T 0939/01 () of 24.6.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T093901.20030624
Datum der Entscheidung: 24 Juni 2003
Aktenzeichen: T 0939/01
Anmeldenummer: 95112736.4
IPC-Klasse: B21D 26/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Umformen von Metallblech
Name des Anmelders: SMG Süddeutsche Maschinenbau GmbH, et al
Name des Einsprechenden: Siempelkamp Pressen Systeme GmbH & Co.
Société SOLLAC
Automation, Press and Tooling AP&T AB
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - unzureichende Offenbarung (verneint)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 95 112 736.4 wurde das europäische Patent Nr. 0 704 258 erteilt, dessen Anspruch 1 wie folgt lautet:

"Verfahren zum Umformen von Metallblech, indem eine Platine (8) in der Trennebene (9) zwischen einem Oberwerkzeug (2) und einem Unterwerkzeug (1), von denen eines die Formkontur (7) aufweist, flüssigkeitsdicht eingespannt und durch Einwirken eines hydraulischen Druckmittels auf ihre der Formkontur (7) gegenüberliegende Seite auf die Formkontur aufgeformt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Platine (8) unter gesteuerter Einwirkung des Druckmittels zunächst bis zu einer Dehnung von 10 bis 15% in Richtung auf die Formkontur (7) vorgeformt und anschließend bei anhaltendem Druck unter Nachziehen des Blechs ohne weitere Dehnung bis zum vollständigen Aufliegen auf der Formkontur (7) endgeformt wird."

II. Von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden I) und den weiteren Verfahrensbeteiligten (Einsprechenden II und III) eingelegte Einsprüche waren auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ (Ausführbarkeit) gestützt. Dabei wurden zum Stand der Technik u. a. folgende Druckschriften genannt:

D5: DE-C-1 240 801

D10: SU-A-831270

D12: SAE Technical Paper Series 880365 - "Application of Hydraulic Counterpressure Fluid Forming into Car Body Sheet Metal Forming" - 1988.

Die Einsprüche wurden von der Einspruchsabteilung mit der am 6. Juli 2001 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 8. August 2001 unter gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung ist am 31. Oktober 2001 eingegangen.

Im Beschwerdeverfahren wurde zum Stand der Technik noch zusätzlich u. a. die Druckschriften

D17: Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 1986, Seite 274

D18: Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 1986, Seiten 960, 961

genannt.

IV. Am 24. Juni 2003 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. Die Beschwerdegegnerin und die Einsprechende III waren bei der mündlichen Verhandlung, wie bereits angekündigt, ebenso wie die Einsprechende II nicht anwesend.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Ihr schriftliches und mündliches Vorbringen läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Beim Tiefziehen sei eine bleibende Verformung der Platine nur dann möglich, wenn eine Verformung unter Dehnung stattfindet. Dies sei z. B. aus dem Taschenbuch gemäß D17, Bild 3, ersichtlich, nach dem beim Verformen von Blechen zumindest eine Dehngrenze von 0,2 % überschritten werden muß, um vom elastischen in den plastischen Bereich zu gelangen. Eine Endverformung "ohne weitere Dehnung", wie sie in der zweiten Verformungsstufe nach dem Anspruch 1 des Streitpatents gefordert werde, sei daher grundsätzlich nicht möglich. In den weiteren Unterlagen des Streitpatents sei auch nicht eindeutig erläutert, was unter dem Merkmal "ohne weitere Dehnung" zu verstehen ist. Der Anspruch müsse daher im Sinne seines Wortlauts verstanden werden. Auch die für die erste Verformungsstufe angegebene "Dehnung von 10 bis 15 %" sei nicht nachvollziehbar, da im Streitpatent hierzu keine weiteren Erläuterungen gegeben seien. Der Anspruch 1 des Streitpatents sei aus diesen Gründen nicht ausführbar und verstoße gegen Artikel 100 b) EPÜ.

Ein Verfahren zum Umformen von Metallblech mit den beiden im Anspruch 1 des Streitpatents genannten Verfahrensschritten sei im wesentlichen schon aus der D12 oder der D5 bekannt. Dort sei lediglich der im Anspruch 1 genannte Dehnungsbereich von 10 bis 15 % im ersten Verformungsschritt nicht ausdrücklich genannt. Die beanspruchte Dehnung liege jedoch im üblichen Bereich, wie dies der englischen Kurzbeschreibung (abstract) der D10 zu entnehmen sei. Dort sei eine auf die Oberfläche der Platine bezogene Dehnung "bis zu 35 bis 65 %" angegeben. Wenn man berücksichtige, daß unter dem Begriff Dehnung, wenn nichts näheres angegeben ist, die Längenänderung zu verstehen ist, dann müssten die von der Flächendehnung auf die Längendehnung reduzierten Dehnungswerte aus der D10 im beanspruchten Bereich liegen. Der Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Sie widerspricht in ihrer schriftlichen Beschwerdeerwiderung den Argumenten der Beschwerdeführerin und hält dem Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit entgegen, daß es sich beim hydraulischen Gegendruckziehen nach der D12 um Tiefziehteile mit großer Ziehtiefe, nicht aber um schwach konturierte flache Formteile wie beim Streitpatent handle. Beim Umformen nach der Figur 2c der D12 sei lediglich eine Erhöhung der Dicke der Platine im Randbereich des Stempels angestrebt, die beim anschließenden Tiefziehen als Materialreserve zum Ausziehen diene. Von der Einbringung einer Dehnung von 10. bis 15 % in der Anfangsphase sei aber in der D12 nirgends die Rede. Der beanspruchte Gegenstand sei daher durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

VII. Die weiteren Verfahrensbeteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)

Nach dem z. B. durch die D17 belegten Fachwissen in der Werkstofftechnik muß zur Erzielung einer bleibenden Verformung die Dehngrenze von ca. 0,2 % und somit der Bereich der rein elastischen Verformung überschritten werden. Eine Endverformung "ohne weitere Dehnung", wie dies für die zweite Verformungsstufe im Verfahren nach dem Anspruch 1 des Streitpatents angegeben ist, ist daher grundsätzlich nicht möglich. Ein fachmännischer Leser des Anspruchs 1 des Streitpatents wird folglich die Angabe "ohne weitere Dehnung" nicht im engeren Sinne wörtlich auslegen, sondern automatisch davon ausgehen, daß bei der Endverformung zumindest keine nennenswerte Dehnung des vorgeformten Blechteils auftreten soll. Dies wird auch durch den Text der Beschreibungseinleitung des Streitpatents (Spalte 3, Zeilen 24, 25) gestützt, wonach während des Endverformens ein typisches Tiefziehen vorliegen soll. Ein solches Tiefziehen ohne nennenswerte Dehnung findet z. B. bei Tiefziehvorgängen ohne Niederhalter statt, wie dies in Bild 7b der D18 gezeigt ist. Unter dieser Voraussetzung ist die im Anspruch 1 des Streitpatents angegebene Endverformung ausführbar. Dies gilt auch für den im Anspruch 1 beschriebenen Verformungsschritt "die Platine ... bis zu eine Dehnung von 10 bis 15 % ... vorgeformt wird". Im Streitpatent sind zwar keine weiteren Angaben gemacht, was unter diesen Dehnungswerten zu verstehen ist, jedoch ist in einem solchen Falle davon auszugehen, daß die Dehnungsangabe auf eine Längenänderung des verformten Materials zu beziehen ist. Es ist im übrigen offensichtlich, daß Dehnungen in dem angegebenen Bereich durchführbar sind.

Das Verfahren nach dem Anspruch 1 ist daher ausreichend offenbart, so daß es ein Fachmann ausführen kann.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

In der Druckschrift D12 ist in den Figuren 1c, 2c und 3 eine Umformung von Metallblech gezeigt, bei der eine Platine zwischen einem Oberwerkzeug und einem Unterwerkzeug flüssigkeitsdicht eingespannt ist und unter Einwirkung des Druckmittels in Richtung auf die Formkontur vorgeformt wird. Hierbei tritt unbestritten eine Verformung über die Dehngrenze hinaus bis hinein in den plastischen Verformungsbereich auf. In einer anschließenden Verformungsphase wird bei anhaltendem Druck des einwirkenden hydraulischen Druckmittels die vorgeformte Blechplatine bis zum vollständigen Aufliegen auf der Formkontur endgeformt, wie dies in den Figuren 1d bzw. 2b gezeigt ist. In dieser Endverformungsphase ist die Einspannung der Platine zwischen dem Oberwerkzeug und dem Unterwerkzeug soweit gelöst, daß das Blech unterstützt durch die zusätzliche Schmierung des in den Einspannrand eintretenden hydraulischen Druckmittels nachgezogen werden kann. Durch diese gelockerte Einspannung und den (in der D12 so bezeichneten) "friction holding effect" wird, wie die Beschwerdegegnerin selbst feststellt, vgl. Absatz II. 6 ihrer Erwiderung vom 30. April 2002, während des abschließenden Ziehvorgangs keine nennenswerte Dehnung erzeugt.

Bei dem in Anspruch 1 des Streitpatents beschriebenen Verfahren ist in Zusammenhang mit der Endverformungsphase nur von einem Aufformen der Platine unter Einwirkung eines hydraulischen Druckmittels auf eine an einem der Werkzeuge vorhandene Formkontur die Rede, wobei es offen bleibt, ob die am Werkzeug angebrachte Formkontur während des Formverfahrens stehen bleibt (wie dies im Ausführungsbeispiel des Streitpatents gezeigt ist) oder ob die Formkontur während der Verformung verfahren wird, wie dies im abhängigen Anspruch 3 des Streitpatents für den Endverformungsvorgang angegeben ist. Der Anspruch 1 nach dem Streitpatent schließt daher auch bidirektionale Umformungen mit ein, bei denen die Endverformung entgegen der Vorverformung erfolgt, wie dies bei der D12 der Fall ist.

Weiter wird in der D12 auf Seite 35, rechte Spalte im Zusammenhang mit dem bekannten Verfahren festgestellt, daß die Vorverformung in der ersten Phase der Endverformung eine Verdickung im Schulterbereich der Platine erzeugt, was offensichtlich einer guten Formstabilität des Endprodukts nützt. In der D12 wird desweiteren auch mehrfach darauf hingewiesen, daß z. B. auch große Teile in der Größenordnung von 1100 x 2000 x 250 mm (Seite 36, rechte Spalte) geformt werden können und bei den Beispielen (Seite 38, rechte Spalte, Absatz (2)) wird auf ein geformtes Abdeckblech ("Fender Trim") mit offensichtlich schwacher Konturierung verwiesen.

Die D12 offenbart daher auch ein Formverfahren, mit dem, in Übereinstimmung mit der Aufgabenstellung beim Streitpatent, die Herstellung flacher Formteile mit schwacher Konturierung bei guter Formstabilität möglich ist.

Aus dem Stand der Technik ist darüber hinaus ein zweistufiges Umformverfahren für Platinen nach der D10 bekannt, bei dem in einer ersten Verformungsstufe unter Einwirkung eines hydraulischen Druckmittels eine Vorverformung der Platine bis hinauf zu einem auf die Oberfläche bezogenen Dehnungswert von 35 bis 65 % erfolgt. Vergleicht man die im Streitpatent nicht weiter erläuterte und demnach auf die Längendehnung zu beziehende, relativ geringe Dehnung von 10 bis 15 % mit der Oberflächendehnungsangabe bis hinauf zu einem Wert von 35 (bis 65) % bei der D10, so folgt bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Dehnungsarten, daß es sich um vergleichbare Größenordnungen handeln muß. Im übrigen ist auch bei der Figur 2c nach der D12 in der ersten Verformungsphase (Vorverformung) ebenso wie beim Streitpatent nur eine relativ schwache Dehnung dargestellt.

Aus dem Vorstehenden folgt, daß die auf eine Längenänderung zu beziehende Dehnung von 10 bis 15 %, die unter der Einwirkung von hydraulischen Druckmitteln in einer ersten Verformungsphase erfolgt, durchaus im Rahmen der Verformung bei herkömmlichen Vorverformungsphasen liegt und daher auch für die Vorformstufe des bekannten Verfahrens nach der D12 naheliegend ist.

Aus dem Vorstehenden folgt, daß das Verfahren nach dem Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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