T 0235/02 () of 27.11.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T023502.20031127
Datum der Entscheidung: 27 November 2003
Aktenzeichen: T 0235/02
Anmeldenummer: 95112678.8
IPC-Klasse: E05F 15/10
B60J 7/057
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Motor-Getriebe-Antriebseinheit mit durch eine Notbetätigung auskuppelbarer Getriebeübertragung
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: KIEKERT AKTIENGESELLSCHAFT
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 14. Februar 2002 zur Post gegebene Entscheidung einer Einspruchsabteilung, die das Patent EP-B-0 759 495 wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die folgenden Entgegenhaltungen widerrufen hat:

D1: EP-B-0 410 487

D8: Auszug aus Lueger "Lexikon der Technik", Bd. 11 "Grundlagen des Maschinenbaues", Deutsche Verlags- Anstalt Stuttgart, 1960, Seiten 459 bis 466.

D9: "Stirnzahnungen", Seiten 21 bis 24, Der Maschinenmarkt, Nr. 38 vom 22. Juli 1955.

Die Patentinhaberin, nachfolgend Beschwerdeführerin, hat am 26. Februar 2002 mit gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 17. Mai 2002 eingegangen.

II. In einem zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Bescheid hat die Kammer auf eine weitere Entgegenhaltung hingewiesen, nämlich:

D10: A. Schalitz,"Kupplungs-Atlas...", 4. Auflage, A.G.T.- Verlag G. Thum, Ludwigsburg, 1975, Seiten 6 und 7.

Während der mündlichen Verhandlung, die am 27. November 2003 stattgefunden hat, hat die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents wie erteilt beantragt, hilfsweise auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruchs 1.

III. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"Motor-Getriebe-Antriebseinheit mit durch eine Notbetätigung auskuppelbarer Getriebeübertragung zu einer Abtriebswelle (1), insbesondere für ein Schiebedach in einem Kraftfahrzeug, mit den Merkmalen:

a) die Abtriebswelle (1) steht über eine axial verschiebbare erste Kupplungsverbindung (1.2;2.2) in dauernder Drehmitnahmeverbindung zu einer Antriebswelle (2);

b) die Antriebswelle (2) steht über eine bei Notbetätigung durch ihre axiale Verschiebung lösbare zweite Kupplungsverbindung (2.1;6.1 bzw.2.1;3.1) in Drehmitnahmeverbindung mit einem Abtriebszahnrad (3) des Getriebes;

c) die zweite Kupplungsverbindung ist nach Art einer Kegelradverzahnung mit in schrägem Winkel zu der axialen Verschiebung verlaufenden Zahnflanken (2.1,3.1 bzw.2.1;6.1) ausgebildet."

IV. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:

Ausgehend von der aus D1 bekannten Antriebseinheit, die eine zweite Kupplungsverbindung in Form einer Keilwellenverbindung mit sechskantigem Querschnitt aufweise, unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents durch das Merkmal c). Dadurch werde eine kompaktere Gestaltung der Einheit erreicht. Die Entgegenhaltungen D8 und D9 beträfen ausschließlich Stirnzahnkupplungen. Bei einer Kegelzahnkupplung handele es sich nicht um eine Stirnzahnkupplung, wie dies durch D10 bestätigt werde. Außerdem beschäftige sich keine dieser drei Entgegenhaltungen D8, D9, und D10 mit schaltbaren Kupplungsverbindungen, so daß der Fachmann auf der Suche nach kompakt ausgebildeten schaltbaren Kupplungselementen nicht zu in diesen Dokumenten dargestellten Kupplungen geführt werde.

V. Die Einsprechende, nachfolgend Beschwerdegegnerin, hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und diesen Antrag im wesentlichen auf die folgenden Gründe gestützt:

Die Entgegenhaltungen D8 und D9 befaßten sich mit der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe des Streitpatents, eine gute Drehmomentübertragung bei geringer Baugröße der Kupplung darstellen zu können, siehe D8, Seite 652, der Absatz unmittelbar unter dem Bild 1, und D9, Seite 23, Absatz c) und Seite 21, linke Spalte, zweiter Absatz, in welchem ferner eine Keilwellenverbindung - wie diese bei der Antriebseinheit nach D1 verwendet werde- als nachteilig angegeben sei. In D8 und D9 würden Hirth-Stirnverzahnungen als Lösung vorgeschlagen, und insbesondere in D9, auf Seite 21, Mitte, werde darauf hingewiesen, daß beide Kupplungshälften keglig verzahnt bzw. mit einer oder beiden kegligen Stirnfläche(n) versehen sein könnten (Abbildung 3 der D9). Dies entspreche einer Kegelradverzahnung im Sinne des Streitpatents, vgl. insbesondere seine Figur 4, bei welcher jede Kupplungshälfte an ihrer Stirnfläche eine Kegelform aufweise. Der Ausdruck "nach Art einer Kegelradverzahnung" deute nur an, daß die Verzahnung ähnlich wie eine Kegelverzahnung arbeite, und somit Stirnverzahnungen mit kegliger Stirnfläche umfasse. Selbst wenn ein Unterschied zwischen Stirnverzahnungen und Kegelradverzahnungen gesehen würde, zeige D10, daß diese zwei Arten von Verzahnungen gleichwertig seien und beliebig untereinander ausgetauscht werden könnten. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei deshalb nahegelegt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag der Beschwerdeführerin (Anspruch 1 wie erteilt)

2. Keine der zitierten Entgegenhaltungen nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 vollständig vorweg. Damit gilt dieser Gegenstand als neu im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ.

3. Unstreitig wird zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von der D1 ausgegangen, die eine Motor-Getriebe- Antriebseinheit mit einem handkurbelbetreibbaren Notantrieb für Schiebedächer von Kraftfahrzeugen offenbart. Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Patentgegenstand durch das Merkmal c) des erteilten Anspruchs 1, d. h. dadurch daß die zweite Kupplungsverbindung nach Art einer Kegelradverzahnung ausgebildet ist, statt nach Art einer Keilwellenverbindung. Es wurde nicht bestritten, daß durch diese Lösung die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe des Streitpatents, eine kompaktere Einheit mit einer sicheren Drehmomentübertragung zu schaffen, gelöst wird.

4. Gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit hat die Beschwerdegegnerin im wesentlichen mit den Entgegenhaltungen D8 und D9 argumentiert, die lediglich Stirnzahnkupplungen offenbaren, von denen einige eine keglige Stirnfläche aufweisen. Die Beschwerdegegnerin hat angegeben, daß im Hinblick auf die Offenbarung dieser beiden Dokumente die Kernfrage für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist, ob eine Stirnzahnkupplung mit kegliger Verzahnung eine "Art von Kegelradverzahnung" im Sinne des Streitpatents darstellt. Deshalb ist es notwendig zu sehen, was unter dem Ausdruck "Art von Kegelradverzahnung" im Sinne des Streitpatents zu verstehen ist.

5. Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin erklärt, daß bei einer Kegelradverzahnung im Sinne des Streitpatents, insbesondere im Hinblick auf die Figuren 1 und 4, zumindest ein Teil des Grundkörpers des Kegelrads als ein Kegel ausgebildet sei und daß sich die Zähne auf der Mantelfläche dieses Kegels befänden. Dieser Definition kann sich die Kammer anschließen. Die Kopfkegelwinkel der Zahnspitzen (Zahnköpfe) sowie die Fußkegelwinkel der Zahngründe entsprechen beinahe dem Teilkegelwinkel (Winkel des Kegels um die Radachse, auf den die Zahnteilung bezogen wird, zumeist der "Betriebswälzkegel" der Kegelpaarung von Rädern). Man kann auch sagen, daß die Verlängerungen der Zahnspitzen und der Zahngründe in der Nähe der Teilkegelspitze verlaufen, z. B. parallel zum Teilkegel. Wichtig für eine Kegelradverzahnung ist deshalb das Vorhandensein eines (Teil-) Kegels, dem die Zahnspitzen und die Zahngründe gleichzeitig gewissermaßen folgen. Das bedeutet, daß wenn der Kopfkegelwinkel der Zahnköpfe weniger als 180° ist, auch der Fußkegelwinkel der Zahngründe weniger als 180° sein muß. In gleicher Weise gilt, daß wenn der eine Winkel größer als 180° ist, auch der andere größer sein muß. Die zwei Ausführungsformen nach Figur 1 und 4 des Streitpatents zeigen eine Kegelform des Grundkörpers der Antriebswelle, selbst wenn bei der Ausführungsform nach Figur 4, bei welcher ein Kegelwinkel von etwa 150° vorgesehen ist, der Kegel sich eher auf der Stirnfläche der Welle als auf ihrer Mantelfläche zu befinden scheint. Bei den beiden Ausführungsformen laufen die Zahnspitzen und die Zahngründe parallel zum Teilkegel und bestätigen somit die obenstehende Auslegung des Ausdrucks "nach Art von Kegelradverzahnungen".

6. Dagegen ist bei Stirnverzahnungen nach D8 und D9 das Bild anders: zwar können die Zähne einer Hirth-Stirnverzahnung eine keglige Form aufweisen, bei der z. B. nur die Zahngründe auf einem Kegel liegen, während die Zahnspitzen die ebene Stirnfläche des Rades bilden, oder umgekehrt (Abbildung 3 von D9, Mitte und rechts), jedoch entspricht dies nicht der obigen Auslegung. Auch ist es gemäß der linken Seite der Abbildung 3 von D9 möglich, daß die Zahngründe und Zahnspitzen einer Stirnverzahnung gleichzeitig keglige Schrägflächen aufweisen, jedoch werden die Kegel, auf denen sie jeweils angeordnet sind, in diesem Fall in entgegengesetzten Richtungen angebracht, so daß sie nicht einem gemeinsamen Kegel zugeordnet sind. Bei einer Stirnverzahnung fehlt somit ein gemeinsamer (Teil-)Kegel für die Zahnspitzen und die Zahngründe.

7. Es besteht deshalb ein Unterschied zwischen einer Stirnverzahnung und einer im Sinne des Streitpatents ausgelegten Art einer Kegelradverzahnung. Das Dokument D10 bestätigt auf Seite 7, Absatz e) ausdrücklich diesen Unterschied. Da die Entgegenhaltungen D8 und D9 lediglich die Verwendung von Stirnverzahnungen offenbaren, können sie nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.

8. Es ist richtig, daß das Dokument D10 unter dem Titel "Stirnzahnkupplungen" unmittelbar nach der Beschreibung verschiedener Stirnzahnkupplungen eine Kegelzahnkupplung offenbart. Jedoch sind diese Kupplungsbauarten unter dem Kapitel 1 "Starre Kupplungen" aufgeführt und sind auch als solche beschrieben. Ausgehend von D1 hat der Fachmann, der eine Lösung für eine schaltbare Kupplung sucht, keinen Grund, dieses Kapitel in Betracht zu ziehen, zumal mechanisch betätigte Kupplungen in einem anderen Kapitel, nämlich dem Kapitel 5, dargestellt sind. Kegelverzahnungen sowie Stirnverzahnungen sind in diesem anderen Kapitel nicht erwähnt.

Ausgehend - diesmal - von einer Kombination der Lehren der Entgegenhaltung D1 und D8 bzw. D9, müßte der Fachmann sich darüber im Klaren sein, daß eine Stirnzahnkupplung gemäß D8 bzw. D9 aus welchem Grund auch immer nicht die richtige Lösung ist. Selbst wenn er diesen weiteren Schritt gemacht hätte, würde er, geleitet durch die oben erwähnte Aufgabenstellung, nicht zu der Verwendung einer Kegelverzahnung gelangen, weil ihn keine Entgegenhaltung, einschließlich D10, anregt, eine schaltbare Antriebseinheit gemäß D1 mit einer Kegelradverzahnung auszurüsten, um die Baugröße der Antriebseinheit bei sicherer Drehmomentübertragung zu verringern.

9. Da bei der nach Art einer Kegelradverzahnung ausgebildeten Kupplungsverbindung einer verschiebbaren Antriebswelle mit einer Abtriebswelle gemäß Anspruch 1 die Zahnspitzen und die Zahngründe in nahen schrägen Winkeln zu der axialen Verschiebung der Antriebswelle liegen, ist die axiale Höhe der Zahnflanken geringer als bei einer Stirnverzahnungskupplung, so daß die Länge dieser axialen Verschiebung bzw. der axiale Hub zur Lösung der Kupplungsverbindung kleiner gehalten wird. Es besteht somit ein Vorteil sowohl für die Abmessungen der Antriebseinheit als auch für die für die Notbetätigung erforderliche Axialkraft. Aus diesem Grund kann auch nicht gesagt werden, daß bei der vorliegenden Erfindung eine Kupplungsverbindung nach Art einer Kegelradverzahnung gleichwertig zu bewerten ist wie eine ähnliche, mit Stirnverzahnungen versehene Kupplungsverbindung. Die Verwendung einer Kegelradverzahnung mit diesem Vorteil für eine schaltbare Kupplung ist keiner der zitierten Entgegenhaltungen zu entnehmen.

10. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht mithin auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 14 betreffen besondere Ausführungsformen dieses Gegenstands.

Unter diesen Umständen ist die Prüfung des Hilfsantrags unnötig.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird wie erteilt aufrechterhalten.

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