird und die Schmelze kontinuierlich bei vorgegebener Temperatur von 230 Grad Celsius bis 290 Grad Celsius auf einen gleichmäßig niedrigen Polymerisationsgrad mit einer Lösungsviskosität von mehr als 1,5 gebracht wird und die Schmelze durch den Druckreaktor hindurchgeleitet wird, dessen Innendruck durch dosiertes Zuführen von Wasser oder Wasserdampf auf einen konstanten Wasserpartialdruck zwischen 1.1 Bar und 10 Bar(ü) geregelt wird".

"11.Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit einem Druckreaktor zur Verarbeitung des Materials im geschmolzenen Zustand, dadurch gekennzeichnet, daß das zu verarbeitende Material dem Kopf des Druckreaktors (1) über einen Aufschmelzextruder (2) und eine Dosierpumpe (5) kontinuierlich zugeführt wird, so daß im Druckreaktor ein konstantes Schmelzeniveau aufrechterhalten wird, und daß oberhalb dieses Schmelzeniveaus Wasser und/oder Wasserdampf über eine weitere Dosierpumpe (9) derart dosiert zugeführt wird, daß in dem Druckreaktor (1) ein konstanter [durchgestrichen: Druck] Wasserpartialdruck zwischen 1,1 und 10. Bar (ü) aufrechterhalten wird."

IV. In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, daß die Änderungen in den Ansprüchen 1 und 11 aus der Beschreibung zu entnehmen seien (vgl. Spalte 4, Zeilen 46, 47) und daher die Erfordernisse des Artikels 123 (2), (3) EPÜ erfüllen.

Sie stellte fest, daß das Verfahren des Hauptanspruches sich in mindestens zwei wesentlichen Merkmalen von der Entgegenhaltung D10 unterscheide, zum einen werde erfindungsgemäß ein Überdruck von 1,1-10 Bar verwendet, zum anderen erfolge keine Abtrennung und Rückführung der Oligomeren.

Die Einspruchsabteilung stellte weiterhin fest, daß sowohl im Hinblick auf die Entgegenhaltung D6, die den nächstliegenden Stand der Technik darstelle, als auch in deren Zusammenschau mit D10 oder D7 der Gegenstand der Ansprüche für den Fachmann nicht naheliegend und daher erfinderisch sei, insbesondere, weil aus diesen Dokumenten das wesentliche Merkmal des Wasserpartial- drucks nicht in naheliegender Weise abgeleitet werden könne.

V. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr am 4. Juli 2002 Beschwerde eingelegt und am 14. Oktober 2002 die Beschwerdebegründung nachgereicht.

VI. Die Beschwerdekammer hat in einem Bescheid vom 2. November 2004 festgestellt, daß die Änderungen im Anspruch 11 bezüglich Artikel 123 (3) EPÜ problematisch seien.

VII. In ihrem schriftlichen Vorbringen und im Verlaufe der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2004 machte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Ausführungen:

a) Die Ansprüche 1 und 11 des Hauptantrages verletzen Artikel 123 (2) EPÜ, weil die ursprüngliche Offenbarung des Streitpatents keine Regelung des Wasserpartialdrucks vorsehe. Gemäß der ursprünglichen Offenbarung (siehe Spalte 4, Zeilen 45 - 47 der EP-B-Schrift) ergebe sich ein konstanter Wasserpartialdruck zwischen 1,1 Bar und 10 Bar (ü) einfach durch die druckabhängige Zuführung des Wassers. Die jetzt beanspruchte Regelung des Wasserpartialdrucks (statt des Innendrucks) sei jedoch in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbart.

b) Außerdem führe die Änderung der Patentansprüche zu einer unzulässigen Erweiterung der erteilten Fassung (Artikel 123 (3) EPÜ). Die Patentinhaberin setze den Innendruck des Reaktors nämlich mit dem Wasserpartialdruck gleich, obwohl dies völlig verschiedene Parameter seien. Der Partialdruck einer Komponente eines Gasgemischs richte sich nach dem Stoffmengenanteil des Gases im Gesamtgemisch und unterscheide sich vom gesamten Innendruck des Reaktors erheblich.

Bei dem beanspruchten Verfahren werden Polyamid- abfälle und Lactamrückstände durch Hydrolyse auf einen niedrigen Polymerisationsgrad gebracht. Dabei entstehen Caprolactam-Monomere sowie niedrige Oligomere, welche bei den verwendeten Temperaturen flüchtig seien. Der Wasserpartialdruck in einem solchen Gemisch weiche somit zwangsläufig deutlich von dem Innendruck des Reaktors ab. Werde der Gesamtdruck im Reaktor konstant gehalten, variiere daher der Wasserpartialdruck aufgrund des sich fortschreitend verändernden Polymerisationsgrades des Polymermaterials.

Ursprünglich sei beansprucht worden, daß im Druckreaktor ein konstanter Druck aufrechterhalten wird. Entsprechend den geänderten Ansprüchen werde jedoch ein konstanter Wasserpartialdruck eingehalten. Da es sich um verschiedene Parameter handle und ein Parameter variieren könne, während der andere konstant gehalten werde, fehle in den neuen Ansprüchen die Beschränkung, daß im Druckreaktor ein "konstanter Druck" aufrechterhalten werde. Das Entfernen dieses beschränkenden Merkmales aus der erteilten Fassung stelle daher eine unzulässige Erweiterung in Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ dar.

c) Gegen den Hilfsantrag (Rückgriff auf die erteilte Fassung) hat die Beschwerdeführerin den Einwand erhoben, daß er verspätet eingereicht worden sei. Die Patentinhaberin habe sich im Laufe des schriftlichen Beschwerdeverfahrens nicht geäußert und erst in der mündlichen Verhandlung diesen neuen Antrag eingereicht. Es sei der Patentinhaberin jedoch von der Beschwerdeschrift und vom Bescheid der Beschwerdekammer bekannt gewesen, daß es Bedenken gegen die Anspruchsfassung gab, die von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet wurde. Es widerspreche dem Gebot der Fairneß gegenüber der Beschwerdeführerin, erst in der mündlichen Verhandlung einen neuen Antrag vorzulegen, auf den sich die Beschwerdeführerin nicht vorbereiten konnte. Im übrigen habe die Patentinhaberin schon im Einspruchsverfahren ähnlich agiert und diese Vorgangsweise der Beschwerdeführerin stelle daher einen Verfahrensmißbrauch dar.

Ferner stehe einer Zulassung des Hilfsantrages, der den Schutzbereich des gemäß der angefochtenen Entscheidung aufrechterhaltenen Patents erweitere, auch das Verbot einer Reformatio in peius entgegen, da von der Patentinhaberin keine Beschwerde eingelegt worden sei. Durch Weglassen des vor der ersten Instanz eingeführten Merkmals werde die Beschwerdeführerin in eine schlechtere Lage versetzt, eine Situation die gemäß G 1/99 (OJ EPO 2001, 381) nur unter bestimmten besonderen Voraussetzungen zulässig sei, die hier nicht gegeben seien.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die sich im schriftlichen Verfahren nicht äußerte, hat während der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Das in die Ansprüche 1 und 11 aufgenommene Merkmal eines konstanten Wasserpartialdrucks zwischen 1,1 Bar und 10 Bar (ü) stütze sich auf Spalte 4, Zeilen 44 - 47 und 26/27 der EP-B-Schrift und erfülle daher die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

b) Bezüglich Artikel 123 (3) EPÜ trug die Beschwerde- gegnerin vor, der Industriefachmann, an den sich der Anspruch richte, würde die Begriffe Innendruck und Wasserpartialdruck gleichsetzen. Bei 250°C sei der Partialdruck des Caprolactams ca. 60 mal niedriger als der Wasserpartialdruck, woraus sich bei einem Verhältnis Wasser zu Caprolactam von 50:50 ein Anteil von ca. 2 % zum Gesamtdruck ergebe. Tatsächlich sei der Anteil an Caprolactam jedoch erheblich niedriger (unter 10 %, siehe Beispiele) und sein Beitrag zum Innendruck liege daher unter 1 % und somit im Rahmen der Meßgenauigkeit. Beim Arbeiten im beanspruchten Temperaturbereich vom 230 - 290°C könne man daher den Beitrag des Caprolactams zum Gesamtdruck außer acht lassen.

c) Die späte Vorlage des Hilfsantrags (Aufrecht- erhaltung in der erteilten Fassung) begründete der Vertreter der Beschwerdegegnerin mit einer mangelnden Kooperation seitens seiner Mandantin. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin beanstandete Reformatio in peius betonte sie, daß gemäß G 1/99 die Möglichkeit eines Rückgriffs auf die erteilte Fassung nicht ausgeschlossen sei.

IX. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 608 454. Sie beantragte auch, den Hilfsantrag der Beschwerde- gegnerin wegen später Vorlage und Verletzung des Grundsatzes der Reformatio in peius nicht zuzulassen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

HAUPTANTRAG

2. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ).

2.1. Anspruch 1 wurde gegenüber seiner erteilten Fassung durch Aufnahme des Merkmales "auf einen konstanten Wasserpartialdruck zwischen 1,1 Bar und 10 Bar (ü)" geändert.

Diese Änderung stützt sich auf Spalte 4, Zeilen 32 - 37 der ursprünglichen Anmeldung (A-Schrift). Dort wird beschrieben, daß die Schmelze durch das Wasser hydrolysiert wird, wobei sich durch die druckabhängige Zuführung des Wassers ein konstanter Wasserpartialdruck beispielsweise zwischen 1,1 Bar und 10 Bar (ü) ergebe. Daraus folgt, daß der Druck im Reaktor durch Zuführung von Wasser kontrolliert wird.

Nach der Beschwerdeführerin stützt diese Passage den geänderten Anspruch 1 nicht, weil im Anspruch 1 der Wasserpartialdruck "geregelt" wird, während gemäß der Beschreibung der Wasserpartialdruck "sich ergibt". Dieser Ansicht vermag die Kammer nicht zu folgen, weil beide Ausdrucksweisen denselben Sachverhalt beschreiben, nämlich die Einstellung des Innendrucks des Reaktors durch dosiertes Zuführen von Wasser oder Wasserdampf. Die Änderung verdeutlicht nur, daß die Einstellung des Innendrucks auf einen konstanten Wasserpartialdruck abgestellt wird und definiert den Druckbereich, in dem gearbeitet werden soll.

2.2. Anspruch 11 wurde gegenüber seiner erteilten Fassung in analoger Weise durch Aufnahme des Merkmales "Wasserpartialdruck zwischen 1,1 und 10 Bar(ü)" präzisiert und stützt sich daher auf die oben zitierte Erstoffenbarung.

2.3. Der Gegenstand der geänderten Ansprüche 1 und 11 geht daher nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so daß diese nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen.

3. Änderungen (Artikel 123 (3) EPÜ).

3.1. Gemäß Artikel 123 (3) EPÜ dürfen die Patentansprüche eines europäischen Patents im Einspruchsverfahren nicht in der Weise geändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird. Um zu entscheiden, ob eine Änderung diesem Erfordernis genügt, ist es notwendig, den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung, mit dem des Patents nach Anspruchsänderung zu vergleichen.

3.2. Das Verfahren gemäß erteiltem Anspruch 1 fordert eine Regelung des Innendrucks durch dosiertes Zuführen von Wasser oder Wasserdampf. Das Verfahren gemäß geltendem Anspruch 1 legt in seiner abgeänderten Fassung nunmehr fest, daß bei der Regelung des Innendrucks ein konstanter Wasserpartialdruck zwischen 1,1 und 10 Bar (ü) erhalten wird.

Durch diese Anspruchsänderung wird das Schutzbegehren des Patents nicht erweitert, sondern eingeschränkt. Gemäß erteiltem Anspruch 1 war dem Fachmann nur vorgeschrieben, den Innendruck zu regeln, während er laut geändertem Anspruch 1 den Innendruck regeln muß und zwar auf einen konstanten Wasserpartialdruck zwischen 1,1 und 10 Bar (ü). Somit widerspricht diese Änderung nicht dem Erweiterungsverbot des Artikels 123 (3) EPÜ.

3.3. Dagegen forderte der erteilte Anspruch 11, daß im Druckreaktor ein konstanter Druck aufrechterhalten wird, wobei als Druck der Innendruck zu verstehen ist. Bei dem geänderten Anspruch 11 wurde das Merkmal der Aufrechterhaltung eines konstanten Druckes weggelassen und durch die Aufrechterhaltung eines konstanten Wasserpartialdruckes zwischen 1,1 und 10 bar (ü) ersetzt. Es ist daher zu untersuchen, ob der Innendruck mit dem Wasserpartialdruck gleichzusetzen ist.

3.3.1. Der "Partialdruck" ist der Druck, der in einem Gasgemisch einem bestimmten Gas zugeordnet werden kann. Die Summe aller Partialdrucke ist der Gesamtdruck. Bei dem patentgemäßen Verfahren entstehen bei der Depolymerisation Monomere und niedere Oligomere, welche unter den Reaktionsbedingungen (230 bis 290°C) teilweise in die Gasphase übergehen können. Außerdem ist es anspruchsgemäß auch möglich, oligomerenhaltige Lactamrückstände zu verwenden. In der Gasphase des im vorliegenden Verfahren verwendeten Reaktors befinden sich somit Dämpfe von Wasser, Lactam (Siedepunkt 267 °C) und eventuell von niederen Oligomeren. Der Gesamtdruck der Mischung ist daher die Summe der Partialdrücke alle Bestandteile. Da Lactam im Laufe des Depolymerisationsverfahrens entsteht (bis ca. 9.5 % gemäß den Beispielen 1 - 3) und noch zusätzlich als Ausgangsmaterial hinzugefügt werden kann, kann sein Anteil am Gesamtdruck nicht ignoriert werden. Daher ist der Wasserpartialdruck vom gesamten Innendruck verschieden.

3.3.2. Es wurde von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung betont, daß bei der industriellen Prozeßführung, beim Arbeiten um 250°C, der Dampfdruck des Caprolactams im Vergleich zum Wasserpartialdruck sehr niedrig sei, und höchstens 2 % zum Gesamtdruck beitrage, was im Rahmen der Meßgenauigkeit liege, woraus folgere, daß man im vorliegenden Fall den Partialdruck des Lactams ignorieren und den Innendruck dem Wasser- partialdruck gleichsetzen könne.

3.3.3. Die Kammer akzeptiert zwar, daß der Wasserpartialdruck den größten Anteil zum Gesamtdruck beiträgt, und daß bei besonders bevorzugten Ausführungsvarianten der Beitrag des Caprolactamdampfdrucks möglicherweise sehr gering ist, der Gegenstand der Ansprüche ist aber nicht auf solche besonders bevorzugten Ausführungsformen begrenzt und schließt auch Ausführungsformen ein, bei denen der Anteil an Lactam in der Dampfphase und damit sein Beitrag zum Innendruck des Reaktors nicht vernachlässigt werden kann.

Daher kann der Wasserpartialdruck nicht mit dem Innendruck des Reaktors gleichgesetzt werden.

3.3.4. Der Vergleich des Schutzbereichs des Anspruchs 11 in seiner erteilten Fassung mit demjenigen nach der Anspruchsänderung führt daher zu der Feststellung, daß das Schutzbegehren erweitert wurde: Während die erteilte Fassung festlegt, daß in dem Druckreaktor ein konstanter Druck aufrechterhalten wird, läßt der geänderte Anspruch 11 den Druck variieren, weil jetzt der Wasserpartialdruck konstant gehalten wird, was im Laufe des Verfahrens wegen des nicht konstanten Lactampartial- drucks zu einer Variabilität des Gesamtdruckes führt. Damit schützt der geltende Anspruch 11 Ausführungsformen, die vom erteilten Streitpatent nicht umfaßt waren.

3.4. Wegen dieser Verletzung des Erweiterungsverbots gemäß Artikels 123 (3) EPÜ ist der Hauptantrag nicht gewährbar.

HILFSANTRAG

4. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung den Hilfsantrag gestellt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Die Beschwerdeführerin hat die Zulässigkeit dieses Hilfsantrags bestritten, einerseits weil die verspätete Vorlage einen Verfahrensmißbrauch darstelle und andererseits weil er wegen seines Verstoßes gegen das Verbot der Reformatio in peius offensichtlich nicht gewährbar sei (siehe obiger Punkt VII c)).

4.1. Die Kammer kommt zu dem Schluß, daß im vorliegen Fall das entscheidende Kriterium nicht in der Verspätung, sondern im Verstoß gegen das genannte Verbot der Reformatio in peius liegt, wie es in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/99 festgelegt ist.

4.1.1. Diese Entscheidung stellte das Prinzip auf, daß ein geänderter Anspruch, durch den der Einsprechende und alleinige Beschwerdeführer schlechtergestellt würde als ohne die Beschwerde, grundsätzlich zurückgewiesen werden muß.

4.1.2. Dieser Fall liegt bezüglich des Hilfsantrags vor, da Anspruch 1 der diesem zugrundeliegenden erteilten Fassung des Streitpatents gegenüber seiner vor der ersten Instanz geänderten Fassung (Hauptantrag) durch Weglassen des Merkmales der Regelung des Innendrucks "auf einen konstanten Wasserpartialdruck zwischen 1,1 Bar und 10 Bar (ü)" erweitert würde.

4.1.3. Es liegt auch keine der Fallkonstellationen vor, die gemäß G 1/99 (Gründe 15) ein Abweichen vom vorgenannten Prinzip ermöglichen, um einen Widerrufs des Patents als Folge einer unzulässigen Änderung, die die Einspruchs- abteilung in ihrer Zwischenentscheidung für gewährbar erachtete, zu vermeiden; denn das Zurückgehen auf die erteilte Fassung ist weder verbunden mit der Aufnahme ursprünglich offenbarter Merkmale, die den Schutzbereich des Patents in der aufrecherhaltenen Fassung einschränken, noch mit der Aufnahme ursprünglich offenbarter Merkmale, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung ohne Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ erweitern.

4.1.4. Vielmehr nimmt das beantragte Zurückgehen auf die erteilte Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag ohne Not eine Mißachtung des Verbots der Reformatio in peius in Kauf, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, eine Verletzung des Erweiterungsverbots nach Artikel 123 (3) EPÜ z. B. durch Streichen des Vorrichtungsanspruchs 11 zu vermeiden, dessen diesbezüglicher Mangel nicht erst in der mündliche Verhandlung, sondern schon im Bescheid der Kammer vom 2. November 2004 (Punkt 5.5) gerügt wurde.

4.2. Die Kammer entscheidet deshalb in Ausübung ihres Ermessens, den im Verlaufe der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag nicht zuzulassen.

5. Es liegt somit keine gewährbare Anspruchsfassung des Streitpatents vor.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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