T 0182/02 () of 27.10.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T018202.20041027
Datum der Entscheidung: 27 October 2004
Aktenzeichen: T 0182/02
Anmeldenummer: 94106797.7
IPC-Klasse: H01R 9/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verteilerleiste
Name des Anmelders: Weidmüller Interface GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: WAGO Kontakttechnik GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0939/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung des Einspruchs gegen europäisches Patent Nr. 634 813 durch die Einspruchsabteilung. Einziger Einspruchsgrund war mangelnde erfinderische Tätigkeit der Gegenstände sämtlicher Ansprüche des Patents.

II. Die Einsprechende, nunmehr Beschwerdeführerin, stützte den Einspruch auf folgende zum Stand der Technik gehörende Dokumente:

D1: US 4 469 128

D2: US 4 322 120.

III. Anspruch 1 des unveränderten Patents (gemäß Hauptantrag), der einzige unabhängige Anspruch, lautet:

"Verteilerleiste mit mehreren, nebeneinander anreihbaren, Stromschienenstücke (4) beinhaltenden Leiteranschlüssen (2) mit Steckkontaktelementen (5), die jeweils eine Steckerlasche (27) und einen Buchsenkontakt (26) beinhalten, wobei jeweils die Steckerlasche (27) zur Querverteilung elektrischer Leistung in den Buchsenkontakt (26) eines benachbarten Stromschienenstückes (4) eingreift, dadurch gekennzeichnet, daß

- ein erster Abschnitt (21) jedes Stromschienenstückes (4) je zwei, sich gegenüberliegende und zentral über ein Verbindungsblech (25) U-förmig miteinander verbundene Federkontaktschenkel (23, 24) aufweist, die an einer Seite des Verbindungsbleches (25) an ihren freien Enden den Buchsenkontakt (26) bilden,

- ein zweiter Abschnitt jedes Stromschienenstückes (4) an der dem Buchsenkontakt (26) gegenüberliegenden Seite des Verbindungsbleches (25) eine Anschlußebene zum Einstecken eines Leiters in den Leiteranschluß (2) bildet, und

- die Anschlußebene, das Verbindungsblech (25) sowie der Buchsenkontakt (26) senkrecht zur Anreihrichtung der Leiteranschlüsse (2) in räumlicher Reihung übereinander angeordnet sind."

IV. Die Argumente der beschwerdeführenden Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Im schriftlichen Verfahren:

Entgegen der Behauptung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, Ziffer 6.2 der Gründe, befasse sich das Dokument D2 mit der Aufgabe der geringen Anreihbreite. In diesem Dokument, in Spalte 2, Zeilen 53/54 werde betont, daß die Leiteranschlußelemente "can be compactly arranged"; ähnliche Hinweise gebe es an anderen (zitierten) Stellen. Der Fachmann würde D2 auch entnehmen, daß die dort offenbarten Leiteranschlußelemente ohne die rückseitigen "connector pins 4" gebaut werden könnten (Spalte 4, Zeilen 2 bis 4), so daß die D2 - Leiteranschlußelemente hinsichtlich der dann noch verbleibenden Bauteile direkt mit den Leiteranschlußelementen des Streitpatents vergleichbar seien.

Die Zusammenschau von D1 and D2 lehre den Fachmann, daß die räumliche Anordnung der Anschlußebene, des Verbindungsbleches und des Buchsenkontaktes variierbar sei und daß die Anreihbreite der mit diesen Bauteilen ausgestatteten Leiteranschlußelemente verringert werden kann, wenn in die Höhe gebaut werde (Anordnungsvariante D2) statt in die Breite (Anordnungsvariante D1).

b) In der mündlichen Verhandlung:

Es wurde seitens der beschwerdeführenden Einsprechenden nicht mehr bestritten, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, da er das erste kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 3 in der von der Prüfungsabteilung erteilten Fassung einschließe. Dieses Merkmal sei unbestreitbar im verfügbaren Stand der Technik nicht zu belegen; es fehle aber im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und ohne dieses Merkmal müsse diesem Anspruchsgegenstand die erfinderische Tätigkeit abgesprochen werden. Gemäß Beschreibungseinleitung des Streitpatents, Spalte 2, Zeilen 22 bis 32 und Zeilen 49 bis 55 werde nämlich die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe dadurch gelöst, daß u. a. die Haupterstreckung der Federkontaktschenkel senkrecht zur Anreihrichtung der Leiteranschlüsse ausgerichtet sei. Dieses Merkmal, das zur Aufgabenlösung wesentlich sei, finde aber seinen Niederschlag erst in Zeilen 2 bis 6 des abhängigen Anspruchs 3. Für den Gegenstand von Anspruch 1 sei jedoch aus der eingereichten Erläuterungsskizze zu D1/D2/Figur 3 des Streitpatents ersichtlich, daß der Fachmann durch eine einfache Variation des aus D2 bekannten Stromschienenstücks das Verbindungsblech am oberen Rand der Federkontaktschenkel, d. h. über dem Buchsenkontakt, anordnen könnte und damit zum Gegenstand dieses Anspruchs gelange ohne dabei die Aufgabe - die Anreihbreite zu minimieren - zu lösen. Da somit eine naheliegende Variante des aus D2 bekannten Stromschienenstücks sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 aufweise, fehle diesem Anspruchsgegenstand die erfinderische Tätigkeit.

V. Die Argumente der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Vorbringen der beschwerdeführenden Einsprechenden unter dem Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit sei in Wahrheit ein Einwand, daß Anspruch 1 des Streitpatents zu breit sei, da nach Auffassung der Beschwerdeführerin ein Merkmal fehle. Dieses Argument sei aber verfehlt, da die Breite des Anspruchs nicht angreifbar sei, solange die erfinderische Tätigkeit gegeben sei; siehe T 939/92 Abl. EPA 1996, 309.

Die von der beschwerdeführenden Einsprechenden eingereichten schematischen Erläuterungsskizzen zu D1/D2/Streitpatent Figur 3 sollten, um Mißverständnissen vorzubeugen, die Bezeichnungen D1' und D2' bekommen, da sie stark abgeänderte Abwandlungen der Verbinder aus den zum Stand der Technik gehörenden Dokumenten D1 (Figur 9) und D2 (Figur 1) darstellten. Ein Argument, das auf diesen in Kenntnis der Erfindung abgewandelten Skizzen beruhe, entspreche von vornherein nicht dem etablierten Aufgabe-und-Lösung-Ansatz zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend vom wahren Stand der Technik gemäß D1 und D2 würde der Fachmann aber nicht ohne erfinderisch tätig zu werden zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

VI. Die beschwerdeführende Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

VII. Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in geändertem Umfang gemäß dem Hilfsantrag vor der Einspruchsabteilung aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Behauptung der beschwerdeführenden Einsprechenden, daß dem Anspruch 1 ein Merkmal fehle, das gemäß der Beschreibung zur Lösung der gestellten Aufgabe wesentlich sei, ist nach Auffassung der Kammer ein Einwand gemäß Artikel 84 EPÜ, was im Einspruchsverfahren nicht zulässig ist; siehe auch T 939/92 ABl. EPA 1996, 309, Ziffer 2.2.2.

3. Die Beschwerdeführerin hat diesen Einwand unter dem Mantel des Einspruchsgrundes der mangelnden erfinderischen Tätigkeit vorgebracht, indem sie eine hypothetisch abgeänderte Form des Moduls des Platinenrandsteckers gemäß D2 als naheliegenden Gegenstand, der unter den Wortlaut des Anspruchs 1 fällt, darstellt. Ein solches Argument - eine Verlagerung der Diskussion der Grenzen des Schutzgegenstands auf das Feld der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit - hat die Züge eines sogenannten "Formstein" oder "Gillette" Einwandes, wie er aus der Rechtsprechung der Vertragstaaten DE und GB im Verletzungsverfahren bekannt ist, mit dem Unterschied, daß im letzteren Fall ein real existierender vermeintlich verletzender Gegenstand vorhanden ist. Im vorliegenden Fall ist das Pendant zur vermeintlichen "Verletzung" ein hypothetischer Gegenstand und die Kammer hat diesem Gedankenexperiment gegenüber Bedenken.

4. In erster Linie ist festzustellen, daß der Ausgangspunkt für die Abänderung - was in der eingereichten Erläuterungsskizze als "D2" bezeichnet wird - nicht Stand der Technik ist. Diese Skizze stellt eine selektive Abstraktion ex post facto dar, wobei ein vermeintliches Konstruktionsprinzip aus dem technischen Zusammenhang eines spezifischen Platinenrandsteckers gemäß D2 abgeleitet wird. Weiter wird dann dem Fachmann unterstellt, daß er - aus nicht näher erklärten Gründen - diese abstrahierte Form abändern würde, um zu einem hypothetischen Gegenstand zu gelangen, der angeblich unter die Anspruchsdefinition fällt.

5. Das Argument, daß sich der Gegenstand des Anspruchs nur durch triviale Abänderungen vom Stand der Technik unterscheide, ist im Rahmen eines Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit selbstverständlich immer legitim. Wenn aber behauptet wird, daß der Fachmann ausgehend vom Stand der Technik eine substantielle Maßnahme ergreifen würde, sollte diese in der Tat vom belegten Stand der Technik ausgehen und im Hinblick auf die objektive technische Aufgabe nachvollziehbar sein. Im vorliegenden konkreten Fall wäre die vorgeschlagene Maßnahme - Anordnung des Verbindungsblechs am oberen Rand der Federkontaktschenkel in der in der eingereichten Erläuterungsskizze dargestellten Orientierung - nicht ohne weitreichende konstruktive Änderungen im Aufbau des in D2 gezeigten Platinenrandsteckers ausführbar. Einer dieser Schritte wurde in der Skizze schon vorweggenommen, indem die das U-förmige Kontaktschenkelpaar (D2, Figur 1, Bezugseichen 6a) enthaltende Ebene als Teilschritt der "Abstraktion" des Konstruktionsprinzips um 90° gedreht wurde. Die gleiche Drehung wurde in der abstrakten Skizzendarstellung "D1" im Bezug auf das Stromschienenstück gemäß Figur 9 von D1 vollzogen.

6. Diese Hinweise sollten genügen, um klarzustellen, warum die Kammer es nicht für angebracht hält, eine weitergehende Analyse der Argumentation der beschwerdeführenden Einsprechenden durchzuführen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was der Fachmann ausgehend von einem rein hypothetischen Gegenstand zur Lösung einer spekulativen Aufgabe unternehmen würde.

7. Das Vorbringen der beschwerdeführenden Einsprechenden vermag deshalb die Kammer nicht zu überzeugen, daß der Fachmann, der sich die Aufgabe der Minimierung der Anreihbreite stellte, ausgehend von dem durch D1 und D2 belegten Stand der Technik durch triviale oder sonst naheliegende Schritte zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gelangen würde. Daher hat das angefochtene Patent angesichts des Einspruchsgrundes mangelnder erfinderischer Tätigkeit Bestand, und dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin ist dementsprechend stattzugeben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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