T 0911/01 () of 24.3.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T091101.20040324
Datum der Entscheidung: 24 März 2004
Aktenzeichen: T 0911/01
Anmeldenummer: 93110711.4
IPC-Klasse: D02J 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Wärmebehandlung von sich bewegenden Garnen und Vorrichtung zur Durchführung dieser Behandlung
Name des Anmelders: ARTEVA TECHNOLOGIES S.à.r.l.
Name des Einsprechenden: Honeywell International, Inc.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 111(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Änderungen - ja
Ausführbarkeit - ja
Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja
Zurückverweisung an erste Instanz - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 5. Juli 1993 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 10. Juli 1992 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 93 110 711.4 wurde das europäische Patent Nr. 579 082 erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent legten zwei Einsprechende gestützt auf die Einspruchsgründe der Artikel 100 a) EPÜ Einspruch ein und beantragten den Widerruf des Patents. Die Einsprechende 01 zog ihren Einspruch mit Schreiben vom 5. März 2001 zurück. Die Einsprechende 02 griff im Laufe des Einspruchsverfahrens noch den Widerrufsgrund des Artikels 100 b) EPÜ auf.

III. Die Einspruchsabteilung wies die Einsprüche mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2001 verkündeten und am 16. Juli 2001 zur Post gegebenen Entscheidung zurück.

Sie kam zu dem Ergebnis, der Gegenstand der jeweiligen unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 16 erfülle sowohl die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) als auch die des Artikels 83 EPÜ. Die beanspruchten Gegenstände seien neu und beruhten gegenüber dem geltend gemachten Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) am 7. August 2001 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Nach einer Mitteilung gemäß Artikel 108 und Regel 65 (1) EPÜ hat sie am 18. Januar 2002 eine Beschwerdebegründung eingereicht und ihren Antrag auf Widerruf des europäischen Patents Nr. 579 082 weiter begründet. Gleichzeitig hat sie gemäß Artikel 122 EPÜ Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist beantragt.

V. Mit Zwischenentscheidung vom 28. Mai 2002 hat die Beschwerdekammer die Beschwerdeführerin in die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt mit der Begründung, das Fristversäumnis beruhe auf einem einmaligen, entschuldbaren Versehen einer Büroangestellten des Vertreters der Beschwerdeführerin.

VI. In ihrem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Bescheid vom 29. Dezember 2003 hat die Beschwerdekammer mitgeteilt, daß sie an der Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre keinen Zweifel habe, denn dem zuständigen Fachmann müßten die entsprechenden Kenntnisse für die Auswahl des verwendeten Polymers und die Möglichkeit der Ermittlung der Garntemperatur zugebilligt werden.

In der mündlichen Verhandlung sei zu diskutieren, ob bei vollständiger Würdigung des aus D1 bekannten Standes der Technik das Verfahren nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents noch Unterschiede erkennen lasse.

Die Frage der erfinderischen Tätigkeit werde vor allem im Hinblick auf D1 zu diskutieren sein, wobei beim Fachmann die gleichen Fähigkeiten vorauszusetzen seien wie bei der Ausführung der Erfindung.

VII. Am 24. März 2004 fand eine mündliche Verhandlung statt. Von dem im Verfahren befindlichen Material wurden folgende Dokumente erneut diskutiert:

D1: US-A-4 138 840

D2: US-A-3 849 529

D3: DE-A-3 300 010

D4: DE-A-1 660 314

D12: EP-A-0 173-221

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 579 082.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage von:

- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

- Patentansprüche 2 bis 23 sowie

- Beschreibung und Zeichnung, wie erteilt

Die unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 16 lauten:

"1. Verfahren zum Erhitzen von berührungslos durch eine Erhitzungsvorrichtung (14) schnelllaufenden Garnen (1), die einen Titer von 50-2500 dtex aufweisen, und sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 300 m/min, bezogen auf die Geschwindigkeit des Garnes beim Verlassen der Erhitzungseinrichtung, bewegen, auf eine gewünschte erhöhte Temperatur umfassend die Schritte:

i) Vorerwärmen eines Wärmeüberträgergases auf eine Temperatur, die bis zu 20°C oberhalb der gewünschten Garntemperatur liegt, und

ii) Zuführen des vorerwärmten Wärmeübertragungsgases in den Fadenkanal (3), so daß dieses im wesentlichen senkrecht auf das laufende Garn entlang einer solchen Länge einströmt, daß sich das Garn innerhalb der Erhitzungsvorrichtung auf die gewünschte Temperatur erwärmt, und wobei die Länge der Anblaszone so gewählt wird, daß durch ständiges Wegreißen der Grenzschicht durch die Anströmung des Wärmeüberträgergases das Garn direkt mit diesem in Kontakt kommt und somit eine sehr rasche Aufheizung des Gases erfolgt.

10. Verfahren zur Herstellung von fixierten Garnen mit anstehenden Kapillarenden oder Schlingen mit gegenüber unfixierten Garnen verbessertem Fadenschluß, umfassend die Schritte

a) Erzeugung des Garnes (1) mit einem Titer von 50-2500 dtex mit von der Oberfläche abstehenden Kappillarenden der Einzelfilamente oder des Garnes mit Schlaufen aus Einzelfilamenten an der Oberfläche,

b) berührungsloses Durchleiten des Garnes durch das Innere einer Erhitzungsvorrichtung mit einer Geschwindigkeit von mehr als 300 m/min, bezogen auf die Geschwindigkeit des Garnes beim Verlassen der Erhitzungsvorrichtung, und

c) Anblasen dieses laufenden Garnes mit einem Wärmeüberrägergas, wobei das Anblasen des Garnes mit dem Wärmeüberträgergas gemäß den Schritten i) und ii) von Anspruch 1 erfolgt, so daß sich das laufende Garn innerhalb der Erhitzungsvorrichtung auf die gewünschte erhöhte Temperatur erwärmt und die Schlingen unter Erhalt der Schlingenform thermostabilisiert werden.

16. Vorrichtung zum Erhitzen von sich bewegenden Garnen (1) auf eine gewünschte erhöhte Temperatur zur Durchführung der Verfahren gemäß der Ansprüche 1 und 10 umfassend eine Vorwärmeinrichtung (2) für das Wärmeüberträgergas (12), einen Fadenkanal (3) für das berührungslos laufende Garn, der aus einem Rohr geboldet wird, welches mehrere in Garnlaufrichtung angeordnete Bohrungen (6) für den Durchtritt des Wärmeüberträgergases (12) aufweist, mindestens eine Zuführleitung (4) für das erhitzte Wärmeüberträgergas (12), welche mindestens eine Mündung (5) in eine Verteilerkammer aufweist, von der aus das erhitzte Wärmeüberträgergas (12) in den Fadenkanal (3) einströmt, wobei die Bohrungen (6) auf dem Rohr (7) so angebracht sind, daß das Wärmeüberträgergas (12) radial von außen von allen Seiten auf das im Fadenkanal (3) berührungslos laufende Garn einströmen kann."

VIII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, die beanspruchte Erfindung sei nicht ausführbar, da weder die gewünschte Temperatur des Garns noch der Effekt des Wegreißens der Grenzschicht feststellbar seien. Das werde auch durch D12 belegt, wo ausgeführt sei, daß die Verstrecktemperatur in einer Heizvorrichtung kaum ohne Fehler von Dritten reproduziert werden könne (Seite 11, 1. Absatz). Selbst wenn auf eine erreichte Garntemperatur anhand der Produkteigenschaften nach der Wärmebehandlung geschlossen werden könne, so gelte das nur für die in den Beispielen angegebene Fixierwirkung. Dagegen enthalte das Garn keine Angaben zum Ergebnis des Verstreckens, so daß die Lehre des Patents zumindest nicht über den gesamten Schutzbereich ausführbar sei.

Auch sei die Länge der Anblaszone ein wesentliches Merkmal, das ebenfalls völlig unbestimmt bleibe und vom Fachmann beim Nacharbeiten der Erfindung ausgewählt werden müsse. Wegen mangelnder Angabe von klar definierten Parametern sei für den Wettbewerber nicht eindeutig feststellbar, ob oder wann er im Schutzbereich des Patents arbeite.

Die Aufnahme eines neuen Merkmals aus der Beschreibung in den Anspruch 1 während der mündlichen Verhandlung sei in diesem späten Verfahrensstadium nicht zulässig, da die Beschwerdeführerin hierdurch in unzumutbarer Weise überrascht worden sei.

Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 16 sei nicht neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß D1, D2, D3 oder D4, denn diese Entgegenhaltungen zeigten entsprechende Erhitzungsvorrichtungen, in denen ein schnell durchlaufendes Garn von einem Wärmeüberträgergas radial von außen angeblasen werde.

Zumindest beruhe die Vorrichtung nach Anspruch 16 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da der Fachmann durch diesen Stand der Technik angeregt sei, mehrere Bohrungen von einer Verteilkammer in den Fadenkanal für den Durchtritt des Wärmeübertragungsgases in Garnlaufrichtung anzuordnen.

IX. Nach Meinung der Beschwerdegegnerin sei die Erfindung mit den Angaben aus der Beschreibung vom zuständigen Fachmann ohne weiteres ausführbar, denn die Temperatur des Fadens beim Verlassen der Erhitzungsvorrichtung, die der erreichten Temperatur entspreche, sei beispielsweise mit einem Pyrometer meßbar. Der geeignete Längenbereich der Anblaszone sowie der geeignete Durchsatz des Wärmeüberträgergases seien im Patent klar definiert. Allein die Tatsache, daß bereits bei einer Temperaturdifferenz von bis zu 20°C und einer sehr kurzen Verweilzeit die gewünschte Garntemperatur erreicht werde, zeige deutlich, daß dies auf den Effekt des Wegreißens der Grenzschicht durch direktes Anblasen des Fadens zurückzuführen sei.

Die Änderung des Anspruchs 1 sei durch die Einspruchsgründe bedingt; das neu aufgenommene Merkmal sei als erfindungswesentlich beschrieben und schränke den Anspruch 1 ein.

Das Verfahren nach Anspruch 1 und die Vorrichtung nach Anspruch 16 seien neu und durch den entgegengehaltenen Stand der Technik auch nicht nahegelegt, denn keine der bekannten Erhitzungsverfahren oder -einrichtungen arbeiteten nach dem Prinzip der Erfindung, welches das Aufheizen der Fadens trotz geringer Temperaturdifferenz durch das ständige Wegreißen der Grenzschicht in äußerst kurzer Verweildauer ermögliche.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig, nachdem mit der Zwischenentscheidung T 911/01 vom 28. Mai 2002 die Beschwerdeführerin in die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereingesetzt worden ist.

2. Zulässigkeit der Änderungen

2.1. Das neu in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal in Zeile 1 des Abschnitts i) "bis zu 20°C" ist in der Patentbeschreibung (Seite 4, Zeilen 39 bis 42) sowie in den ursprünglich eingereichten Unterlagen (Seite 8, 4. Absatz) als zur Erfindung gehörig allgemein beschrieben, so daß es im Zusammenhang mit dem erteilten Anspruch 1 zu lesen und somit ausreichend offenbart ist.

2.2. Da die vorgenommene Einfügung den Gegenstand des Anspruchs 1 gleichzeitig einschränkt, ist diese Änderung im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ zulässig.

2.3. Die Änderung wurde zwar in einem sehr späten Stadium des Verfahrens vorgenommen, jedoch hatte die Beschwerdegegnerin bereits in ihrem Schriftsatz vom 9. Februar 2004 (Seite 8, 2. Absatz) das neue Merkmal als erfindungswesentlich herausgestellt, so daß die Beschwerdeführerin mit der vorgenommenen Einschränkung rechnen mußte und von ihr nicht überrascht sein konnte. Zudem war die Änderung durch den Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ veranlaßt, weil damit ein weiterer für die Durchführung des Verfahrens wesentlicher Parameter angegeben wird. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß der geänderte Anspruch 1 formal zulässig ist.

3. Ausführbarkeit

Durch die Einfügung des Bereichs der Differenz von bis zu 20°C zwischen der Temperatur des Wärmeüberträgergases und der gewünschten Garntemperatur wird das beanspruchte Verfahren nach Anspruch 1 derart konkretisiert, daß dieser Temperaturgradient wesentlich niedriger liegt als bei den bekannten Verfahren. Insoweit ist ein Rückschluß auf den durch direktes Anblasen und ständiges Wegreißen der Grenzschicht verbesserten Wärmeübergang möglich, so daß damit der Fachmann in die Lage versetzt wird, bei der Ausführung des Verfahrens festzustellen, ob er im beanspruchten Bereich arbeitet oder nicht (Artikel 83, 100 b) EPÜ).

4. Neuheit

Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin, die Vorrichtung nach Anspruch 16 erfülle nicht das Erfordernis der Neuheit, erachtet die Kammer diese Vorrichtung und auch das Verfahren nach Anspruch 1 als neu.

4.1. D1 behandelt Erhitzungsvorrichtungen für schnell bewegte Garne, bei denen ein Wärmeüberträgergas in einen Fadenkanal eingeblasen wird. In der Ausführung nach Figuren 1 strömt das Gas tangential in eine gegenüber dem Rohrdurchmesser erweiterte Wirbelkammer ein, die im Fadenkanal gebildet ist. Eine oder mehrere Kammern mit einer beliebigen Zahl von Einströmöffnungen können im Wirbelerzeuger ausgebildet sein, wobei die Einströmöffnungen auch anders als tangential verlaufen und gestuft angeordnet sein können, um einen effektiven Fluidwirbel zu erzeugen (Spalte 2, Zeilen 18 bis 24). In der Ausgestaltung der Figur 2 ist eine Wirbelkammer mit tangentialen Bohrungen direkt am rohrförmigen Fadenkanal gebildet.

4.2. Von diesen Erhitzungsvorrichtungen unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 16 dadurch, daß der Fadenkanal mehrere in Garnlaufrichtung angeordnete Bohrungen für den Durchtritt des Wärmeüberträgergases aufweist, welches radial von allen Seiten auf das im Fadenkanal berührungslos laufende Garn einströmen kann.

4.3. Die zu Vergleichszwecken modifizierte Bauweise nach den Figuren 3 und 4 der D1 weist einen rohrförmigen Fadenkanal mit zwei gegenüberliegenden radialen Bohrungen auf. Hiervon unterscheidet sich die Vorrichtung nach Anspruch 16 durch mehrere in Garnlaufrichtung angeordnete Bohrungen.

4.4. Gegenüber den mit den Vorrichtungen nach D1 durchgeführten Erhitzungsverfahren hebt sich das Verfahren nach Anspruch 1 dadurch ab, daß die Temperaturdifferenz zwischen Wärmeüberträgergas und gewünschter Fadentemperatur bis zu 20°C beträgt, während sie in den bekannten Verfahren bei 26°C (Tabelle EXAMPLE 4, Device A, letzte Zeile) und bei den anderen Beispielen noch erheblich höher liegt.

4.5. D2 offenbart ein Verfahren zum Heißverstrecken eines Fadens mit einer Geschwindigkeit von vorzugsweise 50 bis 150 m/min (Spalte 7, Zeilen 54 bis 57). Im Unterschied dazu läuft das Garn beim Verfahren nach Anspruch 1 mit mehr als 300 m/min, so daß nicht vergleichbare unterschiedliche Wärmeübergangsverhältnisse vorliegen.

4.6. Die Vorrichtung nach Figur 2 der D2 weist am Beginn eines Fadenkanals 2 Einlaßöffnungen 72, 80 für die Heizluft auf, durch welche die Luft mit einem Durchsatz von 75 s.c.f.h. bei 72. und von 110 s.c.f.h. bei 80 eingeblasen wird. Von diesen Luftmengen strömen etwa 10% am Eingang 84 und etwa 90 % am Ende 82 des Fadenkanals aus, so daß hier von einer Strömung in Richtung des Fadenkanals ausgegangen werden kann.

4.7. Von dieser Verstreckungsvorrichtung unterscheidet sich die Vorrichtung nach Anspruch 16 durch eine Verteilerkammer für das Wärmeüberträgergas, von der aus das Gas durch die Bohrungen radial von außen auf das im Fadenkanal laufende Garn einströmen kann.

4.8. Die Vorrichtung nach Figur 1 der D2 weist nur einen einzigen Einlaßstutzen 28 für die heiße Luft am Beginn des Fadenkanals auf, so daß sich die Vorrichtung nach Anspruch 16 zusätzlich durch das Merkmal der mehreren Bohrungen von ihr unterscheidet.

4.9. D3 offenbart eine Dämpfvorrichtung für Chemiefasern, die aus zwei Hälften besteht, zwischen denen ein flächiger Dämpfkanal für die vorbeilaufenden Fasern gebildet ist. Der Kanal wird oben und unten von siebförmig durchbrochenen Verteilblechen begrenzt, durch die der Dampf zugeführt wird.

4.10. Da keine Bohrungen vorgesehen sind, ist ein im wesentlichen senkrechtes Anblasen bzw. von außen radiales Anströmen eines durchlaufenden Fadens mit dieser Vorrichtung nicht möglich. Diese Verteilbleche sind - wie schon ihr Name besagt - zur Verteilung des Erhitzungsgases vorgesehen und bilden keine gerichtete Strömung aus, so daß sowohl das Verfahren nach Anspruch 1 als auch die Vorrichtung nach Anspruch 16 gegenüber diesem Stand der Technik neu sind.

4.11. In D4 wird ein Verfahren zum kontinuierlichen Erwärmen von Fadenkabeln und eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens beschrieben, wobei das heiße Gas über die gesamte Heizstrecke dem Fadenkabel von unten zugeführt wird, so daß das Fadenkabel auf einem Gaspolster berührungslos schwebt.

4.12. Auch mit diesem Verfahren und der Vorrichtung zu seiner Durchführung ist ein im wesentlichen senkrechtes bzw. radiales Anblasen des Fadens nicht möglich.

4.13. Nachdem keines der im bisherigen Verfahren zur mangelnden Neuheit zitierten Dokumente alle Merkmale des Verfahrens nach Anspruch 1 oder der Vorrichtung nach Anspruch 16 offenbart, erfüllen diese technischen Lösungen das Erfordernis der Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ). Dasselbe gilt für den unabhängigen Anspruch 10, der die Merkmale und Verfahrensschritte des Anspruchs 1 umfaßt.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Als Aufgabe ist angegeben, ein einfaches Verfahren zur Wärmebehandlung von frei laufenden Garnen bereitzustellen, mit dem eine schonende und möglichst gleichmäßige Erwärmung der Garne möglich ist (Patentschrift, Seite 3, Zeilen 48 bis 49).

5.2. Gelöst wird dieses technische Problem durch die Verfahren mit den Verfahrensschritten der Ansprüche 1 und 10 sowie durch die Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 16.

5.3. Der nächstkommende Stand der Technik wird durch die Druckschrift D1 repräsentiert, welche ein Verfahren zum Erhitzen von schnellaufenden Garnen sowie eine Erhitzungsvorrichtung zur Durchführung des Verfahrens zeigt und beschreibt.

5.4. Die Beschwerdeführerin meinte, die beanspruchten Lösungen seien durch D1 in Kombination mit D2, D3 oder D4 nahegelegt. Dem vermag sich die Kammer jedoch nicht anzuschließen. So fehlt in D1 jeglicher Anhaltspunkt in Richtung einer schonenden Erwärmung, denn es geht dort um möglichst effektive Wärmeübertragung mittels einer oder mehrerer Wirbelkammern. In den Beispielen wird die Erhitzungseinrichtung mit Wirbelkammer und tangentialer Anströmung gemäß Figur 2 (A) hinsichtlich der Effizienz des Wärmeübergangs verglichen mit Vergleichseinrichtungen mit senkrechter Anströmung nach den Figuren 3 (B) und 4 (C), wobei sich als Ergebnis ein besserer Wärmeübergang bei tangentialer Einströmung in die Wirbelkammer zeigt. Folglich wird der Fachmann ausgehend von der gefundenen Verbesserung (A) keinesfalls versuchen, ein neues Verfahren und eine entsprechende neue Vorrichtung in Richtung der Beispiele (B) und (C) zu entwickeln, da er dort im Hinblick auf die in D1 offenbarten Daten schlechtere Ergebnisse erwarten würde. Auch zeigt die Temperaturdifferenz zwischen Lufttemperatur und erreichter Garntemperatur, daß bei den patentgemäßen Lösungen tatsächlich ein unterschiedlicher Wirkmechanismus bestehen muß. Sonst wäre es nicht möglich, mit so geringer Temperaturdifferenz von bis zu 20°C zu arbeiten, während in D1 ein Temperaturunterschied von mindestens 26°C und je nach Luftdruck und -durchsatz von bis zu 111°C besteht. Somit kann D1 keinen Hinweis liefern, das schnellaufende Garn senkrecht bzw. radial über eine bestimmte Länge anzublasen, um die den Wärmeübergang behindernde Grenzschicht ständig wegzureißen, und den Fachmann folglich nicht zur beanspruchten Erfindung anregen.

5.5. Beim Verfahren und der Vorrichtung nach D2 bildet sich von den Lufteinlässen eine Strömung parallel zum Fadenlauf aus. Bei dieser Art der Wärmebehandlung entsteht gerade das im Patent beschriebene Problem, daß die den Faden umgebende Grenzschicht den Wärmeübergang behindert. Folglich gibt dieser Stand der Technik keinen Hinweis auf die beanspruchte Lösung.

5.6. Die aus D3 und D4 bekannten Vorrichtungen enthalten Flächengebilde wie ein Gewebe aus Glasfasern 7 (D3, Seite 7, 2. Absatz) oder Siebbleche 6 (D4, Seite 5, 1. und 2. Absatz), durch welche das Heizmedium strömt. Diese Einrichtungen erlauben keine gerichtete Strömung, die senkrecht bzw. radial von außen auf einen durchlaufenden Faden gerichtet sein könnte. Somit kann auch dieser Stand der Technik keinen Beitrag in Richtung der beanspruchten Erfindung leisten. Da auch nicht erkennbar ist, wie der Fachmann allein aufgrund seines fachlichen Wissens und Könnens zu den beanspruchten Lösungen hätte gelangen können, beruhen die Verfahren nach Anspruch 1 und 10 sowie die Vorrichtung nach Anspruch 16 im Hinblick auf den im Verfahren befindlichen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

6. Zurückverweisung an die erste Instanz

6.1. In den Anspruch 1 wurde ein Merkmal aufgenommen, das nur in der Beschreibung offenbart und demzufolge noch nicht recherchiert worden ist. Die endgültige Entscheidung darüber, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 und des Anspruchs 10 auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ist erst dann möglich, wenn der relevante Stand der Technik vollständig ermittelt ist.

6.2. Auch muß der Einsprechenden Gelegenheit gegeben werden, eine entsprechende Recherche durchzuführen, um ihr den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht zu nehmen.

6.3. Wird in der Recherche kein Material ermittelt, das allein oder in Kombination mit einem der im Verfahren befindlichen Dokumente die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit in Frage stellen kann, so kann die Einspruchsabteilung das Patent aus den obenstehenden Gründen aufrechterhalten. Im anderen Falle werden diese Patentierungsvoraussetzungen erneut zu prüfen sein.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens.

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