T 0439/02 () of 4.12.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T043902.20031204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2003
Aktenzeichen: T 0439/02
Anmeldenummer: 94100838.5
IPC-Klasse: F16L 9/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 29 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung von Sperrschichtkunststoffen als Festigkeitsträger in Kraftfahrzeugrohrleitungen
Name des Anmelders: Technoflow Fuel-Systems GmbH
Name des Einsprechenden: Degussa AG Intellectual Property Management Standort Marl
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die am 5. März 2002 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung mit der das Patent EP 0 617 219 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, die am 3. Mai 2002 eingegangene Beschwerde unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 5. Juli 2002 eingegangen.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52 (1) und 56 EPÜ angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß dem Antrag vom 3. April 2000 nicht entgegenstünden.

Sie hat insbesondere folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:

E2: DE-A-40 01 125

III. Am 4. Dezember 2003 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in der von der Einspruchsabteilung gebilligten Fassung aufrecht zu erhalten.

IV. Die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung des unabhängigen Anspruchs 1 lautet wie folgt:

"1. Kraftfahrzeugrohrleitung mit einer durch Koextrusion erzeugten Laminatverbundgesamtheit (1), welche Laminatverbundgesamtheit (1) ausschließlich Laminatfilme (2)aufweist, die aus Sperrschichtkunststoffen bestehen, wobei alle Laminatfilme (1) durch zwischengeschaltete Haftvermittlerfilme (3) in Verbindung gebracht sind, wobei die Dicke aller Laminatfilme (1) geringer als 0,2 mm ist, und die Dicke der Haftvermittlerfilme (3) geringer ist als die Dicke der Laminatfilme (1) ist, und wobei als Sperrschichtkunststoffe solche der Gruppe Copolymer aus Ethylen/Vinylalkohol, Polyvinylidenchlorid, Polyethylen, Polypropylen, Polybuten, Polymethylpenten, Polyoxymethylen, Polybutylenterephthalat, Polyethylenterephtalat, Polyvinylidenfluorid, Copolymer aus Tetrafluorethylen/Hexafluorpropylen, Copolymer aus Ethylen/Tetrafluorethylen, Copolymer aus Ethylcellulose/Tetrafluorethylen, Perfluoro-Alkoxyalkan oder kompatible Mischungen davon, eingesetzt sind."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Durch die Unterscheidung zwischen "Sperrschichten" und "Haftvermittlerfilme" sei eine künstliche Nomenklatur von der Patentinhaberin verwendet, die nicht in der Lage sei, Neuheit gegenüber der E2 zu schaffen, denn es komme nicht auf die funktionelle Bezeichnung der Schichten an, sondern auf die Materialien aus denen sie bestehen. Die Materialien der Schichten 5 und 3 der E2 seien Sperrschichtkunststoffe im Sinne der Erfindung und die Zwischenschicht 2 aus Polyamid 6 könne als "Haftvermittlerschicht" bezeichnet werden, weil sie eine chemische Affinität mit den Schichten 3,5 besitze. Weiters sei die E2 von der Einspruchsabteilung unvollständig gewürdigt worden. Offensichtlich sei der Anspruch 3 der E2, wonach die Zwischenschicht 2 eine Dicke von 0,05 bis 0,5 besitze, von der Abteilung übersehen worden. Damit seien Ausführungsbeispiele eingeschlossen, bei denen die "Haftvermittlerschicht" 2 dünner sei als die Sperrschichten 3,5. Folglich sei der Gegenstand des geltenden Anspruch 1 nicht neu gegenüber E2.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 werde die in der Beschreibungseinleitung zitierte Aufgabe (vgl. Absatz [0005]: Reduzierung der Wanddicke der Fahrzeugrohrleitung) nicht gelöst, denn gemäß dem abhängigen Anspruch 6 könne die Laminatverbundgesamtheit des Anspruchs 1 mit weiteren Schichten beliebiger Dicke vereinigt werden. Mithin stünden der Anspruch 1 und die Absätze [0007] und [0001] der Beschreibung, wonach Sperrschichtkunststoffe als Festigkeitsträger für die Rohrleitung fungieren, zueinander nicht im Einklang, denn die mechanische Festigkeit der beanspruchten Kraftfahrzeugrohrleitung könne durch die im Anspruch 6 zitierten weiteren Schichten und nicht hauptsächlich durch die Sperrschichtkunststoffe der Laminatverbundgesamtheit bestimmt werden. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 somit in einem weiteren Bereich keine Aufgabe löse, beruhe er auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Es sei zwar richtig, daß der Wortlaut des Anspruchs 1 nicht nur Ausführungsformen der Erfindung einschließe, bei denen die Rohrleitung lediglich aus der beanspruchten Laminatverbundgesamtheit bestehe, sondern auch bei denen in Übereinstimmung mit dem abhängigen Anspruch 6 die Laminatverbundgesamtheit nur eine Schicht in der Kraftfahrzeugrohrleitung bilde und mit weiteren Schichten vereinigt werden könne. Diese weiteren Schichten seien jedoch nicht Bestandteil der Laminatverbundgesamtheit sondern der Rohrleitung. Sie seien keine tragenden Schichten und sollen lediglich zusätzliche Funktionen erfüllen. Solche weiteren Schichten könnten beispielsweise aus einer Farbstoffschicht, einer metallischen Erdung oder einer Gewebeschicht bestehen. Da die E2 eine Laminatverbundgesamtheit aufweist, deren Laminatfilme nicht nur aus Sperrschichtkunststoffen bestehen, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber der E2.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Durch Versuche sei überraschend festgestellt worden, daß die beanspruchte Kraftfahrzeugrohrleitung die mechanischen Anforderungen ausreichend erfülle, ohne die üblichen, eine hohe mechanische Festigkeit aufweisenden Festigkeitsträger wie Polyamide, im Laminatverbund einzusetzen.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Die E2 offenbart eine Kraftfahrzeugrohrleitung mit einer durch Koextrusion erzeugten Laminatverbundgesamtheit. Es wurde von der Beschwerdeführerin behauptet, daß die durch den Wortlaut des Anspruchs 1 definierte Laminatverbundgesamtheit von der E2 vorweggenommen sei. Bei der Beurteilung der Neuheit kommt es zuerst auf den Sinngehalt des Begriffs "Laminatverbundgesamtheit" an. Diese Wortschöpfung scheint kein allgemein bekannter technischer Begriff zu sein, zumindest ist sie der Kammer nicht geläufig. Bei der Bestimmung dieses Begriffs ist die Patentschrift maßgebend und so zu deuten, wie ihn der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht.

Laut Absatz [0005] der Patentschrift liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Kraftfahrzeugrohrleitung in werkstoffmäßiger Hinsicht so zu vereinfachen, daß eine Reduzierung der Wanddicke möglich ist.

Entsprechend den Angaben des Anspruches 1 und in Übereinstimmung mit den Absätzen [0007] und [0001] der Patentschrift beruht die Lösung dieser Aufgabe auf der ausschließlichen Verwendung von Sperrschichtkunststoffen in den durch Koextrusion erzeugten, eine Laminatverbundgesamtheit bildenden Laminatfilmen. Die Laminatfilme sind dünner als 0,2 mm und sind durch noch dünnere Haftvermittlerfilme in Verbund gebracht. Die Sperrschichtkunststoffe werden in Verbindung mit den Haftvermittlern als Festigkeitsträger in der Kraftfahrzeugrohrleitung eingesetzt.

Da man Normalerweise von einem "Laminatverbund" spricht, muß davon ausgegangen werden, daß durch die Hinzufügung von "Gesamtheit" eine Einschränkung beabsichtigt wurde und zwar dahingehend, daß der Laminatverbund nur aus Schichten entsprechend den Angaben des Anspruchs 1 besteht und keinen anderen. Nicht nur ist eine solche Auslegung mit den in der Beschreibungseinleitung zitierten Aufgabestellung und Lösung in Einklang zu bringen, vielmehr ist diese Auslegung die einzig sinnvolle. Es ist daher in Verbindung mit einem Neuheitseinwand nicht zulässig, drei benachbarte Schichten eines aus einer größeren Anzahl von Schichten bestehenden Laminatverbundes herauszulösen und als nicht Bestandteil der Gesamtheit gesondert zu betrachten.

Der abhängige Anspruch 6, wonach die Laminatverbundgesamtheit zumindest eine Schicht in der Kraftfahrzeugrohrleitung bildet und mit weiteren Schichten vereinigt werden kann, ändert nichts an dieser Feststellung. Unter diesen "weiteren Schichten" sind keine tragende Schichten zu verstehen, die Bestandteil der Laminatverbundgesamtheit sind, sondern zusätzliche Schichten, die lediglich zusätzliche Funktionen erfüllen. Diese Auslegung stimmt auch mit dem Inhalt der Patentschrift überein, insbesondere mit dem Absatz [0011] der Patentschrift, der wie folgt lautet: "Im Rahmen der Erfindung kann die Wandung der gesamten Rohrleitung als Laminatverbundgesamtheit ausgeführt sein. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Aufbau so vorzunehmen, daß die Laminatverbundgesamtheit lediglich eine Schicht (oder deren mehrere) in der Kraftfahrzeugrohrleitung bildet und mit weiteren Schichten vereinigt ist, die nicht als Laminatverbundgesamtheiten aufgebaut sind und zusätzliche Funktionen erfüllen." (Fettdruck durch die Kammer hervorgehoben).

Die Wandung der in der E2 offenbarten Kraftfahrzeugrohrleitung ist als Laminatverbundgesamtheit bestehend aus fünf Schichten ausgeführt. Die Außenschicht 1, Zwischenschicht 2 und Innenschicht 4 sind aus Polyamid. Zwischen der Außenschicht und der Zwischenschicht liegt eine Haftvermittlerschicht 5 aus Polyethylen oder Polypropylen und zwischen der Zwischenschicht und der Innenschicht liegt eine Lösungsinhibitorschicht 3 aus EVA-Copolymer. Polyamid ist keiner der Sperrschichtkunststoffe, die im Anspruch 1 aufgelistet sind. Da die E2 eine Laminatverbundgesamtheit beschreibt, deren Laminatfilme nicht nur aus Sperrschichtkunststoffen bestehen, ist die E2 allein aus diesem Grund nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1.

Darüber hinaus ist festzuhalten, daß die Schichtfolge 5,2,3 aus der Wandung der bekannten Rohrleitung, welche Schichtfolge die Beschwerdeführerin unzutreffenderweise als "Laminatverbundgesamtheit" ansieht, ohnehin die Erfordernisse des Anspruchs 1 bezüglich der Schichtdicke nicht erfüllt. Insbesondere lehrt die E2 nicht, wie beansprucht, daß die Dicke der Polyamidzwischenschicht 2 (die nach der Auslegung der Beschwerdeführerin eine Haftvermittlerschicht darstellt) geringer ist als die Dicke der Schichten 5 und 3. Hier beruft sich die Beschwerdeführerin auf den Anspruch 3 der E2, wonach die Zwischenschicht eine Dicke von 0,05 bis 0,5 mm besitzt und vergleicht die Untergrenze dieses Dickenbereiches mit den jeweiligen Obergrenzen der angegebenen Dickenbereiche für die Schicht 5, d. h. 0,05 bis 0,2 mm, vgl. z. B. den Anspruch 7, und für die Schicht 3, d. h. 0,1 bis 0,2 mm, vgl. z. B. den Anspruch 5. Die Angabe im Anspruch 3 der E2 steht aber im klaren Widerspruch zu der Beschreibung, wonach die Außenschicht 1. und Zwischenschicht 2 eine Dicke von 2 bis 7 mm aufweisen und die Innenschicht 4 beachtlich dünner eingestellt ist, mit einer Dicke von 0,1 bis 0,3 mm (Spalte 2, Zeilen 27-30 und Spalte 3, Zeilen 3 bis 7). Auch die Haftvermittlerschicht 5 ist gegenüber den Innen- und Außenschichten als "dünn" bezeichnet (vgl. Spalte 2, Zeilen 65 bis 68). Angesichts der Tatsache, daß die Angaben der Beschreibung mit den aus der einzigen Figur ersichtlichen Schichtdicken übereinstimmen, erkennt der Fachmann die Angabe im Anspruch 3 der E2 als fehlerhaft. Abgesehen von dieser fehlerhaften Angabe ist die eindeutige Lehre der E2, die Schicht 2 dicker auszubilden als die Schichten 5 und 3, und nicht umgekehrt, wie der vorliegende Anspruch 1 es verlangt.

Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit ist auch nicht ersichtlich, wieso ausgehend von der E2 der Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 hätte gelangen können. Es gibt keinen Grund, ausgehend von der E2 die aus Polyamid bestehenden Kunststoffschichten durch Sperrkunststoffschichten zu ersetzen. Polyamide werden wegen ihrer hohen mechanischen Festigkeit als Festigkeitsträger in diesem bekannten Laminatverbund eingesetzt. Bisher sind Sperrschichtkunststoffe alleine als nicht geeignet erachtet worden, die Anforderungen hinsichtlich Zugfestigkeit, Biegefestigkeit, Zähigkeit und Sprödigkeit zu erfüllen. Es war in der Praxis üblich, Kraftfahrzeugrohrleitungen aus einem Verbund von Schichten aus den unterschiedlichen Kunststoffarten herzustellen, um einerseits die mechanische Festigkeit sicherzustellen und andererseits die Sperrwirkung zu gewährleisten. Die aus der E2 bekannte Kraftfahrzeugrohrleitung weicht von diesem Prinzip nicht ab.

Es ist überraschend festgestellt worden, daß die beanspruchte Kraftfahrzeugrohrleitung die mechanischen Anforderungen ausreichend erfülle, ohne die üblichen, eine hohe mechanische Festigkeit aufweisenden Festigkeitsträger, wie Polyamide, in dem Laminatverbund einzusetzen. Die ausschließliche Verwendung von Sperrschichtkunststoffen als Festigkeitsträger in der Laminatverbundgesamtheit ist im vorliegenden Stand der Technik ohne Vorbild.

Somit kommt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation