T 0706/01 () of 5.12.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T070601.20031205
Datum der Entscheidung: 05 Dezember 2003
Aktenzeichen: T 0706/01
Anmeldenummer: 97250263.7
IPC-Klasse: C21D 11/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Modellgestütztes Verfahren zur kontrollierten Kühlung von Warmband oder Grobblech in einem rechnergeführten Walz- und Kühlprozess
Name des Anmelders: SMS Demag AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 52(2)(c)
European Patent Convention 1973 Art 52(3)
Schlagwörter: Ausführbarkeit (ja), Modellgestütztes Verfahren, Metallphysikalisches Prozeßmodell
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA, schriftlich begründet am 24. Januar 2001, mit der die europäische Patentanmeldung 97 250 263.7 zurückgewiesen wurde.

II. Die Prüfungsabteilung begründete ihre Entscheidung damit, daß die europäische Patentanmeldung die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

Sie vertrat die Ansicht, die in der Beschreibung enthaltenen Informationen vermittelten dem Fachmann keine technische Lehre, die ihn, auch unter Zuhilfenahme seines einschlägigen Fachwissens, in die Lage versetzten, das angestrebte Ergebnis ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Insbesondere enthalte die Anmeldung keinerlei Hinweise, wie der Werkstoffmodul zur Berechnung von ZTU-Schaubildern in Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung des Werkstoffs beschaffen sei und zeige keinen Weg auf, wie das Prozeßmodell mit einem solchen Werkstoffmodul umgesetzt werden solle. Letzteres erfordere die Durchführung einer aufwendigen Forschungsreihe.

III. In der Beschwerdebegründung und ihrer Antwort auf einen Bescheid der Kammer zur vorläufigen Bewertung der Sachlage vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, es sei vor dem Prioritätstag der Anmeldung mit Hilfe von Computerprogrammen dem Fachmann problemlos möglich gewesen, Voraussagen über das ZTU-Diagramm zu machen, wenn die Legierungszusammensetzung und die Austentitkorngröße gegeben seien. Letztere bilde einen Kennwert für die Umform- und Kühlparameter. Die Ausführung des beanspruchten Verfahrens sei dem Fachmann damit möglich. Zur Stützung ihres Vorbringens wies die Anmelderin auf folgenden Druckschriften hin:

D1: A. Kulmburg: "Beitrag zur Vorausberechnung von ZUT- Schaubildern", Härterei: Technische Mitteilungen, Band 35 (1980), Heft 2, Seiten 52 bis 58 und

D2: M. Enomoto: "Prediction of TTT-Diagrams of Pro- eutectoid ferrite reaction in iron alloys from diffusion growth theorie", ISIJ International, volume 32, (1992), Nr. 3, Seiten 297 bis 306.

IV. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 5.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Modellgestütztes Verfahren zur kontrollierten Kühlung in gesteuerten Walz- und Kühlprozessen von Warmband oder Grobblech, das nach gesteuertem Walzen in Temperaturbereichen, in denen keine Rekristallisation stattfindet und in denen das Gefüge aus verfestigtem Austenit besteht, kontrolliert nach einer festgelegten Kühlkurve gekühlt wird, indem es mit einer definierten Geschwindigkeit durch die Kühlanlage transportiert wird, gekennzeichnet durch ein metallphysikalisches Prozeßmodell, das einen Werkstoffmodul zur Berechnung von Zeit-Temperatur- Umwandlungs-Diagrammen (ZTU-Diagrammen) in Abhängigkeit der chemischen Zusammensetzung und der Umform- und Kühlparameter enthält und das sowohl die Setup- Berechnung zur Ermittlung der erforderlichen Wassermenge und Verteilung innerhalb der Kühlstrecke durchführt, wie auch den dynamischen Führungsgrößenverlauf ermittelt, wobei die Kühlung derart gesteuert wird, daß die Kühlkurve im berechneten Zeit-Temperatur-Umwandlungs- Diagramm des zu kühlenden Werkstoffes so zwischen den Nasenpunkten der Ferrit- bzw. Perlit-Umwandlungskurve verläuft, daß sich als Kühlergebnis ein ferritisch- bainitisches Gefüge mit dem jeweils vorab berechneten Verhältnis zwischen diesen beiden Gefügekomponenten im Stahl bildet."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

2.1. Einziger Grund der Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung ist die mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung.

2.2. Die Anmeldung betrifft ein modellgesteuertes Verfahren zur kontrollierten Abkühlung von Warmband oder Grobblech in gesteuerten Walz- und Kühlprozessen. Nach dem Verlassen des letzten Walzgerüstes wird das Warmband, dessen Gefüge aus verfestigtem Austenit besteht, von einer Endwalztemperatur FT entsprechend einer vorher festgelegten Kühlkurve kontrolliert abgekühlt und so das geforderte Gefüge eingestellt. Dazu wird das Stahlband mit einer bestimmten Geschwindigkeit R durch die Kühlanlage transportiert. Ziel des beanspruchten Verfahrens ist dabei, bei einer (unerwarteten) Veränderung der Endwalztemperatur FT und/oder der Walzgeschwindigkeit R den Abkühlungsvorgang, dem das Warmband oder Grobblech einer bestimmten Stahlzusammensetzung unterworfen wird, so zu steuern, daß das geforderte ferritisch-bainitisches Gefüge ohne wesentliche Anteile an Perlit auch unter diesen veränderten Prozeßbedingungen im fertigen Produkt sicher erreicht wird. Es liegt auf der Hand, daß auch die Verarbeitung von Grobblech, das gegenüber einem vorher verarbeiteten Stahlband eine geänderte Stahlzusammensetzung aufweist, eine Anpassung der Kühlbedingungen an die neue Stahlqualität notwendig macht. Dazu schlägt die Erfindung ein metallphysikalisches Prozeßmodell vor, das einen Werkstoffmodul zur Berechnung von ZTU Diagrammen in Abhängigkeit von der Stahlzusammensetzung und den Umform- und Kühlparametern enthält.

2.3. Die Prüfungsabteilung hat darauf verwiesen, daß die Anmeldung keine näheren Angaben zu dem verwendeten Werkstoffmodul mache und die Ausführbarkeit des modellgestützten Verfahrens deshalb nicht gegeben sei.

2.4. Es ist dem fachkundigen Leser aus der Beschreibung und der einzigen Figur der Anmeldung jedoch klar verständlich, wie das beanspruchte modellgestützte Verfahren ablaufen soll. Dabei ist es wichtig, daß die zeitliche Abkühlung des Bandes, dargestellt durch die Kühlkurve beginnend bei der Endwalztemperatur FT (siehe Figur), so eingestellt wird, daß sie das Gebiet zwischen der Temperatur der Perlitnase TPS (T- perlit-start) und derjenigen der Ferritnase TFS (T-ferrit- start) sicher durchläuft, ohne dabei in das Perlitgebiet zu gelangen. Der im Prozeßmodell eingesetzte Werkstoffmodul muß deshalb in der Lage sein, auf der Grundlage des gewählten Werkstoffes, d. h. seiner chemischen Analyse, zumindest die charakteristischen Punkte TPS und TFS und die Umwandlungsbereiche für Ferrit, Perlit und Bainit vorauszuberechnen und als Grenzwerte in das Modell einzubringen. Daß die verläßliche interpolierende Vorausberechnung von ZTU-Schaubildern für kontinuierliches Abkühlen insgesamt und die Berechnung der Umwandlungspunkte, der kritischen Abkühlgeschwindigkeiten und das sich ergebende Gefüge im Besonderen möglich ist und wie eine solche Vorausberechnung auszuführen ist, ist den Druckschriften D1 und D2 zu entnehmen, deren Inhalt das Standartwissen des auf diesem technischen Gebiet tätigen Fachmanns belegt. Insbesondere wird dabei auf z. B. D1, Punkt 1: Einleitung; Punkt 4.1: Stähle für schwere Schmiedestücke, Seite 54, rechte Spalte, Text unter Bild 5; Seite 55, rechte Spalte, letzter Absatz hingewiesen, wo dargelegt wird, wie sich die kritischen Umwandlungspunkte des ZTU-Schaubilds mit Hilfe mathematischer Formeln berechnen lassen.

Des weiteren beinhaltet Anspruch 1, daß das metallphysikalische Prozeßmodell neben der Stahlzusammensetzung auch die Umform- und Kühlparameter zu berücksichtigen hat. Wie aus der Beschreibung der Anmeldung erkennbar ist, stellen die Walzgeschwindigkeit R (die der Durchlaufgeschwindigkeit durch die Kühlstrecke entspricht) und die Walzendtemperatur FT (welche im wesentlichen gleich ist der Temperatur des Warmbandes beim Eintritt in die Kühlzone) die wesentlichen Umformparameter dar. Die Kühlparameter andererseits werden durch die die Kühlgeschwindigkeit CR, die Länge der Kühlstrecke L und die Kühlintensität, d. h. die eingesetzte Wassermenge bzw. Luftmenge oder Mischungen der beiden Kühlmedien, bestimmt. Da der Verlauf der Abkühlungskurve des Warmbandes, wie dies in der Beschreibung der Anmeldung im Detail beschrieben und in der einzigen Figur dargestellt ist, durch die gewählte Stahlzusammensetzung und die sich daraus ergebenden Umwandlungspunkte TPS und TFS sowie durch das angestrebte Gefüge im Warmband festgelegt ist, sind bei dem modellgestützten Verfahren nach Anspruch 1 die Stellgrößen Walzgeschwindigkeit, Länge der Kühlstrecke bzw. aktive Wassermenge in der Kühlstrecke und Stahlqualität durch ein Rechenprogramm in geeigneter Weise so mit einander zu verknüpfen, daß die vorgeschriebene Kühlkurve bzw. Kühlgeschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt des Abkühlvorgangs sicher eingehalten wird.

2.5. Der seitens der Prüfungsabteilung unter Artikel 83 EPÜ erhobene Einwand der mangelnden Ausführbarkeit ist deshalb unter Berücksichtigung des fachmännischen Wissens belegt z. B. durch Druckschrift D1 seitens der Anmelderin ausgeräumt worden.

3. Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ

Es bleibt noch zu prüfen, ob es sich bei der vorliegenden Anmeldung im Sinne von Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ um ein Programm als solches handelt oder nicht. Dazu ist festzustellen, daß das Europäische Patentübereinkommen nicht die Patentierung von Erfindungen verbietet, die aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Bestandteile bestehen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird jedoch nicht nur durch das metallphysikalische Prozeßmodell allein gebildet, sondern enthält auch das gesteuerte Walzen von Warmband oder Grobblech in Temperaturbereichen, in denen keine Rekristallisation stattfindet und wo das Gefüge aus verfestigtem Austenit besteht. Die mit Hilfe des erfindungsgemäßen computergestützten Modells erreichte technische Wirkung liegt darin, daß Warmband oder Grobblech einer bestimmten Stahlanalyse mit einer Gefügestruktur, welche die geforderten Anteile an Ferrit und Bainit aufweist, auch bei geänderten Verfahrensbedingungen zuverlässig erzeugt werden kann. Die vorliegende Anmeldung genügt damit auch den Erfordernissen von Artikel 52 (2) c) in Verbindung mit (3) EPÜ.

4. Klarheit; Artikel 84 EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist auch hinsichtlich der unter Artikel 84 EPÜ geforderten Klarheit nicht zu beanstanden, denn es ist dem fachmännischen Leser klar, welche Stellgrößen in das Prozeßmodell eingehen und wie sie miteinander zu verknüpfen sind, um so das geforderte ferritisch-bainitische Gefüge im fertigen Warmband oder Grobblech einzustellen.

Dies gilt auch für die abhängigen Ansprüche 2 bis 5, die sich auf bevorzugte Ausführungsformen des beanspruchten Verfahrens beziehen.

5. Die vorliegende Anmeldung erfordert noch eine grundlegende weitere Prüfung, ob die im Hinblick auf Artikel 52 EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ aufgeführten Erfordernisse der Patentierbarkeit vorliegen. Dies sollte durch die Prüfungsabteilung geschehen. Unter diesen Umständen macht deshalb die Kammer von der Befugnis gemäß Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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