T 0543/02 (Zementklinker/Polysius) of 31.8.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T054302.20040831
Datum der Entscheidung: 31 August 2004
Aktenzeichen: T 0543/02
Anmeldenummer: 96114186.8
IPC-Klasse: C04B 7/43
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anlage und Verfahren zur Herstellung von Zementklinker
Name des Anmelders: Polysius AG
Name des Einsprechenden: KHD Humboldt Wedag AG, Köln
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - ja, Zeitfaktor als weiteres Indiz
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 96 114 186.8 wurde das europäische Patent Nr. 0 764 614 mit 10 Ansprüchen erteilt. Die zwei unabhängigen Ansprüche 1 und 8 lauten wie folgt:

Anspruch 1:

"Anlage zur Herstellung von Zementklinker aus Zementrohmaterial mit

a) einer Vorbehandlungsstufe (1) für das Zementrohmaterial,

b) einem Brennofen (2) zum Fertigbrennen des Zementklinkers,

c) einer den Brennofen (2) mit der Vorbehandlungsstufe(1) verbindenden Abgasleitung (3),

d) einem Kühler (4) zum Kühlen des gebrannten Zementklinkers

e) sowie einem an die Abgasleitung (3) angeschlossenen Reaktor zur Erzeugung eines Brenngases aus Abfallstoffen, insbesondere aus Altreifen, wobei der Reaktor als Vergasungsreaktor (5) ausgebildet und mit dem Kühler über eine Tertiärluftleitung(6) derart verbunden ist, daß wenigstens ein Teil der Abluft des Kühlers (4) als Vergasungsmittel im Vergasungsreaktor verwendbar ist, gekennzeichnet durch

eine Einrichtung (8) zur Steuerung der dem Reaktor(5) über die Tertiärluftleitung zugeführten Tertiärluftmenge in Abhängigkeit von der Füllhöhe der Abfallstoffe und/oder der Temperatur im Reaktor."

Anspruch 8:

"Verfahren zur Herstellung von Zementklinker aus Zementrohmaterial, wobei das Zementrohmaterial zunächst vorbehandelt, dann gebrannt und schließlich mit Luft abgekühlt wird, wobei ferner Abfallstoffe, insbesondere Altreifen, in einem Reaktor mit der bei der Kühlung des Zementklinkers entstehenden Tertiärluft vergast werden, wobei ein Brenngas erzeugt wird, das zumindest teilweise zur Vorbehandlung des Zementrohmaterials verwendet wird, dadurch gekennzeichnet, daß die dem Reaktor zugeführte Tertiärluftmenge in Abhängigkeit der Füllhöhe der Abfallstoffe und/oder der Temperatur im Reaktor geregelt wird."

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein. Als Einspruchsgrund wurde mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ) geltend gemacht. Die Einwände wurden durch drei Entgegenhaltungen gestützt, wovon folgende für diese Entscheidung relevant sind:

D1: EP-A-0 141 932

D3: DE-A-3 012 167.

III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückgewiesen. In der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, daß weder D1 noch D3 einen Vergasungsreaktor, dessen Tertiärluftzufuhr gesteuert werde, offenbarten und, daß durch die Regelung gemäß Streitpatent überraschender Weise etwa 40% des gesamten Brennstoffbedarfs der Zementklinkeranlage durch Abfallstoffe gedeckt werden könne.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerdebegründung wurde eine neue Entgegenhaltung

D4: Müll und Abfall, Fachzeitschrift für Behandlung und Beseitigung von Abfällen, Heft 3 (März 1992), Seiten 141-143,

eingereicht.

In der Beschwerdebegründung wurde den in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gründen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit widersprochen. Die im schriftlichen Verfahren und während der am 31. August 2004 durchgeführten mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden.

Eine Vorrichtung gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 sei aus D3 bekannt. Es sei selbstverständlich, daß bei einem Vergasungsreaktor die Luftzufuhr in Abhängigkeit der zu vergasenden Menge an Müll geregelt werde. Ohne Regelung würde die Gefahr einer Vollverbrennung entstehen. Das Gewerbeaufsichtsamt würde einen ungeregelten Vergasungsreaktor, wobei giftiges Kohlenstoffmonoxid gebildet werde, auch nicht genehmigen. Die Regelung der Tertiärluftzufuhr gehe auch aus Anspruch 8, dem die Seiten 15 und 16 überbrückenden Absatz und der Seite 30, erster Absatz der D3 hervor. Die Regelung der Luftzufuhr in Abhängigkeit der Temperatur in einem Vergasungsreaktor zur Vergasung von Abfallstoffen sei weiter aus D4 bekannt und es sei naheliegend, zur Optimierung der Vergasung, den Vergasungsreaktor gemäß D3 auf ähnliche Weise zu betreiben. Der Zeitraum von 15 Jahren zwischen der Publikation der D1 und der Erfindung deute nicht auf eine erfinderische Tätigkeit hin, sondern habe einen umweltpolitischen Hintergrund. Der Einsatz größerer Mengen an Müll bei der Zementherstellung sei durch die Genehmigungsbehörde lange Zeit abgelehnt worden und der dabei hergestellte Zement "Müllzement" sei von der Kundschaft auch nicht abgenommen worden. Erst ab 1995 sei es möglich gewesen größere Mengen an Müll bei der Zementherstellung zu verwerten. Weiter sei aus der D1, parallel zu einer Zementklinkeranlage, eine Müllverbrennungsanlage bekannt, wobei der Müll durch Tertiärluft aus der Zementanlage verbrannt werde und die dabei erzeugten Rauchgase in den Calcinator der Zementklinkeranlage geführt werden. Die Tertiärluftmenge werde dabei in Abhängigkeit der Temperatur der Rauchgase aus dem Verbrennungsofen geregelt. Die Temperatur der Rauchgase sei eine Indikation für die Temperatur im Verbrennungsofen. In D1 sei auch die Teilverbrennung angesprochen worden. Es sei also naheliegend der Verbrennungsofen durch einen Vergasungsreaktor zu ersetzen und dabei auch die Tertiärluftzufuhr in Abhängigkeit der Temperatur im Vergasungsreaktor zu regeln.

V. Die Beschwerdegegnerin hat die Argumente der Beschwerdeführerin zurückgewiesen und geltend gemacht, das verspätet vorgebrachte Dokument D4 sei nicht relevant und daher nicht zu berücksichtigen. In Bezug auf D3 wurde ausgeführt, daß eine Regelung der Tertiärluft zum Vergasungsreaktor nicht vorgesehen sei und wegen des breiten Temperaturfensters für den Betrieb eines Vergasungsreaktors auch nicht notwendig sei. Auch sei das angebliche Vorurteil gegen "Müllzement" nicht belegt. Um einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen, sei eine hohe Temperatur im Vergasungsreaktor notwendig, jedoch dürfe bei der Reifenvergasung die Temperatur nicht zu hoch sein, weil sonst die Drahtgeflechte aus den Altreifen mit einander verschmelzen und dann den Ausgang des Reaktors verstopfen könnten. Deswegen werde erfindungsgemäß die Temperatur im Reaktor gemessen und geregelt. D1 offenbare keinen Vergasungsreaktor und es werden gemäß D1 auch keine brennbaren Gase aus dem Müll in den Calcinator geführt. Im Laufe des Verfahrens wurden auch zwei Hilfsanträge eingereicht.

VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 764 614.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 und 8 gemäß eines der beiden Hilfsanträge, eingegangen am 9. Januar 2004 bzw. am 29. Juli 2004 und der erteilten abhängigen Ansprüche.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Den nächstliegenden Stand der Technik bildet D3. Diese Entgegenhaltung, die auch in der Patentschrift gewürdigt wurde, offenbart eine Anlage zur Herstellung von Zementklinker aus Zementrohmaterial, die unbestritten alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweist. Gemäß Anspruch 8 der D3 wird ein Teil des brennbaren Materials in der Wärme-Aufschließungszone (Vergasungsreaktor) verbrannt. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, daß die Verbrennung durch eine Regelung des Tertiärluftstromes gesteuert wird. Auch die Angabe auf Seiten 15 und 16 (handschriftliche Numerierung) der D3, wonach ein anderer Teil der Abluft aus der Kühlzone in die Aufschließungszone geführt werden kann, um die Aufschließung des brennbaren Materials zu fördern, wobei ein Teil des brennbaren Materials verbrannt werden kann, um die Aufschließung zu beschleunigen, bedeutet nicht, daß die Menge der der Aufschließungszone zugeführten Abluft in Abhängigkeit von Reaktionsparametern gesteuert wird. Auf Seite 30 (Zeilen 1- 6) der D3 ist offenbart, daß ein Teil der in der Aufschließungskammer befindlichen Gasmischung nur das brennbare Material aufschließen, jedoch auch ein Teil des brennbaren Materials zur Beschleunigung der Aufschließung verbrennen kann. Eine Steuerung der Abluftmenge geht aus dieser Angabe auch nicht hervor. Letztere Angabe bezieht sich auf die Ausführung gemäß Figur 4 der D3. Dabei wird die Abluft aus der Kühlkammer (Tertiärluft) in einer Mischkammer mit dem Abgas aus dem Brennofen gemischt und ein Teil dieses Gemisches wird in die Zersetzungskammer (Aufschließungskammer) eingeführt (Seite 29). Abhängig vom Sauerstoffgehalt dieser Mischung und Art des brennbaren Materials findet dann in der Aufschließungskammer eine Zersetzung ohne Verbrennung oder mit Teilverbrennung des Materials statt. Eine Steuerung der Tertiärluftmenge findet nicht statt; gemäß Figur 4 wird die in die Anlage geführte Tertiärluft vollständig, und ohne Regelung in Abhängigkeit der Betriebsbedingungen in der Zersetzungskammer, in die Mischkammer geführt. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, D3 offenbare auch eine Regelung der Tertiärluftzufuhr zum Vergasungsreaktor, kann die Kammer deswegen nicht folgen. Eine Steuerung der dem Vergasungsreaktor zugeführten Tertiärluft in Abhängigkeit von der Füllhöhe der Abfallstoffe und/oder der Temperatur im Reaktor gemäß den Ansprüchen 1 und 8 des Streitpatents ist also nicht in D3 offenbart. Der Gegenstand des Patents ist daher neu.

3. Nach Angabe im Streitpatent war bei der bisherigen Verbrennungstechnik der Anteil an Abfallstoffen, insbesondere Altreifen, bei der Zementklinkerherstellung auf etwa 10% des Gesamtbrennstoffes beschränkt (Spalte 1, Zeilen 7-21). Nach Aussage der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung gilt diese Beschränkung auch für die Verfahren gemäß D3. Dieser Sachverhalt wurde nicht bestritten. Nach Angabe im Streitpatent kann mit der beanspruchten Anlage und dem beanspruchten Verfahren der Anteil an Abfallstoffen (insbesondere Altreifen) auf etwa 40% des gesamten Brennstoffs erhöht werden (Spalte 1, Zeilen 48-58). Ausgehend von D3 kann die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, eine Anlage und ein Verfahren zur Herstellung von Zementklinker bereitzustellen, wobei ein höherer Anteil an Abfallstoffen, insbesondere Altreifen, verwertet werden kann. Gemäß den Ansprüchen 1 und 8 wird vorgeschlagen, diese Aufgabe durch die Steuerung der dem Vergasungsreaktor zugeführten Tertiärluftmenge in Abhängigkeit von der Füllhöhe der Abfallstoffe und/oder der Temperatur im Reaktor zu lösen. Die Kammer verkennt nicht, daß der Anteil an Abfallstoffen nicht nur durch die besagte Steuerung erhöht wird, sondern daß es auch darauf ankommt wie gesteuert wird und wie groß die Kapazität des Vergasungsreaktors ist. Das Vorhandensein einer Einrichtung zur Steuerung gemäß Anspruch 1 ist jedoch eine Voraussetzung, um den Betrieb des Reaktors zu optimieren. Die Kammer sieht deswegen einen direkten Zusammenhang zwischen der Steuerung gemäß Anspruch 1 bzw. Anspruch 8 und die Erhöhung des Anteils an Abfallstoffen beim Brennstoffverbrauch für die Zementklinkerherstellung. Dies geht ebenfalls aus dem Streitpatent hervor (Spalte 1, Zeilen 50-58). Es ist daher glaubhaft, daß durch die Maßnahmen gemäß Anspruch 1 und 8 die genannte Aufgabe tatsächlich gelöst wird.

4. D3 liefert für die beanspruchte Lösung keinen Hinweis. Die einzige Steuerung, die in D3 angesprochen wird ist eine intermittierende Förderung des brennbaren Materials in Abhängigkeit von der Temperatur des Teiles der Vorwärm- oder Kalzinierungszone, in der das Brenngas verbrannt wird (Seite 16, dritter Absatz). Eine Steuerung der Tertiärluftmenge wird nicht angeregt. Die Kammer kann sich der Meinung der Beschwerdeführerin nicht anschließen, daß eine Steuerung der Tertiärluftmenge in Abhängigkeit der Füllhöhe der Abfallstoffe (Abfallmenge) geradezu zwangsläufig ist, um zu vermeiden, daß bei der Verbrennung nur Rauchgas und kein Brenngas erzeugt wird. Wieviel Sauerstoff tatsächlich in die Aufschließungskammer gemäß D3 gelangt, hängt von der Gesamtkonstruktion der Anlage ab, insbesondere von der Verteilung der Abluft über Aufschließungskammer und Calcinator (Figur 6) oder von Abluftmenge und Mischungsgrad in der Mischkammer (Figur 4). Die Vorrichtungen gemäß Figur 4 und 6 können ohne weiteres so ausgestaltet sein, daß es auch bei einer geringen Füllhöhe nicht zu einer Totalverbrennung kommt. Auch das Argument, daß das bei der Teilverbrennung gebildete giftige Kohlenstoffmonoxid die Überwachung und Steuerung des Vergasungsreaktors notwendig mache, zieht nicht, weil das Kohlenstoffmonoxid im Calcinator mit der restlichen Tertiärluft zu Kohlenstoffdioxid weiter verbrannt wird. Das Argument der Beschwerdegegnerin, daß die Vergasungsreaktion, wie in D3 beschrieben, in einem sehr breiten Temperaturbereich ablaufe und deswegen eine genaue Überwachung der Temperatur in der Aufschließungskammer und eine Regelung der Luftzufuhr in Abhängigkeit der Temperatur in der besagten Kammer nicht zwingend seien, ist plausibel.

5. Um zu zeigen, daß es bei der Vergasung von Müll zum Stand der Technik gehört die Luftzufuhr in Abhängigkeit der Temperatur im Vergasungsreaktor zu regeln, hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung auf das Dokument D4 hingewiesen. Das Vorlegen dieses Dokuments zu diesem Zeitpunkt kann als frühest mögliche Antwort auf die Feststellung in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, daß keine Dokumente beweisen, daß die beanspruchte Meß- und Steuerungsregelung bei Vergasungsanlagen allgemein bekannt sei, betrachtet werden. Die Kammer betrachtet daher D4 nicht als ein verspätet vorgebrachtes Dokument und hat es bei ihren Überlegungen berücksichtigt. Es wurde auch von den Parteien eingehend gewürdigt.

6. D4 betrifft die schadstofffreie Verbrennung von Abfällen, insbesondere Krankenhausabfällen, in Kleinanlagen (Seite 141, Titel und letzter Absatz). Die Anlage besteht aus einer Schwelkammer, in der die Abfälle durch Wärme, die durch eine unvollständige Verbrennung (infolge Luftunterschuß) erzeugt wird, in Schwelgase umgewandelt werden, einem Schwelgasreaktor, in dem die Schwelgase mit einem geregelten Luftüberschuß verbrannt werden, und einem Wärmetauscher zur Warmwassererzeugung (Seite 142, letzter Absatz). Die Abfälle werden in der Schwelkammer getrocknet, erhitzt und die flüchtigen Bestandteile ausgetrieben. Dieser Prozeß erfolgt bei 300-800°C durch Zufuhr von wenig Luft mittels eines Gebläses über eine Düsenplatte. Die Zufuhr der Luft wird in Abhängigkeit von der Temperatur stetig geregelt (Seite 143, Punkt 1.1). D4 liegt also nicht auf dem technischen Gebiet der Herstellung von Zementklinker und die beschriebene Anlage hat ganz andere Dimensionen als Anlagen die für die Zementklinkerherstellung benötigt werden. Das vorrangige Ziel der D4 ist die thermische Behandlung von Abfällen mit Emissionskonzentrationen, die auch die strengsten Luftreinhaltevorschriften entsprechen (Seite 141, letzter Absatz). Für die Lösung der Aufgabe, den Anteil an Müllbrennstoff bei der Zementklinkerherstellung zu erhöhen, kann D4 daher keine Anregung geben.

7. Auf dem gleichen technischen Gebiet wie die Erfindung gemäß Streitpatent liegt D1. Sie befaßt sich mit der schadstofffreien Beseitigung von Abfallstoffen durch Verbrennung und offenbart mehrere Ausführungsformen (Figur 1 bis 4). Figur 4 zeigt die Integrierung einer Müllverbrennungsanlage in einer Anlage für die Zementklinkerherstellung. Die heiße Tertiärluft wird dabei teilweise benutzt als Verbrennungsluft für den Müllverbrennungsofen und die Rauchgase aus diesem Ofen werden in den Calcinator geführt. In der Rauchgasleitung ist eine Meßeinrichtung angeordnet mit der die Temperatur des Rauchgases gemessen wird. Mittels einer Regeleinheit und eines Drosselorgans kann die Zufuhr von Tertiärluft in Abhängigkeit der Temperatur des Rauchgases geregelt werden (Figur 4, Seite 15, Zeile 11 bis Seite 18, Zeile 2). Bei dieser Ausführung wird kein Brenngas erzeugt. Das Argument der Beschwerdeführerin, es lege nahe, die aus D1 bekannte Regelung der Tertiärluft auch beim Verfahren gemäß D3 anzuwenden, überzeugt nicht. Die Regelung gemäß Figur 4 der D1 ist auf eine Vermeidung von Schadstoffen bei der Müllverbrennung zugeschnitten; ein direkter Bezug zur obengenannten Aufgabe ist nicht erkennbar (Seite 4, Zeilen 5-18, Seite 18, Zeilen 16- 26. und Seite 20, Zeilen 12-31). Außerdem würde die Übertragung der besagten Regelung gemäß Figur 4 der D1 in die Anlage aus D3 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 8 führen, da in D1 die Steuerung in Abhängigkeit der Temperatur des Rauchgases in der Rauchgasleitung durchgeführt wird. Die Beschwerdeführerin hat überzeugend geltend gemacht, daß es wegen der ungleichen Temperaturverteilung im Vergasungsreaktor wichtig ist, daß die Temperaturmessung zur Steuerung der Tertiärluftzufuhr im Reaktor selbst durchgeführt wird. Die Temperaturmessung der Reaktorabgase liefert keine ausreichend genaue Information über die Temperatur in den kritischen Bereichen des Reaktors.

8. D1 erwähnt auch die Müllbeseitigung durch Trockendestillation in Kombination mit einem Zement- Brennprozeß. Dabei wird in einer Pyrolysekammer unter Sauerstoffmangel Müll erhitzt, wobei ein Brenngas (Schwelgas) erzeugt wird, das teilweise genutzt wird, um die Trockendestillation im Gang zu halten; der Überschuß wird zur Brennstation geführt (Anspruch 17, Figur 3, Seite 12, Zeilen 14-29 sowie Seite 14, Zeile 30 bis Seite 15, Zeile 9). Bei der Trockendestillation wird weder Tertiärluft gebraucht noch wird das Brenngas in den Calcinator geführt. Von einer Regelung der Gasströme ist bei dieser Ausführung überhaupt keine Rede. Die Verfahren gemäß Figur 3 und Figur 4 sind derart unterschiedlich, daß eine Kombination nicht nahegelegen haben kann. Weil in keinem dieser Verfahren eine Teilverbrennung stattfindet, würde eine derartige Kombination auch nicht zum Gegenstand des Streitpatents führen. Da einerseits eine Teilverbrennung in D1 nicht angeregt wird, und andererseits D4 auf einem anderen technischen Gebiet liegt und sich nicht mit der Problematik der Zementklinkerherstellung, sondern mit der umweltverträglichen Beseitigung von Müll in Kleinanlagen befaßt, beruht nach Auffassung der Kammer die Argumentation der Beschwerdeführerin bezüglich der Kombination von D1 mit der Lehre aus D4 auf einer rückschauenden Betrachtungsweise des Falles.

9. Die übrigen im Einspruchsverfahren zitierten Dokumente geben für den Gegenstand des Streitpatents ebenfalls keinen Hinweis. Weil sie im Beschwerdeverfahren keine Rolle mehr gespielt haben, braucht hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden.

10. Auch die relativ lange Zeit von 15 Jahren zwischen dem Prioritätsdatum des Streitpatents (22. September 1995) und der Veröffentlichung der D3 (16 Oktober 1980) ist ein zusätzliches Indiz dafür, daß die dem Streitpatent zugrundeliegende Erfindung nicht nahegelegen hat. Für das erst während der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument, daß in der Fachwelt und bei den zuständigen Genehmigungsbehörden ein Vorurteil gegen die Verwendung größerer Mengen an Müll bei der Herstellung von Zementklinker bestanden habe, und dieses Vorurteil erst kurz vor dem Prioritätsdatum überwunden worden sei, wurden keine Beweismittel vorgelegt. Dieser Sachverhalt wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten. Unter diesen Umständen muß dieses Argument unberücksichtigt bleiben.

11. Aus alledem folgt, daß die Anlage gemäß Anspruch 1 und das Verfahren gemäß Anspruch 8 des Streitpatents nicht nur neu sind sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Dies gilt durch ihre Rückbezogenheit auf die Ansprüche 1 oder 8. gleichermaßen für die abhängigen Unteransprüche 2 bis 7 und 9. und 10 des Streitpatents.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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