T 0583/02 () of 18.6.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T058302.20040618
Datum der Entscheidung: 18 Juni 2004
Aktenzeichen: T 0583/02
Anmeldenummer: 98941140.0
IPC-Klasse: C21C 5/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Aufarbeiten von Stahlschlacken und Eisenträgern zur Gewinnung von Roheisen und umweltvertäglichen Schlacken
Name des Anmelders: Holcim Ltd.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Klarheit (ja)
Ausführbarkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 20. Februar 2002, mit der die europäischen Anmeldung 98 941 140.0 zurückgewiesen wurde.

II. Die Prüfungsabteilung begründete ihre Entscheidung damit, daß der Gegenstand von Anspruch 1 unklar sei und die Anmeldung die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Die Erfordernisse von Artikel 84 und 83 EPÜ seien mithin nicht erfüllt.

Die Prüfungsabteilung vertrat die Ansicht, die in Anspruch 1 verwendeten Begriffe "Eisenträger", und "umweltverträglich" seien relative, allgemein nicht anerkannte Begriffe, die den Fachmann über ihre Bedeutung im Unklaren ließen. Auch falle unter "Eisenträger" neben den genannten Hüttenreststoffen auch Schrott, so daß die benutzten Eingangsstoffe bereits unklar seien. Weiterhin erlaube das Endprodukt "umweltfreundliche" bzw. "umweltverträgliche Schlacke" keine klare Definition dahingehend, daß man sie von dem Anfangsprodukt "Stahlschlacke" in eindeutiger Weise unterscheiden könne. Die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ seien mithin nicht erfüllt.

Hinsichtlich der Ausführbarkeit reichten die angegebenen Verfahrensparameter wie das Volumenverhältnis zwischen Schlacke und Eisenbad sowie die Angabe der einzuhaltenden Schlackenbasizität für den Fachmann nicht aus, das Verfahren ohne unzumutbaren Aufwand im ganzen Bereich auszuführen. Da auch nicht feststellbar sei, ob tatsächlich eine "umweltverträgliche" Schlacke am Ende des Verfahrens erreicht worden ist, erfülle die Anmeldung nicht die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

III. Die Beschwerdeführerin argumentierte unter Hinweis auf

D1: Lueger Lexikon der Technik, Band 5: Lexikon der Hüttentechnik, Herausgeber: Hans Grothe, 1963, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Seiten 548 bis 552 und 610 bis 619

D2: EP-A-139 953

D3: EP-A-391 427

D4: EP-A-489 867

sowie weitere Patentschriften, daß für den auf dem Gebiet der Metallurgie tätigen Fachmann technische Begriffe wie "Eisenträger" "Stahlschlacke", "Schlackenbasizität" sowie "umweltschonende Aufbereitung", "umweltfreundliche Deponierung" etc. üblich und in ihrer Bedeutung klar seien. Im Gegensatz zu Stahlschlacken, welche z. B. bei der LD- oder Elektro- Stahlerzeugung anfallen und sich in dieser Form nicht in einfacher Weise entsorgen lassen, wiesen die durch das Verfahren erhaltenen "umweltfreundlichen Zielschlacken" keine wesentlichen Gehalte an Chrom und Schwermetallen mehr auf, so daß sie entweder problemlos deponiert oder beispielsweise zu Mischzement oder klinkerfreien Sulfathüttenzement verarbeitet werden könnten. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, daß der Gegenstand der Anmeldung und der Ansprüche zum Zeitpunkt der Recherche zumindest insoweit klar gewesen sein müsse, daß eine Ermittlung des Standes der Technik erfolgreich habe durchgeführt werden können.

Weiterhin weise die Anmeldung zwei ausführliche und nacharbeitbare Ausführungsbeispiele auf, welche dem Fachmann die eingesetzten Rohstoffe, die angewendeten Verfahrenschritte und die erhaltenen Endprodukte aufzeigten, so daß die Beanstandung der mangelnden Ausführbarkeit nicht gerechtfertigt sei. Der Anspruchsgegenstand sei somit klar (Artikel 84 EPÜ) als auch im Sinne von Artikel 83 EPÜ ausreichend offenbart.

Die Beschwerdeführerin beantragt deshalb:

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

- ein Patent auf der Grundlage der geänderten Ansprüche 1 bis 20, eingereicht mit Schreiben vom 27. Mai 2004 zu erteilen

- hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, falls die Kammer die Erfordernisse von Artikel 83 und 84 EPÜ als nicht erfüllt ansehen sollte.

IV. Der geltende Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur wirtschaftlichen Verwertung und Entsorgung von Hüttenreststoffen zur Gewinnung von Roheisen und umweltverträglichen Schlacken mit einer Basizität CaO/SiO2 zwischen 1.0 und 1.8, wobei Stahlschlacken, wie z. B. Konverterschlacken, Elektroofenschlacken, Edelstahlschlacken und schwer verwertbare Eisenträger, wie z. B. Feinerz, bei der Stahlherstellung anfallenden Stäube und Walzwerkzunder, sowie SiO2-Träger und/oder Al2O3-Träger wie z. B. Gießereisande, aluminiumoxidhaltigen Schleifstäube und bei der Bauxitgewinnung nach dem Bayer-Verfahren anfallenden Rotschlämme, in einen Konverter, in welchem ein Eisenbad vorgelegt wird, eingebracht werden, das Volumenverhältnis von geschmolzener Schlacke zum Eisenbad größer als 0,5:1 gewählt wird, in den Schlacken ein Al2O3-Gehalt zwischen 10 und 25. % bezogen auf die Gesamtschlacke und eine Schlackenbasizität (CaO/SiO2) zwischen 1,0 und 1,8 durch Zusetzen von SiO2-Trägern wie z. B. Gießereisanden, Hüttensanden, und/oder Feinerzen eingestellt werden, und daß zur intensiven Durchmischung von Schlacke und Eisenbad Heißwind auf die Schlacke aufgeblasen und Kohle durch das Eisenbad durchgeblasen wird."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 20 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ):

Grundlage des geltenden Anspruchs 1 bildet der ursprüngliche Anspruch 1 zusammen mit den technischen Angaben, die der Beschreibung Seite 3, Zeilen 7 bis 16; Seite 4, Zeilen 21 bis 35; Seite 5, Zeilen 8 bis 15; Seite 6, Zeilen 5 bis 10; Seite 7, Zeile 20 bis 24, Seite 8, Zeilen 22 bis 27 und Seite 11, Zeilen 6 bis 12 zu entnehmen sind.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 betreffen bevorzugte, im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 enthaltene Ausführungsformen des Verfahrens, während die abhängigen Ansprüche 6 bis 20 dem Wortlauf der ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 16 entsprechen. Dabei wurde, unter Berücksichtigung des Gegenstandes von Anspruch 1, in Anspruch 15 der Begriff "Metallbad" gegen "Eisenbad" ausgetauscht.

Hinsichtlich der Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ sind die Ansprüche somit nicht zu beanstanden.

2. Klarheit der Ansprüche Artikel (84 EPÜ):

2.1. Aus dem Wortlaut von Anspruch 1 erschließt es sich dem Fachmann in unmißverständlicher Weise, daß es sich beim Anspruchsgegenstand um ein Verfahren zur wirtschaftlichen Verwertung und Entsorgung von Hüttenreststoffen handelt. Dabei werden verschiedenste, beim Verhüttungsprozeß anfallenden Nebenprodukte und Abfälle wie Schlacken, Stäube, Walzenzunder und andere, schwer zu verarbeitende Stoffe wie Feinerze, Schlämme usw. in einem Konverter mit einem bereits darin vorhandenen Eisenbad behandelt. Diese Reststoffe sind entweder bereits aufgrund ihrer feinen Korngröße schwierig zu verarbeiten oder sie enthalten zum Teil noch beachtliche Mengen an Eisen, Legierungselementen wie Chrom oder auch giftigen Schwermetallen, welche es nicht gestatten, diese Produkte z. B. auf einer Deponie ohne Gefährdung der Umwelt zu entsorgen. Das beanspruchte Verfahrens zielt somit darauf ab, in einem Konverter ein Roheisen sowie eine Schlacke zu erzeugen, die einen definierten Al2O3-Gehalt und eine bestimmten Basizität aufweist und die aufgrund ihrer Eigenschaften als unproblematisch gegenüber der Umwelt eingestuft werden kann. Es ist deshalb bereits aus Anspruch 1 klar, welche Art von Ausgangsstoffen eingesetzt und welche Endprodukte angestrebt werden sowie in welchem Volumen- Verhältnis die Anteile an geschmolzener Schlacke zum Eisenbad einzustellen sind.

2.2. Auch die abhängigen Ansprüche und die Beschreibung lassen bezüglich der Einsatzstoffe und Endprodukte und der vorzunehmenden Verfahrensschritte keine Widersprüche erkennen oder Zweifel aufkommen. So wird an zahlreichen Textstellen eine breite Palette von Reststoffen und Abfällen unterschiedlichster Art aus dem Hüttenbetrieb angesprochen, die sich mit dem beanspruchten Verfahren verwerten lassen. Dabei wird z. B. eine (schwierig zu entsorgende) Stahlwerkschlacke mit einer Basizität von ca. 3 als Ausgangstoff im beanspruchten Verfahren dem Endprodukt einer "umweltkompatiblen Zielschlacke" mit einer Basizität zwischen 1,3 und 1,6, einem Al2O3-Gehalt von 10 bis 20 Gew.% und ggf. einem Glasgehalt von mehr als 90 % gegenübergestellt (siehe z. B. Beschreibung Seite 4, Zeilen 4 bis 8, Seite 6, Absätze 2 und 3). Aus dem Gesamtinhalt der Anmeldung und den dort angesprochenen Merkmalen ist es dem fachmännischen Leser deshalb klar, was er unter einer "umweltverträglichen Schlacke" zu verstehen hat. Auch wenn die Begriffe wie "umweltverträglich", "umweltfreundlich", "umweltschonend" usw. keine Höchstwerte für bestimmte Stoffe beinhalten und damit patentrechtlich als nicht beschränkend anzusehen sind, so bedeutet diese Aussage dennoch, daß die damit bezeichneten Produkte in der Regel die gesetzlich festgelegten Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe nicht überschreiten und damit hinsichtlich der Umwelt als unbedenklich gelten können. Diese Bewertung der genannten Begriffe wird auch durch die von der Anmelderin genannten Patentschriften D2 bis D4 untermauert, die im übrigen auch belegen, daß die Verwendung dieser Begriffe auf dem die Anmeldung betreffenden Fachgebiet üblich ist.

2.3. Selbst wenn unter dem Begriff "Eisenträger" auch Schrott verstanden werden kann, wie die Prüfungsabteilung argumentiert, so wird der Fachmann Schrott eher als leicht verwertbaren Eisenträger, den er an verschiedenen Stellen im Hüttenwerk problemlos einsetzen kann, einordnen. Im Zusammenhang mit den technischen Merkmalen des beanspruchten Verfahrens wird er jedoch Schrott kaum als "schwer verwertbaren Eisenträger" im Sinne der Anmeldung ansehen, zumal diese an keiner Stelle den möglichen Einsatz von Schrott anspricht oder etwa nahelegt.

2.4. Die Klarheit der geltenden Ansprüche ist deshalb hinsichtlich Artikel 84 EPÜ nicht zu beanstanden.

3. Ausreichend Offenbarung; Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ):

3.1. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ ausreichend offenbart ist, muß der Gesamtinhalt der Patentanmeldung, d. h. die Beschreibung, die Ansprüche und die Zeichnungen in Betracht gezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Offenbarung sich an den maßgeblichen Fachmann richtet, und ob dieser durch die offenbarte Lehre in die Lage versetzt wird, die Erfindung unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens auszuführen ohne dabei zu Maßnahmen greifen zu müssen, die sein fachmännisches Können übersteigen. Auch fordert das EPÜ nach Regel 27 (1) e), daß wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im einzelnen anzugeben ist. Dies kann, wo es angebracht ist, durch Beispiele oder unter Bezugnahme auf Zeichnungen geschehen.

3.2. Wie unter Punkt 2 dargelegt, nennt bereits Anspruch 1 alle Ausgangs- und Endprodukte sowie die technischen Schritte des beanspruchten Verfahrens. Zusätzlich dazu werden dem Fachmann auf Seite 9, ab Zeile 4 der Anmeldung die wesentlichen einzuhaltenden technischen Parameter an die Hand gegeben, die er zur erfolgreichen Durchführung des beanspruchen Verfahrens benötigt. Zusammen mit diesen technischen Angaben benennen die darauf folgenden Ausführungsbeispiele ausführlich die eingesetzten Ausgangsstoffe und Endprodukte (Zielschlacken) und weitere Verfahrensschritte, die dem Fachmann unter Zuhilfenahme seines fachmännischen Wissens die erfolgreiche Ausführung des beanspruchten Verfahrens ermöglichen (siehe Beschreibung Seiten 10/11 und 15 bis 17). Dabei ist festzustellen, daß die Zusammensetzung der erzeugten "umweltverträglichen Zielschlacken" (Tabellen Seiten 15 und 17) sowohl bezüglich der Basizität als auch des Al2O3-Gehalts im beanspruchten Bereich liegt, wie dies Regel 27 (1) e) EPÜ fordert. Weiterhin ist erkennbar, daß gegenüber den eingesetzten Anfangstoffen (Stahlschlacke und Feinerz) die Zielschlacke in den Anteilen an Eisen, Chrom und P2O5 deutlich abgereichert ist.

3.3. Im Hinblich auf die ausführlichen technischen Angaben in der Anmeldung ist es deshalb nicht zu erwarten, daß der Fachmann nur unter unzumutbarem Aufwand in der Lage ist, das beanspruchte Verfahren erfolgreich auszuführen. Dieser unter Punkt 2 der Zurückweisungsentscheidung erhobene Einwand der Prüfungsabteilung erscheint damit nicht zutreffend.

4. Die Gründe der mangelnden Klarheit (Artikel 84 EPÜ) und der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ), die zur Zurückweisung der Anmeldung führten, bestehen somit nicht mehr bzw. nicht. Zur weiteren Sachprüfung, ob auch die Kriterien der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 54 und 56. EPÜ erfüllt sind, wird die Anmeldung deshalb an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage der am 27. Mai 2004 eingegangenen Unterlagen zurückverwiesen.

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